Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Im Jahr 1601 kaperten portugiesische Seeleute vor der chinesischen Küste unter Berufung auf ihre Monopolrechte im asiatischen Raum ein niederländisches Schiff, töteten fast die gesamte Besatzung und eigneten sich dessen Ladung an. Daraus entwickelte sich ein Handelskrieg, der noch heute aufschlussreich ist. Denn nur wenig später enterte ein Schiff der Niederländischen Ostindien-Kompanie (VOC) in der Straße von Malakka ein portugiesisches Schiff, dessen Ladung man in Amsterdam vor das Admiralitätsgericht brachte, um sie legal verwerten zu können. Zu ihrer Rechtfertigung legte die VOC ein Rechtsgutachten vor, das das Kapern des Schiffes mit dem Hinweis auf die Freiheit der Meere begründete, die Portugal nicht respektiere. Das wiederum provozierte eine portugiesische Stellungnahme. Nicht nur habe Portugal vom Papst legitimierte Monopolrechte in Asien. Es seien gerade auch die Kosten für die Erschließung und die Sicherung der Handelswege, die eine Monopolstellung rechtfertigten - und diese habe nun einmal Portugal zu tragen.
Die Handelskonkurrenz zwischen den Niederlanden und Portugal wurde schließlich gewaltsam zugunsten der niederländischen Kaufleute entschieden, doch die Problemstellung gilt bis zum heutigen Tag: Rechtfertigen die Kosten der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Ordnung, dass deren Träger die Vorteile dieser Ordnung allein oder zumindest vorrangig für sich in Anspruch nehmen und andere davon ausschließen darf? Oder muss er es hinnehmen, dass andere, obwohl sie für die Kosten nicht aufkommen, nicht nur vom Rahmen dieser Ordnung profitieren, sondern diesen unter Berufung auf die «Freiheit der Meere» sogar mit erheblich geringerem Aufwand nutzen können und sich so große wirtschaftliche Vorteile verschaffen, gerade weil sie die Kosten nicht oder kaum tragen?[1]
Dieser Konflikt, der keine Frage der Moral, sondern Ausdruck eines objektiv existierenden Problems ist, liegt hinter dem Auf und Ab von Wirtschafts- und Handelskriegen, die seither in unterschiedlichen Formen die Welt beschäftigten. Je nachdem, wie dieser Konflikt reguliert oder auch nur wahrgenommen wurde, entwickelten sich Rivalitäten unter Umständen zu produktivem wirtschaftlichen Wettbewerb - oder es kam zu gefährlichen Konfrontationen, speziell dann, wenn sich das Ziel ökonomischen Vorteils mit politischem und militärischem Dominanzstreben verband. Ob die aufgeworfene Frage nach der Nutzung einer Ordnung je grundsätzlich entschieden werden kann, muss offenbleiben. Lehrreich ist indes ein Blick darauf, welche Antworten in den vergangenen Jahrhunderten darauf gegeben wurden. Mit der Straße von Malakka, dem Nadelöhr vor Singapur und Malaysia auf dem Handelsweg von und nach China, spielt die Geschichte von Wirtschaftskriegen heute aktueller denn je an einem Ort, an dem sie sicher nicht begann, wohl aber ihre semantische Rahmung entscheidend provoziert wurde.
Es wäre zweifellos übertrieben, das gegenwärtige Verhältnis der USA zu China mit dem Portugals gegenüber der aufstrebenden niederländischen Handelsflotte zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu vergleichen, aber erhellend ist die Perspektive allemal. Denn der Aufstieg Chinas vollzog sich im Rahmen einer vor allem von den USA garantierten weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung, die es chinesischen Anbietern leicht und vor allem kostengünstig ermöglichte, große Teile des Weltmarktes zu erreichen und nach und nach zu dominieren. Die Versuche der Vereinigten Staaten, den chinesischen Aufstieg zu bremsen - auch wenn dies unter Umständen eine Beschädigung der globalen Arbeitsteilung bedeutet -, sind jedenfalls der wesentliche Grund der weltweiten ökonomischen Turbulenzen, die sich seit geraumer Zeit beobachten lassen. Mit dem Ende eines von den USA dominierten Zeitalters der Globalisierung nähert sich die Welt heute einem Zustand des Ordnungsverlustes, der die kommenden Jahre unter ein großes Fragezeichen stellt. Dieser Zustand ist historisch nicht neu. Zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht wechselten Phasen geregelter und friedlicher ökonomischer Arbeitsteilung mit heftigen Konflikten, die von Momenten des Wirtschaftskrieges bis hin zu gewaltsam ausgetragenen Auseinandersetzungen geprägt waren. In der folgenden Darstellung geht es darum, die historischen Linien dieser «Wellenbewegung» und die Muster nachzuzeichnen, die den Umschlag von Rivalitäten in offenen Konflikt oder in eine zumindest zeitweilige Herausbildung geordneter Kooperationen markierten. Rivalitäten sind der Normalzustand; entscheidend ist, wann sie gefährlich werden und das Potenzial besitzen, die Regeln der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit - letztlich zum Nachteil aller - zu zerstören. Dass eine solche Fragestellung angesichts der gegenwärtigen weltweiten Entwicklungen eine besondere Aktualität besitzt, wird niemand bestreiten wollen. Historisches Wissen wird die derzeitigen Konflikte, ja ihre Zuspitzung in der kommenden Zeit nicht aufhalten können, aber es kann die Aufmerksamkeit dafür erhöhen, was eine kurzfristige und unüberlegte Politik anrichten kann.
