Schweitzer Fachinformationen
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Ich treffe sie auf dem Wochenmarkt. Bella, die wunderschöne Bella, mein Gott, wie lange ist das her. Ich bin fassungslos, kann nicht glauben, dass ich sie sehe, so plötzlich, so unvorbereitet, so unvermutet nach einer Ewigkeit von Jahren.
Bella, die eigentlich Margret heißt.
Groß, schlank, immer gepflegt, immer stilsicher und immer irgendwie nach teurem Parfüm duftend - so erinnere ich mich an sie.
Lange Haare, lange Beine, lange Wimpern, langer Ledermantel, lange Stiefel, ein miniknappkurzer Rock und ein Lächeln, das verzaubert. Niemand, dem sie damals nicht aufgefallen wäre.
Sie sieht inzwischen anders aus, doch ich erkenne sie sofort.
Ihr langes rotes Haar ist nun kurz. Braungrau meliert und perfekt geschnitten passt es gut zu den gelebten Spuren ihres schmalen Gesichts. Sie fällt noch immer auf. Zum einen ist es die Art, wie sie sich bewegt, zum anderen auch die Wirkung ihrer schicken Kleidung.
Haare, Make-up, Hose, Bluse, Blazer, Tasche, Schuhe und Seidentuch sind dezent aufeinander abgestimmt. Alles passt zusammen.
Ihre lebhaften braunen Augen strahlen und werden durch ein Lächeln ergänzt, das alles an ihr sympathisch macht und jedes Gegenüber für sie einnimmt. So war das immer schon, seit ich sie kenne. Keinen Wunsch konnte man ihr abschlagen.
Da steht sie also unerwartet vor mir und wieder umgibt sie der Hauch eines seltenen, ganz eigenen Parfüms.
Ich bin überwältigt, sprachlos, staunend.
So vieles stürmt auf mich ein.
Wir bleiben beide wie angewurzelt stehen, starren uns an, stumm, überrascht, ungläubig. Dann, viel zu laut, viel zu schnell, viel zu aufgeregt beginnen wir gleichzeitig zu reden, zu lachen, zu fragen.
Wir hören unvermittelt auf zu sprechen, schweigen abrupt im selben Augenblick. Eine peinliche Stille entsteht, die wiederum durch gleichzeitiges Sprechen und unvermitteltes Schweigen unterbrochen wird. Verlegenheit kommt auf, Satzanfänge bleiben unvollendet.
Hilflos stecken wir in Worten und Gefühlen fest. Es gäbe so viel zu sagen, doch wer macht den Anfang?
Nach einem erneuten Sprechversuch mit anschließendem Redestopp fangen wir beide an zu lachen.
Endlich weicht die Spannung, löst sich die Verkrampfung.
Wir sehen uns in die Augen. Nun ist alles gut.
Mit lautem Gelächter liegen wir uns in den Armen, fallen uns schon wieder ins Wort, reden, schreien durcheinander.
"Wann war das? Wie lange ist das her? Weißt du noch, wo und wer? Wie hieß der noch? Erinnerst du dich an dies, an jenes? Du erinnerst dich, ja? Das war doch toll, oder? Mein Gott, wie lange ist das her?", rufen wir wie wild durcheinander. Und unsere Fragen, die wie Feststellungen klingen, hängen unbeantwortet zwischen den Gemüseständen.
Wir sind laut, viel zu laut. Wir fallen auf.
Einige Wochenmarktbesucher schauen ärgerlich zu uns herüber, blicken missbilligend in unsere Richtung. Doch als sie uns beide lachen sehen, scheinen sie beruhigt, lächeln milde und gehen weiter.
Bella zieht mich zur Seite unter die Arkaden.
Ich mustere sie verstohlen, beginne nach Verändertem und Vertrautem zu suchen, füge Erinnerungsstücke zusammen, krame in meinem Gedächtnis. Bella, die schöne Bella.
Ich weiß von zwei Ehemännern, zwei Schwangerschaften, einigen Lebensabschnittspartnern, mehreren Affären, Kurzzeitbeziehungen und vielen guten Freunden.
Bella war schon immer viel mutiger als die meisten. Stets trat sie sicher und selbstbewusst auf, verteidigte unerschrocken ihr Anliegen und ließ sich nicht so schnell einschüchtern. "Im Hier und Jetzt und nur dem Augenblick verpflichtet", das war stets ihre Devise.
Bella kam aus einem sehr wohlhabenden und konservativen Elternhaus. Kurz nach dem Abitur war sie schon mit ihrem reichen Mann verheiratet, wohnte in einem aufwändigen Bungalow bei ihren Schwiegereltern und fuhr mit einem roten Sportflitzer zur Uni. Das war ungewöhnlich.
Als sie im fünften Semester schwanger wurde, gingen alle in ihrem Umfeld davon aus, dass sie ihr Studium beenden würde. Eltern, Schwiegereltern und auch ihr Mann glaubten, sie bleibe nun zu Hause, so wie das Ende der 60er Jahre noch allgemein üblich war.
Doch Bella dachte nicht im Traum daran, sich um anderer Leute Vorstellungen zu kümmern. Ihrer Meinung nach ließ es sich bestens mit schwangerem Bauch studieren. Und zum Entsetzen ihrer Verwandten setzte sie ihren Kopf durch - und ihr Studium fort.
Damals lernten wir uns kennen.
