TECHNISCHE DATEN SCHIFFSNAME: SEESTERN
EINSATZREGIONEN: zwischen Elbe und den Rheinmündungshäfen; häufig auch Mittelland-Kanal oder Dortmund-Ems-Kanal sowie Niederlande, Belgien oder Frankreich
BAUJAHR: 1962
BAUWERFT: Neckarsteinach/D
LÄNGE: 80 Meter
BREITE: 9 Meter
TIEFGANG: 2,74 Meter
ANTRIEB/LEISTUNG: 750 PS
HÖCHSTGESCHWINDIGKEIT: k. A.
KAPAZITÄT/BELADUNG: 2 Passagiere, 1 Kabine, 1299 Tonnen Fracht
Die Geschichte von Kapitän Franz
Franziskus Schramm ist Kapitän in der sechsten Generation. Seine Vorfahren transportierten seit 1872 Fracht auf europäischen Binnengewässern. Er erzählte mir, dass sein Urgroßvater schon 1928 die politische Umwälzung erkannte und die alte SEESTERN deshalb nicht im großdeutschen Reich anmeldete, sondern in den Niederlanden, mit Heimathafen in Rotterdam.
Die Leidenschaft für diesen Beruf wurde Franz somit in die Wiege gelegt, auch wenn die Kindheit zum Teil nicht einfach war. Zusammen mit seinen vier Schwestern wuchs er auf dem Binnenschiff seiner Eltern auf. Mit der Einschulung war das Leben dann nicht mehr so unbeschwert, denn die Schulzeit musste er getrennt von der Familie in einem Kinderschifferheim verbringen.
Familienleben und Binnenschifffahrt sind nicht immer einfach zu vereinbaren, das spürte Franz dann auch später, als er selbst eine Tochter bekam. Ihr wollte er das Kinderschifferheim ersparen, weshalb seine damalige Ehefrau in ein Haus zog, während Franz die ganze Woche auf dem Schiff unterwegs war. Heute sagt er, dass an dem Beruf die Ehe zerbrach. Sollte er je wieder eine Frau finden, dann müsse sie mit aufs Schiff. Jahre später, als er wegen einer Panne auf einer Reise in Bremerhaven pausieren musste, lernte er seine heutige Ehefrau Sonja in einer Kneipe kennen.
Sonja lacht, wenn sie an jenen Abend zurückdenkt, denn Franz fackelte nicht lange und fragte sie noch an diesem Abend, ob sie nicht mit ihm reisen wolle. Kaum zu glauben, aber die heutige Bootsfrau hatte bis dato Angst vor dem Wasser. Sie war frisch verliebt, und das half ihr, dann schließlich die Ängste zu überwinden. Heute sind die beiden ein unzertrennliches Team, das sieben Tage in der Woche zusammen auf dem Wasser unterwegs ist.
SEESTERN ahoi
Wo und wann die Binnenschiffer Franz und Sonja ihre Fahrgäste einsammeln, ist immer unterschiedlich, je nachdem auf welcher Route sie gerade unterwegs sind. Diesmal haben sie Hüttensand geladen, ein Nebenprodukt, das bei der Roheisenherstellung entsteht, und sollen diesen über Rhein und Mosel bis zur französischen Grenze bringen. Der Plan ist, dass ich im rheinland-pfälzischen Remagen auf dem Rhein zusteigen soll. Doch meine siebentägige Reise auf der SEESTERN beginnt schon abenteuerlich, obwohl ich das Schiff noch nicht mal betreten habe. Denn während ich am verabredeten Ort warte, bekomme ich einen Anruf von Kapitän Franz Schramm, der mir mitteilt, dass er wegen des Niedrigwassers leider nicht am Ufer stoppen kann. Er hat aber eine Idee: Die Personenfähre »Nixe« in Remagen soll mich in die Mitte des Rheins mitnehmen, und ich könnte dann von einem Schiff auf das andere umsteigen. In der Theorie ein guter Plan. In der Praxis eine ziemlich waghalsige Angelegenheit: Die Motoren beider Schiffe heulen auf, als sie in der Mitte des Rheins aufeinander zumanövrieren. Mit Sack und Pack muss ich einen Meter rüberspringen, während unter mir das aufgeschäumte Wasser Wellen schlägt. Geschafft! Ich falle Bootsfrau Sonja Schramm in die Arme - zur Begrüßung und aus Erleichterung, endlich am Ziel zu sein.
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Vom Wasser aus sehen die Schmuckstücke am Ufer des Mittelrheins doch noch ein Stück beeindruckender aus - wie zum Beispiel die Burg Pfalzgrafenstein.
Immer Land in Sicht
Auf dem 80 Meter langen Schiff befindet sich die Gästekajüte auf der Backbordseite am Bug - also vorne links. Bevor Sonja Bootsfrau wurde, war das die Matrosenkajüte, die sie später in 15 Monaten Umbauphase zu einer kleinen Ferienwohnung hergerichtet haben. Als ich durch die kleine Holztür mit dem Bullauge gehe, stehe ich in einer hellen, maritim eingerichteten Wohnung mit Platz für zwei Personen. In der kleinen Sitzecke mit dem blauen Sofa hängt eine dekorative Schiffsschraube an der Wand, und die blaue Bettwäsche ist mit Leuchttürmen bedruckt. Es gibt einen Fernseher, Strom und WLAN an Bord - also kaum zu unterscheiden von einer gut ausgestatteten Ferienwohnung an Land. Einzig bei Dusche und WC gibt einen Unterschied: Das Wasser ist begrenzt. Aus diesem Grund empfiehlt mir Sonja, sparsam zu duschen, denn der Tank für die Gästewohnung reicht ungefähr für drei bis vier Tage und muss dann an einer Schleuse wieder neu befüllt werden.
