Schweitzer Fachinformationen
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Wovon träumst du?
Ich kann nicht glauben, was ich gerade im Begriff bin zu tun. Was bin ich nur für eine Hochstaplerin! Ich erkläre im Podcast Iss doch, was du willst!1 seit Jahren, warum sich vom Gewicht nicht auf die Gesundheit schließen lässt, wie ein entspanntes und genussvolles Essverhalten ohne Diätregeln und Kontrollzwang funktioniert und dass mehrgewichtige Menschen genauso viel Respekt verdienen wie schlanke Personen (und wie sie diesen Respekt einfordern können). Verdammte Axt, es ist noch nicht mal zwei Stunden her, dass ich meine Klient:in in der Beratung fragte, was denn eigentlich hinter ihrem Wunsch nach einem schlankeren Körper stecke. Wenn die wüsste, was ich für eine Lügnerin bin. Denn gerade sitze ich in einem Online-Call und lasse mir erklären, in welchem Zeitraum welche Gewichtsabnahme für mich realistisch sei. Ich schäme mich so sehr, dass ich kaum dem Gespräch folgen kann. Die Anti-Diät-Ernährungswissenschaftlerin, die andere Menschen dabei unterstützt, Frieden mit dem eigenen Körper und dem Essen zu schließen, denkt gerade ernsthaft darüber nach, in den nächsten Monaten mehrere Tausend Euro dafür auszugeben, um vorsätzlich Gewicht zu verlieren.
Plötzlich ist Stille. Ich blicke auf, schaue in ein erwartungsvolles Gesicht und mir wird klar, dass ich eine Antwort geben muss. Glücklicherweise lässt mich mein Kurzzeitgedächtnis nicht im Stich. Mein Gegenüber hatte mir gerade freudestrahlend verkündet, dass ich mir jederzeit während des Programms überlegen könnte, ob ich mein Zielgewicht nicht doch noch etwas weiter runterschrauben will. 25 kg seien in meinem Fall überhaupt kein Problem. Und um dem Ganzen etwas mehr Nachdruck zu verleihen, wiederholt er mit glänzenden Augen noch einmal seine letzte Frage: Wenn meine Träume keine Grenzen hätten, was würde ich mir wünschen?
Ich hatte in meinem Leben schon viele Träume. Häufiger, als mir lieb war, spielten darin mein Aussehen und mein Gewicht eine zentrale Rolle. Mit elf Jahren hatte ich bereits einige Mobbingerfahrungen hinter mir und glaubte, dass alle mich mögen würden, wenn ich nur »die perfekte Figur« hätte. Mit 19 Jahren war ich überzeugt, dass ich meine Probleme mit dem Essen und meinem Gewicht lösen könnte, wenn ich nur »die eine« Diät finden würde, die mich schlank machen würde. Ich entschied mich für ein Studium der Ernährungswissenschaften und verschwendete nicht einen weiteren Gedanken daran, dass ich auch gerne etwas Kreatives gemacht oder mit Tieren gearbeitet hätte. Mit 31 Jahren, nach der Geburt meines ersten Kindes, träumte ich davon, mit dem »perfekten« After-Baby-Body wie ein Phönix aus der Asche zu steigen. Trotz des Stillens hungerte ich mich durch ein extremes Sportprogramm. Mit 34, nach der Geburt meines zweiten Kindes, setzte ich mir ein Ultimatum: jetzt oder nie. Aus Angst und Verzweiflung griff ich zu drastischen Maßnahmen, die mich an den Rand einer Essstörung brachten. Der Wunsch nach einem schlanken Körper hatte sich längst in einen wiederkehrenden Albtraum verwandelt.
Ich kämpfte einige Monate wie besessen um jedes einzelne Kilo - bis plötzlich gar nichts mehr ging. Aus heiterem Himmel hatte ich anaphylaktische Schocks (schwere allergische Reaktionen, die bis zum Kreislaufstillstand und sogar zum Tod führen können). Ich hatte Schmerzen, konnte an vielen Tagen fast nicht aus dem Bett aufstehen und hatte kaum eine Chance, meinen normalen Alltag durchzustehen. An eine strenge Diät oder einen harten Trainingsplan war nicht zu denken. Es dauerte über ein Jahr, bis ich die Diagnosen Histaminintoleranz und Mastzellaktivierungssyndrom erhielt, die meine Symptome endlich erklärten und mir die Möglichkeit gaben, gezielt dagegen vorzugehen.
Mein erster Impuls war, eine krasse Restriktionsdiät zu machen. Wieso nur histaminreiche Lebensmittel weglassen, wenn ich auch gleich 120 Prozent geben und auf alles »Ungesunde« verzichten konnte? Aber ich war längst am Ende meiner Kräfte. Ich konnte nicht mehr gegen meinen Körper kämpfen. Diäten kamen nicht mehr infrage, also tat ich das komplette Gegenteil: Ich fing an, intuitiv zu essen. Auch wenn es nicht (mehr) meine oberste Priorität war, hoffte ich anfangs noch, mit der Intuitiven Ernährung Gewicht zu verlieren. Tatsächlich aber tat sich gar nichts auf der Waage. Doch nach ein paar Wochen und Monaten bemerkte ich die ersten anderen positiven Veränderungen und der Wunsch nach einem schlankeren Körper rückte langsam in den Hintergrund. Meine Blutwerte verbesserten sich, ich hatte wieder viel mehr Energie und verspürte eine Leichtigkeit und Freude, die ich niemals für möglich gehalten hätte. Essen hatte die Macht über mich verloren. Wenn das bedeuten sollte, den Traum vom schlanken Körper aufzugeben, war ich bereit, diesen Preis zu zahlen. Mein Gewicht war mir nicht mehr so wichtig. Zumindest dachte ich das: Denn wie soll ich mir erklären, dass ich gerade überlege, ob ich für das Diätprogramm die Ratenzahlung wählen oder doch besser den ganzen Betrag auf einmal zahlen soll, um mir ein paar Kröten zu sparen?
