Schweitzer Fachinformationen
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DER REISEFÜHRER UND ANDERE KLEINIGKEITEN
Die Sommerferien werden für gewöhnlich von allen erwartet und schon Wochen im Voraus gefeiert. Das letzte Klingeln wird herbeigesehnt und dann gibt es kein Halten mehr. Meine Laune ist am letzten Schultag allerdings nicht gerade die beste. Wenn es nach mir ginge, könnte dieser letzte Tag noch einige Extrastunden länger dauern und das sicher nicht, weil ich noch schnell was zum Ductus Botalli lernen will. Aber dann könnte ich wenigstens noch ein bisschen Zeit mit meiner besten Freundin Merle verbringen, auch wenn wir uns nur kleine Zettel unter der Bank zuschieben und nicht wirklich sprechen können. Egal, Merle in meiner Nähe zu wissen tut gut, und ich weiß jetzt schon ganz genau, dass ich sie schrecklich vermissen werde. Ihre Eltern fahren mit ihr nach Barcelona. Das muss toll sein.
Merle sieht mich stirnrunzelnd an und schiebt mir unauffällig einen zusammengefalteten Zettel zu.
Miese Laune wegen Italien?
Ihre Handschrift ist mir seit der dritten Klasse vertraut, denn so lange kennen wir uns schon. Ich kann mich immer auf sie verlassen, ob im Klassenzimmer oder im echten Leben, wenn's um das lästige Thema Jungs geht und wieso die Typen, die wir gut finden, immer entweder zu alt oder zu cool sind und lieber auf die Mädels mit den langen Beinen und großen Brüsten stehen. Ich antworte schnell in meiner typischen, viel zu kleinen Handschrift.
Du wirst mir fehlen.
Das ist die Wahrheit. Wenn ich zurückkomme, wird sie nach Barcelona fahren und das bedeutet, dass wir uns in den sechs Wochen Sommerferien so gut wie gar nicht sehen können. Ich schiebe den Zettel zurück und dann passiert es auch schon. Das letzte Klingeln des Schuljahres. Der Lärmpegel nimmt sofort zu und alle jubeln, schieben geräuschvoll ihre Stühle zurück und sind schon zur Tür raus, bevor der Lehrer das letzte Wort gesprochen hat.
»Ach, Paula - wir haben fast zwei Wochen, wenn ich aus Spanien wieder da bin.«
»Ich weiß.«
»Dann machen wir irgendwas Tolles zusammen.«
Wir schleichen als letzte über den polierten Linoleumboden im Schulflur und ich versuche, jeden Schritt noch ein bisschen hinauszuzögern.
»Weißt du schon, ob du jemanden in dem Camp kennst?«
»Da sind Schüler aus dem ganzen Land. Ich denke nicht.«
»Aber hey, Amalfi! Das wird so toll! »
Merle war schon so ziemlich überall in Europa.
»Ein Abitur-Vorbereitungskurs?«
»Aber in der Nähe von Neapel. Das ist doch cool.«
Merle schiebt die Tür auf. Wir verlassen das Schulgebäude, treten in die Sommerwärme Stuttgarts und ich schließe für einen Moment die Augen, spüre die Sonne auf meinem Gesicht und stelle mir Süditalien vor. Wie aufregend könnte das alles sein, wäre es nicht ein Sommercamp für vielversprechende Schüler, die dank dieses Kurses das Abitur mit Leichtigkeit und guten Noten abschließen.
»Ach, Paula. Wer weiß, vielleicht wird das der beste Sommer deines Lebens.«
Ich öffne ein Auge wieder und werfe Merle einen zweifelnden Blick zu, den sie mit einem breiten Lächeln auffängt.
»Heiße Temperaturen, noch heißere Typen, gutes Essen, das Meer .«
Ihre grünen Augen werden ganz verträumt, als sie in die Ferne sieht und eine Haarsträhne ihrer blonden Mähne um den Finger wickelt. Kopfschüttelnd drehe ich mich vollends zu ihr um.
»Sprechen wir noch über meinen Sommer oder schon über deinen?«
Merle erlebt in ihren Ferien immer irgendwelche Geschichten, von denen die meisten Mädels nur träumen können. Tolle Jungs, aufregende Nächte an irgendwelchen Stränden voller Musik und mit einmaligen Sonnenaufgängen. Es sind ihr Charme und das Lächeln, kein Zweifel.
»Es ist natürlich doof, dass wir deinen Geburtstag nicht zusammen feiern können.«
Sie schenkt mir ein aufrichtiges Lächeln und ich nicke tapfer. Mein Geburtstag fällt immer in die Ferien und nie kann ich ihn mit meinen Freunden feiern. Das ist aber schon okay, Merle ruft immer an und vergisst mich nie. Doch irgendwann, das haben wir uns vorgenommen, werden wir zusammen irgendwo an einem exotischen Ort feiern. Merle lächelt mich verschwörerisch an und zieht ein kleines, liebevoll eingepacktes Geschenk aus ihrer Schultasche, das sie mir mit einer feierlichen Geste überreicht.
»Aber erst an deinem Geburtstag aufmachen. Du weißt, wenn du schummelst, wird irgendwo ein Welpe ausgesetzt.«
Sie zwinkert mir zu. Ich nehme das kleine Päckchen an und versuche dabei, dem Kloß in meinem Hals nicht die Beachtung zu schenken, die er verlangt.
