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Selina nahm ein Taxi zurück nach Queen's Gate, lief die Treppen hoch, stürmte in die Wohnung und rief nach Agnes.
«Ich bin hier, in der Küche», antwortete Agnes.
Als Selina in der Küchentür erschien, war Agnes gerade dabei, Teeblätter in eine Kanne zu füllen. Sie war eine kleine, alterslose Person, und Selina wusste, dass ihr leicht säuerlicher Gesichtsausdruck lediglich als Schutz gegen die Tragödien des Lebens diente. Agnes hatte das gütigste Herz der Welt und ertrug es kaum, all den Kummer und das Leid, von dem sie hörte, nicht lindern zu können. «Diese armen Äthiopier», pflegte sie zu sagen und setzte ihren Hut auf, um loszugehen und eine Spendenanweisung in Auftrag zu geben, meistens über mehr, als sie sich leisten konnte. Während der Kampagne «Gegen Hunger in der Welt» hatte sie sieben Tage auf ihr Mittagessen verzichtet und schrecklich unter der daraus folgenden Müdigkeit und Magenverstimmung gelitten.
Die Wohnung in Queen's Gate war bereits verkauft; wenn Rodney und Selina nach ihrer Hochzeit in die neue Wohnung einzogen, würde Agnes mit ihnen kommen. Es war gar nicht einfach gewesen, sie dazu zu bewegen. Sicher würde Selina die alte Agnes nicht im Weg haben, sondern ihr neues Leben ganz von vorn beginnen wollen . Selina hatte versichert, nichts liege ihr ferner. Nun, aber Mr. Ackland . Für ihn wäre es doch, als hätte er seine Schwiegermutter in der Wohnung! Selina sprach mit Rodney, der Agnes vorläufig beruhigen konnte. Doch dann behauptete sie plötzlich, sie sei zu alt, um noch einmal umzuziehen, also zeigten sie ihr die neue Wohnung. Wie sie es vorausgesehen hatten, war Agnes entzückt von der Helligkeit und dem Komfort, der sonnendurchfluteten Einbauküche und dem kleinen Wohnzimmer, das ihr ganz allein gehören würde, mit Blick auf den Park und einem eigenen Fernseher.
Immerhin, sagte Agnes sich tapfer, würde sie mit ihnen gehen, um ihnen zu helfen. Sie würde arbeiten. Und bald würde sie zweifellos wieder eine Nanny sein, mit einem neuen Kinderzimmer, über das sie herrschen konnte, und einer neuen Generation von Babys, ein Gedanke, der von neuem all ihre verborgenen Mutterinstinkte weckte.
Jetzt stand Selina in der Tür, mit rosigen Wangen vom schnellen Laufen, und ihre blauen Augen glänzten wie Glas. Agnes runzelte die Stirn. «Du bist schon früh zurück. Ich dachte, du wolltest die Böden ausmessen gehen. Stimmt irgendetwas nicht, Liebes?»
Selina legte ihr Buch auf den geschrubbten Tisch zwischen ihnen. Sie schaute Agnes direkt in die Augen und fragte: «Hast du diesen Mann schon einmal gesehen?»
Agnes' Reaktion war mehr als befriedigend. Sie riss erschrocken den Mund auf, ließ den Teelöffel fallen und sank auf den blauen Stuhl. Selina erwartete halb, dass sie sich ans Herz fassen würde. Sie beugte sich über den Tisch. «Nun, Agnes?»
«Oh», stieß Agnes hervor. «Oh, wie du mich erschreckt hast!»
Selina war unnachgiebig. «Du hast ihn schon einmal gesehen, nicht wahr?»
«Oh, Selina . Wo hast du . Woher wusstest du . Wann hast du .» Sie war unfähig, eine Frage zu stellen oder einen Satz herauszubekommen. Selina zog einen zweiten Stuhl heran und setzte sich ihr gegenüber.
«Es ist mein Vater, nicht wahr?» Agnes sah aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. «Ist das sein Name? George Dyer? War das der Name meines Vaters?»
Agnes riss sich zusammen. «Nein», antwortete sie. «Nein, so hieß er nicht.»
Selina sah enttäuscht aus. «Wie hieß er dann?»
«Gerry . Dawson.»
«Gerry Dawson. G.D. Dieselben Initialen. Dasselbe Gesicht. Es ist ein Pseudonym. Ganz klar, es ist ein Pseudonym.»
«Aber, Selina . Dein Vater wurde getötet.»
«Wann?»
«Gleich nach der Invasion Frankreichs durch die alliierten Truppen.»
«Woher weißt du, dass er getötet wurde? Wurde er vor Augenzeugen in die Luft gesprengt? Starb er in irgendjemandes Armen? Wissen wir mit Sicherheit, dass er tot ist?»
Agnes fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. «Er wurde vermisst. Galt als verschollen.»
«Dann wissen wir es also nicht mit Sicherheit», sagte Selina, von erneuter Hoffnung erfüllt.
«Wir warteten drei Jahre, und dann wurde er für tot erklärt. Sie informierten deine Großmutter, weil Harriet . Nun, das weißt du. Sie starb bei deiner Geburt.»
«Hatte mein Vater keine Verwandten?»
«Jedenfalls keine, von denen wir wussten. Das war einer der Gründe, warum deine Großmutter gegen ihn war. Sie sagte, er käme aus keiner guten Familie. Harriet lernte ihn auf einer Party kennen; sie war ihm nie offiziell vorgestellt worden. So etwas gefiel deiner Großmutter überhaupt nicht.»
«Du liebe Güte, Agnes, es war Krieg! Und das schon fünf Jahre! Hatte Großmutter das nicht bemerkt?»
«Nun, vielleicht, aber sie hatte ihre Vorstellungen und Prinzipien, an denen sie festhielt. Daran ist nichts auszusetzen.»
«Schon gut. Meine Mutter verliebte sich jedenfalls in diesen Mann.»
Agnes nickte. «Hoffnungslos.»
«Und sie heirateten.»
«Ohne Mrs. Bruces Zustimmung.»
«Und hat sie Harriet verziehen?»
«O ja, sie war nicht nachtragend. Und Harriet kam ja sowieso zurück, um hier zu leben. Siehst du, dein Vater wurde nach . nun, in jenen Tagen sagte man geschickt. Doch in Wirklichkeit wurde er nach Frankreich abkommandiert, zwei Tage nach der Invasion durch die Alliierten. Bald darauf fiel er. Wir haben ihn nie wiedergesehen.»
«Also waren sie verheiratet .»
«Drei Wochen lang.» Agnes seufzte. «Aber sie hatten die Flitterwochen, und sie waren eine Zeitlang zusammen.»
«Und meine Mutter war schwanger», sagte Selina. Agnes schwieg schockiert. Sie war es immer noch nicht gewohnt, dass Selina solche Worte gebrauchte, geschweige denn, dass sie sich in diesen Dingen auskannte.
«Nun ja.» Das Gesicht auf dem Buchumschlag weckte ihre Aufmerksamkeit. Sie rückte das Buch gerade und betrachtete den seltsamen Glanz in den dunklen Augen. Braun waren sie gewesen. Gerry Dawson. War es wirklich Gerry Dawson? Er sah jedenfalls genauso aus. Oder zumindest so, wie er heute ausgesehen hätte, wenn er damals nicht gefallen wäre.
