1 - Cover [Seite 1]
2 - Zum Inhalt/Zum Autor [Seite 2]
3 - Titel [Seite 3]
4 - Vorwort [Seite 4]
4.1 - Die Reichweite und Art der Veränderung bestimmen die Transformation [Seite 4]
4.2 - Agilstabil: Dynamik und Stabilität dort,wo sie sinnvoll sind [Seite 5]
5 - Danke! [Seite 7]
6 - Inhaltsverzeichnis [Seite 8]
7 - Kapitel 1: Die Evolution der Zusammenarbeit [Seite 13]
7.1 - 1.1 Der Beginn [Seite 14]
7.1.1 - Erste Menschen [Seite 14]
7.1.2 - Garten- und Ackerbau [Seite 14]
7.2 - 1.2 Industrialisierung: Effizienz und Masse [Seite 16]
7.2.1 - Entwicklung durch Zusammenarbeit und Wissen [Seite 18]
7.3 - 1.3 Die Pyramidenorganisation - ein Körper mit Blockaden und Schmerzen [Seite 19]
7.3.1 - Wie kommt man überhaupt in die übergeordnete Position? [Seite 20]
7.3.2 - Informations- und Entscheidungsverzerrung [Seite 21]
7.3.3 - Kapitale Fehlentscheidungen [Seite 22]
7.3.4 - Aber Fehler kann doch jeder machen, oder? [Seite 23]
7.3.5 - Welche Bedeutung hat das, was wir (nicht) wissen? [Seite 24]
7.3.6 - Management ist nicht direkt wertschöpfend, aber teuer [Seite 26]
7.3.7 - Sind es manchmal vielleicht auch egozentrierte Stars? [Seite 26]
7.3.8 - Die Managementpyramide vermittelt eine Eltern-Kind-Logik [Seite 27]
7.3.9 - Können Mitarbeiter überhaupt wichtige Entscheidungen treffen? [Seite 28]
7.3.10 - Kontrollillusion, Drama-Dreieck und ungenutzte Potenziale [Seite 29]
7.4 - 1.4 Warum werden heute die Probleme schmerzhafter und gefährlicher? [Seite 31]
7.4.1 - Kann das Unternehmen es mit der Dynamik aufnehmen? [Seite 33]
7.5 - 1.5 Eine kritische Würdigung der Pyramidenorganisation [Seite 36]
7.6 - 1.6 . und noch ein wenig an der Pyramide herumdoktern [Seite 37]
7.7 - 1.7 Auf dem Weg zu einer Innovationskultur von Mitdenkern und Intrapreneuren in der Managementpyramide? [Seite 38]
8 - Kapitel 2: . und es geht auch anders [Seite 40]
8.1 - 2.1 Neue Wege [Seite 41]
8.1.1 - Soziokratie [Seite 41]
8.1.2 - W. L. Gore [Seite 42]
8.1.3 - Handelsbanken [Seite 44]
8.1.4 - Semco [Seite 45]
8.1.5 - Sich selbst organisierende Teams in der Praxis [Seite 46]
8.1.6 - Agiles Manifest [Seite 47]
8.1.7 - Unternehmensbeispiele nach 2000 [Seite 49]
8.1.8 - Holacracy [Seite 50]
8.1.9 - Reinventing Organizations [Seite 51]
8.1.10 - Neue Formen der Zusammenabeit [Seite 55]
8.2 - 2.2 . einen beweglichen Geist [Seite 58]
8.3 - 2.3 Einige Pionierunternehmen gehen andere Wege [Seite 59]
8.3.1 - apus Software GmbH [Seite 59]
8.3.2 - Gutmann Aluminium Draht GmbH (GAD) [Seite 60]
8.3.3 - Handelsbanken Austria [Seite 61]
8.3.4 - hhpberlin Ingenieure für Brandschutz GmbH [Seite 61]
8.3.5 - ITdesign Software Projects & Consulting GmbH [Seite 62]
8.3.6 - Liip AG [Seite 63]
8.3.7 - Netcentric [Seite 64]
8.3.8 - Ökofrost [Seite 65]
8.3.9 - Premium Cola [Seite 66]
8.3.10 - Tele Haase [Seite 67]
8.4 - 2.4 Eigenschaften von Organisationen mit dezentralen Strukturen [Seite 68]
8.4.1 - Warum das Ganze? [Seite 68]
8.4.2 - Verteilte Entscheidungen und Verantwortung [Seite 72]
8.4.3 - Organische Strukturen [Seite 79]
8.4.4 - Hier und jetzt mit Ausrichtung [Seite 86]
8.5 - 2.5 Eine kritische Würdigung dezentraler Entscheidungs- und Verantwortungsstrukturen [Seite 90]
8.5.1 - Häufige Fragen und Missverständnisse [Seite 92]
8.6 - 2.6 Alles schön und gut, aber sind sie auch wirtschaftlich erfolgreich .? [Seite 95]
8.7 - 2.7 Eine Landkarte der Wege zu einer organischen Struktur [Seite 96]
8.7.1 - Methode versus Eigenentwicklung [Seite 97]
8.7.2 - Struktur versus Kultur [Seite 99]
8.7.3 - Reichweite der Transformation [Seite 102]
9 - Kapitel 3: Bausteine der agilstabilen Organisation [Seite 107]
9.1 - Unterschiedliche Grade von Unsicherheit und Gestaltbarkeit innerhalb einer Organisation [Seite 109]
9.1.1 - Verschiedene Logiken innerhalb eines Unternehmens [Seite 110]
9.2 - 3.1 Verschiedene Grade der Unsicherheit [Seite 113]
9.3 - 3.2 Baustein 1: Menschenbild und informelle Organisation [Seite 114]
9.4 - 3.3 Baustein 2: Richtung und Orientierung? [Seite 118]
9.5 - 3.4 Baustein 3: Organische, flexible Struktur [Seite 120]
9.6 - 3.5 Baustein 4: Lebendiger Anfängergeist [Seite 121]
9.6.1 - Empowerment-Struktur [Seite 122]
9.7 - 3.6 Unterschiedliche Grade von Komplexität gezielt integrieren [Seite 125]
10 - Kapitel 4: Leadership oder geht das Kamel durchs Nadelöhr? [Seite 127]
10.1 - 4.1 WILL jemand grundlegende Weiterentwicklung? [Seite 130]
10.1.1 - Wie kann man Führungseignung beurteilen? [Seite 130]
10.1.2 - Konventionell und postkonventionell [Seite 134]
10.1.3 - Lassen Chefs los? [Seite 135]
10.2 - 4.2 Ja, jemand WILL. Was kommt dann? [Seite 136]
10.2.1 - Methode oder Haltung? [Seite 136]
10.2.2 - Methode und Haltung - Struktur und Kultur [Seite 144]
11 - Kapitel 5: Organisationstransformation und Mindshift [Seite 151]
11.1 - 5.1 Der Veränderungsprozess [Seite 152]
11.1.1 - Warum überhaupt Veränderung? [Seite 152]
11.1.2 - Mit oder ohne externe Unterstützung? [Seite 156]
11.1.3 - Start-up [Seite 157]
11.1.4 - Ausgründung [Seite 159]
11.2 - 5.2 Do's und Don'ts [Seite 160]
11.3 - 5.3 Methoden- oder entwicklungsgetrieben [Seite 162]
11.3.1 - Methodiker - Unterstützer [Seite 162]
11.3.2 - Entwickler - Modellierer [Seite 165]
11.3.3 - Übersetzer [Seite 167]
12 - Kapitel 6: Praktiken agilstabiler Organisationen [Seite 176]
12.1 - 6.1 Der Sinn und Seinszweck der Organisation [Seite 176]
12.2 - 6.2 Das Menschenbild in Bezug auf Mitarbeiter und Stakeholder [Seite 180]
12.2.1 - Persönlichkeitsentwicklung [Seite 184]
12.3 - 6.3 Leadership und Management [Seite 185]
12.3.1 - Geschäftsführung [Seite 189]
12.3.2 - Strategische Planung [Seite 191]
12.3.3 - Regeltreue und Pragmatismus [Seite 192]
12.3.4 - Managen, Führung, Hierarchie und Macht [Seite 192]
12.4 - 6.4 Entscheidungsfindung und Transparenz [Seite 195]
12.4.1 - Beratungsprozess (Advice Process) [Seite 198]
12.4.2 - Mehrheit [Seite 200]
12.4.3 - Konsent [Seite 201]
12.4.4 - Einstimmigkeit [Seite 204]
12.4.5 - Herausforderung breiter aktiver Beteiligung [Seite 205]
12.5 - 6.5 Effizienz und Dynamik [Seite 206]
12.5.1 - "Sowohl als auch" ertragen [Seite 207]
12.5.2 - Effizienz und Dynamik durch verschiedene Logiken in der Organisation [Seite 208]
12.6 - 6.6 Transparenz und Kommunikation [Seite 212]
12.6.1 - Umgang mit Spannungen und Konflikten [Seite 216]
12.7 - 6.7 Eigentümerstruktur und rechtliche Rahmenbedingungen [Seite 218]
12.8 - 6.8 Controlling, Steuerung, Koordination und (Nicht-)Planung [Seite 220]
12.9 - 6.9 Diversität [Seite 225]
12.10 - 6.10 Arbeitsplatz und Arbeitszeit [Seite 226]
12.11 - 6.11 Rekrutierung, Onboarding, Kündigung [Seite 228]
12.11.1 - Recruiting: Erkläre eine andere Welt [Seite 228]
12.11.2 - Onboarding [Seite 232]
12.11.3 - Kündigung [Seite 233]
12.11.4 - Die partnerschaftliche HR-Abteilung [Seite 234]
12.12 - 6.12 Kompetenzentwicklung [Seite 235]
12.12.1 - Selbstgesteuerte Weiterbildung [Seite 237]
12.13 - 6.13 Rollen statt Positionen - Staffing [Seite 238]
12.14 - 6.14?Funktionsentwicklung: Den "Sweet Spot" finden [Seite 241]
12.14.1 - Unterstützung und Coaching [Seite 243]
12.14.2 - Self-Leadership [Seite 245]
12.15 - 6.15 Entgelt [Seite 247]
12.16 - 6.16 Interaktion mit der Unternehmensumwelt [Seite 251]
12.16.1 - Die Wirkung der eigenen Organisation in einem größeren Ganzen [Seite 252]
12.17 - 6.17 Selbstorganisation und integrierter Change [Seite 254]
12.18 - 6.18 Skalierbarkeit [Seite 257]
13 - Kapitel 7: Der Weg zur agilstabilen Organisation und zu verteiltem Leadership [Seite 263]
13.1 - 7.1 Fünf Phasen der Transformation [Seite 264]
13.2 - 7.2 Wo stehe ICH? [Seite 267]
13.3 - 7.3 Geschichte und Status quo von Führung und Organisation [Seite 268]
13.4 - 7.4 WHY? Der Seinszweck der Organisation [Seite 270]
13.4.1 - Purpose Quest [Seite 270]
13.4.2 - Visions-Workshop [Seite 271]
13.5 - 7.5 Evolutive Transformation: Reichweite - Strategie [Seite 271]
13.5.1 - Der Weg zur organischen Struktur [Seite 273]
13.6 - 7.6 Bausteine der agilstabilen Organisation [Seite 277]
13.7 - 7.7 Module des Transformationsprozesses [Seite 279]
13.8 - 7.8 Das agilstabile Unternehmen im Überblick [Seite 286]
