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Roman Chandler starrte auf seinen ältesten Bruder, oder genauer gesagt auf die Vierteldollarmünze in dessen rechter Hand. Sofort nach dem Anruf, der ihn von den Herzproblemen seiner Mutter in Kenntnis gesetzt hatte, stieg er ins nächste Flugzeug von London nach New York. Dort musste er einen Anschlussflug nach Albany nehmen und dann einen Leihwagen, um die eine Stunde in seinen Heimatort Yorkshire Falls zu fahren, eben außerhalb von Saratoga Springs, New York. Er war so müde, dass ihm vor lauter Erschöpfung die Knochen weh taten.
Jetzt kam zu all seinen Problemen auch noch dieser Stress hinzu. Wegen des Herzleidens seiner Mutter würde einer der Chandlerbrüder seine Freiheit opfern müssen - um Raina ein Enkelkind zu bescheren. Welcher der Brüder diese Last auf sich nehmen sollte, wollten sie mit einer Münze entscheiden, woran aber nur Rick und Roman beteiligt waren. Chase hatte bereits seine Pflicht und Schuldigkeit der Familie gegenüber getan, als er das College aufgab, um die Zeitung weiterzuführen und seiner Mutter zu helfen, die jüngeren Brüder großzuziehen. Deshalb sollte er jetzt nicht mitmachen - obwohl er zunächst darauf bestand. Weil er absolute Gleichberechtigung verlangte. Aber Rick und Roman hatten durchgesetzt, dass er an der Auslosung nicht teilnehmen durfte.
Statt dessen sollte er den Scharfrichter spielen.
»Also, dann sagt schon was. Kopf oder Zahl«, forderte Chase sie auf.
Roman blickte zur ungestrichenen Decke hoch, zum ersten Stockwerk des Hauses, in dem er seine Kindheit verbracht hatte und wo sich seine Mutter gerade auf Geheiß des Arztes ausruhte. Sie standen indessen auf dem staubigen Lehmboden der Garage, die an das Wohnhaus angebaut war, und mussten sich entscheiden. Dieselbe Garage, in der sie als Kinder ihre Bälle und Fahrräder aufbewahrt hatten und in die Roman Bier geschmuggelt hatte, wenn er seine älteren Brüder nicht in der Nähe wähnte. Dasselbe Haus, in dem sie aufgewachsen waren und an dem ihre Mutter festhielt, was sie sich leisten konnte, da Chase hart arbeitete und bei der Zeitung Erfolg hatte.
»Nun los, Jungs, einer muss anfangen«, sagte Chase in ihr Schweigen hinein.
»Du brauchst nicht so zu tun, als würde dir das hier Spaß machen«, murmelte Rick.
»Du glaubst also, dass es mir Spaß macht?« Chase drehte die Münze zwischen seinen Fingern, und seine Lippen zitterten vor Enttäuschung. »Das ist großer Blödsinn. Todsicher möchte ich nicht mit ansehen müssen, wie einer von euch beiden das Leben aufgeben muss, das er gewählt hat - nur einer Laune wegen.«
Roman war sich sicher, dass Chase das Ganze deshalb so mitnahm, weil er selbst seinen eigenen Lebensweg nicht hatte bestimmen können. Er war über Nacht mit der Doppelrolle des Verlegers und des Erziehungsberechtigten belastet worden. Als ihr Vater starb, fühlte sich Chase verpflichtet, den Platz des Familienoberhauptes einzunehmen - mit seinen siebzehn Jahren war er der älteste der Geschwister. Und genau das veranlasste Roman dazu, überhaupt an dem Münzewerfen teilzunehmen. Er war derjenige gewesen, der Yorkshire Falls hatte verlassen und seine Träume verwirklichen können, während Chase zurückbleiben und seine Wünsche aufgeben musste.
Roman und Rick betrachteten ihren ältesten Bruder als Vorbild. Wenn Chase glaubte, dass die angegriffene Gesundheit der Mutter und deren heftiger Wunsch nach einem Enkelkind ein Opfer rechtfertigten, dann musste Roman zustimmen, weil er es seinem Bruder schuldig war und weil er das Gefühl der Hingabe an die Familie mit ihm teilte.
»Es handelt sich bei unserer Mutter nicht um eine Laune«, erklärte Roman. »Sie sagt, sie habe ein schwaches Herz, das keinen Stress vertragen könne.«
»Oder keine Enttäuschungen«, erwiderte Rick. »Mama hat das Wort nicht benutzt, aber du weißt verdammt gut, dass sie so empfindet. Wir haben sie enttäuscht.«
Roman nickte zustimmend: »Wenn Enkelkinder sie also glücklich machen, dann liegt es bei einem von uns, ihr eins zu verschaffen, das sie verhätscheln kann, solange sie es noch genießen mag, Großmutter zu sein.«
»Wenn sie weiß, dass einer von uns glücklich verheiratet ist, wird sich der Stress verringern, den sie ja vermeiden soll«, ergänzte Chase. »Ein Enkelkind wird ihrem Leben einen neuen Impuls geben.«
»Könnten wir ihr nicht einfach ein Hundebaby schenken?« , fragte Rick.
Diesen Vorschlag konnte Roman gut verstehen. Er war mit seinen einunddreißig Jahren einen Lebensstil gewohnt, der es ausschloss, sich niederzulassen. Ehe und Familie waren ihm nicht bestimmt gewesen. Bis jetzt. Es war nicht so, dass er sich aus Frauen nichts machte. Im Gegenteil. Himmel, er liebte die Frauen - wie sie dufteten, wie ihre weiche Haut sich anfühlte, wenn sie seinen erregten Körper streifte. Aber er konnte sich nicht vorstellen, seine Karriere aufzugeben, um für den Rest seines Lebens jeden Morgen dasselbe weibliche Gesicht über den Frühstückstisch hinweg anzusehen. Er war verblüfft, dass in diesem Moment eine Entscheidung fürs Leben fallen sollte, und ihn überlief ein Schauer.
