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Unter Miteinbeziehung vormoderner Diskurse aus Philosophie und Theologie zeigt der Band neue Betrachtungsweisen auf das Phänomen 'Zorn' in volkssprachigen Texten des Mittelalters. Über Gattungsgrenzen hinaus zeigen die Untersuchungen an Texten vom 9. bis ins 13. Jahrhundert wiederkehrende Muster, die ein differenziertes Lesen von mhd. zorn in der Literatur erlauben und helfen, die semantische Entwicklung bis in die Gegenwart nachzuvollziehen.
regnum hoc imperiumque terrenum nisi metus custodiat, solvitur. aufer iram regi, non modo nemo parebit, sed etiam de fastigio praecipitabitur.1
Laktanz, De ira dei, 23.10-11
Der Zorn ist in der Philosophiegeschichte durchgehend ein ambivalentes Feld: Einigung über seine Qualitäten besteht nicht. Was man hervorheben kann, ist zumindest eine generelle Einstimmigkeit über seine Merkmale, insbesondere in körperlichen Erscheinungsformen, eine impulsive, zerstörerische Reaktion, die nur durch die Verbindung mit dem Verstand unterbunden oder richtig gelenkt werden kann (wobei selbst das die Stoa verneint); in Ausnahmefällen ist Zorn sogar angebracht.
Vor allem in der Theologiegeschichte setzt sich der Gedanke durch, Zorn als ein Strafinstrument zu sehen, insbesondere in der Frage um den göttlichen Zorn, aber eben auch im Umgang miteinander, wobei unterschiedliche Formen von Zorn kenntlich gemacht werden, immer auch terminologisch unterschieden, etwa in ira und furor oder in ira iusta und iniusta. Zorn als Kontrollinstanz gegen sich selbst ist in allen betrachteten theologischen Texten ein adäquates Mittel zur Ausrottung sündhafter Gedanken. Probleme verursacht gerade der nach außen getragene Zorn, der sich gegen Mitmenschen richtet, auch dann, wenn er als Erzürnen über unrechte Taten bzw. Sünden verstanden wird.
Warum solche Uneinigkeit über den externen Ausdruck des Zorns herrscht, ist leichter nachzuvollziehen, wenn im Kontext der Debatte der Kirchenväter die Paulus-Briefe betrachtet werden.
Es lässt sich zunächst festhalten, dass das Zürnen des Menschen - generell gehalten - zu sündhaftem Handeln führt: irascimini et nolite peccare / sol non occidat super iracundiam vestram (Eph 4,26: "Werdet zornig, und sündigt <dabei> nicht! Die Sonne soll über eurem Zorn nicht untergehen.").2 Zwar geht es hier um die Sünde, die aus dem Zorn folgt, aber ira ist wie blasphemia Bestandteil von omni malitia (Eph 4,31). Dem entgegen ist der Zorn Gottes ein Instrument der Bestrafung und Rechtsprechung (Rm 1,18), den der gute Christ vermeidet, indem er nach dem Wort Gottes lebt, in der Nachfolge Jesus Christus': quoniam non posuit nos Deus in iram sed in adquisitionem salutis / per Dominum nostrum Iesum Christum (I Th 5,9: "da uns Gott ja nicht seinem Zorn ausgesetzt, sondern dazu bestimmt hat, Rettung zu erwerben durch unseren Herrn Jesus Christus"). Auch wenn dem Menschen Unrecht widerfährt, steht es ihm selbst nicht zu, Rache zu üben. Dies obliegt allein Gott: benedicite persequentibus / benedicite et nolite maledicere (Rm 12,14: "Segnet die, die euch verfolgen, segnet und verflucht nicht!"). Überhaupt ist Paulus sehr konkret, was den Umgang mit jenen betrifft, die einem schaden wollen:
(19) non vosmet ipsos defendentes carissimi / sed date locum irae / scriptum est enim / mihi vindictam ego retribuam dicit Dominus
(20) sed si esurierit inimicus tuus ciba illum / si sitit potum da illi / hoc enim faciens carbones ignis congeres super caput eius
(21) noli vinci a malo sed vince in bono malum (Rm 12,19-21)
(nicht euch selbst verteidigend, Liebste, aber gebt dem Zorn Raum!3 Denn es ist geschrieben: "Mir kommt die Rache zu. Ich werde vergelten, spricht der Herr." Sondern "wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm Nahrung, wenn er Durst hat, gib ihm ein Getränk! Wenn du das tust, wirst du Feuerkohlen auf seinen Kopf häufen." Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!)
Dieses Strafinstrument ist kein Mittel Gottes allein. Im selben Brief an die Römer macht Paulus eine Ausnahme: Die (staatliche) Herrschaftsgewalt, der Herrscher, die potestas, die durch Gottes Gnaden eingesetzt Macht und Gewalt ausübt, denn "non est potestas nisi a Deo", benutzt den Zorn wie Gott als Straf- und damit Rechtsinstrument:
(1) omnis anima potestatibus sublimioribus subdita sit / non est enim potestas nisi a Deo / quae autem sunt a Deo ordinatae sunt
(2) itaque qui resistit potestati / Dei ordinationi resistit / qui autem resistunt ipsi sibi damnationem adquirunt
[.]
