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Das sollte ein Eliteinternat sein?
Rufus blieb fast die Spucke weg, als seine Mutter vor dem heruntergekommenen Gebäude parkte. Im nächsten Moment breitete sich ein fassungsloses Grinsen auf seinem Gesicht aus, das auf seinen Wangen Hunderte von Sommersprossen zum Tanzen brachte.
Diese ganze Aktion mit dem Stipendium für eine superwahnsinnig extracoole Schule, das er angeblich bekommen sollte, war sowieso schon völlig absurd. Aber das Haus, vor dem sie jetzt standen, setzte dem Ganzen eindeutig die Krone auf.
Und zwar eine echt schäbige Krone!
Rufus ließ den Blick über die große Freitreppe und die schwere, eisenbeschlagene Tür wandern. Darüber waren einige dunkle Flecken in der Fassade zu erkennen, die aussahen, als wären dort vor langer Zeit Buchstaben angebracht gewesen. Er kniff die Augen zusammen. Gebr entzifferte er, aber dann ging es nicht weiter, denn die nächsten Flecken waren zu verblichen. Erst dahinter waren sie wieder besser zu erkennen: Privatbankiers, gegr 1392.
Rufus stöhnte leise auf. "Gebrgegr", murmelte er vor sich hin, und es klang, als klapperten seine Zähne. Aber was ihm wirklich gegen den Strich ging, war das Wort "Privatbankiers". Das hier war eindeutig eine Bank und eine uralte dazu. Was sollte man da schon lernen? Mathe natürlich! Vor seinem inneren Auge tauchten sofort lange schwarze Zahlenkolonnen auf, die wie eine Ameisenarmee auf ihn zu marschierten. Rufus hätte sie zeichnen können, so deutlich sah er die kleinen Einsen, Sechsen und Nullen vor sich.
Er blickte verstohlen zu seiner Mutter. Wie immer in den letzten Jahren trug sie einen ihrer dunkelblauen Hosenanzüge und sah mit ihrer teuren Frisur, die ihr kupferrotes Haar in einer schick glänzenden Welle über die Ohren bis zum Kinn spülte, extrem gediegen aus. Viel zu gediegen für Rufus' Geschmack. Früher, als sie noch mit seinem Vater zusammen gewesen war, hatte sich ihr Haar in langen Locken ums Gesicht geringelt und sie hatte viel hübscher ausgesehen. Aber das konnte er ihr natürlich nicht sagen.
Rufus fragte sich wirklich, was hinter all dem steckte.
War das Ganze mit dem Stipendium vielleicht nur ein Trick seiner Mutter, um ihn endlich zu einem ordentlichen und guten Schüler zu machen? Rufus' Mutter hatte zu seinem großen Bedauern eine wahre Besessenheit für Geld entwickelt, seit sie und sein Vater sich getrennt hatten. Ihrer Meinung nach war ein guter Schulabschluss die grundlegende Voraussetzung für eine vernünftige Karriere. Und dass sie jetzt ausgerechnet vor einer Bank standen, erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Sache hier eingefädelt hatte, um ein Vielfaches.
Rufus hatte von Anfang an vermutet, dass seine Mutter ihn auf diese Weise jetzt auch noch in ein Internat abschieben wollte. Er hatte ihr kein Wort geglaubt, als sie behauptet hatte, dass nicht sie an das Internat, sondern das Internat an sie geschrieben hätte.
Internat! Schon das Wort klang grässlich.
Rufus sah dabei einen Schlafraum voller Sportangeber vor sich. Oder, noch schlimmer, ein Zimmer voller verwöhnter Reichlinge, die nur bei ihren Eltern anrufen mussten, um das Geld für die nächste Ladung feiner Edelklamotten rübergeschoben zu bekommen, und die tagtäglich ein paar frische minzgrüne Socken brauchten. Das war der schlimmste aller Albträume. Und leider stand Rufus' Mutter auf minzgrüne Socken, seit sie gelesen hatte, dass sich der echte Adel so was über die Stinkefüße zog.
Doch welche seiner Schreckensvisionen er hier auch immer antreffen würde, keine davon war so schlimm wie die Wahrheit. Wenn seine Mutter wirklich vorhatte, ihn gegen seinen Willen und ohne ihn zu fragen in ein Internat zu stecken, würde Rufus von zu Hause abhauen. Dann würde er seinen Vater suchen, wo immer der sich auch versteckte, und ihn um politisches Asyl bitten.
Insgeheim hoffte er allerdings, dass seine Mutter doch nicht die Triebfeder bei dieser Sache war. Darum würde er erst einmal abwarten und der Geschichte auf den Grund gehen. Denn ganz egal, wie etepetete seine Mutter sich anzog, welchen durchgeknallten Guru-Friseur sie einmal in der Woche aufsuchte und ob sie wirklich völlig versessen auf üppige Gehaltsschecks war, seit sein Vater sie mit einer ganz schön viel jüngeren Frau verlassen hatte - Rufus liebte seine Mutter trotzdem.
Das war ihm bei dieser ganzen Geschichte mit dem Eliteinternat auf einmal klar geworden.
