Schweitzer Fachinformationen
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So wie jeder Verlust ist auch jeder Trauerprozess, jedes Trauern anders. Trauern ist also etwas sehr Individuelles. Wie genau wir trauern und wie lange die Trauer dauert, dafür gibt es kein Richtig und kein Falsch.
Leider habe ich die Erfahrung gemacht, dass diese Tatsache in unserer Gesellschaft nur wenig Anerkennung findet. Hier ein persönliches Erlebnis, bevor ich näher auf die Bereiche Trauermodelle, Trauergruppen, Trauerbegleitung und Therapie eingehe.
Für meine beiden Kinder war der Verlust des Vaters ebenso einschneidend wie für mich. Beide haben mit ansehen müssen, wie ihr Papa über Jahre hinweg von Tag zu Tag immer kränker und kränker wurde und schließlich starb. Schon vor dem Tod meines Mannes habe ich mich damit beschäftigt, wie man Kinder behutsam auf den Tod eines Familienmitglieds vorbereitet und im Todesfall angebracht auf sie und ihre Bedürfnisse eingeht. Darum habe ich sie in alle Prozesse mit einbezogen. In kindgerechter Sprache haben wir offen über alles gesprochen, nichts ausgespart oder beschönigt. Obwohl ich den Eindruck hatte, dass es beiden »den Umständen entsprechend« gut ging, meldete ich sie direkt nach dem Tod meines Mannes in einer Kindertrauergruppe an.
Ich erinnere mich genau, wie erleichtert ich darüber war, dass die Kinder so die Möglichkeit hatten, neben mir mit anderen Menschen über ihren schlimmen Verlust zu sprechen. Jede der Kindergruppen bestand aus erwachsenen Trauerbegleitern und anderen Kinder, die ebenfalls einen schlimmen Verlust erlitten hatten. Für meine Kinder war diese Gruppenstunde eine wundervolle Erfahrung. Meine damals 5-jährige Tochter fühlte sich verstanden und war gleichzeitig tief berührt von den schlimmen Erlebnissen der anderen Kinder. Diese Kinder wussten - anders als die Kinder aus ihrer Kindergartengruppe - was es bedeutet, wenn ein Elternteil stirbt.
Im Gegensatz zu meinen Kindern fühlte ich mich in der angeschlossenen Elterngruppe jedoch gar nicht wohl. Das Konzept der Einrichtung war sehr rigide. Für jedes Kind, das eine Kindertrauergruppe besuchte, musste der Elternteil parallel in die Elterntrauergruppe. Für mich hieß das, zwei Elterngruppen zu besuchen, denn auch die Kinder sollten nicht gemeinsam in einer Gruppe sein. Das konnte ich gut nachvollziehen, denn es ging darum, mit anderen Menschen das Erlebte zu besprechen, es nachzuspielen oder auch mal Zeit zu haben, ohne das traurige Geschwisterkind neben sich.
Für mich hingegen haben diese Gruppen aus verschiedenen Gründen nicht funktioniert. Zum einen musste ich dort sein, damit meine Kinder die Kindertrauergruppe besuchen konnten. Es war also keine freiwillige Entscheidung. Zum anderen wechselten nahezu jede Woche die Betreuer bzw. Begleiter für uns Erwachsene. Das bedeutete, dass wir immer wieder dasselbe erzählen mussten. So auch ich. Woche für Woche erzählte ich von der Krankheit meines Mannes, wie er starb, wie die Verabschiedung ablief und wie ich in dieser Zeit meine Kinder mit einbezogen hatte. Und da ich mich - wie schon erwähnt - viel mit diesen Themen beschäftigt hatte, habe ich wohl auch einiges richtig gemacht. (Ich mag den Begriff »richtig« im Zusammenhang mit Trauern nicht, aber hier fällt mir gerade kein besseres Wort ein.) Das führte dazu, dass die ständig wechselnden Trauerbegleiter mir zunickten und Worte sagten wie »sehr gut«, »alles richtig gemacht« oder »sehr vorausschauend«. Davon wiederum fühlte sich eine andere Frau in der Gruppe so getriggert, dass sie eines Tages fast schon schrie: »Ja, wir wissen, du hast alles richtig gemacht.« Weinend verließ sie den Raum. Ich war wie vor den Kopf gestoßen, denn ich hatte ja nur die Fragen beantwortet, die mir gestellt worden waren. Es lag nicht an mir, dass sich diese Fragen jede Woche wiederholten. Ich blieb zwar - anders als die Frau - sitzen, meldete mich kurz darauf jedoch von der Trauergruppe ab, und damit auch meine Kinder.
Da meine Tochter häufig von ihrer Trauergruppe sprach und wie gern sie wieder dorthin gehen würde, nahm ich all meinen Mut zusammen und rief bei der Organisation an. Und welch ein Glück: Ich konnte mit der Leitung persönlich sprechen. Ich schilderte meine Situation und erzählte, dass meine Tochter gern zurück in die Gruppe wollte, ich selbst aber nicht kommen wolle. Ich erklärte, dass diese Form der Trauerbegleitung für mich wohl nicht geeignet sei und fragte, ob meine Tochter nicht allein kommen könne, weil sie sich - anders als ich - sehr wohl in ihrer Gruppe gefühlt hatte. Daraufhin sagte der ausgebildete Sozialpädagoge zu mir: »Dann haben Sie wohl noch nicht richtig getrauert.« Was sich hier wie ein harmloser Satz anhört, traf mich in meinem Innersten. Was wusste dieser Mann von mir und meinem Trauerweg? Was wusste er davon, wie viel ich schon gekämpft und was ich alles probiert und gemacht hatte? Was wusste er von meinem Leid?
