Schweitzer Fachinformationen
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Der Geschmack erinnert an Kupfer und wird von Sekunde zu Sekunde intensiver. Es lässt sich mit Ertrinken in Kuchenmasse vergleichen, ist aber weder so schön noch so dekadent, wie sich das anhört. Als er partout nicht einatmen kann, wird ihm bewusst, dass er unter der Erde liegt, und er scharrt panisch, um an die Oberfläche zu gelangen.
Dass der Sarg aufgebrochen ist, erweist sich als Glücksfall wie Hindernis. Obwohl er sich die Hände aufschneidet, die erst wieder zu Kräften kommen, während er sich an dem zersplitterten Holz hochzieht, hätte es ihm größere Schmerzen bereitet, wenn der Deckel intakt gewesen wäre. Auch als er seine Beine befreit hat, lässt er nicht nach, sondern zieht weiter, obwohl sich die satingefütterte Kiste, in der er gerade noch lag, mit Erde füllt. Je länger er schaufelt und kratzt: Der Boden wird mit jedem Zoll wärmer, den er unter sich lässt .
Schon riecht er frische Luft, und die ohrenbetäubende Stille der Isolation weicht dem Getöse der überirdischen Welt. Dort muten ein Flugzeug hoch oben am Himmel, brummende Insekten und selbst ein schwacher Sommerwind laut an. Verflucht laut.
Kaum dass er den Grund mit seinen Fäusten durchstößt, fällt ihm das Tageslicht so grellweiß ins Gesicht, dass die Schmerzen hinter seinen noch heilenden Augen unerträglich sind. Der Reanimierte lässt sich in dem schäbigen schwarzen Anzug, im dem seine geliehene Hülle beerdigt wurde, aufs Gras fallen und rupft daran. Das Geräusch, das beim Abreißen einer Handvoll frischgrüner Halme entsteht, lässt ihn immerzu an Haare denken, die mit der Wurzel herausgezogen werden. Die Grube liegt zwar hinter ihm, doch weil er Angst davor hat, wieder hineinzufallen - was nicht zum ersten Mal geschehen würde -, kriecht er weiter, bis seine Arme nachgeben. Gibt es etwas Schlimmeres, als sich aus einem Grab zu befreien? Ja, es zweimal tun zu müssen.
Nachdem er ein paar Meter sicheren Abstand gewonnen hat, sackt er zusammen und dreht sich auf den Rücken. Er streckt einen Mittelfinger gen Himmel - während er den Blick weiterhin abwendet, denn Gott, was tut diese Helligkeit weh -, und würgt »Geschafft, ihr Wichser« heraus. Die Confab kann ihn vermutlich nicht hören. Oder vielleicht doch?
Er lässt den Kopf zurückfallen, da er nach dieser Tortur zu schwach ist, um sich irgendwie zu rühren. Offen gestanden hatte er schon kaum genug Kraft, um den Stinkefinger zu zeigen.
Wo die Haut vom Kopf des ehemaligen Toten abgeschürft ist, schimmert stellenweise kalkweiß der Schädel durch. In seiner linken Augenhöhle steckt ein Klumpen Erde. Er blinzelt, bis sie hinausfällt. Statt sich herumzuwälzen, bleibt er so liegen, entspannt seine Lider langsam und schaut sich gleichmütig am Himmel um. Mit jedem angestrengten Atemzug, mit jedem Röcheln regenerieren sich seine Lungenflügel. Er hat diesem Vorgang - wenn sich die ausgeborgte organische Hülle an ihn schmiegt, die Zellen sich wieder zusammenfügen - in Anspielung auf Zurück in die Vergangenheit einen eigenen Namen gegeben: SBP oder Samuel-Beckett-Prozess. Man mag es Assimilation, Rekombination oder wie auch immer sonst nennen. Heilung? Neukonfigurierung? Wiederaufbau dessen, was zusammengehört; Nanobugs, die ihren Dienst tun. Das ist weder annähernd so spektakulär wie in jener Serie, wo es immer zischte und brutzelte wie nichts Gutes, noch nimmt er die Gestalt der Menschen an, deren Körper er annektiert, aber es handelt sich um das gleiche Prinzip. Ungeachtet der Unterschiede hat er diese Bezeichnung dafür verinnerlicht.
Was von den blond melierten Haaren seiner Hülle übrig geblieben ist, wird bald braun und fettig sein. Auch behält er die schmale Mundpartie nicht, sondern bekommt wieder hohle Wangen wie ursprünglich, als er, dieser Körperentleiher, ein neuer Springer und noch er selbst war - nicht tot, ihr wisst schon. Knochen knacken, die braun gewordenen Mineralstümpfe in seinem Mund wachsen sich wieder zu richtigen Zähnen aus. Während er mit der Zunge am Gebiss entlangfährt, brechen sie so plötzlich hervor, wie hängen gebliebene Tasten eines Selbstspielklaviers hochschnellen, wenn sie sich lösen, einer nach dem anderen und schief wie ehedem, zwei vollständige Kauleisten.
Als er so in der Sonne liegt, holt er ruhig Luft und lässt sich den geschundenen Leib wärmen. In ihm klickt, knirscht und gurgelt es. Nicht lange aber, da wird es still, und er hört lediglich Zikaden zirpen, ein regelrechtes Trommelfeuer. Seine Haut schließt sich zuletzt, und unterdessen spürt er die Hitze nicht nur auf dem ungeschützten Fleisch an seinen Händen, im Gesicht sowie am Hals, sondern kann sie schmecken: Feuchtigkeit, schwer in der Luft und anschmiegsam wie ein nasser Lappen. Sie bedrückt und vermittelt ihm das Gefühl, sogar seine Seele triefe davon, weshalb er jeden Atemzug regelrecht hinunterwürgen muss.
