Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
1
Körperorientierte Traumaheilung
Die meiste Zeit meines sechsunddreißigjährigen Lebens habe ich damit zugebracht, das inzwischen angejahrte Puzzle meiner traumatischen jüngeren Jahre zusammenzusetzen. Kaum etwas davon habe ich wirklich in Erinnerung, nur hin und wieder ließen mir näherstehende Angehörige etwas durchblicken. Also nahm ich die Ermittlungen zu meinem Werdegang irgendwann selbst in die Hand. Ich besitze zwar wenig konkrete Kenntnisse darüber, aber wie ich mich fühlte - labil, verunsichert, verängstigt und wie von allem abgekoppelt -, habe ich noch in lebhafter Erinnerung. Als diese Gefühle auch beim Eintritt ins Erwachsenenalter nicht verschwanden, ging mir auf, dass der Eindruck, »nicht liebenswert« zu sein, irgendwie ungesund und nicht normal war. Das stand am Beginn meiner beharrlichen Recherche. Ich wollte wissen, wer diese Britt in jüngeren Jahren eigentlich war und wodurch sie das wurde, was inzwischen aus ihr geworden war.
In diesem Buch möchte ich erzählen und behutsam ausloten, was ich herausgefunden habe und welche Besonderheiten meine Geschichte hat. Zunächst werde ich jedoch erst einmal kurz die Jahre meines Heranwachsens umreißen und dabei darstellen, wie sie mich aus jetziger Sicht geprägt haben.
Die harte Landung
Ich bin 1988 im Sharp Grossmond Hospital in Südkalifornien zur Welt gekommen. Eigentlich hätte es ein unvergesslicher Tag werden sollen, ein Freudentag, doch daraus wurde nichts. Ich hatte Methamphetamin im Blut, weshalb man mich meiner Mutter sofort wegnahm, um mich in Pflege zu geben. Und mein Vater? Der hatte nicht das Verlangen, irgendeine Rolle in meinem Leben zu spielen. Meine Mutter habe ich zwar wiedergefunden, aber damit war nicht automatisch alles in schönster Ordnung. Die Saat der Wertlosigkeit und Verlassenheitsangst war in mir aufgegangen. In meinen frühen Jahren war ich unsicher und mir selbst fremd, und damit begann mein Hang zu Co-Abhängigkeit und beschwichtigendem Verhalten, womit ich mir Anerkennung zu sichern versuchte.
Jahre später brach diese Wunde wieder auf, als mein Bruder bei einem Autounfall jäh aus dem Leben gerissen wurde. Wir waren beide Teenager. Ich verlor jeglichen Halt. Und in dem Bemühen, das Unerträgliche irgendwie erträglicher zu machen, verfiel ich dem Konsum von Alkohol und Drogen. Dieser Selbstrettungsversuch zur Überwindung des Kummers hätte mich beinahe das Leben gekostet, als ich mit einer schweren Alkoholvergiftung im Krankenhaus landete. Aber ich wollte leben und suchte danach Hilfe bei den Anonymen Alkoholikern, denn war nicht der Alkohol das Problem, wie meine Therapeuten sagten?
Zwei Jahre später, ich war zwanzig, wurde ich von einem wildfremden Mann, der mir nach einer Reifenpanne beim Radwechsel geholfen hatte, brutal vergewaltigt und geschlagen. Mit meiner Aussage konnte ich zwar dazu beitragen, dass er für sechzig Jahre hinter Gitter kam, aber der zwei Jahre dauernde öffentliche Prozess mit all seinen Peinlichkeiten vergrößerte meine Traumatisierung noch. Ich fiel in mein altes Muster der Schmerzbetäubung zurück und trank so unmäßig, dass ich keine dreißig Tage nach der Urteilsverkündung auf dem Betonboden einer Ausnüchterungszelle aufwachte (dazu kommen wir noch im Detail), so voller Wut und Verzweiflung, dass ich mich nicht wiedererkannte.
Es heißt ja, dass man erst ganz unten ankommen muss, bevor man sich zu den notwendigen Veränderungen durchringt, und ganz unten waren bei mir eben diese gut vier Quadratmeter Zellenboden.
Da saß ich nun und hatte nichts anderes im Gepäck als das Unbehagen, das ich mir all die Jahre vom Leib zu halten versucht hatte. Keine Pillen, kein Alkohol, kein Chaos, keine zerrütteten Verhältnisse, die mich hätten ablenken können, nur ich und meine Gefühle allein in einem Käfig. Ich fühlte mich wie ein Dampfkochtopf, der gleich explodieren würde. Die ganze Wut, der Kummer, die Scham, die Angst, all das krachte in heftigen Wellen auf mich herunter. Ich zitterte und schlotterte, dann wieder weinte und wütete ich oder jammerte und stöhnte. Es waren Entladungen des Körpers, wie ich später erfuhr, ein Lösen und Freisetzen von aufgestauter Überlebensenergie (Adrenalin) der Vergangenheit. Ich war vollkommen erstaunt darüber, dass ich da lebend wieder herauskam, und noch erstaunlicher fand ich, dass ich mich erleichtert und so viel besser fühlte.
