Schweitzer Fachinformationen
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Zelten? Was hat sich Großtante Lisbeth denn dabei gedacht? Nach ihrem Tod im gesegneten Alter von 92 Jahren macht diese den Zelturlaub zur Bedingung für ein stattliches Erbe. Evi, getrennt, alleinerziehend und gestresst, nimmt die Herausforderung schließlich an. Sie packt ihre Sachen und fährt mit ihrer vierzehnjährigen Tochter Helena auf einen Campingplatz nach Rügen.
Doch Wunsch und Wirklichkeit klaffen auseinander. Das Wetter ist schlecht, die Ausrüstung fehlerhaft, die Leute seltsam, die Tochter mies gelaunt. Aber da gibt es diesen attraktiven alleinstehenden Familienvater, einen ungebetenen nächtlichen Besucher, den amüsanten Chakra-Klub und die sehr netten Besitzer des Campingplatzes. Evi bleibt, und die Geschichte nimmt ihren Lauf ...
Drei Wochen totale Entschleunigung auf einem bezaubernden Zeltplatz an der Ostsee
Ein wunderbarer Roman für alle Camping-Fans und solche, die es werden wollen
Ich drücke die Kofferraumklappe langsam nach unten und quetsche dabei die hineingestopften Kissen zusammen. In letzter Sekunde ziehe ich die Hand weg und lasse den Deckel mit einem Knall zufallen. Geschafft! Ich hüpfe vor Freude wie Rumpelstilzchen. Zeitweise dachte ich, wir müssten spontan einen Lieferwagen mieten, aber nein, alles ist drin. Unfassbar! Wir können losfahren! Jetzt muss ich nur noch Helena aus dem Haus lotsen.
Mein Vater kommt mit der letzten Fuhre. In der einen Hand trägt er eine Kühltasche, in der anderen einen prall gefüllten Korb mit Lebensmitteln.
»Paps, wir brauchen keine drei Tage bis zum Campingplatz.«
»Es ist Samstag. Wir werden mit Sicherheit im Stau stehen. Den Rest könnt ihr abends essen. Glaub mir, du wirst froh sein.«
Ich seufze. Nach dem Tod meiner Mutter hat er ihre Rolle mit Inbrunst übernommen, und seitdem er Rentner ist, ist es noch schlimmer. Er ist nun hauptberuflich Töchterbetüddler. Der Karrieremensch a.D. verrichtet diesen Job mit derselben Hingabe wie einst seinen Posten als Prokurist einer kleinen Firma für Sanitärtechnik.
Ich nehme ihm die Kühltasche ab, öffne die Tür hinter dem Fahrersitz und stelle sie auf das letzte freie Fleckchen auf der Rückbank.
Anschließend marschiere ich die Kieseinfahrt unseres großzügigen Einfamilienhauses aus den Sechzigern hoch. Seit zwei Jahren lebe ich hier mit meiner vierzehnjährigen Tochter Helena und meinem Vater. Wir bewohnen das Erdgeschoss, mein Vater den ersten Stock, die Küche teilen wir uns. Es ist nicht optimal, aber mit dem Geld aus Großtante Lisbeths Erbe könnten wir umbauen und zwei geschlossene Wohnungen daraus machen. Ich erklimme die Eingangsstufen zu der braunen Holztür aus dem 18. Jahrhundert. Meine Mutter sammelte Antiquitäten, und die Haustür hatten meine Eltern aus einem Frankreichurlaub mitgebracht. Es ist eine gern erzählte Familienanekdote, wie mein Vater dem Händler in gebrochenem Französisch und mit wilden Gesten klarmachte, dass dieses kostbare Stück unbedingt auf dem Dach ihres Autos transportiert werden müsste. Ich liebe diese Tür. Es ist, als würde meine Mutter mich umarmen, wenn ich hindurchgehe.
Ich finde Helena im Wohnzimmer. Sie hat riesige Kopfhörer auf und schickt ihrer besten Freundin Annika die letzten Sprachnachrichten, die diese sowieso erst morgen hören wird. Es ist nämlich mitten in der Nacht. Wir haben acht Stunden Fahrt vor uns - ohne Stau.
