Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Tito Tucovic war ein Mann mit entschieden zu vielen Problemen für seinen Geschmack. Die fingen schon bei seinem Namen an. Tito Tucovic! Wer hieß schon so! Zwar konnte sich glücklicherweise kaum noch jemand daran erinnern, dass Dimitrije Tucovic der Begründer des jugoslawischen Marxismus gewesen war, doch der Vorname Tito war im Makedonien des Jahres 2015 Menetekel genug! Sicher, als er 1970 bei seiner Geburt diesen Namen bekam, da beglückwünschte seinen Vater alle Welt zu diesem weisen Entschluss, denn Marschall Tito war das Nonplusultra im damaligen Jugoslawien. Und selbst mit Ende 30 schien Tito noch durchaus anzugehen, gab es doch immer noch kaum eine Stadt in Makedonien, die ohne eine »Marsala Tita« auskam. Doch seit die rechtslastige Nationalistenpartei das Ruder übernommen hatte, war der jugoslawische Staatsmann zur absoluten Unperson geworden - und alle weiteren Namensträger mit ihm. Ebenso gut hätte man im Vatikan auf den Vornamen Satan hören können. Tucovic vermied es daher tunlichst, sich mit vollem Namen vorzustellen und beschränkte sich ganz allgemein auf ein simples »Hauptkommissar Tucovic«, wenn er sich irgendwo zu erkennen geben musste. Denn für einen Polizisten war es im neuen Makedonien doppelt peinlich, an das alte Jugoslawien zu erinnern.
Doch half ihm diese List nur bedingt. Sein Vater, der alte Prvoslav, Polizeioberst in Ruhe, tat überhaupt nichts anderes, als permanent an das alte Jugoslawien zu erinnern. Und so war Tucovic stets der Sohn des »alten Titoisten« - womit sein Vorname dann doch wieder zum Thema wurde.
Und war Tucovic ehrlich zu sich selbst, dann war Vater Prvoslav nicht das einzige Problem in seiner Familie. Seine Mutter wurde nicht müde, sich bei ihm über den Gatten auszuweinen, und die Ehefrau tat es der Schwiegermutter gleich, mit dem Unterschied freilich, dass hier Tochter Liljana Gegenstand des Klagens war. Und Liljana, die sorgte ohnehin dafür, dass Tucovic früh ergraute.
Ergrauen war ein weiteres Stichwort in Tucovics Pandämonium des Schreckens. Er ergraute jeden Tag, wenn er im Präsidium einen Termin bei seinem Vorgesetzten Oberst Stankovski hatte. Jeder in der Polizei von Skopje wusste, dass Stankovski waschechter Serbe war, geboren als Dusan Stankovic. Doch wer im Makedonien des Premiers Gruevski Karriere machen wollte, der besorgte sich besser beizeiten eine makedonische Identität. Hinter vorgehaltener Hand erzählte man sich, Stankovic habe die Umschreibung seiner Personalpapiere nur zwei Flaschen Sliwowitz gekostet - und ein paar plötzlich verschwundene Anzeigen. Fakt jedenfalls war, dass Goce Stankovski so makedonisch war wie Alexander der Große und Zar Samuil - und man einen Dusan Stankovic in keinem Archiv Makedoniens finden konnte. Wenigstens einmal hatte der Mann ganze Arbeit geleistet.
Tucovic wären an diesem Morgen sicher noch mühelos zehn weitere Probleme eingefallen, wenn er nur ein klein wenig mehr Zeit zum Nachdenken gehabt hätte. Doch mit der Zeit war es so wie mit dem Geld. Von beidem hatte er entschieden zu wenig. Eilig richtete er sich seine Krawatte, nahm noch einen Schluck aus der Kaffeetasse - ein weiteres Problem: Wie nannte man den jetzt eigentlich? Türkischer ging schon lange nicht mehr! Serbischer war auch ein No-Go! Heimischer? So nannten sie ihn, so viel er wusste, in Bosnien! Sollte man jetzt Makedonischer sagen? Damit lag man doch eigentlich immer richtig, oder? Egal, die Zeit drängte - und küsste im Vorbeigehen seine Frau auf die Wange, ehe er auch schon durch die Wohnungstür entschwand. Am Weg die Stufen abwärts kramte er in seiner Jackentasche nach den Autoschlüsseln, wobei er innig hoffte, sein Dacia würde ihn an diesem Morgen nicht im Stich lassen. Just da läutete sein Handy.
»Ti . Hauptkommissar Tucovic«, meldete er sich. Na klar, das musste ja so kommen. Stankovski war am Apparat. Es sei zwei vor
8. Wo er denn bleibe! Der Ton wies eine Lautstärke auf, die sich quälend auf Tucovics Trommelfell auswirkte. Er sei unterwegs, der Dacia habe wieder seine Mucken, bemühte Tucovic sein Auto als Sündenbock. Stankovski freilich wollte davon nichts wissen. Er brauche gar nicht erst im Präsidium anzutanzen, sondern solle sich sofort in die Carsia begeben. Kommissar Milosevski sei schon vor Ort. Im Cifte-Hamam habe man eine Leiche gefunden. Die Sache sehe sehr nach Mord aus. Er, Stankovski, erwarte umgehend Bericht. Tucovic brachte gerade noch ein »Jawohl« zustande, dann war die Verbindung auch schon wieder getrennt.