(4) Dei enim minister est tibi in bonum / si autem male feceris time / non enim sine causa gladium portat / Dei enim minister est / vindex in iram ei qui malum agit (Rm 13,1-4)
(Jede Seele soll höheren Gewalten unterworfen sein, denn es gibt keine Macht außer von Gott. Die aber, die es gibt, sind von Gott eingesetzt worden. Wer sich deshalb einer Macht widersetzt, widersetzt sich einer Anordnung Gottes. Diejenigen aber, die sich widersetzen, sorgen selbst für ihre Verdammung. [.] Denn die Herrscher sind nicht Anlass zur Furcht vor der guten, sondern vor der bösen Tat. Willst du aber die Macht nicht fürchten, tue Gutes, und du wirst Lob von ihr ernten! Denn sie ist ein Diener Gottes dir zum Guten. Für den Fall aber, dass du schlecht gehandelt hast, fürchte dich! Sie trägt das Schwert nämlich nicht ohne Grund. Denn sie ist Gottes Diener, eine Rächerin dem zum Zorn, der Böses tut.)
Wenngleich die Diskussionslage über das extern gerichtete Zürnen ungelöst bleibt, ob es nun dienlich und richtig sei, seine Mitchristen mit Zorn vom Sündigen abzuhalten oder zu bestrafen (Augustinus, Gregorius), oder ob der Mensch kein Recht dazu habe, seinen Zorn gegen jemand anderen zu richten als sich selbst (Evagrios, Cassianus), lässt sich mit Paulus zumindest festhalten, dass der Zorn des Herrschenden anders betrachtet werden muss als derjenige derer, die im Machtgefüge dem Herrscher unterlegen sind. Zorn ist die Ahndung von widerfahrenem Unrecht (Aristoteles, Thomas); dieses Unrecht zu bestrafen ist aber Aufgabe desjenigen, der beschützen und bewahren soll, also Gott bzw. dem durch seine Gnade eingesetzten Machthaber.
Wenn der Zorn ein Strafinstrument Gottes ist, dann ist er dies auch für den Herrscher, der durch Gott eingesetzt ist: non enim sine causa gladium portat (Rm 13,4). Das macht den Zorn hier zum legitimen Mittel; ein Mittel zur Gewaltausübung und zur Bestrafung von Unrecht. Damit wird ira für den König zur Machtinsignie. Das Zürnen jedes anderen wird dagegen zu einer Anmaßung gegen denjenigen, dessen Zorn von Gott legitimiert wird.4
Ausgehend von dieser 'Legalisierung' des Herrscherzorns durch die Theologie und seinen Gebrauch als Rechtsmittel, wird im Folgenden diese Verwendung von Herrscherzorn in der Literatur betrachtet. Dabei wird die Forschung Althoffs zur Kommunikationsform von Affekten berücksichtigt. Das, was Althoff für die Geschichtswissenschaften nachweist,5 sei auch in der Literatur zu sehen, als Spiegelbild höfischer Kommunikation und Verhaltensregeln. Diese Zeichenhaftigkeit von Zorn macht den zur Schau gestellten Affekt zu einem Symbol von Macht, und als Strafinstrument beinhaltet dieses Symbol einen direkten Rechtsanspruch. Herrscherzorn versteht sich damit nicht als spontaner Affekt, sondern als Teil der öffentlichen Kommunikation und Repräsentation.6 Die Kommunikation über Affekte ist Ausdruck eines Machtmittels des Herrschers. Zorn zeigen bedeutet, einen Machtanspruch und Vormachtstellung kenntlich machen und kann so als "Verkörperung von Herrschaft"7 gelten.
Zornig zu werden ist nicht nur die Antwort auf einen politischen Akt; die Zurschaustellung von Zorn ist zugleich eine "quasi-juridical" Wertung der Tat und der mit ihr verbundenen Person.8 Zorn bedeutet damit einen Zustand, der Gegnerschaft ausdrückt.9 Damit wird zorn zum Träger von Kriegserklärungen, wie am Beispiel von Liudegast und Liudegêr zu sehen ist - Ir habt ir zorn verdienet, Nl B 142,110 -, ebenso an Herwigs Zorn gegen Hetel in der Kudrun:
dô enbôt er dem künige zorniclîchen sint,
er wolte niht erwinden, er <en>sæhe in dâ mit schilden,
daz ez im schade wære (Ku 632,2-4)
Als Gunther die fingierte Kriegserklärung der Sachsen erhält, heißt es von ihm: der künic begunde zürnen, dô er diu maere bevant (Nl B 877,4). Mitnichten handelt es sich hier um einen Affekt, denn die Boten sind auf Geheiß des Königs am Hof erschienen, um eine Lüge zu inszenieren. Auch ist Gunthers Verhalten nicht irrational. Die Intrige wird aufgeführt, genauso wie die betrügerische Brautwerbung um Brünhilt einer ausgefeilten Inszenierung...
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