»Ja, also meine Mum ist da, ich glaub, wir fahren jetzt. Ich meld mich wieder und hoffe schwer, dass es auf dem Platz WLAN gibt. Sonst krieg ich echt die Krise.«
Ich baue mich vor ihr auf und stütze die Hände in die Hüften. Sie verdreht die Augen und nimmt ihre Kopfhörer ab. Ich brauche nichts zu sagen, mein Text landet via Mutter-Tochter-Datenübertragung direkt in ihrem Gehirn.
»Is gut, ich mach ja schon, aber echt, wenn's da kein WLAN gibt, fahr ich sofort wieder nach Hause.«
»Fragt sich nur, wie du das ohne Auto und Führerschein bewerkstelligen willst.«
»Dann tramp ich halt.«
»Nur über meine Leiche. Zieh dich an, wir fahren!«
Während Helena der Aufforderung ohne Murren nachkommt - ein Wunder? -, kontrolliere ich den Herd, die Rollladen und schaue ein letztes Mal in den Briefkasten. (Klar, die Post kommt um zwei Uhr nachts.) Zum Schluss schnappe ich meine geliebte grüne knautschige Umhängetasche und schließe die Haustür ab. Im Auto schnalle ich die Kühlbox an, frage Helena, ob sie klarkommt, was sie augenverdrehend bejaht, setze mich auf den Beifahrersitz, lege den Gurt an und lasse die Luft raus. Ich verlasse Anspannungslevel hundert und sinke auf moderate achtzig. Unter fünfzig komme ich eigentlich nie.
»Wohin soll es gehen? Der Schneider-Express steht bereit, die Turbinen sind angelassen, Opa Wolf ist startklar.«
»Opa, ich bin vierzehn, Mama dreiundvierzig«, erinnert ihn Helena.
»Paps«, ächze ich, »fahr uns einfach nach Rügen.«
»Ihr seid Spielverderber«, mault mein Vater, startet den Motor, lenkt seinen betagten Volvo aus der Kieseinfahrt und wir starten in den ersten Urlaub seit drei Jahren.
Ich schließe die Augen und versuche zu dösen. Weil es nicht klappt, fische ich mein Handy aus der Handtasche und werfe einen Blick in den Mail-Account. Ehe ich durch den Zeltaufbau für Stunden blockiert sein werde, kann ich die Fahrt eigentlich nutzen, um noch schnell ein paar Dinge zu erledigen.
»Deine Agentur geht nicht gleich den Bach runter, wenn du es mal laufen lässt.« Mein Vater setzt den Blinker und überholt gemächlich einen holländischen Laster. Danach wirft er mir einen besorgten Blick zu. DEN besorgten Blick, der mir sagt, dass er der Meinung ist, ich gehe mein Leben zu hundert Prozent falsch an. Dabei komme ich zu genau diesen hundert Prozent nach ihm. Er war in seinem Job nicht anders, doch irgendwann hat es klick gemacht. Plötzlich waren nicht mehr Arbeit, Renditen und Personalführung sein Lebensmittelpunkt, sondern guter Wein, bestes Essen, klassische Musik und Opa zu sein, ohne den Druck, dass aus den Enkeln lebenstaugliche Erwachsene werden müssen. Für meine Mutter war es anfangs anstrengend, so präsent, wie er plötzlich war. Doch sie nahm es hin, wie sie ihn auch vorher hingenommen hatte: mit ihrer unerschütterlichen Ruhe. Und so durchlebten die beiden einen zweiten Frühling mit Reisen, Essen, Kultur und Natur, ehe ein schrecklicher Autounfall vor sechs Jahren uns die beste Ehefrau, Mutter und Oma nahm, die man sich wünschen konnte. Tränen steigen mir in die Augen.
Denk an was Schönes!, mahnt sie mich in meinem Kopf, und ich bin eine gute Tochter. Ich erinnere mich daran, wie sie mir kochen und backen beibrachte und mich lobte, egal, ob das Essen verkohlt war, ich Salz mit Zucker verwechselt hatte oder der Kuchen so aussah, als wäre er einem Horrorstreifen entsprungen.
