Schweitzer Fachinformationen
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WIE ES BEGANN
Als mein Bruder hörte, dass wir mit dem Gedanken spielten, einen Hund zu kaufen, schaute er mich spöttisch an und sagte: »Du? Einen Hund?« Wir sind in den Siebziger- und Achtzigerjahren groß geworden und von dieser Zeit geprägt. In der Kleinstadt, in der wir aufwuchsen, waren Gärten nur ein matter Verweis auf die Fülle der Tier- und Pflanzenwelt. Zum Gartenideal meiner Jugend gehörten Sichtschutzwände und Waschbetonplatten, Rose und Immergrün, auch Rabatten mit viel nackter Erde. Die freie Natur nahm ich damals hauptsächlich als Kulisse für Sport und Erholung oder als Autobahnbegrünung auf dem Weg zum Windsurfen am Mittelmeer wahr. Mein Vater bezeichnete uns als Materialisten und im Rückblick weiß ich, er hatte recht.
Tieren begegneten mein zwei Jahre älterer Bruder und ich ebenfalls reserviert. Als ich ungefähr acht war, durften wir uns bei einem Kollegen meines Vaters, er war Mediziner an der Universität, zwei Labormäuse aussuchen. Wir nannten sie Dick & Doof, verloren schnell das Interesse an ihnen und brachten sie den Biochemikern zurück. In Erinnerung geblieben ist mir vor allem der stechende Geruch im Institut. Ein innigeres Verhältnis entwickelte ich ein paar Jahre später zu meinem Meerschweinchen. Es hatte graubraunes Fell mit Wirbeln und war sehr dick. Alle paar Wochen holte ich beim Schreiner einen Sack Sägespäne für seinen Stall, den ich gewissenhaft reinigte. Eines Morgens lag Moppel leblos auf den Spänen. Womöglich hatte ich sie überfüttert?
Auch meine Berliner Osteopathin runzelte die Stirn, als ich während einer Behandlung unser Vorhaben, einen Hund zu kaufen, erwähnte. Sie erzählte, dass sie sich für die Eingewöhnungszeit ihres Border Collies mehrere Wochen freigenommen und ihre Wohnung kaum verlassen hatte. »Ein Hund ist eine riesige Verpflichtung. Bist du ganz sicher, dass du das willst?«, fragte sie, und nein, das war ich nicht.
Ich bin Jahrgang 1964 und ein verkopfter Großstadtmensch. Mein Verhältnis zu Flora und Fauna war lange Zeit ein theoretisches und mein Wissen so lückenhaft, dass ich Blumenzwiebeln bis vor Kurzem noch mit dem Trieb nach unten eingepflanzt habe. All die Jahre ging ich lieber ins Kino statt in den Garten, und Tiere kannte ich, wenn überhaupt, aus Büchern wie Lassie oder Fernsehserien wie Daktari. Ich habe nie Katzenposter aufgehängt und war nur wenige Male im Zoo. Von Tieren, urteilte ich überheblich, kann ich nichts lernen. Die haben mir nichts zu sagen, denn sie sprechen ja nicht.
Ein Hund passte nicht in mein Selbstbild, ich fühlte mich einerseits zu jung, andererseits zu alt. Ein Hund, dachte ich, ist etwas für Kinder oder ältere Leute. Als Frau im Ruhestand hat man vielleicht unter der Woche Zeit für lange Spaziergänge oder Lust darauf, für das Tier Bälle zu werfen, aber einer berufstätigen Mutter mit zwei Kindern im Teenageralter, bildete ich mir ein, fehlt dafür der Raum. Mein Mann und ich arbeiten beide als Journalisten und sind oft unterwegs. In unserem geschäftigen Alltag einen Hund unterzubekommen, schien mir unmöglich. Ich sah mich Paletten mit Futterdosen schleppen und Termine beim Tierarzt vereinbaren, sah Schmutz und Verantwortung, spürte Bürde und Last. Ich mochte unser Leben so, wie es war, auch wenn ich oft das Gefühl hatte, ihm hinterherzulaufen. Ständig gab es etwas aufzuholen oder zu erledigen, ich marschierte rast- und ruhelos durch die Zeit.
