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DUNLUCE CASTLE
9. September Anno Domini 1607
Andrew O'Connor und sein Freund Brendan O'Rourke waren auf der Flucht. Ihrer adeligen Würden waren sie schon vor längerer Zeit verlustig gegangen. O'Connor, seit dem Tod seines Vaters nominell Oberhaupt der O'Connors of Sligo, hatte sich in einer Bauernkate in Drumcliff versteckt gehalten, nachdem sein Schloss niedergebrannt worden war. Und Brendan O'Rourke, der ehemalige Earl of Breifni, dessen Schloss sich nun im Besitz eines englischen Offiziers namens Nicholas Parke befand, hatte durch puren Zufall erfahren, dass die Engländer ihn wie O'Connor verhaften und mit dem großen Chieftain, der, geschlagen und gedemütigt noch in Dunluce Castle im Norden von Ulster aushielt, nach London in den Tower bringen wollten.
Abgehetzt und zerzaust traf Brendan bei dem Gehöft in Drumcliff ein. Sollten seine Informationen stimmen, dann hatten sie gegenüber den Engländern höchstens ein paar Stunden Vorsprung. Der Bauer reagierte rasch. Er gab ihnen ein wenig Speck, dazu etwas Brot und Ziegenkäse und riet ihnen, sich auf den Ben Bulben zu flüchten, wo sie die Sachsen am wenigstens vermuten würden.
»Sie werden die Küste nach euch absuchen, weil sie davon ausgehen werden, dass ihr versucht, übers Meer zu entkommen«, sagte der Bauer, »und sie werden die Wege nach Dunluce überwachen, weil es heißt, der große Chieftain versammle noch einmal seine Getreuen. Gebt also acht und meidet die Straßen und das offene Gelände. Vor allem versucht, nachts zu reisen.«
Andrew war gerührt. Vor ihnen stand ein einfacher Bauer, den sie vor zehn Jahren nicht einmal eines Blickes gewürdigt hätten. Und nun erwies sich der Mann als klug und weitblickend, ihnen einen Ratschlag gebend, der sie möglicherweise vor einer großen Dummheit bewahrte. Denn in der Tat hatte Andrew seinem Freund eben vorschlagen wollen, die Küstenstraße nach Ballyshannon und Donegal einzuschlagen. Und doch war es so naheliegend, dass die englischen Patrouillen just dort auf sie warten würden. Der Ben Bulben hingegen gestattete es einer größeren Gruppe von Soldaten nicht, sich frei zu bewegen. Die engen Bergpfade verunmöglichten es, die zahlenmäßige Überlegenheit effizient einzusetzen. Ja, dort waren sie in der Tat sicher.
Doch Brendan dämpfte Andrews Zuversicht. »Es stimmt schon«, meinte er, »dort sind wir vorerst sicher. Aber wir sind da oben auch gefangen. Mag sein, dass sie nicht raufkommen. Aber wir kommen auch nicht mehr runter.«
Andrew musste zugeben, dass Brendan in diesem Punkt recht hatte. Am Ben Bulben konnten sie sich verstecken. Aber es wäre ihnen unmöglich, zum Chieftain Kontakt aufzunehmen. In den Bergen nützten sie dem großen O'Neill gar nichts.
Andrew erinnerte sich an jenen Boten aus Derry, der ihnen vor einigen Wochen erzählt hatte, wie arg die Engländer dem O'Neill mitspielten. Seit seiner Kapitulation vor vier Jahren demütigte ihn der englische Hof in Permanenz. Große Teile seiner Domänen waren konfisziert und just an seine Feinde - allen voran dem Bischof von Derry und dem Erzbischof von Armagh - zu Lehen gegeben worden. Man hatte ihm das Recht genommen, im Bann und im Lough Foyle zu fischen, und seine katholische Religion durfte er nicht einmal mehr privat ausüben. Hugh O'Neill war ein geschlagener Mann. Und jeder wusste es.
Die Engländer, die ihn offen provozierten, seiner in aller Öffentlichkeit spotteten und ihn rund um die Uhr überwachten, verhafteten willkürlich Bauern in Tyrone, in Fermanagh, in Derry, denen sie einerseits grausame Folter androhten, denen sie aber andererseits auch eine hohe Belohnung in Aussicht stellten, sollten sie gegen den O'Neill aussagen. Dabei war den Engländern relativ egal, welcher Vorwurf gegen den geschlagenen Rebellen erhoben wurde, Hauptsache, er reichte aus, den O'Neill in den Tower zu werfen und ihn für immer verschwinden zu lassen. Noch standen die Menschen von Ulster hinter ihrem Herrn, hatte der Bote berichtet, doch die Phalanx bröckelte: »Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis jemand falsches Zeugnis wider den O'Neill ablegen wird, und sei es auch nur, um sein eigenes Leben zu retten«, hatte der Mann aus Derry damals gestöhnt, und die Nachrichten, die in Dunluce eintrafen, waren seitdem täglich deprimierender geworden.
Und während Andrew und Brendan darüber nachsannen, welchen Weg sie nun einschlagen sollten, kam dem O'Neill zu Ohren, dass König James I. geruht hatte, das Amt des Lordpräsidenten von Ulster, auf welches die O'Neills als altes Königsgeschlecht ein Anrecht besaßen, an den englischen Bluthund Chichester zu verleihen. Damit besaß O'Neills ärgster Feind die volle Jurisdiktion über dessen Ländereien und vor allem über die Menschen, die darauf wohnten. Und schon kamen Boten nach Dunluce, die berichteten, Chichester plane, den O'Neill zu verhaften. Die Soldaten seien bereits im Anmarsch und lagerten in der Nähe von Portrush.
