Schweitzer Fachinformationen
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Die Geschichte der AfD ist eine Geschichte des Streits - er ist für sie jahrelang das Erfolgsrezept. Auf ihrem kurzen Weg hat sie bereits vier Parteichefs verbrannt und das Gründungspersonal auf allen Ebenen weitgehend ausgetauscht. Von karrieristischen Glücksrittern, rechtsextremen Ideologen und erbitterten Lagerkämpfen, die die AfD an die Grenzen des politischen Überlebens führen.
Im Februar 2017 betreten wir ein unscheinbares Bürohaus in einer der Großstädte, die sich zum Ruhrgebiet zusammenballen. Sie scheinen miteinander verwachsen zu sein, ein Meer von Wohngebieten, Industrie-Arealen, Stadtautobahnen, in die Jahre gekommenen Bahnhöfen, stillgelegten Fördertürmen und Einkaufspassagen. Wer hier in der AfD damals ein Amt anstrebt, der gehört meist zu jenen, die es aus ihrem angestammten Leben irgendwie rausschaffen wollten. Raus aus dem Meister-Blaumann, der Arbeiterkluft, dem Anwaltstalar, dem Bankeranzug, raus aus der Welt der Werkstätten, Fabriken, Messen oder Meetings. Raus also aus der etwas angeschmuddelten Kleinbürgerwelt des Reviers.
Mit diesem Gefühl gehen wir damals jedenfalls aus vielen Gesprächen heraus, die wir hier mit Politikern der AfD führen. In einem der oberen Stockwerke des Hauses erwartet uns an diesem Tag ein Mann, der über ein umfangreiches Dossier vertraulicher Parteidokumente verfügen soll, die tiefe Einblicke in das Innenleben der Partei versprechen. Und der, noch besser, sogar gewillt scheint, es mit uns zu teilen.
Die Welt, in der wir ihn treffen, ist uns bei unseren ersten Reisen noch ein wenig fremd. Einige Monate und viele Fahrten später werden uns die Menschen und ihr Umfeld vertrauter sein - und wir werden mit Ortsnamen wie Moers, Mülheim oder Duisburg-Marxloh Gesichter, Geschichten und sogar die Antwort auf die Frage verbinden können, warum uns eigentlich all diese Menschen zu Hause oder in ihren privaten Büros empfangen und Kaffee oder Apfelkuchen servieren wollen. Warum sie mit uns, mit der sogenannten «Lügenpresse» oder den «Mainstreammedien», über «ihre» AfD sprechen wollen.
Das können wir uns zunächst kaum erklären. Wir hören mehr zu, als selbst viel zu sagen. Zum Beispiel, als einer der Parteigründer stundenlang über das «Primat des Politischen» referiert, ohne dass wir jemals vollständig verstehen, was er uns damit eigentlich genau sagen will. Schon leichter können wir seiner Erklärung folgen, dass der rote Pfeil im Logo der Partei einen Phallus repräsentieren solle, der sanft nach oben zeige. Wie die Erfolgskurve der Partei eben, in der er seit den ersten Tagen mitgearbeitet hat.
Reisen wie diese haben uns in den vergangenen Jahren quer durch die Republik geführt, über Autobahnen oder Großstadt- und Regionalbahnhöfe. Sie führten uns zum Beispiel in die sächsische Schweiz, dorthin, wo die Städtchen und Dörfer seit langem in neuem Glanz erblühen - und man sich fragt, woran es den Leuten eigentlich fehlt, dass hier die rechte Protestpartei bei Wahlen schon mal fast jede dritte Stimme und Seele fängt. Andere führten uns an die Grenze zu Österreich, dorthin, wo 2015 Tausende Geflüchtete nach Deutschland unterwegs gewesen sind. Ein Ereignis, das einen Kreisvorsitzenden noch heute so in Rage versetzt, dass er sich in der AfD engagiert, die Deutschland gegen Migranten abriegeln will. Dafür sieht er über viel Chaos in der AfD hinweg. Mitten in Deutschland öffnet uns ein anderer Parteigründer die Tür; er träumt noch immer von der alten AfD und ihrer Eurokritik, die die Partei mehr oder weniger hinter sich gelassen hat, während sie stattdessen bei den Querdenkern auf Stimmenfang geht. Wieder ein anderer, sehr prominenter Politiker aus der AfD erzählt uns Anekdoten aus der Gründungsgeschichte und reicht dazu ein stilles Discounter-Wasser. Als wir ihn fragen, warum in seinem Schaukelstuhl eine lebensgroße Figur aus Pappmaché sitzt, die die Gesichtszüge des italienischen Rechtspopulisten Silvio Berlusconi trägt, macht er uns mit seiner Antwort erst sprachlos und dann schlauer, welche mal rationalen, mal irrationalen Ängste viele in der AfD umtreiben. Der Papp-Berlusconi soll potenziellen Einbrechern vorgaukeln, dass immer jemand zu Hause ist. Eine Vogelscheuche gegen Diebe.
Und da sitzt der für AfD-Verhältnisse Gemäßigte in einem Hamburger Steakhaus, der seit Jahren auf Parteitagen die Sitzungsleitung übernimmt, aber offenbar ignoriert, dass die Rechtsradikalen in der AfD Funktionäre wie ihn immer weiter marginalisieren.