Langsam kehrten die Erinnerungen zurück, und nicht alle waren schlecht. Er hatte Harriet einen Glanz und eine Vitalität gegeben, die Agnes bei ihr nie vermutet hätte. Mit Agnes hatte er ein bisschen geflirtet und ihr eine Pfundnote zugesteckt, wenn niemand hinschaute. Sicherlich nichts, worauf Agnes stolz sein musste, aber es hatte trotzdem ein bisschen Freude gemacht. Ein bisschen Freude, als das Leben ganz besonders freudlos war. Ein männlicher Wind, der durch den reinen Frauenhaushalt wehte. Nur Mrs. Bruce war gegen seinen Charme immun geblieben.
«Er ist ein Habenichts», hatte sie erklärt. «Das sieht man sofort. Wer oder was ist er denn schon? Nimm die Uniform weg, und es bleibt ein gutaussehender Herumtreiber übrig. Ohne Verantwortungsbewusstsein. Ohne einen Gedanken an die Zukunft zu verschwenden. Was für ein Leben kann er Harriet bieten?»
Natürlich war sie in gewisser Hinsicht eifersüchtig. Es gefiel ihr, das Leben anderer Leute zu bestimmen, ein strenges Auge darauf zu halten, wie sie sich benahmen und wie sie ihr Geld ausgaben. Sie hatte vorgehabt, selbst einen Mann für Harriet auszusuchen. Doch Gerry Dawson besaß bei all seinem Charme eine Persönlichkeit und Willensstärke, die der ihren ebenbürtig war, und er hatte die Schlacht gewonnen.
Später, nach seinem Tod, und nachdem auch Harriet, die nicht mehr hatte leben wollen, gestorben war, sagte Mrs. Bruce zu Agnes: «Ich werde den Namen des Babys von Dawson in Bruce umändern lassen. Ich habe bereits mit Mr. Arthurstone darüber gesprochen. Es scheint mir das Nächstliegende zu sein.»
Agnes war anderer Meinung. Doch sie hatte es noch nie gewagt, mit Mrs. Bruce zu streiten. «Ja, Madam», hatte sie erwidert.
«Und, Agnes, es wäre mir lieb, wenn sie aufwüchse, ohne etwas von ihrem Vater zu erfahren. Es würde ihr nichts nützen, und es könnte sie sehr verunsichern. Ich verlasse mich auf dich, Agnes; du wirst mich sicher nicht enttäuschen.» Das Baby auf ihrem Schoß, hatte sie Agnes über Selinas mit zartem Flaum bedeckten Kopf hinweg angesehen.
Nach einer kleinen Pause hatte Agnes wieder «Ja, Madam» gesagt und war mit einem kurzen kühlen Lächeln belohnt worden. Mrs. Bruce hob Selina hoch und legte sie in Agnes' Arme. «Ich fühle mich jetzt viel wohler», sagte sie. «Danke, Agnes.»
«Du glaubst, es ist mein Vater, nicht wahr?», fragte Selina.
«Ich bin mir nicht sicher, Selina, und das ist die Wahrheit», beteuerte Agnes.
«Warum hast du mir nie seinen Namen verraten?»
«Ich hatte es deiner Großmutter versprochen. Jetzt habe ich mein Wort gebrochen.»
«Du hattest keine andere Wahl.»
Agnes kam ein Gedanke. «Woher weißt du überhaupt, wie er aussah?»
«Ich habe ein Foto gefunden, vor Jahren. Ich habe es keinem von euch erzählt.»
«Du wirst nichts . nichts unternehmen?» Agnes' Stimme zitterte allein schon bei dem Gedanken daran.
«Ich könnte ihn suchen», erwiderte Selina.
«Wozu soll das gut sein? Selbst wenn er dein Vater wäre.»
«Ich weiß, dass er mein Vater ist. Ich weiß es einfach. Alles deutet darauf hin. Alles, was du mir erzählt hast. Alles, was du gesagt hast .»
«Und wenn er es ist, warum ist er dann nach dem Krieg nicht zu Harriet zurückgekehrt?»
«Was wissen wir denn? Vielleicht war er verwundet, hatte sein Gedächtnis verloren. So was ist vorgekommen, weißt...
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