»Nur kurz, Paps, du hast ja recht.« Ich überfliege die Mails und sehe, dass Saskia alles im Griff hat. Sie ist meine engste und einzige Mitarbeiterin. Meine kleine Agentur für Layout und Design läuft recht gut, doch die Selbstständigkeit hat ihre Tücken. Seit der Trennung wünsche ich mir oft eine feste Anstellung mit Lohnzettel und keinen Job, bei dem ich nicht weiß, wie viel ich am Ende eines Monats auf dem Konto habe . Trotzdem beherzige ich den Rat meines Vaters und gehe lieber ein letztes Mal die Listen für den Urlaub durch. Haben wir wirklich alles dabei? Küchensachen, Schlafsachen, Zeltausrüstung, Klamotten für jede Wetterlage, Schuhe .
»Scheiße, ich habe die Schuhe vergessen!« Ich schlage die Hände vors Gesicht.
»Welche?«, fragen meine Mitfahrenden.
»Alle. Ich habe alle Schuhe vergessen.«
Mein Vater lacht. »Schusseltrine.«
»Ups«, sagt Helena. Ich blicke zerknirscht nach hinten, aber traurig sieht sie nicht aus. Sie beäugt ihre Stoff-Sneakers. »Dann kaufst du uns halt neue. Cool.« Ihre Teeniereaktion ist zielorientiert.
»Nun gut«, sage ich seufzend. Außer mir denkt offenbar niemand ans Haushaltsbudget. »Dann gibt's eben neue.«
Fünf Stunden später nähern wir uns Stralsund, das frühe Aufstehen macht sich bezahlt. Die letzte Stunde habe ich gedöst, die Sonne steht bereits hell über dem Horizont. Nicht mehr lange und wir sind da! Es kribbelt in meiner Magengegend. Es ist dieses Urlaubskribbeln, das mich immer dann erfasst, wenn unbekannte und neue Tage vor mir liegen.
»Mum?«
»Ja?«
»Wann sind wir da?«
»Hey, du sollst keine Kleinkinderfragen stellen, du hast mobile Daten. Sitz also gefälligst still und sei zufrieden.«
»Echt jetzt? Sag, wann sind wir da?«
»Paps, wann sind wir da?« Ich gebe die Frage weiter, schließlich bin ich selbst Tochter.
»In schätzungsweise fünf bis sechs Stunden, ich habe gestern gelesen, sie haben ab Stralsund Tempo 30 eingeführt.«
Helena schnappt hörbar nach Luft.
Mein Vater ist Meister im Erfinden von blöden Antworten. Er zelebriert sie frei nach dem Motto: Es gibt blöde Fragen und es gibt noch blödere Antworten!
»Opa, ich bin vierzehn.« Sie hat sich wieder gefangen.
»Ach, komm, Helena, da wirst du nie rauswachsen. Opa kriegt dich immer wieder.«
»Stimmt«, brummt sie. Sie mag es gar nicht, wenn es ihm gelingt, sie reinzulegen. Es ist ein routinierter Schlagabtausch. Opa Wolf entwickelt immer raffinierter seine dummen Antworten, nur um Helena zu foppen.
»Wir brauchen keine zwei Stunden mehr«, sage ich schließlich und fasse meinen Vater am Oberarm. »Und danke, Paps, dass du uns den weiten Weg fährst.«
Seine Augen funkeln belustigt, weil ich mich im Laufe der letzten Tage Dutzende Male bedankt habe. Mein schlechtes Gewissen wegen seines Taxidienstes ist groß, denn es ist leider so: Seit dem Unfalltod meiner Mutter habe ich nur noch ein Mal hinterm Steuer gesessen. Anfangs waren es der Schock und die Angst, auf dieselbe tragische Weise einem betrunkenen Lastwagenfahrer in die Quere zu kommen, nach ein paar Jahren schlicht die Überwindung, überhaupt loszufahren. Immer wieder spiele ich mit dem Gedanken, selbst zu fahren, dazu durchringen kann ich mich nicht. Außerdem habe ich mich an ein Leben gewöhnt, in dem ich mit Fahrrad, Taxi oder öffentlichen Verkehrsmitteln überallhin komme. Das eine Mal, als ich mich doch hinters Lenkrad klemmte, war im letzten Urlaub mit Claas - es ging ihm nicht gut, wir...
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