Der Wirtschaftskrieg, das heißt der Konflikt um Macht und Vorteile im zwischenstaatlichen Handel und bei der Organisation und Strukturierung von grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Austauschprozessen, ist ein altes Phänomen. Es genau einzugrenzen, ist gar nicht so einfach, denn klar isolierbar sind Wirtschaftskriege nur in seltenen Fällen. Vielmehr gibt es große Unterschiede bezüglich Art und Ausmaß der jeweiligen Auseinandersetzungen. Das betrifft zum einen die Zahl der beteiligten Akteure, zum anderen geht es in Wirtschaftskriegen zumeist nicht ausschließlich um wirtschaftliche Fragen. Allerdings sind Letztere im Laufe der Jahrhunderte immer wichtiger geworden. In der Gegenwart kommt ökonomischen Gesichtspunkten eine überragende Bedeutung zu, da die wirtschaftlichen Handlungsspielräume der Regierungen in der Regel die politischen durchaus bestimmen.
Das war zwar im Grunde auch in der Vormoderne schon so, doch hat sich der Charakter von Konflikten, nicht zuletzt militärischen Auseinandersetzungen, im Zuge des technologischen Wandels strategisch und taktisch völlig verändert. Während es in der Vormoderne vor allem darum ging, einen exklusiven Zugriff auf Ressourcen, Handelswege und Lieferketten zu erlangen, gewann spätestens zum Ende des 17. Jahrhunderts - explizit formuliert in den Agenden des Merkantilismus - die Stärkung der eigenen Produktionskraft und die Schwächung der Möglichkeiten realer oder potenzieller Gegner an Bedeutung. Handels- und Wirtschaftskriege dienen seither explizit der Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen Dynamik, die sukzessive in den Vordergrund entsprechender Bemühungen trat.
Es war die so mögliche wirtschaftliche Stärke, die schließlich in den großen Auseinandersetzungen des 18. Jahrhunderts etwa den Ausschlag zugunsten Großbritanniens gab, das schlicht produktiver wirtschaftete als die kontinentaleuropäische Konkurrenz und sich daher - allerdings erst nach jahrzehntelangen Kämpfen - gegen sie durchsetzen konnte. Dabei blieb es nicht stehen. Der Schutz und die Förderung der eigenen «produktiven Kräfte» mit zum Teil durchaus robusten Mitteln änderten sich, nachdem die britische Wirtschaft eine Dominanz erreicht hatte, die die kontinentale Konkurrenz nicht mehr fürchten musste. Die von England weiterhin betriebenen Handels- und Wirtschaftskriege bekamen nun ein anderes Ziel. Es ging nicht mehr um den Schutz der heimischen Wirtschaft, sondern um die Öffnung der globalen Märkte, um die eigene Stärke ausspielen zu können. Der Freihandelsimperialismus war somit auch eine Form des Wirtschaftskrieges, der im Aufbegehren verschiedener Staaten gegen die Überlegenheit Großbritanniens seine Entsprechung fand.
Diese Wechselbeziehung von Öffnung und Abschottung ist seither ein Kennzeichen von Wirtschaftskriegen. Nicht nur die Kriegsführung ist damit umfassend geworden; letztlich treten heute ganze Volkswirtschaften gegeneinander an, wenn es zum offenen Konflikt kommt. Und mit dem Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865), der nicht zuletzt ein mit radikalen Mitteln geführter wirtschaftlicher Vernichtungskrieg des überlegenen Nordens gegen die Plantagenwirtschaft der Südstaaten war, ist auch in die Köpfe der verantwortlichen Politiker endgültig vorgedrungen, dass wirtschaftliche Stärke oder Schwäche das eigene politische Gewicht und die Durchsetzbarkeit eigener Interessen sehr schnell beeinflussen. Allein die Kriegskosten mussten das lehren, die die Bevölkerung zudem einer erheblichen protektionistischen, steuerlichen und inflationären Belastung aussetzten.[2] Ökonomischer Strukturwandel nimmt mithin eine eigentümliche Rolle als Konfliktverstärker ein, lange bevor es zu offenen Auseinandersetzungen oder gar Feindseligkeiten kommt. Letztlich muss jede Regierung darauf bedacht sein, die eigene ökonomische Basis auszubauen, oder, wo dies nicht möglich ist, Gegner daran zu hindern, zu stark zu werden.[3]
Das ist kein neues Phänomen, wenngleich sich dessen Ausmaße in den vergangenen Jahrzehnten dauerhaft verschoben haben. Die Belagerung oder gar die Zerstörung von Städten, Häfen und Flotten, die Versklavung von Menschen oder der Raub von Ressourcen, die gezielte Verschlechterung von Münzen, das Blockieren von Handelswegen - all diese aus der älteren Zeit gut bekannten Vorgänge waren stets auch Mittel von Handels-...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.