Schweitzer Fachinformationen
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Irgendwie muss ich irgendwann in mein Bett gegangen sein, denn als ich aufwache, liege ich unter dem runden Buntglasfenster aus Tiffanyglas. Die gläserne Frau mit dem Stirnband, das eine lange Feder ziert, hatte es mir schon beim ersten Betreten der damals noch leeren Wohnung angetan und ich liebe dieses kleine Fenster bis heute. Am Morgen, wenn sich die Sonne durch die letzten Nachtfetzen frisst und endlich in der Olgastraße ankommt, leuchtet sie in blau und rot. Und am Abend, wenn ich nach Hause komme und jemand schon Licht gemacht hat in der Wohnung, sieht die Scheibe ein bisschen aus wie ein Kirchenfenster.
»Was für ein Kitsch«, sage ich zu mir selbst. Kann es sein, dass so ein paar Schwangerschaftshormone das Schnulzen-Gen in mir wecken? So kenne ich mich selbst nicht. Am liebsten würde ich mir die Decke wieder über den Kopf ziehen, aber der Tag ruft. In der Küche höre ich Chris und Rolf miteinander sprechen. Ich muss gar nichts verstehen, ich ahne auch so, worum es geht. Um mich und meinen Bauch. Chris’ Stimme klingt hell, aufgekratzt. Rolf ist bassig, bedächtig und besorgt. Ich kann es ihm nicht verdenken, so ganz wohl ist mir auch nicht, und das liegt nicht daran, dass ich Hunger habe wie ein Stier. Nein: Ich könnte einen ganzen Stier fressen! Ich schwinge die Beine aus dem Bett und trete beinahe auf Mudel, der rücklings auf dem Teppich schläft. Die Zunge hängt ihm seitlich raus und er streckt seinen Bauch in die Landschaft. Er zuckt nicht einmal, als ich über ihn drübersteige. Sein Vater Earl ist da schon wacher. Nachdem ich auf dem Klo war – das Chris kurz nach unserem Einzug als ›Tanjas Prinzessinnenbad‹ erklärt und entsprechend dekoriert hatte, weil die einzige Dusche der Wohnung in der Ecke der Küche steht, Altbau eben – saust der Mops unter dem Küchentisch herum und sucht nach Krümeln. Der Blick, den meine Jungs wechseln, als ich hereinkomme, entgeht mir nicht.
»Oh, guten Morgen, Prinzessin!« Chris strahlt mich an und springt auf. »Setz dich, willst du frischen Saft? Milch, Müsli?«
Rolf verdreht die Augen und beißt kraftvoll von seinem Marmeladentoast ab. »Sie ist schwanger. Nicht krank«, nuschelt er mit vollem Mund.
»Guten Morgen«, sage ich und beschließe, seine Bemerkung zu ignorieren. Kaum habe ich mich gesetzt, flitzt Chris zur Anrichte und kramt nach einem Messer.
»Orangensaft? Ja?«, fragt er.
»Nein, mach keinen Aufwasch«, bremse ich ihn. »Milchkaffee. Und Toast. Viel Toast!« Mein Magen knurrt.
»Ist Kaffee denn gut für das Baby?«
»Chris!« Rolf verdreht die Augen.
»Keine Ahnung«, gebe ich zu. »Die Milch im Kaffee aber sicher.« Chris scheint beruhigt und stellt mir wenig später die größte Tasse aus unserer gemeinsamen Küche vor die Nase. Unter Rolfs bohrendem Blick trinke ich die ersten Schlucke und nage an meinem Toast, den Chris mit Mangogelee bestrichen hat. Earl stupst mich unter dem Tisch mit der Schnauze an. Ich hebe ihn auf meinen Schoß und lasse ihn die ungesüßte Marmelade vom Brot schlabbern. Ich habe mit einem Mal keinen Hunger mehr, denn es stehen vier Stühle am Tisch. Auf einem saß gestern Morgen noch Arne. Mein Herz krampft sich zusammen. Da hilft es auch nichts, dass Earl nach dem Toast meine Finger ableckt und mich aus seinen schwarzglänzenden Knopfaugen anschmachtet.