Keine meiner engen Kolleginnen hatte einen Hund, auch im Freundeskreis und in der Verwandtschaft gab es nur eine verschwindend geringe Zahl von Hundebesitzern. Wie so oft fehlte mir ein Vorbild und schon der Gedanke an ein Tier überforderte mich. Ein Hund erschien mir als reine Belastung, und ich fürchtete das Anarchische, das seine Anwesenheit zweifellos in unser Leben bringen würde. Ich sah nur weitere Pflichten und nicht die Möglichkeit einer Kameradschaft, eine Beziehung mit einem Hund hielt ich für Einbildung und Gefühlsduselei.
Bis zuletzt, dem Tag, als der Hund bei uns einzog, war ich nicht sicher, ob ich ihn haben will. Ich hatte kein Herz für Tiere. Mein Leben lang war ich Hunden aus dem Weg gegangen, sie interessierten mich nicht. Die Kleinen fand ich überflüssig, die Großen bedrohlich. In meiner Kindheit lernte ich nur einen einzigen Hund näher kennen, einen Neufundländer, das Haustier von Freunden meiner Eltern, und mich ekelte sein sabberndes Maul. Manchmal tauchte ein Hund unvermittelt an einem Gartenzaun auf, an dem ich entlanglief, und sein Kläffen erschreckte mich. Für mich waren Haustiere aufdringliche Wesen, mit denen sich ihre Besitzer viel Arbeit aus Gründen machten, die mir ein Rätsel waren.
Deshalb hatte ich jahrelang den Wunsch meiner Kinder nach einem Haustier kategorisch abgewehrt. Solange die Zwillinge klein waren, hielt ich das locker durch, aber dann begeisterten sie sich in den österreichischen Bergen, der Heimat meines Mannes, für die Katzen des Alpengasthofs, in dem wir gelegentlich wohnten. Zu beobachten, wie die Kinder mit beiden Händen die Tiere packten und fest in den Armen hielten, erwärmte sogar das Herz einer Tierskeptikerin wie mich.
Mit zehn wünschte sich mein Sohn so brennend eine Katze zu Weihnachten, dass ich zu googeln begann. Wenn wir uns tatsächlich ein Haustier zulegten, fand ich, dann sollte es außergewöhnlich schön anzuschauen sein. Inspiriert von der cremefarbenen Perserkatze einer Bekannten klickte ich mich durch Dutzende Seiten von Katzen mit einfarbigem, buschigem Fell. Bei der Rasse Maine Coon blieb ich hängen, das sind ungewöhnlich große Katzen mit einem extrem buschigen Schwanz, wegen ihres anhänglichen Wesens und ihrer Größe »Hundekatze« oder »Sanfter Riese« genannt. Ich stieß auf eine Annonce von Berliner Züchtern mit Bildern sehr süßer Katzenbabys, von denen zwei - Cantinera Escada und Chaya Maestia - noch zu haben waren.
Nach der Terminvereinbarung machten mein Mann und ich uns auf den Weg ins Märkische Viertel, einer Hochhaussiedlung für 50 000 Menschen am nördlichen Rand der Stadt. Wir fuhren mit dem Aufzug in den sechzehnten Stock, und ich dachte, was für ein merkwürdiger Ort für die Zucht von Katzen. Oben angekommen, öffnete uns ein Mann. Während wir uns begrüßten, fiel mein Blick auf einen überlebensgroßen Kratzbaum. Ganz oben lag majestätisch ausgestreckt eine langhaarige Katze, den buschigen Schwanz parallel zum Körper drapiert. In ihrem goldgelben Fell waren braune Streifen, und sie schaute uns feindselig an. Sie wirkte wie ein gewaltiger Tiger, lauernd, als würde sie im nächsten Moment vom Kratzbaum springen und uns fauchend mit ihren Krallen über das Gesicht fahren. »So groß werden die Katzen?«, fragte ich den Züchter, und als er nickte, machten wir kehrt und fuhren heim. Mein Sohn bekam zu Weihnachten wieder Lego, mit dem Katzenthema waren wir durch.