In diesen paar Tagen stellte sich durch die Freisetzung und Verarbeitung jahrelanger Schmerzen eine Klarheit ein, die ich noch nicht erlebt hatte. In diesen kristallklaren reflektierenden Augenblicken erkannte ich, dass ich wie mein Peiniger hinter Gittern saß. Vielleicht hatten wir mehr miteinander gemein, als mir anfangs bewusst war. Die Verteidigung hatte im Laufe des Prozesses immer wieder seine traumatischen frühen Jahre herausgestellt. Er war als eines von fünfzehn Kindern von einer Tante großgezogen worden, verfügte über wenig Schulbildung und hatte mit körperlichen und psychischen Problemen zu kämpfen. Offenbar hatten wir beide schlechte Karten und standen beide vor derselben Wahl, nämlich unsere Schmerzen für Verbesserungen zu nutzen oder ihretwegen zu verbittern. Er hatte seine Wahl getroffen und würde nun die nächsten sechzig Jahre im Gefängnis verbringen. Und wie war es bei mir? Auf der schiefen Bahn war ich anscheinend auch schon, doch jetzt musste ich entscheiden, ob mein Leben wirklich diesen Verlauf nehmen sollte.
Nach drei Tagen im Gefängnis stand mein Verfahren an, und ich sah mich einer Richterin gegenüber, die ich von meinem Vergewaltigungsprozess her kannte. Ihre Worte prägten sich mir unauslöschlich ein: »Wir lassen die gegen Sie gerichteten Beschuldigungen fallen, aber«, und hier legte sie eine bedeutsame kleine Pause ein, »Sie müssen mit Ihren Schmerzen zu leben lernen.«
Mit den Schmerzen leben lernen. Das war der Wendepunkt, da fügte sich alles zusammen. Sie hatte nichts von Überwinden und Neubeginn gesagt. Mit dem Schmerz leben. So einfach.
In diesem Augenblick wurde mir klar, dass ich nicht mehr weglaufen konnte und dass der Weg der Betäubung und des Ausweichens und des geringsten Widerstands letztlich destruktiver war als die Alternative, mich den Schmerzen der Vergangenheit zu stellen. Es war an der Zeit, die Waffen zu strecken und den immer dicker gewordenen Panzer abzulegen. Nur so würde ich Selbstmitgefühl und Widerstandskraft entwickeln, um die Heilung zu erhalten, die mir wirklich zustand.
Das fehlende Puzzleteil - der Körper
Bis dahin hatten meine Genesungsbemühungen darin bestanden, dass ich hinter geschlossenen Türen zugeknöpften Therapeuten gegenübersaß, die unbedingt wollten, dass ich mir alle quälenden Augenblicke meiner gut zwanzig Traumajahre in Erinnerung rief und noch einmal durchspielte. »Konfrontative Therapie« nannten sie das, alles musste minutiös erinnert und aufgewärmt werden. Wir redeten bis zum Abwinken und blieben immer auf der Überholspur der Story, Gedanken, Bedeutungen und Erkenntnisse. Nur selten wurden wir mal langsam genug, dass auch Gefühle auftauchen konnten. Mein Körper fühlte sich die ganze Zeit wie eine Tretmine an, die bei der geringsten Belastung in die Luft gehen würde. Traten belastende Gefühle auf oder empfand ich sogar Missbehagen, waren meine Therapeuten sofort zur Stelle und forderten mich auf, an »etwas Positives« zu denken. Doch dadurch wurde die Ladung nicht entschärft.
Meine Therapeuten hatten die besten Absichten, aber wenn die Sitzungen zu Ende waren, fühlte ich mich reservierter, angespannter und hoffnungsloser als zuvor. Je mehr ich redete, desto weniger kam ich in Fluss. Ich bekam nichts an die Hand, womit ich irgendetwas gegen das überwältigende Unbehagen meines Körpers hätte tun können. Wut, Trauer, Angst, Enge, Dissoziation und so weiter blieben einfach unbearbeitet, und zur Überbrückung gab es einen Medikamentencocktail, den man mir aufgrund meiner vielen Diagnosen verordnete. Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Angststörung, Depression, posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und dergleichen. Es war ein Teufelskreis, und ich begann, an der Medizin und auch an mir selbst zu zweifeln. Es musste sich etwas ändern. So viel war klar.
Die heilsame Erfahrung in der Ausnüchterungszelle hatte ich noch in lebhafter Erinnerung, und so fasste ich den Entschluss, meine Genesung selbst in die Hand zu nehmen. Ich machte mich daran, die Spuren, die meine Traumata hinterlassen hatten, zu erforschen. Schon bald stieß ich auf überzeugende, in der Mainstream-Medizin wenig beachtete Indizien dafür, dass man zur Heilung erst einmal aus dem Kopf und der Story in den Körper gelangen muss. Das war für mich quasi eine Revolution. Hieß das etwa, dass es gar nicht ums Reden, sondern ums Fühlen ging? Die Forschung befasst sich schon seit Jahrzehnten mit Traumatisierung und ihren Folgen, und ich konzentrierte mich auf drei Ansätze, die mir bedeutsam erschienen:
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.