14 - Anhang 1: Trainingsprogramm New Work Experience [Seite 288]
15 - Anhang 2: Beispielhafte Szenarien [Seite 290]
15.1 - Szenario Starke Linienstruktur (~ ~ - -) [Seite 290]
15.1.1 - Szenario Krisensituation (! ~ ~ -) [Seite 291]
15.1.2 - Szenario Laissez-faire, kaum strategiegeleitet (~ - - ~) [Seite 292]
15.1.3 - Szenario Vom Leadership angetrieben (~ + - -) [Seite 293]
15.1.4 - Szenario Agile Projekte (+ ~ - +) [Seite 293]
15.1.5 - Szenario Start-up (! + - +) [Seite 294]
16 - Glossar [Seite 295]
16.1 - Agile Teams und Organisationen [Seite 295]
16.2 - Bewusstseinsentwicklung [Seite 296]
16.3 - Holacracy, Holakratie [Seite 297]
16.4 - Kreiskommunikation, Circle Practice [Seite 299]
16.5 - Scrum, Large Scale Scrum [Seite 300]
16.6 - Soziokratie [Seite 300]
17 - Anmerkungen [Seite 303]
18 - Quellen [Seite 308]
19 - Stichwortverzeichnis [Seite 317]
20 - Impressum [Seite 321]
29Kapitel 2
. und es geht auch anders
"Alle sagten: Das geht nicht.
Dann kam eine,
die wusste das nicht und hat's gemacht."
Lebensweisheit
Wohin Sie dieses Kapitel führt
- Immer mehr Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größe organisieren sich in flexiblen, dezentralen Strukturen.
- So unterschiedlich ihre Entstehungsgeschichte und Struktur dabei sind, es können ähnliche Eigenschaften beobachtet werden.
- Die gemachten Erfahrungen lassen sich heute auswerten, um eine Roadmap für den individuell geeigneten Weg zu einer lebendigeren und dynamischeren Organisation zu skizzieren.
- Häufige Eigenschaften sind verteilte Entscheidungen, dezentrale, dynamische Strukturen und eine Ausrichtung auf den Seinszweck des Unternehmens mit Fokus auf das Hier und Jetzt.
Die Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel und die Koordination der Tätigkeiten zu seiner Erreichung können heute auch zeitgemäßer und zielführender gestaltet werden als durch die Managementpyramide. Betrachten wir kurz im Überblick, welche neuen Wege dazu beschritten wurden.
302.1 Neue Wege
Soziokratie1
Der französische Philosoph und Mitbegründer der Soziologie, Auguste Comte prägte 1851 den Begriff "Sociocratie", der später von anderen Autoren aufgegriffen wurde. Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte der niederländische Unternehmer Gerard Endenburg das Konzept der Soziokratie auf Basis der Gedanken seines Lehrers Kees Boeke und dem Prinzip der dynamischen Steuerung, das Endenburg aus der Kybernetik übernommen hatte, erheblich weiter. Boeke, ein niederländischer Reformpädagoge und Quäker, machte Endenburg mit der Art der Entscheidungsfindung der Quäker bekannt, bei der eine einmütige Beschlussfassung angestrebt wird und eine Entscheidung dann erfolgt, wenn es keine Bedenken dagegen gibt.