Ein paar Jahre später wünschten sich die Kinder einen Hund. Wir Eltern wichen aus oder verschoben die Möglichkeit halbherzig in die Zukunft, eine Zeit lang war Ruhe, dann blitzte die Sehnsucht wieder auf und wurde erneut verdrängt. Einmal bewarb sich unsere Tochter für eine Schule, und um sie für die Aufnahmeprüfung zu motivieren, wurde vage ein Haustier in Aussicht gestellt. Die Kinder, jetzt Teenager, fixierten das schriftlich auf einem Zettel, und noch Jahre später, als die Prüfung längst geschafft war, aber noch immer kein Tier im Haus, hing dieser Zettel im Türrahmen zur Küche, eine stumme Mahnung an ein nicht eingelöstes Versprechen, die mir unangenehm war.
Doch als im Herbst 2017 innerhalb weniger Tage beide Großväter starben, fiel die Entscheidung wie von selbst. Ein Hund, so dachten wir, würde der Familie helfen. Allein seine körperliche Anwesenheit gäbe den Kindern, deren fünfzehnten Geburtstag wir gerade gefeiert hatten, Halt, und die Pflege des Tieres würde sie Verantwortung lehren. Beide versprachen, den Hund morgens vor der Schule abwechselnd auszuführen. Was man halt leichthin so sagt, wenn man als Teenager unbedingt einen Hund haben will. Und dem man als Mutter gerne arglos Glauben schenkt. In das Paralleluniversum, das sich auftut, wenn man sich einen Hund zulegt, rutschte ich also als Trittbrettfahrerin hinein: Wir kauften ihn für die Kinder, jedenfalls redete ich mir das ein.
Als ich in den Kauf eines Welpen einwilligte, war ich Mitte fünfzig. Von der Tragweite der Entscheidung ahnte ich nichts, denn eine wie ich konnte nicht wissen, wie überwältigend und frustrierend, erschütternd und bereichernd das Leben mit Hund ist. Es gibt ein Leben vor dem Hund und eines mit, so wie es ein Leben ohne Kinder gibt und eines mit. Der erste Hund ist ein Bruch und eine Zeitenwende, ein Einschnitt von großer Radikalität.
»Als jemand, der zu Hunden auf Distanz geht, verstehe ich nicht, warum du so viel Zuwendung, Interesse, Sorge lieber an ein Tier richtest als an andere Menschen«, schrieb mir unlängst eine Freundin. Erst haben mich ihre Worte gekränkt, doch dann erkannte ich mich darin selbst. Noch vor wenigen Jahren war ich genauso verständnislos. Seit ich denken kann, wollte ich das Leben intellektuell durchdringen und beherrschen, statt es einfach nur zu spüren. Bis mich vor ein paar Jahren an der Atlantikküste - die gewaltige Brandung des Meeres in allen Sinnen - jäh ein Gefühl von Vergänglichkeit durchfuhr. Einen kurzen Moment lang habe ich gespürt, wie begrenzt meine Existenz ist und wie lächerlich klein ich bin in diesem gewaltigen Universum. Seither habe ich den Eindruck, auf dem Rückweg zu sein - zurück ins Nichts oder was auch immer es ist, aus dem ich gekommen bin. Jetzt treibt mich das Gefühl an, schnell noch die ganze Welt erfahren zu wollen, Versäumtes nachzuholen. Die Sehnsucht nach Natur hat mich mit ungeahnter Wucht...
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