Schweitzer Fachinformationen
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Vor uns die Welt »Ich komme nicht mit!« * Fingerrouten * Gate closed
Wir stehen vor einer Tresortür mit winzigem Fenster und starren ins Innere des Flugzeugs. Wie in einem Film und in Zeitlupe sehen wir - Frank, Antonia, Helen und ich -, wie die Crew diskutiert und dabei in unsere Richtung zeigt.
Frank macht einen zaghaften Scherz: »Vielleicht sollten wir mal klingeln.«
Ich, da ich immer alles glaube und meine Nerven blank liegen, frage zurück: »Echt? Gibt es hier eine Klingel?«
Nein, der A380 hat keine Klingel und auch keinen automatischen Türöffner, und sie kann auch nicht mal eben anhalten, wenn man zu spät ist und noch reinhüpfen will. Wenn ein Flieger wegfliegt, ist er weg. Wir wollen rein. Wir wollen auf Weltreise. Leider stehen wir auf der falschen Seite der Tür.
Vielleicht ist unsere Reise hier zu Ende, bevor sie überhaupt losgeht. Denn beim Umsteigen in Frankfurt stellten wir plötzlich fest, dass die Zeit verdammt knapp war für den Anschlussflug nach Johannesburg. Fünfzig Minuten sind am Frankfurter Flughafen nur etwas für geübte Sprinter. Frank und ich röchelten, der Atem dampfte, noch zweiundzwanzig Gates, noch einundzwanzig . Antonia und Helen lachten, sie hatten großen Spaß auf den Laufbändern, aber wir, die Eltern, kamen ganz schön ins Schwitzen. Als wir nach einer gefühlten Unendlichkeit an unserem Gate ankamen, sahen wir zunächst - niemanden. Doch dann entdeckten wir ein wedelndes weißes Taschentuch. Eine Frau in Uniform schwang es wie einen Staubwedel hastig hin und her. Meinte sie etwa uns? Ja, meinte sie. Denn als wir auf sie zukamen, atmete sie hörbar erleichtert auf.
»Wie schön, dass Sie da sind! Wir haben gerade das Gate geschlossen, ich hoffe sehr, man lässt Sie noch rein.«
Das hofften wir auch und rannten durch den leeren, nicht enden wollenden Finger Richtung Riesen-Jumbo.
Vor uns haben wir nun also das derzeit größte Flugzeug der Welt beziehungsweise dessen schwere Tresortür. Dahinter die Crew, die sich immer noch berät.
Plötzlich bewegt sich etwas. Die Tür zum Himmel wird geöffnet, und wir bekommen Einlass. Zitternd gehen wir zu unseren Sitzen. Das war knapp. Unsere Weltreise kann unglaublicherweise losgehen. Nicht nur gedanklich, sondern in echt. Denn wir sind mit an Bord. Nur Sekunden später rollt das riesige Flugzeug gen Startbahn und hebt ab Richtung Johannesburg.
Im Flieger schließe ich die Augen und denke an die letzten Wochen zurück. Die wüstesten unseres Lebens, denn die vielen Vorbereitungen unserer Reise haben uns stündlich altern lassen, während gleichzeitig mit jedem Tag die Vorfreude wuchs. Wer einmal etwas Abenteuer in seinem Leben haben will, braucht bloß eine Weltreise mit zwei Kindern und die Untervermietung der Wohnung zu organisieren, da hat man garantiert keine Langeweile mehr. Jetzt sitze ich krank und schlapp im Flieger, und statt ausgelassener Vorfreude auf eine aufregende Reise, die spannendste meines Lebens wahrscheinlich, wünsche ich mir fast, mich zu Hause aufs Sofa zu legen. Endlich ausruhen! Warum nicht doch einfach mal Sesselsitzer sein, warum immer Abenteuer haben wollen und das Hier und Jetzt leben, warum der ganze Stress? Doch nein. Frank und ich lassen die letzten Wochen einfach sacken und stoßen auf uns an. Geschafft! Man darf sich ruhig mal ein bisschen selbst feiern. Dass wir jetzt tatsächlich in diesem Flugzeug sitzen und neben uns unsere Mädchen. Dass wir das große Glück haben, alle zusammen diese Reise antreten zu dürfen und einen Teil der Welt zu erkunden. Es fällt mir noch schwer zu realisieren, was das jetzt eigentlich heißt, fünf Monate fort zu sein, in die Ungewissheit zu fliegen und alle paar Wochen in einem anderen Land zu leben.
Zuerst war da so ein vager Wunsch, eine verrückte Idee, ein Sich-in-die-Ferne-Träumen. Das Wort »Weltreise« war noch gar nicht geboren, als ich dachte, wie großartig es doch wäre, wie aufregend, als Familie für einige Zeit ins Ausland zu gehen. Oder gar die Welt zu umrunden! Kein verlängerter Urlaubstrip, sondern eine richtige Reise.
Fragen nach dem Sinn des Lebens werden heutzutage immer wichtiger. Was bleibt eigentlich am Ende? Der Lounge Chair? Die aufgeräumte Wohnung? Oder ist da noch etwas anderes? Fragen, mit denen unsere Eltern sich nur selten beschäftigt haben.
Wir sind die Generation der um die Fünfzigjährigen. Wir sind viele. Und suchen jeder für sich die individuelle Freiheit, indem wir irgendwann, meist auf halber Strecke, eine bewusste Zäsur setzen. Oder uns einen Traum erfüllen. In Franks und meinem Fall bedeutet das, dass wir auf Weltreise gehen. Zusammen mit dem Wichtigsten und Besten, das wir hervorgebracht haben in unserem Leben: Antonia und Helen.
