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Natürlich hat in folgender Sache auch der immer noch schwelende Antisemitismus eine Rolle gespielt. Vielleicht gar die entscheidende. Denn mit der rechtlichen Gleichstellung der Juden im Jahre 1867 war die Sache ja noch lange nicht ausgestanden. Die Juden der Habsburgermonarchie durften fortan rechtmäßig auch materielle Güter, Haus und Grund erwerben. Sie durften sich ebenso am neu konzipierten Wiener Ring, der Prachtstraße, die nach dem Abriss der alten Stadtmauer die Altstadt als Kern der Monarchie umschloss, prachtvolle Palais und Stadtvillen erbauen. Sie wurden bei Bedarf in den Adelsstand erhoben. Aber damit hatte es sich. Die Ringstraße grenzte den herrschaftlichen Adel sozial und von jedermann sichtbar vom Geldadel ab. Kurz gesagt: Jüdische Bankiers durften dem Kaiserhaus Millionen um Millionen leihen, durften sich Baron oder Ritter nennen, aber sie waren deshalb noch lange nicht hoffähig. Das heißt, sie wurden nicht eingeladen, wenn der Kaiser einen großen Empfang oder ein offizielles Fest gab. So die Ephrussis und Rothschilds, so auch die anderen. Obwohl sogar Kaiserin Elisabeth ihr nicht sehr kleines Privatvermögen bei den Rothschilds in der Schweiz deponierte. Rechtliche Gleichstellung bedeutete noch lange nicht soziale Gleichstellung. Um dieses Gefühl der Zurückweisung bei gleichzeitigem Wissen um die Bedeutung auf der einen Seite, um Dünkel und Überheblichkeit, zuweilen auch Antisemitismus auf der anderen Seite, ging es im Grunde wohl gleichfalls, als die beiden Protagonisten, Nathaniel Baron Rothschild und Erzherzog Carl Ludwig, aneinander gerieten. Es kam zum "Krieg der Schlösser". Reichenau spielte dabei die Rolle eines stellvertretenden Kriegsschauplatzes.
Erzherzog Carl Ludwig, der Bruder des Kaisers, hatte sich schon früh aus der Politik zurückgezogen. Er diente dem Kaiser nur mehr bei repräsentativen Aufgaben, weswegen er im Volk als "Ausstellungserzherzog" bezeichnet wurde. Er war das, was man einen Familienmenschen nannte, kam ab 1867 während der Sommermonate regelmäßig nach Reichenau und bewohnte zunächst die Rudolfsvilla, später mietete er für den Sommer das Reichenauer Schloss; beides gehörte der Familie Waissnix. Im Jahr 1874 bezog die Familie dann ihr eigenes Domizil, die Villa Wartholz. Sie war von dem bekannten Ringstraßenarchitekten Heinrich von Ferstel erbaut worden und spiegelte den Wunsch der erzherzoglichen Familie: Nicht so sehr repräsentativer, sondern ein gemütlicher, eher großbürgerlicher Wohnsitz sollte es werden. Carl Ludwig lernte diesen zu schätzen, weshalb man in den meisten Jahren den Aufenthalt von Mai bis nach Weihnachten dehnte. Obwohl er als sehr leutselig galt, wusste er doch immer, seine persönlichen Interessen mit dem ganzen Gewicht der kaiserlichen Familie zu wahren und durchzusetzen. Mit ein Grund, warum die Reichenauer ihren hohen Mitbürger mit durchaus gemischten Gefühlen betrachteten, obwohl der Erzherzog oft Mitglieder des kaiserlichen Hauses zu Gast hatte und Künstler und Wissenschaftler nach Schloss Wartholz einlud, was dem Renommee Reichenaus als Sommerfrische des Reiches starken Auftrieb verlieh. Das zwiespältige Verhältnis der Einwohner zu ihrem kaiserlichen "Bürger" charakterisiert folgende Anekdote:
Der Alpinist und Schriftsteller Guido List schloss mit ein paar Wiener Journalisten eine Wette ab, nach der die Weltpresse auf eine von ihm getürkte Meldung hereinfallen würde. Am nächsten Tag übermittelte er einer großen Wiener Tageszeitung folgende Meldung: "Unter dem Vorsitze des Bezirkshauptmannes fand soeben in Payerbach eine Sitzung statt, in der beschlossen wurde, die Raxalpe abtragen zu lassen, weil sie seiner kaiserlichen Hoheit dem Erzherzog Carl Ludwig die Aussicht in die Steiermark versperrt, wenn er auf der Terrasse der Villa Wartholz allerhöchst die Kaffeejause einnimmt." Die Zeitung druckte die Meldung, man kannte den Erzherzog. Sie ging über Agenturen an die gesamte Weltpresse. Guido List hatte seine Wette gewonnen.
Nachdem der Erzherzog vor seinem Bruder Franz Joseph gestorben war, wurde sein Sohn Franz Ferdinand zum offiziellen Thronfolger ernannt. Er hatte einen großen Teil seiner Jugend in Reichenau verbracht und war bei den Einheimischen sehr beliebt. Mit sechs Jahren erhielt er einen Erzieher, der für die nächsten Jahrzehnte sein nächster und wichtigster Ansprechpartner sein sollte. Dieser Carl Graf Coreth ließ sich in der Eichengasse 28, die am Pförtnerhaus zum Rothschild-Schloss ihren Anfang nimmt, ein Landhaus bauen, um die wenige freie Zeit, die ihm die Begleitung des Thronfolgers ließ, mit seiner Familie vor Ort verbringen zu können.
