Kapitel 1 - Jenna
»Auf deine Rückkehr nach Blossomville!«
Das Klirren, als Jenna Mayfields Glas gegen das ihrer besten Freundin Becca stieß, zauberte ihr ein Lächeln ins Gesicht. Die beiden Frauen tranken einen Schluck von ihren Cocktails, bevor sich Jenna mit einem zufriedenen Seufzen gegen die Rückenlehne der Sitzbank sinken ließ. Sie hatte das hier vermisst. Gemeinsame Abende mit ihrem Lieblingsmenschen, stundenlange Gespräche über alles und nichts in einer entspannten Atmosphäre - und ihre Heimatstadt Blossomville. Das kleine, idyllische Örtchen mitten im US-Bundesstaat Vermont, in dem sie aufgewachsen war und ihre Kindheit und Jugend verbracht hatte, bevor sie für das College nach Texas gezogen war.
Sie hatte sogar das Roots and Herbs vermisst, die einzige Bar der Stadt, in der sie und ihre beste Freundin gerade an ihrem Stammplatz von früher saßen und gemeinsam ihre Rückkehr feierten. Zufrieden sog Jenna das Ambiente der Bar auf. Die dunklen Holztische, den Geruch nach Frittiertem, der in der Luft hing, und das Lachen, das von den Leuten um sie herum erklang. So dankbar sie für die Erfahrungen war, die sie die letzten Jahre über gesammelt hatte, so sicher hatte sie seit ihrem Weggang aus Blossomville gewusst, dass sie eines Tages zurückkehren würde. Eine wohlige Wärme breitete sich in ihrem Inneren aus. Sie fühlte sich endlich wieder zu Hause.
Becca schlürfte genüsslich an ihrem Virgin Strawberry Margarita, ehe sie das Glas vor sich abstellte und erwartungsvoll ihr Kinn auf den Händen abstützte.
»Jetzt erzähl mal. Ich möchte jedes Detail wissen. Wie war es die letzten Wochen über bei deinem Vater in Kolumbien?«
Jenna lachte. »Du meinst, die ungefähr dreitausend Telefonate, in denen ich dir von meinem Besuch bei ihm berichtet habe, sind dir noch nicht genug?«
»Also bitte.« Becca schüttelte gespielt tadelnd den Kopf. »Kann es jemals genug sein, von der Weltreise seiner besten Freundin zu hören?«
Ein Lächeln umspielte Jennas Mundwinkel. Becca übertrieb maßlos. Eine Weltreise waren die letzten zwei Jahre nicht gewesen, auch wenn sie in dieser Zeit in vier verschiedenen Ländern gelebt und dort in Hotels gearbeitet hatte. Damit hatte sie sich einen großen Traum erfüllt: Inspiration zu sammeln, um ein eigenes Haus zu führen. Und zwar genau hier. Im wunderschönen Blossomville. Ihrer Heimat.
»Becks, es gibt niemanden, den ich mit meinen Reisegeschichten lieber langweile als dich.«
Ihre beste Freundin verzog das Gesicht. »Also erstens: Du langweilst mich nie. Eine von uns beiden muss schließlich auf große Abenteuerreise gehen und etwas erleben. Der Job gebührt eindeutig dir, denn ich liebe meine kleine, feine Komfortzone hier viel zu sehr. Und zweitens: Danke für das spontane Zurückwerfen in unsere Highschool-Zeit. Becks? Wirklich? Du weißt doch, wie sehr ich diesen Spitznamen von früher hasse.«
Jenna entschlüpfte ein Lachen, weil Becca übertrieben empört mit den Augen rollte. »Entschuldige, ich habe deine Abneigung gegen diesen Namen vollkommen verdrängt. Ich verspreche dir hoch und heilig, dass es nicht noch einmal vorkommen wird.« Um ihre Worte zu unterstreichen, legte sie eine Hand auf ihr Herz und hob die andere wie zum Schwur an. »Verzeihst du mir noch einmal, meine liebste und älteste Freundin?«
Becca schürzte die Lippen und betrachtete Jenna einige Sekunden lang betont abschätzend. Dann brachen die beiden in schallendes Gelächter aus.
»Na gut, na gut. Es sei dir verziehen«, brachte Becca schließlich mit einem Grinsen hervor. »Aber das liegt einzig und allein daran, dass du nicht nur seit dem Kindergarten meine Lieblingsnervensäge bist, sondern seit Neuestem auch meine Lieblingsmitbewohnerin.«
»Hört, hört.« Jenna blinzelte ihr zu. »Dabei bin ich doch erst heute bei dir eingezogen.«
»Und hast bisher weder das Badezimmer unter Wasser gesetzt noch die Küche in Brand gesteckt. Damit sind all meine Ansprüche erfüllt«, antwortete Becca mit einem Schulterzucken. Sie verlieh ihrer Stimme dabei einen so trockenen Tonfall, dass die beiden Frauen erneut einen Lachanfall bekamen.
