VARROOSE - SCHÄDIGUNG DURCH VIRUSINFEKTION
Beitrag von Dr. Hannes Beims
Als eine -ose bezeichnet man in der Medizin üblicherweise eine Erkrankung mit einem Erreger. Eine Bakteriose ist also eine Erkrankung aufgrund von Bakterien. Die Varroose ist somit der Befall eines Bienenvolkes mit der Varroamilbe. In älterer Literatur findet man z. T. die veraltete Form Varroatose.
RECHTLICHE LAGE
In Deutschland existiert seit 1972 die Bienenseuchenverordnung (BienSeuchV). In ihr sind anzeigepflichtige Erkrankungen der Honigbiene aufgeführt, sowie die gesetzlichen Vorgehensweisen auf Bundesebene zusammengefasst. In den Bundesländern werden die Ausführungen der BienSeuchV genauer spezifiziert, was zu Unterschieden in den Vorgehensweisen der einzelnen Bundesländer führen kann.
Zur Umsetzung der Europäischen Rechtsprechung bedarf es einer Novellierung der BienSeuchV. Seit April 2021 hat sie daher nur noch einen Übergangscharakter, wird aber bis zur abschließenden Novellierung weiter angewendet werden. In der BienSeuchV ist der Befall mit der Varroamilbe in § 15 geregelt. Über die Zeit wurde dieser Paragraph der Situation in Deutschland angepasst. Somit ist heute geregelt, dass Bienen jährlich gegen die Varroose behandelt werden müssen. Man geht also davon aus, dass alle (!) Bienenvölker mit Varroamilben befallen sind, bzw. im Laufe des Jahres durch (Re-)Invasion infiziert werden. Die Behandlung ist aktuell nicht weiter spezifiziert. Somit zählen sowohl medikamentöse Behandlungen als auch biotechnologische Verfahren zur Behandlung.
Bei der medikamentösen Behandlung setzt man Mittel gegen die Milben ein, sogenannte Akarizide. Da diese Mittel im speziellen gegen die Varroamilbe wirken sollen, spricht man hier von Varroaziden. Bei den Varroaziden lassen sich aktuell drei große Wirkstoffgruppen unterscheiden:
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organischen Säuren (Milchsäure, Ameisensäure und Oxalsäure)
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ätherische Öle (z.B. Thymol)
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synthetische Wirkstoffe (z.B. Flumethrin)
Die biotechnologischen Verfahren umfassen alle imkerlichen Tätigkeiten, die den Varroadruck im Bienenvolk reduzieren; beispielsweise das Verwenden von Bannwaben, das Schneiden der Drohnenbrut oder die komplette Brutentnahme.
Weiterhin kann gemäß BienSeuchV die zuständige Behörde (Veterinärbehörde) die Behandlung aller Bienenvölker in einem bestimmten Gebiet innerhalb eines bestimmten Zeitraumes mit einem festgelegten Mittel anordnen. Die Varroose ist auf europäischer Ebene weiterhin als Bienenseuche gelistet. Es ist also davon auszugehen, dass auch nach der Novellierung der BienSeuchV die beiden genannten Punkte Gültigkeit behalten werden.
PRIMÄRE SCHÄDEN
Die Biene durchläuft eine holometabole Entwicklung, es findet also eine vollständige Metamorphose innerhalb der Entwicklung statt, in der verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen werden. Bei der Biene handelt es sich hierbei um Ei, Larve, Puppe und Imago. Betrachten wir die Arbeiterin, so benötigt sie für diese Entwicklung 21 Tage, in denen die drei Entwicklungsstadien durchlaufen werden, ehe am 21. Tag die fertig entwickelte Arbeiterin aus der Zelle schlüpft. Die ersten drei Tage in der Entwicklung durchläuft die Arbeiterin das Ei-Stadium, dabei ernährt sich der Embryo vom Vorrat im Ei. Anschließend schlüpft die L1-Larve aus dem Ei und wird bis zum L5-Stadium von Ammen gepflegt und gefüttert. Am neunten Tag wird die Brutzelle verdeckelt. Damit endet die Fütterungsphase, in der die Brut Nahrung aufnehmen kann. Bevor die Larve in das Puppenstadium übergeht, verbinden sich Mittel- und Enddarm, sodass es erstmalig zum Abkoten in der Brutzelle kommen kann. Während der Puppenphase findet die Metamorphose statt. Stark vereinfacht ausgedrückt, werden dabei die inneren und äußeren Strukturen komplett umgebildet, sodass am Ende der Metamorphose eine vollentwickelte Honigbiene aus der Zelle schlüpft.
Die Aufnahme von Nährstoffen kann also nur über einen sehr kurzen Zeitraum während der Entwicklung im Larvenstadium stattfinden. Alle Nährstoffe, die nach der Larvenphase aus dem Körper der Brut entfernt werden, fehlen in der Weiterentwicklung zur fertigen Biene. Wenn also eine Varroamilbe die Brutzelle für die Reproduktion nutzt, frisst die Milbe mitsamt ihren Nachkommen vom Körper der Puppe. Diese Nährstoffe fehlen für die Entwicklung vitaler Bienen. Setzt man die Biene in Relation zur Milbe, so erscheint das Verhältnis ähnlich wie zwischen Menschen und einem Parasiten in der Größe eines Kaninchens. Je höher also der Befall mit Varroamilben innerhalb der Brutzelle ist, umso mehr Nährstoffe und Bausteine fehlen der Brut in der Entwicklung zur fertigen Biene. Neueste Forschungen lassen darauf schließen, dass die Milben sich eher von Gewebe des Fettkörpers als von der Hämolymphe (Bienenblut) ernähren, wie lange vermutet wurde. Hierdurch sind besonders die "Leber" und das Immunsystem der Biene betroffen. Darüber hinaus ist diese Parasitierung mit erheblichem Stress für die Brut verbunden, der sie anfälliger für weitere Schädigungen macht.