Noch bis vor einer Woche hatte sich Rufus täglich in sein Geheimversteck im Museum verzogen. Hauptsächlich, weil er es hasste, das kalte Essen aus dem Kühlschrank zu holen, das seine Mutter ihm dort bereitstellte. Besonders, wenn es sich dabei um Käsebrote handelte. Kalte Käsebrote waren das finsterste Grauen auf Erden.
Noch schrecklicher allerdings war es, wenn seine Mutter ihm einfach einen Zehneuroschein auf den Küchentisch legte. Beim Anblick des handgeschriebenen Zettels daneben verging Rufus regelmäßig der Appetit. Kauf dir heute bitte selbst was zu essen, mein Schatz. Immer wenn er den blöden Geldschein auf dem Tisch liegen sah, wusste er, dass er ihn nur deswegen bekam, weil seine Mutter nicht zu Hause, sondern in irgendwelchen Büros bei irgendwelchen wichtigen Besprechungen war. Und darauf war sie auch noch stolz. Weil das Geld, das sie damit verdiente, angeblich ihrem und Rufus' gemeinsamen Leben zugutekam. Nur, dass es dieses gemeinsame Leben gar nicht gab.
Alles in allem hatte Rufus jetzt seit mehreren Jahren keine richtige Familie mehr. Sein Vater lebte wusste der Teufel wo mit einer Unbekannten, und seine Mutter verbrachte den Großteil ihrer Zeit bei ihrem tollen Job in ihrem tollen Büro, von dem aus sie über das Stadtschloss und den Fluss blickte.
Für ihn blieben der Zehneuroschein und jeden zweiten Tag kalte Käsebrote.
Eine Weile hatte er gehofft, sein Leben würde sich irgendwie von selbst wieder einrenken. Doch das geschah leider nicht. Wie immer, wenn er sich schlecht fühlte, hatte er sich in diesen Tagen an seinen Schreibtisch gesetzt und angefangen zu zeichnen. Zeichnen war immer noch das, was ihn am glücklichsten machte. Mit festen Strichen warf er seine Mutter aufs Papier, wie er sie von früher vor sich sah: mit ihren langen roten Locken, die wild um ihre Schultern fielen und zwischen denen sie spitzbübisch hervorlinste und verrücktes Zeug erzählte. Das hatte sie früher oft getan. Verrückte Geschichten erzählt, Rufus dabei umarmt, gelacht und ihm plötzlich einen Kuss auf die Wange gedrückt, dass es nur so knallte. Rufus liebte verrückte Geschichten. Und er liebte sie besonders, wenn seine Mutter sie mit ihrer leisen, geheimnisvollen Stimme erzählte.
Doch aus irgendwelchen Gründen schaffte er es selbst beim Zeichnen nicht mehr, sich an die leise und geheimnisvolle Stimme seiner Mutter zu erinnern. Frustriert war er an diesem Tag aufgestanden und auf der Suche nach etwas Essbarem in die Küche gegangen. Er hatte den Kühlschrank geöffnet und dann war sein Blick auf den Teller mit den Käsebroten gefallen. In diesem Moment hatte Rufus die Wut gepackt.
Am liebsten hätte er die Brote genommen und sie an die Wand geklatscht. Gerade noch rechtzeitig war ihm eingefallen, wie seine Mutter am Abend ausflippen würde, wenn er das tat, und Rufus hatte es sich eben noch verkniffen. Stattdessen war er aus der Wohnung gerannt und quer durch die Stadt gelaufen, auf der Suche nach irgendwas, das er tun konnte, um sich abzulenken. So hatte er plötzlich vor dem Völkerkundemuseum gestanden. Und so hatte er angefangen, die Schule zu schwänzen.
Rufus kannte das riesige Gebäude, weil er hier früher manchmal zusammen mit seinen Eltern gewesen war. In diesem Augenblick hatte er sich daran erinnert, wie glücklich seine Mutter damals ausgesehen hatte, wenn sie an der Hand seines Vaters mit ihrem leuchtend roten Haar durch die dunklen Säle gingen und sie das Licht der Strahler traf, die von der Decke auf die Ausstellungsstücke gerichtet waren. Davon fiel ihr Schatten auf die seltsam geformten Segel aus Pandanussblättern, die an den Masten des Segelbootes der Südseeindianer hingen. Von dort wanderte, während seine Mutter weiterging, er über geflochtene Buschgeistmasken und Tanzschilde, bis er zwischen den Zinken einer hölzernen Kannibalengabel verharrte.
Mit diesem Bild im Kopf hatte Rufus das Museum betreten. Und mit dreizehn Jahren bekam man dort auch noch freien Eintritt.
Die halbdunklen, kühlen und hohen Räume, in denen hinter jeder Ecke etwas Neues auf einen wartete, hatten ihn schon nach wenigen Schritten in ihren Bann gezogen. Hier war es viel besser als alleine zu Hause vor einem kalten Käsebrot. Und seine Mutter kümmerte sich sowieso nicht um ihn, also konnte er doch eigentlich tun, was er wollte!
Von nun an war Rufus fast jeden Tag ins Museum gegangen. Zunächst war er erst nach dem Unterricht in sein neues Versteck gezogen. Doch dann hatte er sich immer öfter schon in der Frühe auf den Weg gemacht, sobald seine Mutter zur Arbeit gegangen war. Denn auch die Schule machte ihm schon längst keinen großen Spaß mehr.
Im Museum hatte er sich auf eine der Bänke in den...
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