Die Beweggründe, warum die Menschen zur AfD gefunden haben und scheinbar unverbrüchlich an ihr festhalten wollen, sind oft diffus. In all diesen Gesprächen über die Welt- und Gesellschaftssicht der AfDler beginnen wir zu ahnen, worum es vielen in der Partei wirklich geht, und wie sie die vielen Widersprüche miteinander vereinen, die uns quer durchs Land bei diesen Treffen immer wieder begegnen und unvereinbar scheinen. Etwa, wie es vielen von ihnen gelingt, strikt zu trennen zwischen befreundeten und geschätzten Migranten, die sogar zur erweiterten Familie gehören können, und den fremden Geflüchteten und neuen Deutschen. Letztere lehnen sie zutiefst ab, verunglimpfen sie zum Beispiel als «Messermigranten» oder «Goldstücke», die Deutschland in den Untergang führen und die christliche Welt «islamisieren» wollten. Wir tauschen Argumente aus, ohne durchzudringen, zu Themen, über die wir mit der AfD eigentlich nicht sprechen wollen, weil es uns um etwas ganz anderes geht: um die Innenansicht der Funktionäre auf ihre Partei.
Man erzählt uns bei diesen Treffen Geschichten, die nichts mit geistig-moralischer Überlegenheit zu tun haben, sondern eher mit deren Gegenteil: mit Niedertracht. So berichten uns unsere Gesprächspartner von geifernden Auseinandersetzungen zwischen prominenten Parteifunktionären. Anekdoten über angebliche Prügeleien auf Parteitags-Toiletten hören wir uns zwar interessiert und auch manchmal amüsiert an, wissen aber, dass wir darüber nie detailliert berichten werden. Vieles wird uns gesteckt, weil sich der Erzählende etwas davon erhofft. Wir hören trotzdem aufmerksam zu, immer in der Hoffnung auf Informationen, die uns voranbringen könnten bei den Fragen, warum es die AfD überhaupt gibt, warum eine so rechte Partei so viel Erfolg hat und wer sie antreibt und beeinflusst. Ganz besonders interessiert uns deshalb die Spur des heimlichen Geldes. Und so spitzen wir die Ohren, als uns einmal in einer kleinen Bahnhofskneipe zwischen Dartscheibe und Stehtisch beim Bitburger Pilsener mit Tropfdeckchen das Gerücht von einem ominösen Millionen-Koffer zugeflüstert wird. Ob darin Euro, Rubel oder Dollar steckten, vermochte kein Informant zu sagen. Den Koffer soll ein durchaus bekannter AfD-Funktionär 2016 auf der Krim entgegengenommen haben, so hieß es. Russisches Geld für die AfD. Der Russenkoffer wird zu einem Gerücht, über das in der Partei monatelang spekuliert wird, und dem wir und auch einige Kolleginnen und Kollegen anderer Medien lange nachgehen.
Auch wenn die Recherche nicht erfolgreich ist, gehört sie zu jenen, um die es uns geht. Wir wollen tatsächlich belegbaren Verfehlungen, Vorteilsnahmen oder Skandalen auf die Spur kommen, über die man als eingeschworene Gemeinschaft eigentlich nicht sprechen würde. Wir haben uns die AfD als Thema vorgenommen, weil sie die erfolgreichste Parteigründung seit vielen Jahrzehnten ist, einen rasanten Aufstieg erlebt und weil sie unsere Demokratie bedroht, deren Werten wir als Journalisten verpflichtet sind.
Bis heute versorgen uns Menschen aus der AfD immer wieder mit brisanten Informationen und Datenmaterial, obwohl daraus Berichte werden, die vielleicht Einzelnen nützen mögen, der gesamten Partei und ihrem vollmundigen Ziel der «Deutschlandrettung» aber schaden. Warum geben Menschen uns dieses Material überhaupt? Eine Frage, die wir uns selbst auch immer wieder stellen müssen. Es sind Berge interner Berichte aus der Bundestagsfraktion, die uns später mal in einer Aldi-Tüte in einem S-Bahn-Döner-Imbiss am Berliner Stadtrand übergeben werden. Es ist der Briefumschlag mit der Aufschrift «Top Secret», in dem von einem geheimen Netzwerk adliger Reicher in Bayern die Rede ist. Es gibt Kontounterlagen, die plötzlich neben der Salatbeilage auf dem Tisch liegen, und die eine der mächtigsten Frauen der AfD in eine schwere politische Krise stürzen werden, ein Ermittlungsverfahren auslösen und uns durch halb Europa reisen lassen auf der Spur des Geldes. Und dann sind da die 40000 Chatnachrichten der Partei-Elite, die in unserem Mailpostfach landen und die uns so tief wie nie zuvor in die Seele der AfD blicken lassen werden.
Warum diese und andere Informanten aus der AfD Verrat begehen, ist eine Frage, deren Antwort wiederum viel über die Partei verrät. Wir werden ihr im Laufe unserer Recherchen näherkommen, auch schon an diesem Tag im Februar 2017, in dem grauen Bürohaus in der Ruhrpott-Stadt, in dem der Informant mit dem vielen internen Material sitzt. Den Mann mit Seitenscheitel, der uns nun in einem der oberen Stockwerke erwartet und mit geradezu militärischem Gruß empfängt, lernen wir erst an diesem Tag persönlich kennen. Wir wurden ihm von einem Parteifreund zuvor telefonisch vermittelt. Angekündigt hat uns jemand, der mit dem Herrn schon länger gemeinsam Ränke schmiedet. Beide bringen sich wie viele andere in der Partei zu der Zeit für Verteilungskämpfe in Position. Denn in Nordrhein-Westfalen steht eine Landtagswahl bevor, kurz darauf wählt Deutschland den neuen Bundestag. Dem bevölkerungsreichsten Bundesland kommt wie in jeder Partei auch innerhalb der AfD eine große Bedeutung zu - und...
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