Mein größtes Highlight in der Kajüte ist der Ausblick aus den kleinen Fenstern, denn der verändert sich während der Fahrt von Minute zu Minute. Seekrank wird man dabei nicht, weil das Schiff nicht schaukelt und es keinen Seegang gibt. Oben auf Deck darf ich es mir auf den Gartenmöbeln gemütlich machen, die für Mitreisende ganz vorne am Bug bereitstehen. Ein Buch lesen oder Kreuzworträtsel machen, wie bei einem Strandurlaub, brauche ich hier allerdings nicht, denn es gibt immer etwas Neues zu entdecken. Ich lehne mich zurück und lasse mich von der malerischen Landschaft verzaubern: Felsvorsprünge im Schiefergebirge, mit seinen Burgen und Schlössern im oberen Mittelrheintal, bis hin zu mit Weinreben besetzten Steilhängen zwischen dicht gedrängten Fachwerksiedlungen im Moseltal.
Alltag auf dem Schiff
An Ausschlafen ist bei dieser Reise nicht zu denken, denn Franz startet bereits um 5 Uhr morgens den Generator, der das Schiff mit Strom versorgt. Aber wer hier mitfährt, möchte sicherlich keinen reinen Erholungsurlaub verbringen, sondern am Bordleben teilhaben und den Alltag auf dem Schiff miterleben. Sonja und Franz erzählen, dass die meisten Gäste auch selbst Hand anlegen: Maschinen abschmieren, das Schiff festmachen und unter strenger Anleitung des Kapitäns sogar selbst steuern. Deshalb stehe ich jeden Morgen pünktlich um 6 Uhr auf Deck, wenn Sonja die Leinen löst. Doch bevor es losgeht, hat der Kapitän eine ganz besondere Tradition: Vor der Abfahrt läutet Franz die gusseiserne Glocke am Führerhaus. »In Gottes Namen« heißt die Melodie des Glockenschlags und soll Glück bringen für die Reise. Mit einem Handgriff startet er sein 350 Tonnen schweres Schiff, und dann geht es los.
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Schloss Reichsburg an der Mosel wird auch von Ausflugsbooten und Flusskreuzern angefahren.
Nebelig ist es in den frühen Morgenstunden im September. Für Franz bedeutet das volle Konzentration, denn er muss sich bei der Fahrt nun vollkommen auf sein Radargerät verlassen. Die Sicht beträgt an diesem Morgen keine 50 Meter, und ich schaue wie gebannt aus dem Führerhaus. Hier und da kann ich schemenhafte Umrisse in der Nebellandschaft erkennen: Am Ufer haben die Schwäne ihre Köpfe noch schläfrig ins Gefieder gesteckt, und in der Ferne taucht plötzlich wie aus dem Nichts eine Brücke auf. Wegen der schlechten Sicht und des Niedrigwassers kommen wir langsamer voran als gedacht, aber Franz sieht es gelassen. Er ist es gewohnt, dass die Natur seinen Rhythmus bestimmt.
Nachdem die Sonne ein paar Stunden später ihren Weg durch den Nebel gefunden hat, hupt Franz, um Sonja zu rufen. Mit diesem Schallsignal kommunizieren die beiden auf dem riesigen Schiff. Sie bringt das Frühstück für Franz und die Gäste mit. Eine große Auswahl an süß und herzhaft belegten Broten mit frischem Obst. Die Aufgabenverteilung der beiden ist klar definiert: Franz kümmert sich um die Technik auf dem Schiff, und Sonja liebt dafür den hauswirtschaftlichen Bereich. Auch wenn das Rollenbild der beiden auf den ersten Blick sehr klassisch erscheint, so ist Franz bei vielen Dingen auf die technische Hilfe seiner Bootsfrau angewiesen: Beispielsweise beim Festmachen des Schiffs. Und auch Franz lässt es sich nicht nehmen, ab und zu für die Gäste zu kochen. Zur Mittagszeit gibt es Tee mit Brot und Gebäck, und abends wartet das hausgemachte Kapitänsdinner in der Kajüte von Franz und Sonja. Nur selten gönnen sich die beiden eine Auszeit und gehen in ein Restaurant an Land. Das liegt zum einen daran, dass Franz sich auf dem Schiff am wohlsten fühlt, und zum anderen liegt es an der schwierigen Liegeplatzsituation für Binnenschiffe. Er erzählt mir, dass es auf dem Wasser ähnlich wie auf Raststätten zugeht: Für Lkws gibt es zu wenige Parkplätze und für Schiffe gibt zu wenige Anlegestellen. Ab 19 Uhr hält Franz Ausschau nach einem Liegeplatz, aber oftmals bleiben ihnen nur Industriehäfen oder Bereiche, in denen es keine Möglichkeit gibt, an Land zu gehen. Deshalb haben Franz und Sonja immer eine gut gefüllte Vorratskammer. Obwohl ein reisendes Zuhause vieles schwieriger und weniger planbar macht, liebt Franz genau das an seinem Beruf: Das Leben ist immer im Fluss, und der Fluss ist sein Zuhause.
ANREISE UND BUCHUNG GENERELL: Die Buchung findet über die Internationale Frachtschiffreisen Pfeiffer GmbH statt (mail@frachtschiffreisen-pfeiffer.de oder Tel. +49 202 45 23 79).
PREISE: 128 ?/Nacht und Person. Die Gäste nächtigen in der Matrosenkajüte und genießen während des gesamten Aufenthalts Vollpension: Frühstück und Mittagessen im Fahrerhaus und ein warmes »Kapitänsdinner« bei Sonja und Franz in der Kajüte am Abend.
ANREISE: Für die An- und Abreise sollte man flexibel...