Bewaffneter Widerstand, so wusste der O'Neill, war zwecklos. Er verfügte nicht einmal mehr über 50 Mann, und selbst diese besaßen kaum genug Schwerter, um einen Überfall von Räubern abzuwehren. Eilig sandte der O'Neill daher Männer aus, um die verbliebenen Getreuen auf Dunluce zu versammeln, damit beraten werden könne, wie man sich nun verhalten solle. Die Soldaten waren nur noch einen Tagesmarsch vom Schloss entfernt, doch sie näherten sich nicht. Der O'Neill erfuhr alsbald den Grund für ihr Zögern. Noch war das Schriftstück, das Chichester in sein Recht einsetzte, nicht aus England eingelangt. Erst, wenn der neue Herr von Ulster Brief und Siegel besaß, konnte er den alten in den Orkus stoßen. Dem O'Neill war also eine letzte Galgenfrist gegönnt. Und während er in seinem Schloss rastlos hin und her hetzte, begehrte ein Seemann namens Bath Einlass.
Der O'Neill geruhte, ihn zu empfangen: »Was gibt es, fremder Captain?«
»Euer Sohn Henry schickt mich, Euer Lordschaft«, verbeugte sich der Brite, »er rät Euch dringend, sich den Sachsen zu entziehen und auf den Kontinent zu fliehen, wo Ihr Freunde habt sonder Zahl.«
»Ein O'Neill soll weichen?«, empörte sich der Angesprochene.
»Glaubt mir, Sire, bleibt Ihr hier, so ist's Euer sicheres Verderben. Euer Feind wird spätestens in einer Woche mit dem Siegel des Königs ausgestattet sein und dann gnadenlos verfahren. Im Tower nützt Ihr Eurer Sache nicht - und Eurem Land noch weniger.«
Der O'Neill wurde nachdenklich. Und der Seemann setzte nach: »Euer Sohn hat in Frankreich ein Schiff ausgerüstet, mit welchem ich heimlich an Erins Gestade segelte. Es liegt gegenwärtig am Lough Swilly vor Anker, bereit, Euch aufzunehmen und Euren Feinden zu entwinden.« Dabei verbeugte sich der Seemann abermals.
»Ein Schiff? Wie groß ist es, wie viele Männer kann es aufnehmen?« O'Neills militärischer Instinkt war wieder erwacht.
»Nun, wenn wir die Crew mitrechnen und sparsam mit Proviant und Wasser umgehen, dann werden an die 100 Mann in meinen Kahn passen«, lächelte Bath.
»Wir werden uns beraten«, entschied der O'Neill, »ich habe ohnehin Boten ausgeschickt, um die gegenwärtige Lage gemeinsam einzuschätzen. Dabei werden wir auch den Vorschlag meines Sohnes in Betracht ziehen.« Der O'Neill wandte sich an seinen Diener: »Kümmere dich wohl um meinen Gast. Lass es ihm an nichts fehlen.« Und zum Captain sprach er: »Ruht Euch aus, mein Freund, nach einer solchen Reise bedürft Ihr sicher einer Stärkung. Wir sprechen morgen weiter.«
Andrew und Brendan beschlossen, auf verschlungenen Pfaden nach Derry zu gehen und dort nach Möglichkeiten zu suchen, mit dem O'Neill in Kontakt zu treten. Sie spannten all ihre Kräfte an und eilten über das Moor, Dunkelheit und Nebel als Deckung nutzend. Sie waren die ganze Nacht durchgelaufen und erreichten beim Morgengrauen die Ufer des Lough Melvin. Sie versteckten sich im Schilf und beschlossen, den Tag über zu rasten. Brüderlich teilten sie sich die Seite Speck und sanken noch vor dem Sonnenaufgang in unruhigen Schlummer, bei jedem ungewöhnlichen Geräusch aus dem Schlaf aufschreckend.
Doch ihre Route erwies sich als sicher. Die Engländer vermuteten sie offensichtlich nicht in dieser Gegend. Und so riskierten die beiden am späten Nachmittag die Weiterreise. Wieder marschierten sie die Nacht durch und gelangten im Morgengrauen auf Sichtweite an Donegal heran. Erschöpft ließen sie sich ins Gras sinken. In nur zwei Nächten hatten sie an die 40 Meilen zurückgelegt, und dementsprechend müde fühlten sie sich auch. Ihre Vorräte waren aufgebraucht, ihre Kleidung durchnässt, und alle ihre Glieder schmerzten. Die beiden sahen sich an und wussten, sie hätten alles für eine wärmende Stube und ein kräftiges Glas Ale gegeben.
»Ob wir es wagen können, in die Stadt zu gehen? Eigentlich dürfte uns hier niemand kennen. Und wenn wir die Stadt nach einer kurzen Rast gleich wieder verlassen, so sollten wir nicht zu viel des Risikos auf uns genommen haben«, meinte Brendan. Andrew schnalzte mit der Zunge: »So ein ordentliches Frühstück wäre jetzt wahrlich nicht zu verachten. Aber in Donegal liegt eine englische Garnison. Ist es nicht töricht, dieser förmlich in die Arme zu laufen?«
»Sieh uns einmal an! Sehen wir aus wie irische Edelleute? In dem Gewand muss uns doch jeder für arme Pilger halten, die ihre letzte Münze in ein Gasthaus tragen. Schlimmstenfalls weist man uns als Bettlern die Tür. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Engländer auf die Idee kommen, uns für Rebellen zu halten.«
Andrew dachte an seinen knurrenden Magen und warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Zinnen...
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