Schließlich setzt er sich aufrecht hin und dreht sich nach dem Grabstein um, der die Stelle markiert, an der er eben emporgekommen ist. Jacob F. Stein, geliebter Vater und Ehemann.
»Ich sehe zu, dass du alles wieder zurückbekommst, Jake. Pfadfinder-Ehrenwort.«
Als er selbstbewusst sarkastisch vor Jacob F. Stein salutiert, schaut er auf die Innenfläche seiner Hand und beobachtet, wie sie immer weniger schrundig und rissig wie das Bett eines ausgetrockneten Sees aussieht, dafür elastischer und ledrig wird . wobei die Narben zuletzt verschwinden, als ob sie ihren Einsatz verpasst hätten. Der Nagel eines eingekerbten Zeigefingers wächst bis zur Hälfte heraus. Die rechte Daumenkuppe wird langsam von hellen Linien überzogen, gerastert wie mit einem Parkettmuster. Die Gelenkhöcker ragen sprunghaft auf, wobei sich die schwer verbrannte Haut flächig verfärbt, glänzende Flecke wie hingeschmiert. Einige der tieferen Löcher, die sehr stark bluteten, wenn er sich recht entsann, schließen sich wulstig, bleiben jedoch taub und völlig farblos. Alles nur, weil er zu oft achtlos in Öfen langte, wenn er überarbeitet, abgelenkt, high oder all dies auf einmal war.
Jetzt schaut der jüngst noch Begrabene, der nunmehr vollständig wiederhergestellt ist und überzeugend lebendig wirkt, auf seine Beine, die er in der schlottrig weiten Hose vor sich ausgestreckt hat. Die Knie stehen hubbelig hoch, doch das Material liegt dermaßen locker an, dass er wahrscheinlich mit dem ganzen Körper von Kopf bis Fuß in ein Hosenbein schlüpfen könnte.
Tief Luft holen. »Also gut, probieren wir die alten Gräten mal aus, oder?«
Sobald er aufgestanden ist, bringt ihn das Vestibularorgan in seinen Innenohren aus dem Gleichgewicht, als sei er seekrank, doch das Gefühl lässt rasch nach. Schon seltsam, dass die Sinne am längsten brauchen, um sich zu erholen.
Ein Schritt, dann ein zweiter, wacklig.
Er bewältigt den Pfad über den Friedhof mühelos, während der feinkörnige, graue Schotter unter seinen schwarzen Wildleder-Slippern knirscht. Im Vorbeigehen fällt ihm auf, wie einige der neueren Grabsteine funkeln, weil der Marmor erst kürzlich bearbeitet wurde, sodass die Beschriftung deutlich erkennbar ist, unberührt noch von Regen und Wind. Die Namen wecken teilweise vage Erinnerungen in ihm, Geistesblitze wie Sirenen, die meilenweit entfernt aufheulen. Und dann diese Daten, Geburts- und Todestage . Es liegt nahe, denn in der Zwischenzeit müsste er sie alle gekannt haben. Dennoch zwingt er sich dazu, es zu verdrängen.
Um dies zu schaffen, konzentriert er sich auf seine Umgebung. Immerhin dürfte es ihm helfen, zu erfahren, wo er ist.
Zwei Hinweise tun sich außerhalb des Friedhofsgeländes auf. Vorm Zaun wachsen Wildblumen, dicht gedrängt am begrünten Rand des unbefestigten Feldwegs neben dem Gottesacker. Hinweis eins ist die Farbe des Bodens der Straße: ein rostiges Orange wie die Graberde, also eisenhaltig. Hinweis zwei sind die Blumen selbst. Während er dem Pfad humpelnd folgt und das Klicken, das Einrasten in ihm weitergeht, ruft er ab, was ihm über Pflanzen im Gedächtnis geblieben ist.
Die klumpigen, borstigen Wirtel der . Zitronengoldmelisse.
Die buttergelben Blüten an den Stängeln von Carolina-Jasmin. Ja, das ist definitiv Carolina-Jasmin.
Und schließlich Goldglöckchen. Wie traurig lässt es seine Köpfe hängen. Kein anderes Gewächs sieht so herrlich leutselig aus.
Einen Moment lang denkt er an Salat aus wilden Blumen, Radicchio und geriebenen Möhren, den er widerwillig für eine Hochzeit gemacht hatte, nachdem er als Caterer engagiert worden war. Die Braut, eine Kanadierin, hatte eine Schwäche für Trends, und zu jener Zeit war dieses Rezept in, genauso der ach so verantwortungsvolle Kauf lokaler Erzeugnisse, also bestand sie darauf, nur Blumen aus der Gegend zu verwenden. Der Bräutigam, ein solider Typ, stammte aus Virginia, wo die Feier auch stattfand, und dort wachsen eben sowohl Zitronengoldmelisse als auch Carolina-Jasmin.
Daraus ergibt sich, dass ich im Süden sein muss. Angesichts der vielen Nadelbäume auf der anderen Straßenseite kann es allerdings nicht zu weit unten sein, keineswegs Florida oder so. Vielmehr irgendwo auf der Kante West Virginia, Tennessee. Die rote Erde grenzt die Möglichkeiten auf nur diese beiden Staaten ein.
»Erklärt auf jeden Fall, warum es so warm ist«, brummt er leise und wischt sich die Stirn ab. »Bitte lass es keinen der zwei Staaten sein, die ich vermute. Mehr verlange ich nicht.«
Wieder überfliegt er die Grabinschriften und ordnet seine Eindrücke von früher neu, sodass sie sich allmählich ineinanderfügen, als würde er unter einem Sturzbach aus saurem Regen stehend ein Puzzle aus Rasierklingen und Angelhaken zusammensetzen. Ein...
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