Endenburg wollte in seinem Unternehmen Endenburg Electrotechniek weder hierarchische noch demokratische Entscheidungen. Deshalb entwickelte er die soziokratische Kreisstruktur. Durch sie soll strukturell sichergestellt werden, dass die Bedürfnisse aller Mitglieder berücksichtigt werden und sich die kollektive Intelligenz der Organisation entfalten kann, wodurch sowohl die Organisation als Ganzes als auch ihre Mitglieder sich individuell entwickeln können sollen. Dabei wirken sogenannte Basiskreise, ein Leitungskreis und der Topkreis der Geschäftsführung zusammen, wobei jeder Kreis Delegierte auf zwei Jahre wählt, die ihn im nächsthöheren Kreis vertreten. "Jede Stimme zählt, jeder ist Teilhaber, so wird das Wissen der Mitarbeiter für die Firma erschlossen. Nicht Position und Titel entscheiden, sondern Argumente. Nicht Macht, sondern Verstand und Expertise. Jede Meinung ist wertvoll. Jeder kann alles werden, jeden Posten besetzen innerhalb der Organisation. Ein ungelernter Arbeiter kann durch Wahl bis in den Topkreis vorrücken."2 Endenburgs Credo lautet: "Die Soziokratie lebt von der Anerkennung des Individuums. Sie kennt keine Gewinner und Verlierer, nur Lösungen."3
Im Gegensatz zur Demokratie werden bei dem Konzept der Soziokratie Entscheidungen nicht durch Mehrheitsvotum oder durch Einstimmigkeit getroffen, sondern nach dem Konsent-Prinzip: Ein Vorschlag kann hier nur durch einen schwerwiegenden und begründeten Einwand blockiert werden. Dadurch werden unsachliche Einflüsse in der individuellen Urteilsfindung, wie Emotionen oder Machtbestrebungen, weitgehend ausgeklammert, die vorgebrachten Überlegungen werden für alle Beteiligten explizit und nachvollziehbar.
"Wer Soziokratie in einer Organisation praktizieren will, muss Macht aufgeben, nicht die Macht seiner Überzeugungskraft, seiner Expertise, sondern die Über-Macht, die ihn trotz Unwissenheit und Inkompetenz unantastbar macht."4 Durch die Strukturen und Entscheidungsprozesse wird gewährleistet, dass die Kraft der Inhalte im Vordergrund steht und nicht der Status der Person, die eine Sichtweise vertritt.
Entscheidungen werden so eher gefördert als verhindert, solange keine triftigen Gründe dagegenstehen. Statt auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurückgeworfen zu werden, weil sich entgegengesetzte Meinungen blockieren, wie es in Demokratien häufig der Fall ist, dominieren die Prinzipien "Good enough for now" und "Safe enough to try".
31Gerard Endenburg wandte ab den frühen 1970er-Jahren die soziokratischen Grundsätze bei Endenburg Elektrotechniek an. Als das Unternehmen 1976 in eine Krise geriet, weil seine Kunden zunehmend in Asien produzieren ließen, wurde die Konsequenz gezogen, 60 Mitarbeiter zu kündigen. Bei einer Versammlung meldete sich der Schlosser Jan de Groot zu Wort und sagte sinngemäß, dass die Bewältigung einer Krise eine Gemeinschaftsaufgabe sei. Daraufhin bemühten sich alle auf ihre Art, neue Aufträge zu akquirieren. Nach sieben Monaten waren die Auftragsbücher voll und es konnte sogar neues Personal eingestellt werden. In der Folge wurden neue Geschäftsfelder erschlossen und das Unternehmen machte Schlagzeilen mit seiner ungewöhnlichen und erfolgreichen Organisationsstruktur. Endenburg gründete 1978 das Sociocratisch Centrum Nederland in Rotterdam. Er hält Vorträge und berät Unternehmen auf der ganzen Welt. Heute sind weltweit eine Reihe von Unternehmen und Organisationen vor allem aus dem Sozial- und Nonprofit-Bereich soziokratisch organisiert, mit einem deutlichen Schwerpunkt in den Niederlanden und den USA.
Viele Jahre später übernahm Brian Robertson, der Mitbegründer von Holacracy5 (siehe Glossar Holacracy), für sein "Betriebssystem" bedeutende Elemente der Soziokratie.
