Der Hölle Vorhof
Inhaltsverzeichnis Ich muß etwas weit ausholen . aber ich werde meine Behauptung mit überzeugenden Bildern illustriren, die ich meiner eigenen Entwicklungsgeschichte entnehme . Ich wuchs in einem Hause auf, in dem die Armuth ihren Thron aufgeschlagen hatte. Der Vater verdiente fast nichts; die Mutter quälte sich mit einer Gänsemästerei ab. Man war nie im Stande, mir die kleinste jener Freuden zu verschaffen, die sich der Kindesseele so tief einprägen und die aus dem Knaben einst einen dankbaren Mann machen. Dagegen fehlte es nie an Prügeln, und wenn ich in meinen Erinnerungen wühle und mir im Geiste noch einmal alle die Ohrfeigen geben lasse, die ich von meinem Vater erhalten, so sehe ich meines Vaters Hand als eine große, rothe vor mir und fühle sie als eine harte, starkknochige in meinem Antlitze brennen, eine Tyrannenhand, die nicht geschaffen ist zu liebkosen oder Runzeln fortzuglätten. Die Hand meiner Mutter aber war immer im Stande, die Unmuthswolken, die auf der Stirn des Kindes brüteten, hinwegzustreicheln. Die Hand, so klein sie war, gab groß und gern, und das Fluidum, das von ihr ausströmte, wirkte auf die Kinder segensvoll. Die Hand war von tausend Quer- und Kreuzlinien durchfurcht, unschön, zerarbeitet, welk - aber gerade darum muß sie einmal herrlich gewesen sein. Wenn eine Königin neben einer Bäuerin die gleich harte Arbeit verrichtet, wird die königliche Hand rasch ihre feinen Formen und ihre prächtige Weisse verlieren, die der Bäuerin aber wird kaum an ihrem Aussehen etwas eingebüßt haben. Und so waren mir die Hände meiner Mutter immer ein Beweis ihres hohen empfänglichen Herzens, und aus diesen Händen verstand ich - als ich älter ward - sehr wohl die Leidensgeschichte meiner Mutter zu lesen. Das Kind ahnte nur, daß es nicht der einzige Mensch war, der vom Vater gepeinigt wurde. Da drückte sich jeder in einen muffigen Winkel und brütete stumm in sich hinein, und da die Stubenwände kahl und poesielos waren, so ward die Phantasie des Kindes frühe rege. Ich zwang mein Gehirn oft, die herrlichsten Paläste zu bauen; ich schweifte in Höhlen umher und tödtete Bären; ich kletterte auf Felsen und köpfte Riesen; ich ehelichte Prinzessinnen und ward König in einem kupfernen Schloß; ich hielt Zwiesprach mit Elfen und ritt mit nackten Hexen auf Besen durch die Lüfte; über wilde Stoppelfelder, auf denen das Mondlicht schlief, fuhr ich in feurigem Wagen; ich ward Henker und schwang über Menschen das blutige Schwert. Und weil bei uns zu Hause jedweder Glanz fehlte, nach dem ich mich so sehnte, als ich ihn in den Wohnungen der Spielkameraden einmal geschaut hatte, ward ich hingedrängt zur Märchenwelt und es gab wohl kein Kind, das diese Geschichten, bei denen mir Verzückung und Wonne durch die Adern floß, so gierig in sich aufnahm und sie gleichzeitig so haarklein in Wirklichkeit umsetzte, wie ich. Um so entsetzlicher war es für mich, als ich aus diesem Traumleben erwachte und gefunden hatte, daß die Welt draußen nicht so war, wie die Märchenwelt in mir. Da verletzte mich jedwed Ding und kein Haar blieb mir ungekrümmt. Die Welt stieß mich ab . sie war so trist und traurig. Ich weiß noch genau, daß ich mich einst, angeekelt von aller Wirklichkeit, in den Keller verkroch, trotzdem mir vor den todten Spinnen, die in ihren dickbestaubten Geweben vermoderten, graute, daß ich dort dann niederkniete, ein altes Schwert emporhob und eine schöne Fee feierlichst beschwor, mich fortzuführen in ihren duftigen Wald und mich bald zu erlösen von dem heimathlichen Gefängniß. O, und Flügel wünschte ich mir Denn etwas ganz Weltunberührtes in mir, wollte immer bei den Sternen sein. Meine Gebete, an die Feen und Zwerge gerichtet, blieben aber unerhört und ich wurde skeptisch gegen das ganze Geistergesindel.