Kurz darauf knüpfte Jenna wieder an ihr Gespräch an. »Jetzt mal im Ernst. Danke, dass du mir das zweite Schlafzimmer in deiner Wohnung überlässt.«
»Es ist jetzt unsere Wohnung. Und was soll ich sagen? Ich kann mir keine bessere WG-Partnerin als dich vorstellen.« Becca griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand und drückte sie einmal fest, was Jenna zum Lächeln brachte. Dann lehnte sie sich zurück und nippte an ihrem Cocktail. »Nur bei Männerbesuchen wäre eine kurze Vorwarnung gut. Die Wohnung ist zwar toll, aber die Wände sind nicht besonders dick.«
»Da hast du nichts zu befürchten.« Jenna gluckste. »Mein Fokus liegt voll und ganz auf meinem Berufsleben. Ein Mann hat neben der Leitung einer Pension keinen Platz.«
Kurz zuckten ihre Erinnerungen zu ihrem Ex-Freund Marc, doch sie schob den Gedanken an ihn schnell beiseite.
»Apropos.« Becca nahm einen weiteren Schluck von ihrem Cocktail. »Wie ist denn bei der Pension der aktuelle Stand?«
»Die Verträge stehen kurz vor der Unterzeichnung. Morgen treffe ich mich dafür mit Mrs. und Mr. Marlowe.«
Wie von selbst hoben sich Jennas Mundwinkel zu einem Lächeln. Die Marlowes betrieben seit über dreißig Jahren die einzige Pension in Blossomville. Als sie vor wenigen Monaten auf einer der regelmäßig stattfindenden Stadtversammlungen verkündet hatten, sich allmählich in den Ruhestand verabschieden zu wollen, hatte Becca ihr sofort Bescheid gegeben, und Jenna war mit ihnen in Kontakt getreten.
Mehrere Telefonate und Videocalls später war es ihr tatsächlich gelungen, den Zuschlag zu erhalten. Weshalb sie sich ab Anfang des kommenden Jahres offiziell als Pensionsbesitzerin bezeichnen durfte. Zumindest, sobald die Verträge unterschrieben waren. Bis dahin hatte sie mit den Marlowes vereinbart, dass sie schon in die Geschäfte hineinschnuppern durfte und von ihnen in aller Ruhe an die Leitung des Hauses herangeführt wurde.
Sie seufzte leise, während sie mit dem Strohhalm ihren Cocktail umrührte. Dass ihr das Besitzerehepaar mit Rat und Tat zur Seite stehen würde und ihr damit den sanften Übergang zur Selbstständigkeit ermöglichte, war das Beste, was ihr hätte passieren können.
»Hast du ihnen denn schon von deinen Plänen erzählt, die du für die Pension hast?«
Augenblicklich schoss Jennas Puls in die Höhe. Verstohlen sah sie sich um, doch die Gäste an den Nebentischen waren zu sehr in ihre eigenen Gespräche vertieft, als dass sie Beccas Bemerkung gehört haben konnten. Sehr gut. Ihr Herzschlag beruhigte sich langsam wieder. Bisher waren ihre beste Freundin und ihr Dad die einzigen Personen, die sie bei ihrer Idee für eine Erweiterung der Pension ins Vertrauen gezogen hatte. Und das sollte auch erst mal so bleiben.
Deshalb kam Jenna die Antwort nur zögerlich über die Lippen. »Bisher noch nicht. Ich ... möchte mir erst mal einen allgemeinen Überblick verschaffen, bevor ich das Thema anspreche. Ich möchte nichts überstürzen.«
Ein Schritt nach dem anderen, du hast alle Zeit der Welt, hatte ihr Dad ihr als Rat gestern bei ihrer Verabschiedung am Flughafen mit auf den Weg gegeben. Und Jenna hatte ihn nur zu gern angenommen. Denn solange sie es hinauszögern konnte, die Marlowes in ihre Pläne einzuweihen, würde sie es tun. Denn was, wenn das jetzige Besitzerehepaar nichts von ihrer Idee hielt und doch noch einen Rückzieher machte, auch wenn die Papiere bereits aufgesetzt waren? Das konnte sie nicht riskieren.
Becca schien ihr anzusehen, dass ihr Gedankenkarussell in Gang gesetzt worden war. Sie griff ein weiteres Mal über den Tisch nach ihrer Hand und drückte sie. Sofort fühlte sich Jenna besser. Die Unterstützung ihrer besten Freundin und ihres Dads hatte sie. Das war alles, was zählte. Zumindest für den Moment.
»Den Kurs am Community College willst du aber weiterhin belegen, oder?«, erkundigte sich Becca mit gesenkter Stimme, während sie weiterhin ihre Hand hielt.
Erneut beschleunigte sich Jennas Herzschlag. Nur dieses Mal vor Vorfreude.
»Ja, er beginnt in drei Tagen.« In ihrem Bauch kribbelte es. Sie konnte es kaum erwarten, dass der Kurs startete und sie sich das theoretische Wissen für die Umsetzung ihres Plans aneignete.
Denn ja, sie hatte zwar Bedenken davor, weitere Leute einzuweihen. Aber nicht, weil sie ihre Idee für nicht gut genug hielt. Ganz im Gegenteil. Alles in ihr schrie danach, die Pension so zu leiten, wie sie es für richtig hielt. Und dazu gehörte auch, etwas Neues einzuführen. Ein Konzept umzusetzen, das Blossomville bisher fehlte. Der Stadt etwas zu bieten, das es in der Form noch nicht gab. Doch um das zu schaffen, wollte sie top vorbereitet sein. Und der Kurs am Community College in Burlington, der nächstgrößeren Stadt, war dafür der erste Schritt.
»Aber genug von mir....