Sie schwanger und schon im fünften Semester und ich am Beginn meines ersten Semesters, voller Hemmungen, ängstlich, ratlos, verklemmt und gänzlich überfordert mit dem ungewohnten Studentenleben. Doch damit war ich nicht alleine, den meisten Studienanfängern ging es nicht besser.
Bella nahm sich unserer an, denn sie betreute als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kunstpädagogik die Uni-Neulinge. Sie war unsere Ansprechpartnerin und half uns dabei, den Studienbetrieb zu verstehen. Sie erklärte Abläufe und Hintergründe, besorgte Unterlagen, beriet bei der Erstellung der Stundenpläne und versuchte, unsere aufgeregten Fragen zu beantworteten. Wir scharrten uns um sie wie ängstliche Kinder, und sie versorgte uns in den sechs Anfangswochen unseres Studiums mit guten Tipps. Oft aber lachte sie auch nur einfach über unsere vielen Bedenken und fand, wir sollten das alles nicht so eng sehen.
Bella war so unbeschwert.
Am Ende des Semesters bekam sie ihren Sohn Max.
Sie ließ ihn bei ihren Schwiegereltern, die das Baby gerne betreuten, obwohl sie es unverantwortlich fanden, dass ihre Schwiegertochter ihr Studium fortsetzte.
Ein Jahr später legte Bella ihre erste Staatsprüfung ab und bekam eine Lehrerinnenstelle zugewiesen. Sie wollte unter gar keinen Umständen auf ihre Berufstätigkeit verzichten, fand aber die Betreuungssituation für ihren Sohn Max nicht zufriedenstellend.
Bella suchte einen Ausweg.
Zunächst veröffentlichte sie einen langen Leserbrief in der örtlichen Tageszeitung, in dem sie die vorhandenen Betreuungssysteme scharf attackierte. Das wirbelte einigen Staub auf. Doch während darüber noch heftig diskutiert wurde, weil - so das Gegenargument - Kinder nur zu Hause von der eigenen Mutter optimal betreut werden könnten, gründeten Bella und ihre Freundin Judith 1971 den ersten Kinderladen dieser Stadt.
Das löste einen unglaublichen Sturm empörter Entrüstung aus.
Vor allem Bellas Ehemann und seine Eltern zeigten keinerlei Verständnis für diese Form selbstorganisierter Kinderbetreuung.
Sie unterstellten fragwürdige und unverantwortliche Absichten, doch Bella ließ sich nicht beirren.
Sie suchte weitere berufstätige Mütter und Väter, mit denen sie sich die entstehenden Kosten teilen konnte, denn das gesamte Projekt musste aus eigenen Mitteln finanziert werden. Es meldeten sich mehr als genug Interessenten. Alle kamen aus dem studentischen Milieu, brachten wenig Geld, dafür aber umso mehr Engagement mit.
In einem Vorort mieteten sie ein kleines Haus mit verwildertem Garten, das ebenso billig wie renovierungsbedürftig war. An den Wochenenden wurde gebaut, gestrichen und der Garten hergerichtet. Daneben aber wurde in endlosen Diskussionsrunden um ein Erziehungskonzept gerungen, das geeignet schien, aus Kindern fröhliche und selbstbestimmte kleine Menschen zu machen.
Viele Ideen wanderten auf den Prüfstand, etliches musste neu durchdacht und geändert werden, einiges wurde später korrigiert, manchmal auch zurückgenommen, manches blieb unklar.
Doch eines war für alle, die selbst noch überwiegend autoritär erzogen worden waren, von Anfang an klar: Niemals wieder sollten ihre Kinder vor einem Erwachsenen Angst haben müssen.
Ein Schrei des Entsetzens ging durchs Land.
Die Großelterngeneration war fassungslos. Gerüchte kursierten über Chaos, unverantwortliche Zustände und fragwürdige Erziehungsstile in den Kinderläden. Die Medien berichteten durchweg negativ, wobei sie ständig antiautoritär mit laissez faire verwechselten, beziehungsweise in einen Topf warfen. Es wurde unterstellt, die Kinder würden sich selbst überlassen und dürften machen, was sie wollten. In Wahrheit aber waren feste Regeln und gültige Absprachen selbstverständlich: Respekt statt Gehorsam, Vertrauen statt Angst, Einsicht in soziale Notwendigkeiten statt Zwang, Erklärung statt Strafandrohung.
Das konnte und das wollte die Mehrheit der konservativen Bürger alles nicht verstehen. Vor allem die unzulässige Veränderung der Rolle der Mütter, denen noch immer die erzieherische Verantwortung maßgeblich zugeschanzt wurde, wertete man als Angriff auf die festgefügten Grundsätze.
Bella ließ das kalt
Kompromisslos wie sie nun einmal war, verließ sie drei Jahre später, als Max in die Schule kam, ihren reichen Gatten, um mit ihrer großen Liebe, einem mittellosen Musiker, nach Amerika zu gehen.
Ihr Ehemann reichte die Scheidung ein und bekam, wegen des damals noch herrschenden Verschuldungsprinzips, das Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht für den gemeinsamen Sohn Max.
Er schickte ihn in dasselbe Elite-Internat, das auch er als Schüler besucht hatte.
Bellas plötzliches Weggehen erregte natürlich ärgerliche Aufmerksamkeit. Ein mittelloser, langhaariger Künstler schien ein schlechter Tausch gegenüber einem gesellschaftlich angesehenen, wohlhabenden...
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