Ich tat etwas, das ich bis dahin und danach nie wieder getan habe. Ich sagte: »Ich beende dieses Gespräch. Auf Wiederhören.« Bis heute tut es mir sehr leid, dass meine Tochter ihre Gruppe nicht mehr besuchen konnte, weil ich angeblich nicht richtig getrauert hatte.
Aber was heißt denn, richtig zu trauern? Meiner Meinung nach kann man gar nicht »richtig« trauern. Jeder Mensch trauert so, wie es ihm entspricht. Doch wir wissen häufig gar nicht, was uns entspricht, weil wir - glücklicherweise - nie zuvor trauern mussten. Und auch, weil es in unserer Gesellschaft zu wenige oder gar keine Vorbilder gibt, die uns vorleben, wie man so trauert, dass man auf dem persönlichen Trauerweg auf gesunde Weise voranschreitet. Auf dieses Thema werde ich noch genauer in Kapitel 3 eingehen.
Die Vorbilder fehlen, weil trauernde Menschen in unserer Gesellschaft nicht vorkommen. Früher gab es das Trauerjahr. Die Hinterbliebenen kleideten sich schwarz und so wussten alle Mitglieder der Gemeinschaft Bescheid. Sie schonten die trauernde Person in dieser Zeit, nahmen ihr schwerwiegende Entscheidungen ab und unterstützten sie. Heute hingegen sehen wir es den Menschen nicht mehr an, ob sie trauern oder nicht.
Wie nah das von außen wahrgenommene Richtig und Falsch beieinanderliegen, demonstriert mein Beispiel von vorhin. Während in der von mir besuchten Trauergruppe sowohl die anderen Teilnehmer und Teilnehmerinnen als auch die Trauerbegleiter und Trauerbegleiterinnen alle der Meinung waren, dass ich - zumindest rund um die Verabschiedung - alles richtig gemacht hatte, sah der Leiter der Einrichtung das völlig anders. In seinen Augen hatte ich noch nicht richtig getrauert.
Du fragst dich vielleicht, wie du für dich beurteilen kannst, ob du alles »richtig« machst? Ich persönlich bin der Meinung, beim Trauern gibt es kein Richtig und kein Falsch. Es gibt allein den für dich gesunden Trauerweg. Und dieser kann bei dir völlig anders aussehen als bei mir.
Von außen kann niemand beurteilen, ob du auf deinem Trauerweg voranschreitest oder ob du gerade auf der Stelle trittst. Allein unser Gefühl, also wie wir uns fühlen, kann uns Auskunft darüber geben, ob wir in unserer Trauer feststecken oder ob wir uns auf einem gesunden Trauerweg befinden, der uns zurück in ein erfülltes Leben führt.
Wir sind dann auf einem für uns gesunden Trauerweg, wenn wir uns nicht mehr immerzu schwer, sondern hin und wieder leicht fühlen. Wenn wir wieder mehr helle als dunkle Stunden erleben. Dann, wenn die aufgesetzte Fröhlichkeit verschwindet und wir wieder echte Fröhlichkeit in uns spüren.
Nun möchtest du vielleicht wissen, wie du echte von aufgesetzter Fröhlichkeit unterscheidest. Hier habe ich ein Beispiel für dich: Eine meiner Klientinnen beschrieb mir ihren Alltag einmal so: »Wenn ich morgens zur Arbeit gehe, setze ich eine Art Maske auf. Im Grunde schauspielere ich den ganzen Tag. Ich lache, wenn die anderen lachen. Ich versuche fröhlich zu lächeln, wenn die anderen mir zulächeln.« Nach einer kleinen Pause fuhr sie fort: »Ich bin eine gute Schauspielerin. Aber wenn ich dann am Abend nach Hause komme und die Maske wieder ablege, dann falle ich zurück in mein tiefes Loch der Traurigkeit.«
Dies ist bestimmt kein gesunder Trauerweg, weil für die eigentliche Trauerarbeit nur der Abend bleibt. In Anlehnung an Sigmund Freud spreche ich von Trauerarbeit, denn Trauern ist echte Arbeit. Sowohl für unsere Seele, unsere Gefühle als auch unseren Geist und nicht zuletzt für unseren Körper. Da ist es unglaublich anstrengend, zusätzlich den ganzen Tag über eine Rolle zu spielen oder eine Maske zu tragen.
Aber in unserer Welt geht es meist nicht anders. Zum einen ist in unserer Gesellschaft kein Platz für Trauer und zum anderen wissen viele Menschen nicht, was Trauer ist und wie man mit ihr umgeht. Wir wissen nicht, wie wir selbst trauern sollen, und wir wissen auch nicht, wie wir uns einer trauernden Person gegenüber verhalten sollen. Wenn dann ein Trauerfall eintritt, denken wir - und so war das auch bei mir -, ein Trauermodell kann uns weiterhelfen.
Es gibt viele verschiedene Trauermodelle. Mit das bekannteste ist das von Elisabeth Kübler-Ross. Sie beschreibt in ihrem Buch Interviews mit Sterbenden, dass viele Menschen im Sterbeprozess fünf aufeinanderfolgende...
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