Schweitzer Fachinformationen
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Das Licht trüb, wie in einer glasbedeckten Halle. Die Schablonen vor der Sonne hin- und hergezogen, prescht es grell durch die Fenster.
Der mit dem weissgeschminkten Gesicht, bunte Haare, blaue Lippen - Klavierkonzert in Es-Dur, Köchelverzeichnis Nr. 482, von W. A. Mozart. - Am Flügel gegenüber, die zirka Fünfunddreissigjährige: hochgeschlossenes Kleid, mitternachtsblaue Tupfen - ihre Fingerspitzen über den Tasten. Hebt sie den Kopf, lässt er die Hände sinken; die schwarzumrandeten Augen auf das Notenheft gerichtet, aus den Gelenken geschüttelte Akkorde. Reckt er den Nacken, taucht die Hand einer Zwölfjährigen neben seiner Wange auf, erfasst das Notenblatt an der oberen Kante.
Saugt die Wolke das Helle aus dem Raum, sacken die Lichtbalken in sich zusammen. - Die Messingklinke an der weisslackierten Doppeltür: Ein schmaler, schlanker Rücken, randlose Brille, glatte, schwarze Haare. Professor Gerber hebt - entschuldigend, zum Gruss? - die Arme.
Der Blick der Zwölfjährigen, die Augen weit geöffnet, hängt sie in der Musik, vermag sie nicht - das Notenblatt zwischen Daumen und Zeigefinger - dem Institutsvorstand sich zuzuwenden. Noch sechs, noch fünf, noch vier Takte. Der vor dem Klavier neben ihr, hennarote Haare, violette Strähne darin, er nickt. - »Der Bursche passt nicht in diese Stadt«, Monikas Vater hatte den Tabak aus der Pfeife geklopft, war aus seinem Fauteuil gekrochen. - Das Albumblatt, rasch gewendet, federt zurück. Ihre Hand - die Finger fest aneinander - streift es behutsam glatt.
Der zweite der fünf Stühle neben der Tür. Professor Gerber, die Beine übereinander, das grosse gelbe Kuvert neben sich. Klavierkonzert in Es-Dur, zweiter Satz. An die tausend Mal habe er dieses Konzert bereits gespielt, allerdings nicht so wie dieser Kerl dort, Demmler.
»Er spielt laut, wo leise gespielt werden muss, setzt unsinnige Akzentuierungen, die das Taktmass nahezu zerstören. Das Ganze klingt wie Schlagermusik. Ich verstehe nicht, Frau Kollegin, wie Sie diesen Akt der Verrohung gutheissen können.« - Ihre Antwort ärgert ihn noch heute: »Er verändert keine Note, keinen Takt, spielt exakt, was am Blatt steht. Aber was macht er daraus!« - Weshalb blättert heute die Schülerin Weinpert um, nicht sein Adlatus, der anhängliche Zurbriggen. Die Schülerin hat nicht gegrüsst, als er den Raum betrat. Die Wände, soweit er es von hier beobachten kann, tadellos bemalt. Das Parkett einwandfrei geschliffen, glatt versiegelt, alles so, wie er es angeordnet hatte, nur an der Stange des einen Lusters ein schwarzer Striemen, als würde er von der Flamme einer Kerze herrühren, seltsam. Dem muss nachgegangen werden.
Der Anschlag, der Anschlag viel zu grob! Herrgott, hört sie das denn nicht, die Winkler! Unterbrechen. Unterbrechen sollte sie ihn. Nun, mir soll's recht sein. - Der grelle Balken auf dem Karton des Kuverts leuchtet auf, erlischt wieder. - Um Bach zu spielen, müsse man weise sein, bei Mozart komme es auf die Anmut an. Für die eine Eigenschaft, ein Siebzehnjähriger zu jung, für die andere noch nicht alt genug. Er sage es immer wieder: Liszt. Rachmaninoff, seinetwegen Schumann, Tschaikowsky, Chopin sollen sie spielen, aber doch nicht um Himmels willen Mozart. Egal. In Turin, nächste Woche, ist Demmler sowieso chancenlos. Die roten Haare, das Sakko. Ausserdem gewinnt heuer ein Pole, so lässt es sich verschmerzen, dass zum ersten Mal seit Bestehen des Agnelli-Bewerbes dieser mit keinem Schüler aus der Klasse des Institutsvorstandes . - Die Triole. Weshalb paraphrasiert er die Triole wie eine Quadrill! Die Kollegin scheint zufrieden zu sein. Oh, Gott. -
- Der Mensch in seinem Rücken. Als könnte er ihn riechen, vermöge er den neben der Tür zu spüren, rasen seine Finger über die Tasten. