Schweitzer Fachinformationen
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MAI
Es riecht verdächtig im Wohnwagen. Ein Mief, der einen sofort an ein kleines Kneipen-Kino erinnert, in dem heimlich geraucht wird und 20 Leute ihre schwitzigen Hintern 90 Minuten lang in die Sessel drücken. Ich öffne Schränke und Schubladen und bin jedes Mal erleichtert, nichts Totes zu entdecken. Der Autohändler streckt seinen Kopf weit durch die Wohnwagentür.
»Und? Kaufen?«
Mein Bauchgefühl sagt mir, ich sollte jetzt besser unverfänglich mit den Schultern zucken. Ich gucke weiter kritisch in alle Richtungen; der Autohändler muss ja nicht wissen, wie wenig Ahnung ich von Wohnwagen habe. Ziemlich genau gar keine nämlich, aber wer hat schon Ahnung von Wohnwagen? Trotzdem stehe ich jetzt in einem drin, bereit, ihn zu kaufen, weil Bruno gesagt hat, er möchte erst mal kein zweites Kind haben. Eigentlich wollte ich heute keinen Wohnwagen kaufen, sondern nur Wohnwagenkaufen üben. So wie ich plante, mich auf das »erst mal« in Brunos Satz zu konzentrieren, aber das Schicksal möchte mich offenbar lieber komplett durchdrehen sehen.
In meiner Hosentasche steckt eine Checkliste aus dem Internet, auf der wichtige Dinge stehen, die mich vor einem Fehlkauf bewahren sollen. Fast beiläufig frage ich den Autohändler, ob denn hier alles trocken sei.
»Ja, alles trocken«, sagt der Autohändler, der, wie mir scheint, auch keine Ahnung von Wohnwagen hat. Hier auf dem Platz gibt es nämlich nur diesen einen Wohnwagen und ansonsten Pkws. Ich finde das aber gar nicht so schlecht, schließlich scheint die Sache hier zwischen mir und dem Autohändler fachlich recht ausgeglichen. Der steht jetzt draußen ein paar Meter weiter weg und raucht eine Zigarette.
Der Wohnwagen hat einen Sitz- und einen Schlafbereich, eine Küche, einen Schrank, und es hängen zweifelhafte Gardinen an den Fenstern. Außerdem ist da noch Müll. Leere Dosen, ein alter Reifen und schimmliges Toastbrot, von dem ich hoffe, es stammt nicht noch vom Erstbesitzer. Menschen mit Wohnwagen kannte ich bisher nur vom Hörensagen, sie waren um die 60 und hießen Ruth oder Horst. In dem Wohnwagen gibt es keine Toilette, aber immerhin einen großen Spiegel am Schrank. In den gucke ich jetzt, um herauszufinden, wie viel Ruth wohl in mir stecken könnte. Der Autohändler klopft vorsichtig an die Tür, als würde er mich bei etwas Wichtigem stören. Dann schießt es aus mir heraus: »Wie viel?«
»1400 Euro«, sagt er, und ich versuche zu gucken, wie Ruth es vielleicht tun würde. Absolut entspannt, alles klar, 1400 Euro also. Als Langzeitstudentin des Fachs »Kreatives Geldausgeben« habe ich natürlich keinen Schimmer, ob das ein fairer Preis für einen 41 Jahre alten, wahrscheinlich trockenen Wohnwagen ist oder nicht. Der Autohändler spricht nur wenig Deutsch, was mir glücklicherweise weitere bescheuerte Fragen über die Technik erspart. Irgendwie schnappe ich auf, der Wohnwagen habe keinen TÜV mehr, was aber nicht weiter schlimm ist, weil ich erstens nicht genau weiß, was ein TÜV ist, und zweitens meine Vision für die Deko längst steht.
Ich rufe Bruno an und sage, er solle sich festhalten, der Wohnwagen sei der Knaller. Hier und da müsse natürlich noch was gemacht werden. Der hässliche Gummiboden muss raus, die Küche wahrscheinlich auch. Aber der Gesamteindruck stimmt, und der Autohändler schwört, der Wohnwagen sei trocken. Bruno antwortet »hmm« und schließlich »okay«, und ich lege auf, bevor er Fotos von innen verlangt.
Seit Bruno das mit dem zweiten Kind gesagt hat, nerve ich ihn unentwegt damit, wie wichtig eine stabile Familiendynamik zu dritt ist. Damit aus dem Jungen nicht aus Mangel an Geschwisterkindern ein Psychopath wird. Drei Jahre Altersabstand seien doch super, sagte ich dann. »Findest du nicht, das ist super?« Bruno hatte da keine eindeutige Antwort drauf. Er lief dabei ganz komisch auf und ab. Sein nervöser Anblick bohrte sich richtig tief in mich rein. Plötzlich war sie da. Die Krise. Wir müssen spießig werden, habe ich ihm nach unserem ersten Gespräch darüber beim Abendessen erklärt. Da hat er sich fast an den Nudeln verschluckt.
Noch einmal ziehe ich mich allein in den Wohnwagen zurück. Ich bin überrascht, wie groß er plötzlich von innen auf mich wirkt, drehe noch eine Runde, setze mich hin, stehe wieder auf und hüpfe sogar einmal. Der Sommer spielt sich vor meinen Augen ab: wir auf unserem Campingplatz, im Wohnwagen aufwachend, draußen wartet schon der Tag auf uns.
Ich steige, eingehüllt in Optimismus, aus dem Wohnwagen und erkläre dem Autohändler, dass ich dieses Prachtexemplar gerne kaufen möchte. Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie sieht er überrascht aus. Dann fangen wir an, uns zu besprechen, ich glaube, es heißt Verhandlung. Er sagt jedenfalls: »Mit Lieferung, 1700 Euro.« Ich schreie: Das ist zu teuer, o mein Gott, o mein Gott, gehen nicht 1500, bitte, bitte. Er sagt: »Na gut.« Wenn das Verhandeln ist, dann bin ich, glaube ich, sehr gut darin.