»Ob er einen Fensterplatz hat?«, frage ich leise. »Und wo ist er wohl gerade?« Eigentlich will ich auch wissen, ob er neben Paola sitzt und wie diese Ornithologin aussieht.
»Es geht ihm bestimmt gut«, sagt Chris mit Nachdruck und fummelt in der Tasche seines dunkelroten Seidenbademantels. Sein ganzer Stolz: Er hat ihn aus dem Fundus der Stuttgarter Oper, der Mantel stand schon auf der Bühne.
»Das soll ich dir geben.« Chris reicht mir ein kleines blaues Kästchen. »Von Arne.« Vor Schreck fällt mir der Toast auf den Boden. Obwohl der Mops bellt, klaut Mudel das Brot. Ich setze Earl auf den Boden und nehme das Päckchen. Rolf lächelt zum ersten Mal an diesem Morgen und nickt mir aufmunternd zu. Ich knispele die weiße Schleife auf und zögere den Moment, in dem ich den Deckel hebe, noch ein bisschen hinaus, indem ich das Band vor Mudels Nase baumeln lasse. Was der völlig doof findet und mich mit einem Blick ansieht, der ganz klar sagt: ›Ich bin keine Katze.‹ Chris schiebt seinen Arm unter Rolfs und seine Augen glitzern verdächtig.
Ich hebe den Deckel an. Oben liegt ein weißes Blatt Papier. ›Für Tanja. Bald sind unsere Herzen wieder zusammen. Ich hab dich lieb‹, steht da in Arnes schwungvoller Handschrift. Ich kann gar nicht so schnell blinzeln, um die Träne aufzuhalten, die auf die blaue Tinte tropft und auf meinem Namen einen Fleck hinterlässt. Und sie bleibt nicht allein: Unter dem Brief liegt die Hälfte eines silbernen Herzes an einer Halskette. In fein geschwungenen Lettern wurde ›Arne‹ eingraviert. Jetzt kann ich nicht mehr, das Schluchzen bricht aus mir heraus wie ein Vulkan. Rolf reicht mir seine Papierserviette. Chris springt auf, zieht mich hoch und nimmt mich in den Arm. Abwechselnd wässere ich die mit Sonnenblumen bedruckte Papierserviette und Chris’ Shirt.
»Komm, Prinzessin«, flüstert Chris schließlich und nimmt mir die Schachtel ab. Dann legt er mir die Kette um den Hals. Das Herz brennt auf meiner Brust, während mein eigenes wie verrückt klopft.
»Alles wird gut«, sage ich und schniefe. »Das wird es doch? Oder?«
»Das wird es«, sagt Chris mit Nachdruck.
»Naja, irgendwie schaukeln wir das Kind schon«, brummt Rolf. Ich ziehe die Nase hoch. Nicht sehr damenhaft, aber bei meinen Jungs darf ich das. »Und jetzt kommt mal aus dem Quark, ihr beiden, wir müssen bald los.« Rolf steht auf und räumt die Butter in den Kühlschrank.
»Zu Befehl, Scheff«, rufen Chris und ich unisono.