Zu Tucovics Glück nahm ihm der Dacia seine Notlüge nicht übel. Nach einigem Husten und Keuchen sprang der Motor an, und Tucovic lenkte den Wagen aus der Parklücke, wobei er das »Pass doch auf, du Trottel« des gerade noch ausweichenden Ford-Fahrers geflissentlich ignorierte. Er schaltete schnell hoch und bog, begleitet von einem orchestralen Hupkonzert, links ab, dabei sämtliche Spuren querend und das Einbahnschild ignorierend. Er trat das Gaspedal durch, legte krachend den höchsten Gang ein, umkurvte ein paar entsetzte Passanten und kam mit quietschenden Rädern endlich auf die Zufahrtsstraße zum Zentrum.
Zwanzig Minuten nach 8 Uhr hatte Tucovic das Vardar-Ufer erreicht. Er stellte den Wagen nahe dem neu erbauten Archäologischen Museum ab und marschierte an der Figurengalerie der makedonischen Zivilisation vorbei zur steinernen Brücke. Dort bog er rechts ab, umrundete den Springbrunnen und die Kolossalstatue Philipps II. und befand sich endlich am Eingang zum alten Marktviertel. Suchend sah er sich um. Nirgendwo Polizei. Schon gar kein Milosevski. Wo waren die alle? Er wollte schon in seinem Handy nach Milosevskis Nummer suchen, als er sich abrupt die rechte Hand auf die Stirn klatschte. Cifte-Hamam. Das war nicht das Bad am Anfang der Carsia, das war die Gemäldegalerie gegenüber der Murat Pascha-Moschee! Tucovic unterdrückte einen Fluch! Das bedeutete einen weiteren Fußmarsch von gut 10 Minuten. Er konnte nur hoffen, dass nicht nur sein Dacia, sondern auch Milosevski einen guten Tag hatte.
Keuchend erreichte er knapp nach halb neun Uhr den Tatort. Milosevski schickte ihm einen tadelnden Blick, den Tucovic geflissentlich überging. »Was haben wir?«, fragte er stattdessen.
»Eine männliche Leiche. Nackt. Ans Kreuz geschlagen, als wäre er Jesus Christus. Mehr können wir vorerst noch nicht sagen«, fasste Milosevski die bisherigen Erkenntnisse zusammen. »Scheiße«, entgegnete Tucovic.
»Na, so schlimm ist das jetzt auch wieder nicht. Wir .«
»Nein«, wiegelte Tucovic ab, »nicht dein Bericht, die Leiche! Das ist Woronski.«
»Wer?«
»Der Bau-Tycoon! Der halb Skopje umgekrempelt hat. Der, der gerade diesen Protzbau für die Regierungspartei an der Gjuro Strugar errichtet. Der Woronski.«
»Scheiße«, entfuhr es jetzt auch Milosevski. »Eben«, kommentierte Tucovic den Ausruf des Kollegen.
»Sicher?«
»So sicher wie die makedonische Zivilisation!«
»Wir sind im Arsch!«
»Na ja, vielleicht noch nicht ganz. Aber wir müssen auf jeden Fall Stankovski sofort hinzuziehen. Sonst ist das für uns entschieden eine Nummer zu gefährlich.« Tucovic hatte kaum die letzten Worte ausgesprochen, da klebte Milosevski schon an seinem Handy.
Tucovics Personengedächtnis zählte sichtlich nicht zu seinen Problemen. Der Tote war definitiv Boris Woronski, was auch Stankovski, der extra aus dem Präsidium an den Tatort geeilt war, zweifelsfrei feststellte. Die Spurensicherung hatte mittlerweile ihre Arbeit getan, sodass auch für die Ermittler vor Ort nichts mehr zu tun blieb. Stankovski übernahm die Initiative und setzte eine Besprechung in seinem Büro an. Tucovic ertappte sich bei der Frage, warum man dazu eigens ins Präsidium fahren musste, doch andererseits sprach einiges dafür, das dort vorhandene technische Equipment entsprechend zu nutzen.
Es war kurz vor 10, als Stankovski das Wort an die Anwesenden richtete. »Wir haben es hier«, begann er, »mit einer Cause célèbre zu tun, denn Boris Woronski ist . war so ziemlich die wichtigste Person in der heimischen Baubranche. Und damit das auch allen klar ist, habe ich Kollegin Stuparkovski gebeten, Ihnen einen kurzen Überblick über dessen Lebenslauf zu geben.«
Tucovic stöhnte innerlich. Wie klischiert war das denn! Stankovski hatte entschieden zu viel Meterware an TV-Krimis gesehen, denn was brachte es, wenn man wusste, wo das Opfer in die Schule gegangen war. Doch da musste er jetzt wohl durch. Er beschloss, die Ohren auf Durchzug zu stellen und bemühte sich gleichzeitig um einen interessierten Gesichtsausdruck.
»Boris Woronski«, fing Stankovskis Sekretärin an, »wurde 1946 in Stip geboren. Er studierte Maschinenbau in Belgrad und...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.