Er wandte sich an seinen mittleren Bruder: »Rick, du hast schon mal eine Ehe gewagt. Nicht nötig, das erneut zu tun.« Obwohl sich Roman durchaus nicht als der geeignete Kandidat vordrängeln wollte, konnte er es nicht zulassen, dass sein Bruder einen Fehler der Vergangenheit wiederholte - nämlich zu heiraten, um jemand anderem zu helfen, und dabei sich selbst zu opfern.
Rick schüttelte den Kopf: »Falsch, kleiner Bruder. Ich werde mit dir eine Münze werfen. Das letzte Mal hat hiermit nichts zu tun. Jetzt geht es um die Familie.«
Roman verstand. Die Chandlers waren Familiennarren. Damit war er wieder keinen Schritt weiter. Sollte er zu seinem Job als Auslandskorrespondent der Associated Press zurückkehren, weiterhin im Umfeld politischer Brennpunkte landen und dem Rest der Welt Geschichten aufdecken, von denen man noch nichts erfahren hatte, oder sollte er sich in Yorkshire Falls niederlassen, wie er es niemals vorgehabt hatte? Obwohl Roman sich manchmal nicht ganz im Klaren war, welchem Traum er eigentlich nachjagte - seinem eigenen, dem von Chase oder einer Kombination aus beiden - lebte er in der Angst, das unfreie Leben seines Bruders zu reproduzieren.
Trotz seines aufgewühlten Magens war er bereit und nickte Chase zu. »Lasst es uns hinter uns bringen.«
»Wie du meinst.« Chase warf die Münze hoch in die Luft.
Roman nickte Rick zu, um ihm die Wahl zu lassen, und Nick rief: »Kopf!«
Wie in Zeitlupe drehte sich die Münze und flog durch die Luft. Genau so zog Romans sorgloses Leben vor seinen Augen an ihm vorbei: Die Frauen, denen er begegnet war und mit denen er geflirtet hatte, die besonderen, mit denen er lange genug zusammen gewesen war, um eine Beziehung aufzubauen. Nie war es eine Frau fürs Leben gewesen, höchstens eine heiße, leidenschaftliche Bekanntschaft - in letzter Zeit seltener, seit er älter und kritischer wurde.
Laut klatschte Chase eine Hand auf die andere, und benommen fand Roman in die Wirklichkeit zurück. Er begegnete dem ernsten Blick seines ältesten Bruders.
Die Wende im Leben.
Der Tod eines Traums.
Der Ernst der Situation versetzte Roman einen Schlag in die Magengrube. Er straffte die Schultern und wartete ab, während Rick hörbar die Luft einsog.
Chase hob die eine Hand hoch und blickte auf die Münze, ehe er zunächst Rick und danach Roman ansah. Dann tat er seine Pflicht, wie er sie immer erfüllte, ohne einen Rückzieher: »Es sieht so aus, als könntest du jetzt was zu trinken gebrauchen, kleiner Bruder. Du bist das Opferlamm bei Mutters Streben nach Enkelkindern.«
Rick stieß einen tiefen Seufzer aus, der nichts war im Verhältnis zu dem Bleiklumpen in Romans Magen. Chase ging zu Roman hinüber. »Wenn du da wieder raus willst, ist jetzt noch Zeit. Es wird dir niemand Vorwürfe machen.«
Roman zwang sich zu einem Lächeln, womit er dem achtzehnjährigen Chase nachzueifern versuchte. »Du hältst es also für eine schwere Aufgabe, Frauen unter die Lupe zu nehmen und Babies zu machen? Wenn ich damit fertig bin, wirst du dich an meine Stelle wünschen.«
»Sieh zu, dass sie Klasse hat«, sagte Rick sehr hilfsbereit, aber weder in seinen Worten noch in seinem Tonfall war eine Spur von Humor. Er konnte sich offensichtlich in Romans Schmerz hineinversetzen, obwohl er sichtlich erleichtert war, nicht der Auserwählte zu sein.
Roman wusste den Versuch, ihn aufzuheitern, zu schätzen, auch wenn es nichts nützte. »Es ist noch wichtiger, dass sie nicht zu viel erwartet«, schoss er zurück. Welche Frau er auch immer heiraten würde, sie musste von Anfang an wissen, wer er war, und akzeptieren, was er nicht war.
Chase gab ihm einen Schlag auf den Rücken. »Ich bin stolz auf dich, Kleiner. Das ist eine Entscheidung, die man nur einmal im Leben trifft. Sei dir vorher sicher, dass du mit ihr leben kannst, ja?«
»Ich habe nicht vor, mit irgendjemand zu leben«, murmelte Roman.
»Was hast du dann vor?«, fragte Rick.
»Eine nette Ehe aus der Ferne, die mein Leben gar nicht besonders verändern muss. Ich möchte eine Frau finden, die bereit ist, zuhause zu bleiben und das Kind aufzuziehen, und die glücklich ist, mich wiederzusehen, wann immer ich zurückkomme.«
»Du hast dir schon genug aufgeladen, ist es das?«, konterte Rick.
Roman sah ihn finster an. Der Versuch, ihn aufzuheitern, war fehlgeschlagen. »Wir hatten es doch eigentlich verdammt gut, als wir Kinder waren, und ich möchte sicher gehen, dass die, die ich heirate, meinem Kind ein ebenso schönes Leben geben kann.«
»Du wirst also unterwegs und die Frau wird...
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