Als nach der Ermordung Franz Ferdinands in Sarajevo seine sterblichen Überreste nach Wien überführt wurden, machte der Zug in Payerbach einen außertourlichen Halt, damit sich die Einwohner von Payerbach und Reichenau von ihm verabschieden konnten. So jedenfalls erzählen es die Alten.
Mit Franz Ferdinand und seinem Tod verbindet sich dabei auch eine alte Sage: Die Habsburger waren, wie ihre Verwandten, die Wittelsbacher, leidenschaftliche Jäger. Franz Joseph etwa verzeichnete in seinem langen Leben circa 70 000 Abschüsse, was ungefähr denen anderer Hochadeliger der damaligen Zeit entsprach. Franz Ferdinand aber übertraf sie alle bei weitem. In seinem gut 50-jährigen Leben verzeichneten seine Aufzeichnungen mehr als 250 000 Abschüsse. Er war nicht nur ein leidenschaftlicher, sondern ein blindwütiger, ein besessener Jäger, der sich gar eines dieser neuen Maschinengewehre aus den USA hatte kommen lassen. Nach einer alten, wohl keltischen Sage waren weiße Hirsche und Gemsen den "saligen Frauen", die im Gebirge lebten, heilig. Wer eines dieser Tiere tötete, musste eines baldigen Todes sterben. Im Sommer des Jahres 1913 erlegte der österreichische Thronfolger eine weiße Gemse, kaum ein Jahr später fiel er dem Attentat von Sarajevo zum Opfer. Ein halbes Jahrhundert später schoss der rumänische Diktator Ceaucescu aus der Gondel einer Bergbahn heraus ebenfalls eine weiße Gemse. Er wurde ein knappes Jahr später von Revolutionären hingerichtet. Zufall? Wahrscheinlich! Aber seltsam ist es doch.
Nach dem Tode Kaiser Franz Josephs wurde Karl I. letzter Kaiser des Habsburgerreiches. Wartholz war ihm Heimat von Kind an gewesen, deshalb wollte er auch seine kaiserliche Residenz hierher verlegen. Er kaufte im Umkreis viele Villen an, um seinen Hofstaat unterbringen zu können. Doch dazu kam es nicht mehr. Das Ende des Ersten Weltkrieges brachte auch das Ende der Monarchie. Wartholz aber war Privatbesitz der Habsburger. Deshalb blieb es auch in weiterer Folge unangetastet und fiel zuletzt dem Kaisersohn und späteren EU-Abgeordneten Otto von Habsburg zu, der hier geboren wurde und einen Großteil seiner Kindheit verbracht hatte. Heute ist das Schloss in privater Hand. Es kann nur auf Anfrage besichtigt werden.
Auch Nathaniel Baron Rothschild hatte sich wie sein Kontrahent, der Erzherzog, aus den Familiengeschäften zurückgezogen. Sein riesiges Privatvermögen erlaubte es ihm, seine Passionen, zu denen eine großzügige Spendenpraxis zählte, fast ungebremst auszuleben. Seit 1879 kam er immer wieder nach Reichenau in die Sommerfrische und erwarb 1883 in Hinterleiten, heute ein Ortsteil von Reichenau, einen umfangreichen Grundbesitz. Von einem italienisch-französischen Architektengespann ließ er sich ein großzügiges, repräsentatives Schloss im Stil französischer Loire-Schlösser inmitten eines Landschaftsparks bauen. Das unterkühlte Verhältnis des Barons zum Erzherzog muss dabei eine gewichtige Rolle gespielt haben. Denn es fällt jedem Besucher sofort auf, dass es Schloss Wartholz weit in den Schatten stellt und augenfällig auf die soziale Gleichstellung, auf die Ebenbürtigkeit der Juden pochte. Darauf mag auch hinweisen, dass Baron Rothschild in den bereits 1887 fertiggestellten Personalbau eingezogen ist. Dieser war wesentlich einfacher konzipiert, dem englischen Landhausstil angepasst. Das Schloss selbst hat er nie fertigbauen lassen und ist auch nie dort eingezogen. Vielleicht, um zu demonstrieren, dass er diesen Repräsentationsbau für sich selbst nicht brauchte, aber ihn sich eben leisten konnte. 1889 schenkte er den weit fortgeschrittenen und imposanten Torso dem Verein für Brustkranke. Auf massiven Protest von Einheimischen und Sommerfrischlern, die sich hinter dem Einfluss des Erzherzogs versteckten, zog Baron Rothschild die Schenkung zurück und errichtete stattdessen mit dem Schloss eine Stiftung für invalide Subalternoffiziere der k. u. k. Armee. Eine wahrhaft vaterländische Stiftung, gegen die nun wirklich keiner etwas haben konnte; und der Zweck, dem Erzherzog bei Ausfahrten angesichts der Kranken die Laune zu vermiesen, war dennoch erfüllt.
Das Schönste am Schloss Wartholz ist sein Garten. Für die Besucher sowieso, denn ein kleiner Teil davon ist öffentlich zugänglich und lädt ein zum Spazieren und Flanieren. Die Luft riecht dort blumig und mild, im Unterschied zur scharfen Bergbrise auf der Rax, zu der man jetzt von unten hinaufschauen kann. Der...
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