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Katharina, Königin von England, saß an ihrem Fenster, das den Blick auf die Palastgärten öffnete. Ihre Hände lagen müßig im Schoß, da sie die Stickarbeit am Wandteppich momentan ruhen ließ. Sie näherte sich ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag, und ihre einst anmutige Gestalt war in den vielen Jahren enttäuschender Schwangerschaften füllig geworden, was ihrer Würde jedoch keinen Abbruch tat. Die zahlreichen Demütigungen, denen sie ausgesetzt war, hatten nicht vermocht, ihr jene ruhige Selbstsicherheit zu rauben, die ihre Umgebung nie vergessen ließ, daß sie nicht nur Königin von England, sondern auch Tochter Isabellas von Kastilien und Ferdinands von Aragon war.
Von ihrer modischen, vor Juwelen blitzenden, fünfeckigen Haube hing eine schwarze Mantilla herab, da sie trotz der neunzehn Jahre, die sie nun in England lebte, noch immer gewissen Sitten ihres Heimatlandes anhing, ihr blaues Samtkleid war mit Hermelin besetzt, und wenn sie mit anmutig gekreuzten Füßen dasaß, lugte ihr Unterrock aus goldfarbenem Satin hervor, um ihren Hals lagen Rubine, Edelsteine, die auch den cordelière-Gürtel zierten, der ihre umfangreiche Taille umspannte und bis zu ihren Füßen fiel.
Als sie nun aus dem Fenster blickte, waren ihre ebenmäßigen, wenn auch ein wenig groben Züge überaus ernst, und ihre hohe Stirn zeigte Sorgenfalten. Die Frau, die sie beobachtete, wurde von Mitleid übermannt, da sie wußte, daß die Königin zutiefst beunruhigt war.
Und das aus gutem Grund, dachte Lady Willoughby. Als Maria de Salinas war sie mit Katharina vor neunzehn Jahren nach England gekommen und bis zu ihrer Vermählung mit Lord Willoughby die treue Dienerin ihrer Herrin gewesen, und auch jetzt noch eilte sie oft an deren Seite, wenn es sich einrichten ließ.
Königin Katharina hatte wahrlich Ängste genug auszustehen.
Wenn es nur einen männlichen Nachkommen gäbe, dachte Maria. Ein einziges männliches Kind. War das zuviel verlangt?
Warum bleibt ihr ein Sohn versagt?
Sie waren einander schon so lange und so innig vertraut, daß die eine manchmal Gedanken der anderen lesen konnte. Als nun die Königin ihren Blick vom Garten losriß, sah sie das Mitleid in Marias Augen und beantwortete deren unausgesprochene Frage.
»Maria, ich habe das Gefühl, daß es nie dazu kommen wird«, sagte sie. »Diese vielen Fehlschläge ...«
Maria errötete, ärgerlich über sich selbst, weil sie ihre Gedanken verraten hatte, die den Kummer ihrer geliebten Herrin nur noch vertiefen mußten.
»Euer Gnaden haben eine entzückende, gesunde Tochter.«
Wie immer, wenn von ihrer Tochter, der fünfjährigen Prinzessin Mary, die Rede war, wurde Katharinas Gesicht wieder jung und fast schön.
»Mit jedem Monat wird sie reizender«, murmelte die Königin mit einem Lächeln. »Marys unbeschwerte Fröhlichkeit hat das Herz ihres Vaters so fest erobert, daß ich überzeugt bin, er sieht es ihr nach, daß sie kein Knabe ist.«
»Niemand kann sich wünschen, Prinzessin Mary sollte anders sein, als sie ist«, murmelte Maria.
»Nein. Ich möchte sie nicht anders haben. Ist das nicht merkwürdig, Maria? Auch wenn es in meiner Macht stünde, aus ihr einen Knaben zu machen, würde ich es nicht tun. Ich möchte sie in keiner Weise verändern.« Ihr Lächeln erlosch, und sie fuhr fort: »Wie sehr wünsche ich mir, ich könnte sie öfter bei mir hier in Greenwich haben.«
»Der König ist so sehr darauf bedacht, ihr den gebührenden Rang zuzuweisen, daß er darauf besteht, sie müsse eine eigene Hofhaltung haben.«
Die Königin nickte und wandte sich wieder ihrer Gobelinstickerei zu.
»In Kürze werden wir uns nach Windsor begeben«, sagte sie. »Dann werde ich sie von Ditton Park kommen lassen. Ich kann es kaum erwarten zu hören, welche Fortschritte sie auf dem Spinett macht. Kannst du dir vorstellen, daß ein Kind von fünf Jahren so großes musikalisches Talent zeigt?«
»Niemals«, sagte Maria, die insgeheim dachte, sie müsse Katharinas Gedanken bei Mary festhalten, damit ihr nicht weniger angenehme Dinge in den Sinn kamen.
Doch als sie Katharina jenen Tag ins Gedächtnis rief, als der König mit seiner Tochter in den Staatsgemächern erschien und darauf bestanden hatte, die Gesandten Frankreichs und Spaniens sollten dem Rang und den Talenten des kleinen Mädchens ihre Reverenz erweisen, wurde die Königin durch einen Ruf aus den Gärten abgelenkt, und Maria entging nicht, wie sie kurz die Augen schloß und damit ihren Widerwillen vor dem andeutete, was dort unten vor sich ging.
Es ist ein verhängnisvoller Fehler, daß die Königin die Vergnügungen des Königs meidet, dachte Maria. Sie konnte die Abneigung Katharinas zwar nachempfinden, spürte aber, daß es sehr unklug war, dieses Gefühl offen zu zeigen. Der an fast bedingungslose Schmeichelei und Zustimmung gewöhnte König reagierte sofort mit Unwillen, wenn diese ausblieben. Und mit ihrer Weigerung, ihn in die Arena zu begleiten, hatte die Königin ihn zweifellos gekränkt. Gewiß, sie hatte Unwohlsein vorgeschoben, doch der König, selbst nur selten indisponiert, war geneigt, Unpäßlichkeiten anderer mit Skepsis und Verachtung anzusehen.
Nein, es war bedauerlich, daß die Königin an der Seite einer treuen Freundin bei ihrer Stickarbeit saß, während der König im Kreise seiner Höflinge zusah, wie ein Bär von seiner Hundemeute in Stücke gerissen wurde.
Weitere Rufe folgten, ein Trompetenschall drang durch das offene Fenster.
»Das Schauspiel ist zu Ende«, sagte Katharina. »Wie bin ich froh, daß ich nicht zugegen war und die Todesqual eines armen Geschöpfes mitansehen mußte.«
»Ich fürchte, wir werden uns nie an englische Lustbarkeiten gewöhnen«, gab Maria zur Antwort. »Nach all den Jahren sind wir noch immer Spanierinnen.«
»Und doch sind wir jetzt durch unsere Ehen Engländerinnen, Maria. Beide haben wir englische Ehemänner, und Spanien erscheint mir so fern. Doch werde ich die Alhambra und meine Mutter nie vergessen.«
»Würde Euer Gnaden gern nach Spanien zurückkehre?«
Katharina schüttelte den Kopf. »Nach ihrem Tod nicht mehr. Für mich war sie Spanien. Ich glaube, ich hätte das Leben der vielen Erinnerungen wegen nicht ertragen, nachdem sie gestorben war. So viele Jahre ist sie nun schon tot ... und doch ist sie für mich nie wirklich gestorben. In meinem Herzen lebt sie und spendet mir noch immer Trost. Wenn ich an meine eigene liebreizende Tochter denke, sage ich mir: Katharina von Aragon wird Prinzessin Mary eine solche Mutter sein, wie Isabella von Kastilien es Katharina von Aragon war.
»Sie besaß Größe und Weisheit.«
»Zuweilen«, fuhr Katharina fort, »wünsche ich mir aus ganzem Herzen, daß sie da wäre, daß sie ihre Gemächer in diesem Palast hätte und ich zu ihr gehen und ihr sagen könnte, was mich bedrückt, damit sie mir in ihrer großen Weisheit raten könnte, was ich tun soll.«
Was hätte aber selbst die große Isabella ihrer Tochter zu sagen vermocht? fragte Maria sich. Wie hätte sie ihr raten können, sich die Gunst ihres launischen Gemahls zu sichern? Sie hätte nur wie so viele am Hof sagen können: Schenke ihm einen Sohn. Dann ist deine Sicherheit gewährleistet.
Katharina sah die Frau an, die schon so lange ihre teuerste Freundin war. Sie weiß um meine Sorgen, dachte die Königin. Wie hätte es auch anders sein können? Wer am Hof hätte nicht gewußt, daß die Abneigung des Königs gegen seine um fünf Jahre ältere Gemahlin immer größer wurde, daß er ihr untreu war und daß seine Enttäuschung über ihr Unvermögen, ihm einen gesunden männlichen Erben zu schenken, ständig wuchs, wenngleich sie oft genug bewiesen hatte, daß sie sehr wohl schwanger werden konnte? Zwölf Jahre Ehe hatten nur etliche Totgeburten und ein einziges lebensfähiges Kind hervorgebracht - eine Tochter.
Katharina war nicht der Mensch, der Mitleid wollte, und sie wußte um die Gefahr, sich anderen anzuvertrauen. Aber Maria de Salinas war ihre beste Freundin, und sie war überzeugt, daß es niemanden gab, der sie mehr liebte. Ein wahrhaft trauriges Eingeständnis. Ihr Gemahl liebte sie nicht mehr, dieser betrüblichen Tatsache war sie sich nur allzu deutlich bewußt. Ihre Mutter, die sie innigst geliebt hatte - so wie sie Mary liebte - war schon lange tot. Und kürzlich war auch ihr Vater, der ehrgeizige, knauserige Ferdinand, verstorben. Aber Ferdinand hatte nie sehr viel Liebe an einen einzigen Menschen zu verschenken vermocht, da seine Besitztümer seine gesamte ihm zu Gebote stehende Zuneigung in Anspruch genommen hatten. Für ihn war Katharina nur eine wertvolle Schachfigur in dem politischen Spiel gewesen, das sein Leben bestimmte. Die kleine Mary freilich hatte sie lieb. Aber Mary war ein Kind.
Gott gebe, daß sie nie so leiden muß wie ich, dachte die Königin.
Aber für Mary, die nun Thronerbin war, da in England das salische Gesetz keine Gültigkeit hatte, würde sich alles zum Guten wenden. Wurden ihren Eltern keine Knaben geboren, dann würde sie eines Tages den Thron besteigen und Herrscherin kraft eigenen Rechts sein, womit ihre Stellung eine völlig andere wäre als die der Gemahlin eines Königs.
Katharinas Mutter, die Königin aus eigenem Recht gewesen war, hatte dies trotz aller Gattenliebe nie vergessen. Ferdinands...
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