Ich muß noch erzählen, daß ich die Märchen nur in jenem Raume las, der dem Deus crepitus geweiht ist, in einem dörfischen Abort ohne Wasserabguß, wo es athembeklemmend stank und wo mir die Mücken, trotz Wehren und Sträuben unablässig ins Gesicht flogen. Denn in der Wohnstube durfte ich nie lesen. Dafür stellte ich aber die Geduld der Bedrängten auf harte Proben und ließ sie oft vier, fünf Mal pochen, indeß ich glückfiebernd weiter las. Ehe ich mein pestendes Kämmerchen verließ, schob ich das Buch unter meine Weste, daß man es nicht entdecken konnte. Man fragte mich, warum ich so oft und so lange in jenem Häuschen säße; ich mußte wieder lügen, beständig lügen, entschuldigte mich mit »Durchfall« und war dann gezwungen, mehrere Tassen eines widerlichen stopfenden Getränks zu leeren. So oft ich meiner Heuchelei wegen diese Medizin einnehmen mußte, roch ich aus dem Munde wie ein Wiedehopf und verfluchte mein Leben und meine Peiniger. Wenn der Vater mich mit einem deutschen Buche betraf, riß er es mir aus der Hand und verbrannte es meist oder er zerrupfte es wohl auch in seine einzelnen Bogen und schnitt es für den Closettgebrauch zurecht. Jeder Lump konnte meine Märchenwelt mit jener Materie besudeln, die die Felder fruchtbar macht und die nur der gute Aristophanes auf die Bühne gebracht hat. Diese also vernichteten Bücher bedeuteten aber meine ganze Welt, und dann, sie waren von Kameraden erborgt, die mich schonungslos und mit der Freude, welche die Jugend an Prügeleien hat, durchwalkten, wenn ich sie nicht mehr abliefern konnte. Ich war dann genötigt, die Freunde zu belügen und meine Phantasie nach dieser Richtung hin anzustrengen. Außerdem mußte das Buch natürlich wieder ersetzt werden, was denn die Mutter bezahlte. Und da sie immer gar knapp bei Geld war, entstanden durch mich, also indirekt durch meine Leselust, zwischen den Eltern gewöhnlich häßliche Dispute, die - ich erinnere mich so qualvoll deutlich daran - stets mit unerhörten Flüchen des Vaters endigten. Und ich bekam dann Prügel und außerdem wurde ich noch wacker durchgeschimpft:
»Ein Feuer soll Dich verbrennen« polterte es dann über mir; »man zerbreche Dir den Kopf Achtzig finstere Jahre über Dich Getaufter Hund Musst Du diesen Dreck lesen, heidnischer Bankert?
Alle bösen Geister über Dich Nicht gedacht soll Deiner werden, Du freches Schweinegesicht Ein böses Ende für Dich Geschwollen sollst Du liegen Die Cholera ergreife Dich Man spalte Dir die Stirn Stück Mist, der Teufel fange Dich«
Und dies Alles um der Lectüre eines deutschen Buches willen.
Ich begreife das heute sehr gut; ich muß sogar gestehen, daß mir diese spezifisch russischjüdischen Schimpfe durch die Kraft des Ausdrucks und die Originalität des Inhalts Bewunderung abzwingen; aber das Kind konnte sich die grausame Brutalität des Vaters nicht erklären, ward von solcher Art vergiftet, ward schweigsam, zog sich in sich zurück, wünschte dem Vater von ganzem Herzen einen jähen Tod, der Mutter dagegen ein ewiges, herrliches Leben. Die Art des Vaters, mit mir zu reden, übte auf mich eine um so nachhaltigere Wirkung aus, als sie mit der Weise meiner Umgebung, besonders dem Tone der Mutter, disharmonirte. An die Mutter schloß ich mich an mit dem ganzen Bedürfniß eines mißverstandenen, ungeliebten Kindes, und die Mutter begriff das Alles, und da sie mir die Liebe ersetzen wollte, die der Vater mir verweigerte, verweichlichte sie mich.
Der Vater haßte mich, denn ich war nicht seines Schlages; ich war ihm überflüssig, ein Esser mehr im Hause, wissensdurstig und wenn auch klein, ein großer Frager.
»Vater, wo ist der liebe Gott?«
»Was sind das für Fragen? Er ist im Himmel«
»Dort oben?«
»Ja, Kaffer; dort oben.«
»Wann sieht man ihn?«
»Solche Schweine, wie Du, sehen ihn nie. Nur die Frommen sehen ihn.«
»Siehst Du ihn?«
»Halt Dein Maul - laß mich essen.«
»Bin ich denn nicht fromm?«
»Nein, Du Brigant, Du bist nicht fromm. Du betest nicht gern. Du liest lieber diesen deutschen Dreck. Aber warte nur, warte nur In jener Welt drüben wird man Dir dafür schon den Hintern vergerben.«
»Aber ich muß doch lesen, Vater.«
»Nein, das mußt Du nicht. Wirf Deine ekelhaften Bücher weg Ins Feuer mit den Schmierereien Bete, das ist klüger. Dann wird Dich Gott lieb haben. Sonst aber verachtet er Dich wie einen krätzigen Hund.«
Soviel war mir aber der liebe Gott nicht werth und wenn er so kleinlich sein konnte, weil ich nicht den ganzen Tag vor ihm auf den Knieen lag, so brauchte ich ihm auch nicht meine Märchenbücher zu opfern .
Denn was in den Märchenbüchern stand, wußte ich. Das war Alles so wunderbar und so groß. Was aber in den Sternen stand, konnte ich nicht wissen. Gott war mir nur ein Name, »leerer Schall und Rauch«; etwas, das beständig auf der Lauer lag, um Einen für jede Kleinigkeit zu bestrafen; eine Wolke, von der man sich aber keine rechte Vorstellung bilden konnte. Und erst als Jüngling wurde er mir von Bedeutung, glaubte ich an ihn, als an einen persönlichen .
Daher kam es unzählige Male zu denselben Scenen. Der Vater kannte alle meine Verstecke und entdeckte meine Bücher. Er scharrte sie mit einem Knüttel unter dem Schrank, unter dem alten Wachstuchsopha hervor, und wenn er sie hatte, besah er die farbigen Bilder, die ihm viel Spaß machten, bat mich, ihm die Illustrationen zu deuten, und wenn ich es mit großer, hingebender Freude gethan hatte, belohnte er mich, indem er das Buch in den Ofen warf. Er ließ mich fortwährend seine Übermacht fühlen; er war beständig mein Feind. Wenn er sah, daß ich darüber weinte, war er froh. Durch diese Tyrannei hoffte er selig zu werden.
Denn dem fanatischen russischen Juden ist nichts so verhaßt, wie das, was der Kulturmensch unter »Bildung« versteht. Diese »Bildung« führt immer auf...