Eine knappe Stunde später ziehe ich die Rollläden im ›Fröhlichen Laubenpieper‹ hoch. Heute ist ab 14 Uhr geöffnet. Chris wuchtet die umgedrehten Stühle von den Tischen. Rolf hat uns am Eingang der Kolonie abgesetzt, ehe er zum Großmarkt gefahren ist. Die beiden Hunde sind gleich losgetrabt auf ihre tägliche Runde. Es hat ein paar Wochen gedauert, um ihnen und den anderen Schrebergärtnern beizubringen, was sich gehört und was nicht beim Häufchen machen: Der Mops und sein Sohn haben nach kurzer Zeit begriffen, dass sie nur in unserer Parzelle Nummer 42 ihr Geschäft erledigen dürfen. Und die Gärtner um den Vorsitzenden Klaus Hünken wissen mittlerweile auch alle, dass das ungleiche vierbeinige Gespann weder entlaufen, noch bissig oder sonst wie gefährlich ist. Die Hunde fühlen sich pudelwohl auf dem Gelände und wissen ganz genau, in welchem Garten immer ein Leckerli auf sie wartet. Die mit Abstand besten Sachen gibt es – natürlich! – bei Klaus Hünken. Der hat Beziehungen zu einer Tierhandlung und bekommt getrockneten Pansen zum halben Preis. Die Hunde würden für das stinkende Zeugs meilenweit laufen. Ich reiße alle Fenster auf, um die abgestandene Luft zu vertreiben. Auch wenn wir renoviert haben, wabert an warmen Tagen und bei Hochdruck noch immer ein miefiger Geruch aus den Wänden des Lokals.
»Prinzessin, setz dich, wenn du magst«, ruft Chris, der mittlerweile Wasser in die Spülbecken an der Theke füllt.
»Mag ich aber nicht. Und sag jetzt bloß nicht, dass ich mich in ›diesem Zustand‹ schonen muss!«
»Das würde ich nie wagen.« Chris grinst und taucht die Gläser aus der Spülmaschine ins heiße Wasser. Sie sind zwar sauber, aber das ist ein Tick von ihm, dass er alles am liebsten noch mal von Hand nachspült. Mir soll es recht sein, so ist er wenigstens beschäftigt. Ich fasse das halbe Herz an, das kühl auf meiner Haut liegt. Es fühlt sich gut an, auch wenn es wehtut. Ob Arne schon gelandet ist? Wie spät es sein mag bei ihm?
Das Hupen von Rolf reißt mich aus meinen Gedanken. Die kläffenden Hunde rennen hinter dem gelben Transporter her, den die Post ausgemustert hat. Rolf konnte den Wagen bei seinem ehemaligen Arbeitgeber günstig erstehen. Der scheppert zwar und muckt im zweiten Gang, dafür springt er immer an. Dort, wo die schwarze Klebefolie mit dem Postzeichen war, hat Chris einen neuen Aufkleber angebracht: ein stilisiertes Posthorn und den Schriftzug ›Passt‹. Rolf parkt den Wagen rückwärts vor der Eingangstür. Ich mache ihm auf und will mir die erste Gemüsekiste krallen, um sie in die Küche zu tragen. Der Salat ist so knackfrisch, dass ich am liebsten sofort reinbeißen würde.
»Das lässt du schön bleiben!«, ruft mir Rolf zu und nimmt mir die Kiste ab.
»Mann! Ich bin nicht krank«, nöle ich.
»Und damit das auch so bleibt, passt du jetzt auf dich auf.« Rolf beugt sich zu mir und haucht mir ein Küsschen auf die Wange. »Und jetzt ab, Deko machen. Das schaffen sogar Bruthennen.«
Ich muss lachen und folge Rolf ins Restaurant. Der Mops und sein Sohn sind bereits hinter dem Tresen verschwunden, wo ihre Näpfe stehen. So laut, wie das Schmatzen klingt, muss Chris ihnen mal wieder eine Delikatesse eingefüllt haben. Frisch gekochten Pansen oder Hühnerherzen. Während die Jungs die Kisten ausladen und in der Küche schäkern, beginne ich mit dem Eindecken der Tische. Die sonnengelben Deckchen hat Chris’ Exfreund genäht. Auf jeden Tisch stelle ich einen silbernen Gartenzwerg, der ein Reagenzglas in der Hand hält. Heute kommen weiße Babyrosen in die Gläser. Die Kerzenhalter hat Rolf auf dem Flohmarkt aufgetrieben. Es sind winzige Gießkannen in blau, knallrot oder quietschgrün. Der pure Kitsch, eigentlich, aber in unserem ›Fröhlichen Laubenpieper‹...
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