Schweitzer Fachinformationen
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Henry Drake saß in seinem Büro und war schwer beschäftigt. Seine Kiefer mahlten verkrampft, sodaß er mehrmals Gefahr lief, sich die Zunge, die er immer wieder zwischen die Zähne zu schieben versuchte, abzubeißen. In höchster Konzentration widmete er sich einer Arbeit, bei der höchste Präzision angesagt war. Die linke Hand führte zitternd eine kleine Schere an die rechte. Drake zögerte. Der Schweiß perlte ihm über die Stirn. Jetzt nur nicht nachlassen, dachte er sich. Vorsichtig näherte er die Schere weiter an ihr Ziel. »Jetzt oder nie«, murmelte Drake halblaut und wagte den entscheidenden Schritt. Ein vernehmliches Zipp hallte durch den Raum, und ein weiteres Stück Fingernagel flutschte über den Schreibtisch. Drake hielt die rechte Hand von seinem Körper weg und betrachtete sein Werk. Er war zufrieden: »Na bitte, nur noch drei.«
Plötzlich wurde die Stille durch das Schrillen des Telefons zerrissen. Gewandt hebelte Drake den Hörer von der Gabel: »Drake am Mittwoch.«
»Hi, Andrina hier.«
»Oh, du Sonne meines Lebens, gehst du mir auf?«
»Nein, du gehst mir auf, und zwar auf den Geist, wenn du schon wieder rumsabberst. Hör zu, ich hab' dir was Wichtiges zu zwitschern. Also sperr die Lauscherchen auf und vergiß deine blöde Anmache. Die zieht nicht, zumindest nicht bei mir, capisce?«
»Aye, aye. Ich höre.«
»Gut. Also, merke auf. Oberst Milus steckt in trouble deep. Brenzlige Sache. Und damit du endlich mal wieder was Vernünftiges tust, dachte ich mir, du könntest doch deinen Kadaver in die Schlacht werfen zur höheren Ehre deines glorreichen Namens.«
»Ehre ist ein verwitterter Grabstein, wie .«
»Falstaff so treffend sagt, ich weiß, Henry IV.«
»Mann, das geht mir entschieden gegen den Strich. Gibt es denn überhaupt kein Zitat, das du nicht kennst?«
»Ex oudenos ouden genetai.«
»Hmm?«
»Ex nihilo nihil fit.«
Drake fragte sich, was Andrina mit diesem Streifzug durch tote Sprachen bezweckte, wußte aber, er würde ihr ohnehin nicht das Wasser reichen konnte. Wozu sich also anlegen? »Also«, meinte er daher aufgeräumt, »worum geht's in dieser Sache, die du mir so wort- und geistreich schmackhaft zu machen gedenkst, du kuhäugige Tochter des Aigishalters.«
»Falsch. Kuhäugig war Hera, die Ehefrau von Zeus, die Tochter des Aigishalters ist aber Aphrodite, zum Beispiel. Oder auch Artemis und Athene. Aber die, denke ich, dürften dir ja unbekannt sein.«
Drake beschränkte sich auf resignierendes Seufzen, das Andrina dazu einlud, ihm nun von Slovac und den damit zusammenhängenden Fakten zu erzählen.
»Und was erwartest du in diesem Zusammenhang von mir?«
»Nun, ich dachte, du könntest dich zwanglos unters Volk mischen und ein paar Informationen sammeln.«
»Falls du es vergessen haben solltest, ich bin Engländer. Und England liegt so ziemlich genau am entgegengesetzten Ende von Europa. Was soll ich, bitte schön, von den Jugoslawen wissen? Erklärst du mir das?«
»Das ist ja gerade der Vorteil in der Sache. Jugoslawen mißtrauen unsereinem schon allein aufgrund der historischen Verwicklungen. Aber einem Engländer gegenüber werden sie keine Antipathien entwickeln, weil Jugoslawien und England keine gemeinsame Geschichte haben, sieht man vom Zweiten Weltkrieg ab, aber da waren sie sogar Verbündete. Es wird dir also ein Leichtes sein, auf offene Arme zu stoßen. Du brauchst nur neugierig zu sein und gut zuzuhören. Dann ergibt sich schon alles von selbst.«
»Sagst du. Ich habe ja nicht einmal die elementarste Ahnung von Jugoslawien und seiner Geschichte. Wie sollen die - wer immer mir dann auch gegenübersitzen wird - glauben, daß ich mich für ihr Land interessiere, wenn ich nicht einmal weiß, wie viele Counties es dort gibt, und so?«
»Tja, ein wenig vorbereiten würdest du dich schon müssen. Aber das sollte doch eigentlich eine Challenge für dich sein, oder?«
Drake schwieg verdrossen und erlöste Andrina partout nicht aus ihrer Erwartung. Andrina unternahm nach einigen Momenten der wechselseitigen Stille einen neuen Versuch: »Okay, ich mache dir einen Vorschlag. Der Rechtsanwalt meines Vaters war während des Krieges in Jugoslawien. Wir gehen einfach zu ihm, und du plauderst ein wenig. Ganz harmlos. Nachher kannst du immer noch ablehnen, wenn dich die Sache nicht interessiert. Dann hast du nur einen Abend vergeudet - und guten Sliwowitz getrunken.«
In Drakes Kopf manifestierte sich die Vorstellung, endlich wieder einmal mit Andrina an einem Tisch sitzen zu können, eine Perspektive, die man nicht so leicht verschenken sollte. Noch dazu hatte sie ja recht. Ein gemeinsames Abendessen war unverfänglich, ablehnen konnte er hinterher immer noch.