© Annet Kunnekte
Varroamilbe sucht eine Brutzelle mit Rundmade, die kurz vor der Verdeckelung steht.
© Annet Kunnekte
Drohnenbrut: Varroamilben in unterschiedlicher Färbung und weißer Milbenkot.
SEKUNDÄRE SCHÄDEN
In früheren Zeiten waren die Befallszahlen mit Varroamilben zumeist deutlich höher als heute, ohne dass es zu verheerenden Schäden an den Bienenvölkern kam. Die Schädigungen an Bienenvölkern erfolgten zumeist durch primäre Schäden. Eine Behandlung gegen die Varroamilbe im Spätherbst oder Winter reichte zumeist aus, um schwerwiegende Schäden im Folgejahr abzuwenden.
Seit jeher gibt es Viren, die sich auf Bienen spezialisiert haben. Bis heute sind über 30 verschiedene Viren bekannt, die im Bienenvolk vorkommen können. Das prominenteste Bienenvirus ist das Flügeldeformations-Virus (kurz: DWV, aus dem englischen deformed wing virus). Bei den bekannten Bienenviren handelt es sich um Viren, deren Erbmasse aus RNA besteht. Die RNA ist wesentlich anfälliger gegenüber Veränderungen (Mutationen) als DNA. Somit konnte sich eine sehr hohe Anzahl an Virusvarianten entwickeln. Bei DWV kann zwischen verschiedenen Unterarten differenziert werden. Dabei kommt DWV-B eine besondere Rolle zu.
Bereits vor dem Auftreten der Varroamilbe gab es Viren in den Völkern der Honigbiene. Auch das DWV konnte nachgewiesen werden. Die Bienen infizierten sich in der Regel durch den Kontakt untereinander und über die orale Aufnahme der Viruspartikel. Somit konnten die Viruspartikel bis in den Darm der Bienen gelangen. Die Innenseite des Darms ist mit einer Schutzschicht, der Peritrophischen Matrix ausgekleidet, die eine Barriere zwischen Darminneren und dem Gewebe der Bienen darstellt.
Mit der Zeit konnten sich verschiedene Varianten des DWV entwickeln. Darunter auch die Variante DWV-B, die zuweilen auch als VDV-1 bezeichnet wird. VDV-1 steht dabei für Varroa-destructor-virus-1, also das erste Virus, das man in der Varroamilbe gefunden hat. DWV-B hat sich also so verändert, dass es sich nicht nur innerhalb der Honigbienen halten kann, sondern auch in der Varroamilbe.
Viren sind keine Lebewesen, sondern eher biologische Strukturen. Sie bestehen vereinfacht aus einer Eiweißhülle, in der sich die Erbmasse in Form von RNA oder DNA befindet. Viren haben keinen Stoffwechsel und können sich nicht selbstständig vermehren. Die Vermehrung findet in einer Wirtszelle statt. Dazu muss das Viruspartikel von einer geeigneten Wirtszelle aufgenommen werden. Anschließend wird diese Wirtszelle so umprogrammiert, dass sie die Erbmasse des Virus und die Eiweißhülle herstellt, anstatt ihre eigenen Bauteile. Die infizierte Wirtszelle wird also zu einer Art Virus-Fabrik. Anschließend wird die Wirtszelle zerstört und eine immense Anzahl neuer Viruspartikel wird freigesetzt.
VEKTORIELLE VIRUSÜBERTRAGUNG
DVW-B kann sich in den Zellen der Varroamilbe vermehren. Die Varroamilbe hingegen vermehrt sich in der Brut der Honigbiene. Während der Verpuppung findet in der Bienenbrut die Metamorphose statt. Dabei werden vorhandene Strukturen innerhalb des Körpers komplett umgebaut und neuorganisiert. Durch die Fraßstelle an der Puppe kann die Varroamilbe, ähnlich einer Zecke, Viren in den Körper der Puppe übertragen. Klassischerweise ist für die DWV die Barriere zwischen Darm und Körperinnenraum nicht überwindbar. Mithilfe der Varroamilbe können Viruspartikel jedoch direkt in den Körper der Puppe gelangen und im Rahmen der Metamorphose alle Bereiche des Körpers erreichen, insbesondere die Nervenzellen sind davon betroffen. Durch die Varroamilbe besteht also neben den herkömmlichen Infektionswegen (vertikal und horizontal) auch die Möglichkeit der vektoriellen Virusübertragung.
Die typischen Symptome bei Schäden durch DWV sind dem Imker zumeist nur als deformierte Flügel oder abnorme Abdomen der Bienen bekannt. Diese so geschädigten Bienen weisen eine deutlich verkürzte Lebenserwartung von nur wenigen Tagen auf. Verheerender sind jedoch die unterschwelligen Schäden durch DWV-B, die mit bloßem Auge nicht erkennbar sind. Bienen, die während ihrer Entwicklung in geringerem Maße mit DWV-B geschädigt wurden, weisen eine maximale Lebenserwartung auf, die im Gegensatz zu gesunden Bienen reduziert ist. Bei den Sommerbienen fällt dieser Schaden nicht auf, da die durchschnittliche Lebenserwartung einer Sommerbiene zumeist sechs Wochen nicht übersteigt. Die Winterbiene wird hingegen...