Frank und ich haben manchmal darüber diskutiert, ob man eigentlich reisen muss, um glücklich zu sein. Definitiv nein. Man kann seine Herausforderungen auch zu Hause suchen und daran wachsen. Wenn man offen ist für das Neue, das Leben. Doch der Wunsch, einmal gemeinsam als Familie für längere Zeit die Welt zu bereisen, sich eine Auszeit zu nehmen vom Alltag, war zumindest bei mir immer vage vorhanden. Irgendwann erzählte ich Frank von meinem Traum, gemeinsam um den Globus zu fliegen.
»Lustige Idee«, fand er, »aber wie soll das gehen? Wie wollen wir das finanzieren? Und was ist mit unseren Jobs?« Er brachte mich schnell aus meiner Traumwelt auf den harten Boden der Tatsachen zurück.
Wir sind beide Freiberufler. Das heißt, wir verdienen mal mehr, mal weniger gut, oft Letzteres. Dafür lieben wir, was wir tun, es sind unsere Traumberufe. Frank ist mit Leidenschaft Fotograf, und ich drehe Filme, Reportagen und Dokumentationen im In- und Ausland und schreibe. Beide reisen wir in unseren Berufen und arbeiten immer mal wieder in anderen Ländern. Jedes Mal jedoch, wenn ich Frank von einer langen Auszeit als Familie vorschwärmte, wandte er ein: »Klingt toll, aber .« Natürlich hatte er recht. Der erste Gedanke war immer: Woher das Geld nehmen?
Nachdem meine Eltern verstarben, erbte ich zusammen mit meinem Bruder ein Haus und Depots. Es war keine Riesensumme, aber doch so viel, dass man sich schon mal hinsetzt und überlegt, was man Sinnvolles damit anstellen könnte. Ich beschloss, den Großteil in eine Immobilie zu investieren, einen Rest jedoch zu behalten und meine Ersparnisse zu plündern, damit wir tatsächlich eine Weltreise machen könnten.
Als ich Frank meine großartigen Pläne bei einem abendlichen Restaurantbesuch darlegte, hörte er sich meine aufgeregten Ausführungen in Ruhe an, um dann zu sagen: »Darf ich kurz unterbrechen? Das klingt alles ganz toll, aber du hast etwas Entscheidendes vergessen, fürchte ich. Was ist mit der Schule?«
Oh. Pause. Ja, stimmt, da war doch was. Wir haben ja Kinder. (Kleiner Scherz.) Helen war zu dem Zeitpunkt vier und ging in die Kita, das würde kein Problem sein. Aber Antonia? Als wir die Reise planten, war sie neun, ging in die dritte Klasse der Grundschule und war eindeutig schulpflichtig. Ich dachte, wir nehmen Antonia nach Abschluss der Grundschule für ein Jahr raus aus dem Schulsystem. Wäre doch gelacht, wenn das nicht ginge. Sie war schließlich die Jüngste in ihrer Klasse und könnte dann einfach ein Jahr später auf die weiterführende Schule gehen. Doch so easy ist das natürlich nicht. In Deutschland herrscht durchgehende Schulpflicht.
Bei mir ist es oft so: Ich habe eine Idee. Und wenn ich eine Idee habe, setze ich alles daran, diese auch umzusetzen. Das habe ich wahrscheinlich von meinem Vater, ein echter Sturkopf, der immer, wenn er eine Idee, einen Traum hatte, diesen gegen noch so große Widerstände realisieren wollte. Und wenn er ihn doch mal aufgeben musste, dann folgte schnell ein neuer Traum. Bei Frank hingegen ist es so: Er hat eine Idee und wägt erst einmal ab. Vorteile gegen Nachteile. Was ja durchaus Sinn macht. Während ich eine Idee habe und mich dann ohne Wenn und Aber darauf stürze. Und ich habe viele Ideen .
Aber eine mehrmonatige Weltreise, das muss ich zugeben, ist schon eine Nummer größer als eine Spontanparty oder ein paar Überraschungstage in Andalusien, mit denen ich meinem Mann mal aufgewartet hatte. Doch Frank gefiel der Gedanke an eine lange Reise zu viert, und so war der Entschluss bald gefasst, wir wollten es angehen. Franks Bedingung: Ich würde in erster Linie die Reise alleine planen. Immerhin würde er mit auf Weltreise gehen, das allein wäre schon mal die halbe Buchung. Antonia und Helen, auch da waren wir uns einig, wollten wir erst einmal nichts davon erzählen, nur einigen wenigen Freunden, die dann auch gleich konkrete Hilfestellung bei der Planung gaben. Denn wie sollten wir bloß eine zeitweilige Schulbefreiung bekommen? Wir wollten zwischen vier und sechs Monate fort sein, je nachdem, welchen Zeitraum die Schulbehörde uns genehmigen würde. Länger war für Frank allein wegen seines Jobs nicht machbar. Über mehrere Monate führten wir Vorgespräche mit Antonias Lehrern und der Direktorin, stellten Anträge bei der Schulbehörde und warteten. Irgendwann glaubten wir nicht mehr an eine positive Rückmeldung seitens der Schulbehörde und planten einen Rucksackurlaub in Griechenland.
Und dann kam, exakt einen Tag, nachdem ich die Flüge nach Athen gebucht hatte, die Zusage der Schulbehörde. Wir waren sprachlos. Und gleichzeitig fast irre vor Glück. Dieses Glücksgefühl der Vorfreude hielt die nächsten Monate über an. Wir würden eine Weltreise machen, wir vier, unsere kleine, große Familie! Der Traum würde wahr werden. Also einmal schlucken und die Athen-Flüge stornieren, aber okay, shit happens....
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