W. L. Gore6
Eine der ersten und auch heute noch unter den internationalen Top-Unternehmen befindlichen Organisationen, die einen neuen und eigenen Weg zur Selbstorganisation gegangen sind, ist W. L. Gore. Ihr Gründer Wilbert "Bill" Gore kündigte 1958 nach 17 Jahren beim Chemieproduzenten DuPont, weil er dort zu wenig Unterstützung fand, um ein Material zu vermarkten, das unter dem Namen Gore-Tex bekannt werden sollte. Zu diesem Zweck gründete er das Unternehmen W. L. Gore. Doch er wollte nicht nur innovative Produkte herstellen und verkaufen, sondern auch ein vollkommen neuartiges Unternehmen schaffen, in dem jede Person inspiriert ihrer Tätigkeit nachgehen und sich frei entwickeln kann. Es sollte hier genau so intensiv das "nächste große Ding" gesucht, wie "das letzte große Ding" kommerziell ausgewertet werden können.
Bill Gore setzte in seinem Unternehmen seine Schlussfolgerungen aus Douglas McGregors Theory X-Theory Y-Konzept7 in die Praxis um. Die sogenannte Theory X entspricht der verbreiteten Annahme, dass Menschen grundsätzlich faul, nicht an ihrer Arbeit interessiert und nur durch äußere Anreize wie Geld zu motivieren seien. Im Gegensatz dazu geht die Theory Y davon aus, dass Mitarbeiter sich selbst motivierende Problemlöser sind, die einen Sinn in der Arbeit finden können. McGregor folgerte, dass beide Theorien, und damit die Menschenbilder einer Führungskraft, immer von der Realität bestätigt werden, egal ob die Führungskraft glaubt, alle kontrollieren zu müssen oder ob sie in die Handlungsfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Menschen vertraut. Bei Theorie X führen Misstrauen und Kontrolle zu geringem Engagement und dem Umgehen von Regeln. Vertrauen in die Menschen nach Theorie Y bewirkt, dass Menschen Verantwortung übernehmen und zusammenarbeiten. Gore wusste, dass viele Führungskräfte ihr Theory X-Management mit ein wenig Theory Y verbrämen. Allerdings kannte er kein 32Unternehmen, das auf dem Theory Y-Menschenbild aufgebaut gewesen wäre. Und genau das wollte er verwirklichen.
So schuf Gore ein Unternehmen, in dem jeder mit jedem offen sprechen kann, in dem es keine traditionellen Manager oder Beaufsichtigung gibt und wo familiäre Kollegialität zwischen den Mitarbeitern herrscht. Dennoch oder gerade deshalb ist das Unternehmen über die Jahre stark gewachsen. Es agiert sowohl profitabel als auch menschlich. Alle dort Tätigen verfolgen in kleinen, sich selbst managenden Teams denselben Grundsatz: "Let's make money and have fun". Weder gibt es eine Managementpyramide noch ein Organigramm. Stattdessen verwendete Gore das Bild einer gitterartigen Netzwerkstruktur. Obwohl das Unternehmen mittlerweile rund 10.000 Mitarbeiter (die "Associates" bzw. Partner oder Teilhaber genannt werden) beschäftigt, verhält es sich immer noch so agil und motiviert wie ein Start-up. Es erwirtschaftet einen Umsatz von rund 3 Milliarden USD jährlich und seit seiner Existenz jährlich Gewinne. Es gibt keine Manager, stattdessen hört man den Begriff "Leader". Zum Leader wird man nicht durch die Beförderung durch einen Vorgesetzten, sondern durch Kollegen, die der Meinung sind, man wäre einer. "Wir stimmen mit unseren Füßen ab. Wenn Sie ein Meeting einberufen und die Leute kommen, dann sind Sie ein Leader"8, sagt dazu ein Mitarbeiter. Durch dieses System des "natural Leadership" kann niemand sicher sein, seine Führungsposition zu behalten, weil einem die Gefolgschaft der Mitarbeiter jederzeit entzogen werden könnte. Dadurch ist sichergestellt, dass...