Schweitzer Fachinformationen
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Da er niemanden mehr hatte, dem er einen Befehl erteilen konnte, hatte Simone Lampo seit einer Weile die Gewohnheit angenommen, sich selber Befehle zu erteilen: So befahl er sich, das Stöckchen in der Hand:
»Simone, daher! Simone, dorthin!«
Seinem Stand zum Trotz erlegte er sich die lästigen Pflichten auf. Bisweilen tat er so, als rebellierte er, um sich dann zum Gehorsam zu zwingen; er stellte also gleichzeitig zwei Gegenspieler auf dem Theater dar und erklärte etwa wütend:
»Nein, das tu ich nicht!«
»Simone, ich prügle dich windelweich. Ich hab' dir gesagt, fahre den Mist ein! Nein? Päng .!« Damit versetzte er sich selber eine mächtige Ohrfeige und fuhr dann den Mist ein.
An dem Tag, an dem er das Grundstück besichtigte, das einzige, das ihm von allen seinen einstigen Ländereien verblieben war (knapp zwei Hektar Bodenfläche, und die vernachlässigt, da niemand sich darum gekümmert hatte), befahl er sich, die alte Eselin zu satteln, mit der er bei der Rückkehr in das Dorf die bemerkenswertesten Gespräche führte.
Die Eselin stellte bald das eine, bald das andere der abgeschabten Ohren auf und schien ihm geduldig zuzuhören, ungeachtet eines gewissen Ärgernisses, das ihr Herr seit einer Weile ihr zufügte und das sie nicht näher hätte beschreiben können: etwas, das im Gehen unter ihrem Schwanzansatz baumelte.
Es war ein henkelloses Weidekörbchen, das mit zwei Schnüren am Schwanzgurt des Sattels befestigt war und unter dem Schweif des armen Tieres hing, zu dem Zwecke, die Mistkugeln aufzunehmen und schön warm und rauchend aufzubewahren, die das Grautier sonst längs der Straße ausgesät hätte.
Alle Leute lachten beim Anblick dieser alten Eselin mit dem für den Bedarfsfall stets bereiten Körbchen. Jedermann im Ort wußte, wie großzügig Simone Lampo einstmals gelebt und wie gering er das Geld geachtet hatte. Jetzt aber war er bei den Ameisen in die Schule gegangen und hatte bei ihnen diesen Kunstgriff gelernt, um auch nicht das bißchen guten Dung zu verlieren, der dem Boden zugute kommen konnte. Ja, so weit war es mit ihm gekommen!
»Komm, Nina, komm, laß dir diese schöne Dekoration da anlegen! Was sind wir denn noch, Nina? Du nichts und ich niemand. Nur dazu gut, die Leute zum Lachen zu bringen. Aber kümmere dich nicht darum. Es bleiben uns daheim noch ein paar hundert kleine Vögel. Tschio-tschio-tschio-tschio . Sie möchten nicht gegessen werden, aber ich esse sie doch, und der ganze Ort lacht. Es lebe die gute Laune!«
Damit spielte er auf eine andere seiner schönen Erfindungen an, die wirklich würdig war, sich zu dem Körbchen unter dem Schwanz der Eselin zu gesellen.
Ein paar Monate zuvor hatte er so getan, als sei er überzeugt, mit Vogelzucht zu neuem Reichtum gelangen zu können, und er hatte die fünf Zimmer seines Hauses im Ort in einen einzigen Käfig verwandelt (weshalb das Haus auch alsbald den Spitznamen »Narrenkäfig« erhielt). Er selbst hatte sich mit den wenigen Habseligkeiten, die den Zusammenbruch seines Vermögens überlebt hatten, und unter Mitnahme sämtlicher Fenster, Fensterläden und Türflügel, in zwei Kämmerchen des Obergeschosses zurückgezogen, während er die Öffnungen der unteren Zimmer mit Drahtgittern versah, damit die Vögel Luft bekämen.
Von morgens bis abends drang, zur Freude der gesamten Nachbarschaft, aus den fünf Zimmern Gezirpe und Gepiepse, Gesang und Gezwitscher, Amselruf und Finkenschlag: ein dauerndes, ohrenbetäubendes Lärmen.
Seit ein paar Tagen aber hatte Simone Lampo die Hoffnung auf einen guten Erfolg dieses Unternehmens aufgegeben, aß jetzt Vögel zu jeder Mahlzeit und hatte draußen, auf dem Grundstück, den ganzen Apparat von Netzen und Stangen wiederum zerstört, mit dem er jene Vögel zu Hunderten eingefangen hatte.
Die Eselin war nunmehr gesattelt; Simone schwang sich auf ihren Rücken und brach nach dem Ort auf.
Nina hätte den Schritt auch dann nicht beschleunigt, wenn ihr Herr sie wütend mit der Peitsche bearbeitet hätte. Sie schien ihm zum Trotz so langsam dahinzutrotten, damit er um so besser seinen traurigen Gedanken nachhängen könne, zu denen, wie er behauptete, das dauernde Kopfnicken, das die Gangart des Tieres bei ihm bewirkte, nicht wenig beitrug. Ja, so war es. Indem er den Kopf hin und her pendeln ließ und dabei von der Höhe des Eselrückens über die trostlosen, mit dem Erlöschen der späten Dämmerung immer düsterer werdenden Felder hinschaute, konnte er gar nicht anders, als sein Unglück zu beklagen.
Ihn hatten die Schwefelgruben ruiniert.
