Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Ich setze mich zu Ihnen, Schwester. Das ist nicht erlaubt, ich weiß. Aber ich mache es trotzdem - ich habe so lange nicht mehr auf einem Stuhl gesessen, an einem Tisch mit einer Lampe darauf.
Verstehen Sie, warum man Verrückte ins Bett steckt, als wären sie krank?
Ja, Sie wissen das natürlich, weil Sie Schwester sind. Ihr lernt bestimmt in Kursen, dass wir keine Verrückten sind, nur Nervenkranke.
Aber das ist Unsinn. Wir sind sehr wohl verrückt. Ich liege jetzt schon sieben Monate hier im Saal, und nur Mevrouw Engberts ist wieder nach Hause gegangen, alle anderen sind in eine Anstalt gebracht worden.
Ja, Schwester, das konnte ich sehen. Wenn ein Auto vorfährt, und ein Patient wird von Schwestern oder Pflegern herausgeführt, beidseits fest untergehakt, dann ist doch klar, dass es nicht nach Hause geht. Nur Mevrouw Engberts ist ganz normal mit ihrem Mann nach Hause spaziert.
Sie haben Mevrouw Engberts nicht gekannt, sie war schon fort, als Sie zu uns kamen. Die Oberschwester hat gesagt, sie wäre bloß ein leichter Fall, ein bisschen überarbeitet. Ich war froh um ihren Anblick, die anderen waren alle so hässlich und unheimlich. Die ersten Wochen lag ich neben ihr, sie hatte solch ein nettes Gesichtchen und zog keine seltsamen Grimassen, nur furchtbar bleich war sie. Sie wollte auch nie reden, sie hat immer nur geschaut.
Ja, sie hatte normale Augen, genau solche wie die Schwestern und Ärzte. Nur reden wollte sie nicht. Das war sicherlich die Krankheit. Jetzt liegt Mevrouw Dieken in ihrem Bett neben mir. Die redet den ganzen Tag.
Furchtbar ist das, Schwester, wenn man neben einer liegt, die redet und sich selber nicht reden hört. Das ist, als müsste man die ganze Zeit zuhören, weil sonst niemand die Worte hört. Und man hört lauter Unsinn, aber trotzdem versucht man, etwas zu verstehen.
Heute Nachmittag bin ich von ihrem Gerede furchtbar müde geworden, es ging die ganze Zeit um einen Brief, den sie gerade schrieb. Sie kriegte ihn nicht zu Ende, suchte in einem fort nach dem letzten Satz. Das macht jeder so, der einen Brief schreibt, weil der letzte Satz genau zu dem passen muss, was schon dasteht, aber irgendwann kommt man doch darauf, wie er heißen muss.
Heute hat Mevrouw Dieken aber ewig lange gesucht. Immer wieder meinte sie, den Brief fertig zu haben, dann zog sie mit dem Finger einen langen Strich über das Bettlaken, aber gleich darauf wischte sie ihn wieder aus, und weiter ging es mit Reden und Schreiben und Buchstabieren.
Es war ein Brief an ihre Mutter, die tot ist. Eigentlich ist es doch komisch, dass eine sechzigjährige Frau an ihre tote Mutter schreibt. Mir ging auf die Nerven, dass sie laut sagte, was sie schrieb, und dass ich einfach nicht weghören konnte.
Von der Teezeit bis zum Abendbrei hat sie geschrieben, immerzu mit dem Finger auf das Bettlaken. Als der Brei kam, hörte sie damit auf, sie hat gerochen, dass er angebrannt war.
Nein, Schwester, ich gehe nicht ins Bett, ich bin überhaupt nicht müde. Lassen Sie mich ein bisschen bei Ihnen sitzen. Es ist so wunderbar, dass alle schlafen und der ganze Saal still ist. Jetzt höre ich nur mich selber, wenn ich rede. Jetzt ist es gerade so, als würde ich in einem Zimmer mit einer Bekannten zusammensitzen, die mir zuhört. Ganz normal an einem Tisch, auf den Licht fällt. Für wen machen Sie den Schal, Schwester? Für sich selber? Nun antworten Sie doch mal.
Warum sagen Sie nichts? Ich gehe sowieso nicht ins Bett - es ist warm heute Nacht, und ich habe ein Flanellnachthemd an. Außerdem sitzt es sich so wunderbar auf einem normalen Stuhl.
Da liegt eine Schere in Ihrem Nähkörbchen. Lustig, das fällt mir jetzt erst auf. Sie glänzt schön, Schwester. Ich habe seit sieben Monaten keine Schere mehr in der Hand gehabt und früher jeden Tag. Ich hatte ein Etui mit vier guten Stahlscheren, lauter verschiedene. Eine Stickschere und eine Knopf?lochschere und eine gewöhnliche und eine ganz große zum Stoffzuschneiden.
Der Schal wird hübsch, Schwester, der hält Sie schön warm, wenn Sie Nachtwache haben.
Dabei machen Sie ihn bestimmt nicht für sich selber.
Lustig ist das, wie ihr bei den Wachen dauernd für andere Leute strickt und häkelt, wird das nie langweilig?
Ich habe früher auch für andere gestrickt und genäht - ach ja - wenn man aus einer großen Familie kommt . Und später natürlich für Lientje und Hannes - aber das waren keine anderen.
Warum sehen Sie mich jetzt an, Schwester? Liebe Güte! Habe ich doch etwas gesagt - über Hannes?
Geben Sie acht, Schwester! Oma wacht auf, gleich wird sie sich umgedreht haben. Am besten, Sie bringen ihr schnell die Bettpfanne, sonst müssen Sie hinterher saubermachen!
Oh, Schwester, warum schließen Sie die Schere vor mir weg? An die habe ich gar nicht mehr gedacht.