Ich fahre nach Hause und bin völlig außer mir - und werde es wohl für den Rest meines Lebens bleiben. Was nur verständlich ist. Immerhin bin ich ab sofort Besitzerin eines Wohnwagens.
* * *
Eine gepflasterte Landstraße führt zu unserem Campingplatz. Rechts liegt der See und auf der anderen Seite ein weites, kurz gemähtes Feld. Von der Straße aus kann man dahinter die Parzellen mit den Wohnwagen gut sehen. Die gesamte Anlage ist nicht sehr groß, man erreicht nach Sichtung des ersten Wohnwagens in nur wenigen Sekunden das Eingangstor. Ein Verkehrsschild warnt vor spielenden Kindern, ringsherum ragen hohe Bäume in den Himmel, als würden sie wetteifern, wer von ihnen es am höchsten schafft. Ich weiß noch, wie überrascht ich bei unserem ersten Besuch war, dass es so etwas Idyllisches in Brandenburg zu finden gibt. Glamourös ist hier aber nichts. Das Versprechen von der perfekten Erholung ist schon ein wenig in die Jahre gekommen, aber weil alles einen so herrlichen Eindruck nach nichts müssen und nichts können macht, der Campingplatz wahrscheinlich nach genau diesem Motto die DDR überlebt hat, kann man einfach nicht meckern. Das Auto, mit dem wir an den Wochenenden zum Campingplatz fahren, habe ich schließlich von meiner Mutter. Sie hatte es mir schon früher mehrmals angeboten, weil der Chef ihrer ambulanten Pflegestation ihr einen Firmenwagen in Aussicht gestellt hatte, ich aber bisher keinen Grund für ein Auto in der Stadt sah.
Am Samstag wird der Wohnwagen geliefert. Die letzten zwei Wochenenden haben wir gezeltet. Kaum zu glauben, wie nun wirklich der Wohnwagen langsam den Kiesweg runter zu unserer Parzelle rollt. Vorneweg im Auto mit Anhängerkupplung der Händler, der mich sofort zu erkennen scheint. Er winkt. Pfeilschnell strömen von allen Seiten Nachbarn dazu und begutachten die neue Dose vom Platz. »Jutet Ding!«, legt sich Günther von gegenüber nach einigen Minuten fest und läuft los, um sein Messgerät zu holen. »Kieken, ob dit och Saft hat.« Gu¨nther erinnert mich an Opa Wolfgang, der auch keine T-Shirts besaß und, wie ich als Kind vermutete, sich zu Weihnachten immer eins lieh. Es ist genau diese Mentalität ostdeutscher Männer, mit der ich gut kann. Obenrum frei, bisschen mürrisch, aber das Herz an der richtigen Stelle. Immer Werkzeug am Start, natürlich.
In der Kleingartenanlage meiner Großeltern, in der ich als Kind mit dem Fahrrad den Akazienweg runtergedüst bin, reihte sich eine Parzelle an die nächste. Die Zäune standen fest, trennten, was Erde verband, und an jedem Eingangstor prangte ein Schild, auf dem das Wort »Lebensgefahr« stand. Meistens handelte es sich bei der Lebensgefahr um kleine, kläffende Malteser, die leidenschaftlich versuchten, ein Leckerli zu ergattern. So einen hatten meine Großeltern auch. Für uns Kinder waren die Wochenenden in der Kleingartenanlage das absolute Paradies, in dem man sich beim Buddeln Füße und Hände ausdrücklich schmutzig machen durfte. Ein richtiges Bad gab es in dem kleinen Häuschen nicht, keine Dusche oder Wanne, nicht mal eine richtige Toilette. Gewaschen haben wir uns mit Lappen, was Oma Karin Katzenwäsche nannte, in großen Plastikschüsseln draußen auf dem Rasen, von denen mein Bruder und ich je eine eigene hatten, was uns zum Wetteifern aufforderte, welches Wasser schwärzer war. Ich hatte auch einen eigenen Apfelbaum und eine Gartenschere, auf der mein Name stand. Nie wieder brachte ich für etwas so viel Leidenschaft auf wie für das Schneiden der Rasenkante an unserer Einfahrt. Das Geräusch der Gartenschere, der Anblick des grün gefüllten Eimers und schließlich die lobenden Worte von Oma Karin. Selbst der sonst so grimmig schauende Nachbar nickte, in seinen Gartenstuhl gelehnt, beim Anblick des kleinen Mädchens, das die komplexen Reglementierungen in Sachen Rasenhöhe verstand. Abends lagen wir alle zusammen im Bett, im Fernsehen lief Die 100.000 Mark Show, unvergessen der heiße Draht, der uns Kinder vor Spannung aufspringen ließ. Anschließend sahen wir 7 Tage, 7 Köpfe mit Rudi Carrell und Jochen Busse, gingen irgendwann rüber und schliefen schließlich auf unseren Klappliegen ein.
Der Wohnwagen hat sogar eine Solaranlage auf dem Dach, wie sich herausstellt, als Jochen, der Nachbar hinter uns - ebenfalls im halben Adamskostüm -, plötzlich auf unserem Wohnwagen draufsteht. Angeblich kann man einen Kleinwagen auf das Dach eines Wohnwagens stellen, erfahre ich. »Die halten wat aus!«, ruft Jochen von oben runter, als er mein verunsichertes Gesicht sieht. Und auch wenn ich Angst habe, dass der Wohnwagen jeden Moment zusammenbricht...
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