»Danke, Merle.«
Ihre Nixenaugen glänzen, weil sie weiß, dass ihr die Überraschung geglückt ist. Beste Freundinnen schenken nie das Falsche, vergessen keine Geburtstage und denken immer zur richtigen Zeit an eine Nachricht oder Postkarte. Ungeschriebenes universelles Freundschaftsgesetz.
»Ich werde ganz artig warten - versprochen.«
Zumindest steht jetzt ein Highlight für den Sommer fest. Egal, was auch passiert, wie öde und langweilig mein Aufenthalt in dem Lern-Sommercamp werden wird, dieses Geschenk wird mir ganz ohne Zweifel ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Merle legt ihre Hände auf meine Schultern und schenkt mir das Lächeln der besten Freundin.
»Versprich mir was, Paula.«
»Was denn?«
»An deinem Geburtstag wirst du dich richtig rausputzen, dich schminken und ausgehen.«
»Aber .«
Merle schüttelt schnell und ernst den Kopf. Wenn sie mich so wie jetzt ansieht, weiß ich genau, dass es keinen Sinn hat, ihr zu widersprechen. Also gebe ich, wie immer, nach und nicke.
»Versprochen.«
Sie lächelt zufrieden und ich lasse mich davon anstecken.
»Paula, ich habe das Gefühl, du wirst einen ganz wunderbaren Sommer verbringen. Glaub mir!«
»Hast du auch einen Badeanzug eingepackt?«
Meine Mutter lehnt im Türrahmen meines Zimmers und wirft einen kritischen Blick auf die große Auswahl an Kleidungsstücken, die ich vor mir auf dem Bett verteilt habe. Wenn es ums Packen geht, bin ich wohl wirklich typisch Frau. Was nimmt man in ein Lern-Sommercamp so alles mit? Wird sich im Kurs Algebra für Fortgeschrittene wirklich die unerwartete Möglichkeit für Jeans-Hotpants und ein Bikini-Oberteil auftun? Wohl kaum. Deswegen habe ich viele schlichte T-Shirts und kurze Hosen ausgewählt. Ein bisschen trostlos haben sich Sportoberteile und Multifunktionshosen auf einen kleinen Haufen zusammengetan und sich auf die Liste der Must-haves für den Trip geschummelt.
»Ich weiß nicht, wie viel Zeit für Strandausflüge wir haben werden.«
»Die Anlage verfügt über einen Pool, Schatz. Du wirst sicher auch mal ausspannen können.«
Ich werfe ihr einen kurzen Blick zu und ziehe unsicher die Augenbrauen zusammen. So ganz kann ich mir das nicht vorstellen; schon gar nicht, nachdem ich mir den Stundenplan etwas genauer angesehen habe. Tagsüber gibt es gerade mal 45 Minuten Mittagspause und abends dann spaßversprechende Angebote wie Bingo. Selbst mit Merles wilder Fantasie kann man sich dieses Sommercamp nicht so richtig schönreden - es sei denn, sie schenken Alkohol an Minderjährige aus und schleppen eine angesagte One-Direction-Tribute-Band für die Bingoabende an.
»Papa hat dir einen Reiseführer für Italien gekauft, hast du ihn gesehen?«
Sie nickt zum Schreibtisch, der mit Lehrbüchern, die alle auch noch einen Platz in meinem Koffer finden müssen, übersät ist. Ganz oben liegt der Führer mit einem Post-it, auf dem ich die Handschrift meines Vaters erkenne. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ihn ein bisschen das schlechte Gewissen plagt und er mir diesen Trip schmackhafter machen will. Irgendwie süß.
»Er hat dir die besten Eisdielen mit diesen Aufklebern markiert.«
Eisdielen? Mein Vater denkt noch immer, ich wäre dreizehn. Das nehme ich ihm nicht mal besonders übel. Er verbringt so wenig Zeit zu Hause, ist immer im Einsatz, dass er die letzten drei Jahre mehr oder weniger verpasst hat.
Woher soll er da denn auch wissen, dass ich nicht mehr sein kleines Mädchen bin?
»Das ist total lieb von ihm.«
»Paula .«
Mütter durchschauen uns Töchter doch immer an einem gewissen Punkt. Die Wahrheit ist: Ich will nicht fahren und weiß nicht mal, ob ich später International Business studieren will.
»Italien wird lustig. Du wirst viele interessante Leute kennenlernen und die Kurse werden dir im nächsten Schuljahr einen großen Vorsprung einbringen.«
Mein Lächeln fühlt sich falsch an, dennoch muss es meine Mutter jetzt überzeugen. »Ich freu mich auch schon total.«
Ihre warmen, braunen Augen, die ich von ihr geerbt habe, mustern mich einen kurzen Moment. Schnell lege ich noch mal alles in mein Lächeln und versuche, einfach glücklich auszusehen. Es scheint zu funktionieren, das Gesicht meiner Mutter hellt sich auf.
»Siehst du, Paula. Das wird ein toller Sommer.«
Natürlich wird er das. Nur vielleicht nicht zwingend für mich. Ich sehe wieder zu den Klamotten auf meinem Bett und beschließe, dass es keinen Sinn hat, sich in Selbstmitleid zu wälzen.
Merle würde das Beste daraus machen und Spaß haben. Diesem Beispiel werde ich folgen! Jawohl, Paula Wichtenberger, reiß dich zusammen und genieß Italien, komme, was da wolle!
Mein Blick fällt auf den dunkelblauen Badeanzug, der sich bedenkenlos in die Kategorie Multifunktionskleidungsstück einordnen lässt. Nein, der muss zu...
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