So, das ist erledigt, setzen Sie sich her zur Lampe. Oma schläft schon wieder. Sie hat nicht einmal gemerkt, dass Sie ihr geholfen haben.
Vorige Woche ist es bei ihr das letzte Mal ins Bett gegangen. Und das war so richtig furchtbar. Schwester Dora hatte Dienst, hat sie nicht davon erzählt? Wir haben alle geschlafen, vielleicht war Schwester Dora auch eingenickt, denn Oma lag bereits völlig in ihrem Dreck - und was für ein Dreck, Schwester.
Und dann hat Oma sich aufgesetzt, das habe ich gesehen, weil ich von dem Gestank wach geworden war. Und sie griff da auch noch rein und schmiss alles aufs Bett von Juf?frouw Smit neben ihr.
Oma hasst sie, man sollte ja meinen, senile Menschen können nicht mehr so garstig sein, aber wenn Oma nicht zu viel Angst hätte, würde sie Juf?frouw Smit glatt umbringen. Das kommt daher, dass Juf?frouw Smit sie gängelt. Neulich hat der Arzt gesagt, Oma dürfe nicht mehr vom Bett aufstehen, man hat ihr die Pantoffeln weggenommen, und darum wollte sie die von Juf?frouw Smit anziehen, die daraufhin nach der Schwester gerufen hat. Und da bekam Oma Schelte - ist es nicht verrückt, Schwester, dass senile Menschen wieder genauso weinen wie Säuglinge?
Schwester Dora musste beide baden, mitten in der Nacht. Aber im Saal stank es ganz furchtbar - und alle anderen lachten und schrien.
Schwester, denken Sie nicht auch manchmal, Sie wären in der Hölle? Als man mich hergebracht hat, war ich mir erst ganz sicher, in der Hölle gelandet zu sein. Ich habe die Leute hier, die Frauen, alle für Hexen gehalten.
Haben Sie schon mal von Hexen gelesen, die im Kreis tanzen und mit wehenden Haaren durch die Lüfte fliegen? Bei meiner Großmutter hing so ein Bild, später habe ich gesehen, dass es aus einer Oper war, aber als kleines Kind habe ich mich kaum hinzuschauen getraut.
Juf?frouw Smit hat richtige Hexenaugen. Sie guckt, als hätte jemand sie gemein gekniffen und sie müsste nun auch wen kneifen.
An Heiligabend . aber vielleicht war es auch ein anderer Abend, ich komme mit den Tagen durcheinander.
Es gab Plätzchen zum Tee, und die Schwestern sangen, wissen Sie noch? Wann war das, Schwester?
An dem Abend standen hier auf einmal alle auf ihren Betten, und dann stiegen sie raus. Das hatte ich noch nie erlebt, weil ich erst kurz hier war - dass mal eine aus dem Bett gestiegen ist, das schon, aber nie so viele auf einmal. Oh, Schwester, sie sind so fürchterlich hässlich. Oma hat Krampfadern und Juf?frouw Smit einen schwarzen Bart, früher hat sie sich bestimmt rasiert, aber ihr Schwestern macht das natürlich nicht. Und Mevrouw Engberts' Nachthemd war voller Flecken, und Mevrouw Thysselt hinkte und hatte keine Zähne im Mund, weil ihr künstlicher Fuß und ihr Gebiss weggeräumt waren.
Und dann tanzten sie alle miteinander. Ja, weil ihr unten Musik gemacht habt, das war doch wohl Weihnachtsmusik, wahrscheinlich habt ihr für die Ruhigen gesungen. Ich konnte es gut hören, Schwester Eva hatte die Tür aufgemacht, neben der ich lag. Ja, dann tanzten sie alle miteinander, und Oma sprang auf nackten Füßen umher, die sind ganz blau, und Mevrouw Dieken verlor ihr Hemd, sie war so weiß und so dick - wie ein aufgeplatzter Pilz.
Je länger sie tanzten, desto wilder ging es zu, und Juf?frouw Smit bekam einen Schreikrampf, deshalb musste Schwester Eva die Tür zumachen, und weg waren die Weihnachtslieder. Trotzdem tanzten alle weiter, sie drehten sich und flogen und wirbelten immer schneller herum - da stand ich plötzlich auf, weil ich glaubte, auch eine Hexe zu sein und mittanzen zu müssen. Aber ich musste ganz furchtbar weinen, weil ich eine Hexe geworden war. Damals war ich mir sicher, in der Hölle zu sein, wegen Lientje.
Sie brauchen mich nicht so anzugucken, Schwester. Ich weiß sehr wohl, was ich gesagt habe. Lientje - ich weiß auch, dass ich ihretwegen in der Hölle bin. Nein, ich bin nicht verrückt - mir ist jetzt klar, dass dies hier nicht die Hölle ist - bis auf die wenigen Male, die ich wieder vergesse, dass ich in einer Nervenklinik in der normalen Welt bin.
Ich bin hier allein in meiner eigenen Hölle.
Nein, Schwester, schauen Sie nicht zur Klingel, ich bekomme keinen Anfall, ich hatte nur einen einzigen - bevor man mich hierhergebracht hat. Lassen Sie mich einfach reden. Ich weiß genau, was ich sage. Ich weiß auch, dass es auf Ihrer Uhr zehn nach halb zwölf ist - Ihr Dienst dauert bis sechs, nicht wahr?
Nein, Schwester, ich gehe nicht ins Bett. Lassen Sie mich einfach dasitzen. Und schauen Sie mal durchs Oberfenster! Der Himmel hinter dem Maschendraht ist blau. Jetzt steht der Mond irgendwo über einer Gracht oder einem Teich, Schwester, und die...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.