Ich erwache aus meiner Trance, als ich ein ungeduldiges Räuspern höre. Huch, ich habe immer noch nicht geantwortet. »Wovon träumst du?« Mein Gegenüber fragt mich nun schon zum dritten Mal und seine fast fieberhafte Dringlichkeit, mich auf ein konkretes Zielgewicht festzunageln, bringt mich endlich zur Besinnung. Dieses Diätprogramm, das mir gerade in den buntesten Farben angepriesen wurde, ist definitiv nicht das, was ich brauche - und daran ändert auch meine neue Verdachtsdiagnose nichts: Rheuma. Allein die Vorstellung, dass sich diese Diagnose bewahrheitet, macht mir riesengroße Angst und mir wird bewusst, warum ich gerade in diesem Call sitze. Es war der erstbeste Strohhalm, nach dem ich gegriffen habe, um diese Angst nicht mehr fühlen zu müssen.
All mein Wissen und meine Arbeit der letzten Jahre und selbst das Buch, das ich zum Thema Gesundheit und Gewicht schon geschrieben habe,2 konnten mich nicht davor schützen, dass mich die neue Diagnose direkt in alte Muster zurückkatapultiert hatte. Meine Hoffnung war, mit der sinkenden Zahl auf der Waage schwarz auf weiß die Bescheinigung zu bekommen, alles in meiner Macht Stehende zu tun. Schon früher hat mir dieses messbare Ergebnis, wenn der Zeiger der Waage nach unten gewandert ist, die (trügerische) Sicherheit gegeben, mein Leben »im Griff« zu haben. Doch hätte ich mit dieser Diät meine Gesundheit und mein Wohlbefinden wirklich positiv beeinflussen können? Möglich. Mit meiner Geschichte wäre es aber womöglich auch die Fahrkarte zurück in den Teufelskreis aus Hungern, exzessivem Sport, Essanfällen, Sportverweigerung und ganz vielen Schuld- und Schamgefühlen gewesen.
Das ist ein Risiko, das ich nicht mehr bereit bin einzugehen. Also verkünde ich dem verdutzten Abnehm-Coach, der eigentlich Koch ist und dessen einzige Zusatzqualifikation darin besteht, vor einem Jahr selbst mit diesem Programm abgenommen zu haben, dass ich kein Interesse mehr habe. Ich bedanke mich für seine Zeit, beende den Call und atme einmal tief durch. Uff. Die Anspannung fällt von mir ab. Nur die Angst ist immer noch da. Was nun?
Als Ernährungswissenschaftlerin glaube ich an die Kraft nährstoffreicher Lebensmittel. Ich bin vertraut mit der wissenschaftlichen Datenlage, weiß, wie die Ernährung Gesundheit und Wohlbefinden beeinflussen kann und wie sie sich zur Vorbeugung und Behandlung chronischer Krankheiten einsetzen lässt. Gesunde Ernährung umfasst aber weit mehr als die Lebensmittel, die wir essen. Auch unsere Beziehung zum Essen und zu unserem Körper sowie unsere innere Haltung gehören dazu. Essen geschieht immer in einem Kontext. Obwohl es wichtig ist, was wir essen, kann Ernährung nur bedingt etwas bewirken, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen.
Dem Abnehm-Coach bin ich die Antwort schuldig geblieben, wovon ich träume. Doch dir möchte ich sie nicht vorenthalten, schließlich ist sie der Grund, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Ich will ohne Verzicht und Kontrolle entspannt und mit Genuss essen, mich gut versorgen und mit meinen Erkrankungen im Gepäck ein erfülltes, glückliches, genussvolles, möglichst gesundes und möglichst leistungsfähiges Leben führen - und mit »leistungsfähig« meine ich nicht Leistungssport oder dass ich funktionieren muss. Leistungsfähig zu sein bedeutet für mich, genug Kraft und Energie zu haben, um meinen Alltag gut zu meistern, das zu tun, was mir wichtig ist, und mein Leben in vollen Zügen zu genießen. Mein Wunsch ist, dir zu zeigen, wie du das auch für dich erreichen kannst, und zwar sowohl aus meiner Sicht als Ernährungsfachkraft heraus als auch auf der Basis meiner Erfahrung als Betroffene. Dieses Buch richtet sich an Menschen, die intuitiv essen wollen oder bereits intuitive Esser:innen sind, eine Diagnose wie z. B. Bluthochdruck, Fettleber, Insulinresistenz oder Diabetes Typ 2 bekommen haben und ihre Krankheiten ohne Regeln und Verbote beim Essen und im Einklang mit ihrem Körper managen wollen. Aber auch wenn du Angst hast, eine chronische Erkrankung zu entwickeln, weil vielleicht Familienmitglieder betroffen sind oder du befürchtest, dass dein Körpergewicht bestimmte Erkrankungen begünstigen könnte, lies unbedingt weiter.
In diesem Buch findest du zum einen durch wissenschaftliche Studien untermauertes theoretisches Wissen, zum anderen bewährte Methoden aus der Ernährungstherapie, wie du dein Essverhalten, deine Gesundheit und dein Wohlbefinden ohne Diätzwänge, Körperkontrollmaßnahmen oder Verzicht positiv beeinflussen kannst. Ich glaube fest daran, dass Essen Freude und Genuss bringen darf und dass...
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