»Was sollte ich dir schon abschlagen können«, resignierte er in den Telefonhörer, »aber damit«, setzte er mit Nachdruck dahinter, »habe ich noch nicht zugesagt, für dich den Spitzel zu machen. Ich hör' mir die Sache erst einmal an. Ich betone, ich habe mich noch nicht entschieden, daß ich den Fall übernehme. Okay?«
»Geht klar. Komm heute gegen 18 Uhr zu mir. Ich fahre uns dann hin.«
Drake dachte kurz an Andrinas Fahrweise und wollte vorschlagen, sich gleich bei dem Anwalt zu treffen, doch Andrina hatte nach einem kurzen »Ciao« bereits eingehängt. Andererseits, so tröstete er sich, ergab sich vielleicht die Möglichkeit, wieder mal einen unschuldigen Blick auf Linda zu werfen, Andrinas Lebensgefährtin, wobei Drake daran dachte, daß Linda nur sehr selten bekleidet durch die Zimmer huschte. Er sollte einfach ein wenig früher kommen, dann stiegen seine Chancen, ein paar nette Eindrücke zu bekommen, die in seinen einsamen Nächten von Nutzen sein konnten.
Drake riß sich aus dem Grübeln und versuchte, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. Doch die beiden Frauen gingen ihm nicht mehr aus dem Sinn. Beim Ringfinger hätte er sich fast geschnitten. Er blickte auf die Uhr. Es ging hart gegen Mittag. Drei Optionen taten sich daher auf: er konnte sich onanierenderweise Erleichterung verschaffen, Dick anrufen, um einen Happen essen zu gehen, oder seinen neu erworbenen Fernseher anwerfen, um dem Kinderprogramm zu folgen.
»Ohne Mampf kein Kampf«, sagte Drakes innere Stimme. Wenn er nach dem Essen immer noch so geil war, konnte er auch nach dem Mahl masturbieren. Er wählte also Dicks Nummer.
Pochender Husten drang aus der Muschel.
»Mann, Dickie-Boy, hast mal wieder zuviel geladen gestern, was?«
»Ach du bist's«, Dick wurde von einem neuerlichen Hustenanfall zum Schweigen gebracht. Rasselnder Atem drang an Drakes Ohr, dann, laut und vernehmlich das Wort »Scheiße«. Drake hörte entferntes Gepolter, dann Schluckgeräusche. Endlich vernahm er wieder Dicks Stimme: »Was ist los, welchen Tag haben wir heute? Wo bin ich überhaupt, oder, grundsätzlicher formuliert, wer bin ich überhaupt? Hallo, mit wem sprechen Sie? Hallo?«
»Mann, Dick, was ist denn los mit dir? Bist du komplett von der Rolle, oder was?«
Minutenlanges Schweigen, dann: »Dick? Wer zum Teufel ist Dick? . Ach, Dick! Ja, das bin ich. Danke, das wollt' ich nur wissen. Gute Nacht.«
Nachdem Drake für einen Augenblick dem penetranten Tuten zugehört hatte, legte er auf und wählte Dicks Nummer erneut. Endlich wurde abgehoben.
»Verdammt, Dick, krieg dich wieder ein. So kennt man dich ja gar nicht.«
»Ich mich auch nicht. Lange Geschichte, das. Blut, Schweiß, Tränen und so. Ich kann nur eines dazu sagen: Uff!«
»Ich glaube, wir müssen dich wieder auf Vordermann kriegen. Wir sollten Essen gehen«, brachte Drake vorsichtig sein Begehr ins Spiel.
»Essen? Allein bei dem Wort muß ich kotzen. Komm mir bloß nicht mit Essen, Mann. . Oh Gott!«
Nach mehreren »Hualp«-ähnlichen Geräuschen vernahm Drake ein gedehntes »Aaargh«. Dann herrschte Stille am anderen Ende der Leitung.
»Dick?«
Stille.
»Dick!!!«
»Hmmm? Was?«
»Vergiß es. Ich bin in zehn Minuten bei dir. Sieh zu, daß du in der Zwischenzeit nicht abkratzt. Rettung naht, okay?«
Doch Dick war bereits wieder am Sägen.
Drake hatte die Hintertür zu Dicks Pub bereits halb eingetreten, als er schlurfende Geräusche hörte. Ein Schlüssel wurde umgedreht, und die Tür sprang auf. Dick taumelte nur mit einer Altmännerunterhose bekleidet zurück zu seiner Couch. Ein grunzendes Geräusch sollte wohl einen Gruß andeuten. Drake setzte sich auf einen Klappstuhl: »Du bist ja wirklich ziemlich bedient. Soll ich dir einen Kaffee machen?«
»Das . wäre eine nette . Idee. Aber mit der Espresso-Maschine da. . Das Zeug, das ich . in meinem Pub ausschenke, ist . nicht trinkbar«, preßte Dick hervor, »nicht einmal . für einen Engländer.«
Zehn Minuten später hatte Dick die erste Tasse Kaffee in seinem Magen...
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