Alle diese Berge, deren Inneres er um vermeintlicher Schätze willen herausgebrochen hatte! In jedem dieser Berge hatte er ein neues Kalifornien zu finden geglaubt. Ein Kalifornien nach dem anderen, da und dort, überall! Schächte bis in die Tiefe von zweihundert, dreihundert Metern, Ventilationsschächte, Dampfmaschinen, Aquädukte, um das Wasser abzuleiten, und eine Unmenge anderer Kosten; das alles um eines dünnen Schwefelflözes willen, dessen Abbau sich zuletzt überhaupt nicht lohnte. Mehrmals hintereinander hatte er diese traurige Erfahrung machen müssen; aber auch der Schwur, sich nie wieder in Unternehmungen dieser Art einzulassen, hatte ihn nicht von neuen Versuchen abhalten können, so lange, bis er an dem Punkte angelangt war, an dem er sich jetzt befand: sozusagen auf der Straße. Die Gattin hatte ihn verlassen, um mit ihrem reichen Bruder zusammenzuleben, und seine einzige Tochter war aus Verzweiflung ins Kloster gegangen.
So war er jetzt allein und hatte nicht einmal eine armselige Magd im Haus - allein und von unaufhörlicher innerer Wut verzehrt, die ihn veranlaßte, alle diese Narreteien zu verüben.
Ja, er wußte genau, daß es Narreteien waren, und er beging sie, um die Leute zu ärgern, die vor ihm gedienert hatten, solange er reich gewesen war, und die ihn jetzt nicht mehr kennen wollten und sich über ihn lustig machten. Alle, alle machten sie sich über ihn lustig und mieden ihn. Nicht einer, der bereit gewesen wäre, ihm zu helfen und zu sagen: »Gevatter, was tut Ihr? Kommt doch her: Ihr wißt zu arbeiten, habt immer ehrlich gearbeitet; begeht nicht länger Narreteien, beginnt mit mir zusammen eine gute Unternehmung!« Nicht einer.
Und in dieser Verlassenheit, in dieser ätzenden und nackten Einsamkeit wurde seine innere Unruhe immer verzehrender, immer verzweifelter.
Was ihn am ärgsten quälte, war die Unbestimmtheit seiner Lage. Jawohl, er war nicht mehr reich, aber er war auch kein Armer. An die Reichen konnte er sich nicht mehr anschließen; doch die Armen wollten ihn nicht als ihresgleichen gelten lassen, besaß er doch noch immer das Haus im Dorf und das Grundstück dort oben. Aber was brachte ihm das Haus ein? Nichts. Steuern brachte es ihm ein. Und was das Grundstück anging, sah die Sache so aus: ein bißchen Korn, als einziger Ertrag, das in einigen Tagen gemäht werden und ihm, wenn es gut ging, gerade genug einbringen würde, um die Abgabe an den Bischof zu bezahlen . Was blieb ihm also zum Essen übrig? Diese armen Vögelchen. Und wie schwer wurde ihm auch das! Solange es sich darum gehandelt hatte, sie zu fangen und einen Handel mit ihnen zu versuchen, der den Leuten Stoff zum Lachen bieten sollte, mochte das noch hingehen; doch jetzt, in den Käfig treten, die Tierchen einfangen, sie töten und essen .
»Vorwärts, Nina, vorwärts! Schläfst du heute abend? Vorwärts!«
Verflucht das Haus und verflucht das Grundstück, die ihn nicht einmal richtig arm sein ließen, arm und verrückt, hier, mitten auf der Straße, ein Armer ohne Gedanken, wie er deren so viele kannte und in seiner Verzweiflung angstvoll beneidete.
Plötzlich hielt Nina mit gespitzten Ohren den Schritt an.
»Wer ist da?« rief Simone Lampo.
Auf der Brüstung einer Straßenbrücke vermeinte er im Dunkel einen ausgestreckten Menschen zu erkennen.
»Wer ist da?«
Der Mann, der dort lag, hob kaum den Kopf und gab etwas wie ein Grunzen von sich.
»Ah, du bist's, Nazzaro? Was treibst du da?«
»Ich warte auf die Sterne.«
»Ißt du sie?«
»Nein, ich zähle sie.«
»Und dann?«
Durch diese Fragen geärgert, richtete Nazzaro sich in sitzende Stellung auf und rief zornig aus seinem dichten, wirren Bart hervor:
»Don Simò, geht, belästigt mich nicht! Ihr wißt wohl, daß ich um diese Zeit keine Geschäfte mehr mache, und mit Euch zu sprechen habe ich keine Lust!«
Mit diesen Worten streckte er sich wieder mit dem Bauch nach oben der Länge nach auf der Brüstung aus und wartete auf die Sterne.
Sobald er vier Soldi verdient hatte, sei es mit dem Striegeln von ein paar Tieren, sei es mit irgendeiner anderen nebensächlichen Verrichtung, wurde Nazzaro sogleich zum Herrn der Welt. Für zwei Soldi Brot und für zwei Soldi Obst. Mehr brauchte er nicht. Und wenn ihm jemand vorschlug, über jene vier Soldi hinaus mit irgendwelcher anderer Tätigkeit eine Lira oder gar zehn zu verdienen, lehnte er ab und antwortete geringschätzig auf seine gewisse Art:
»Ich mache keine Geschäfte mehr!«
Er spazierte dann durch die Felder, längs der Meeresküste oder hoch oben in den Bergen. Überall konnte man ihn treffen, wo man ihn am wenigsten erwartet hätte, barfuß, schweigend, die Hände auf dem Rücken und ein Lachen in den hellen, schweifenden Augen.
»Wollt Ihr nun endlich gehen, ja oder nein?« rief er jetzt, richtete sich von neuem auf der Brüstung in sitzende Stellung auf und wurde immer erboster, als er sah, daß Lampo noch immer...
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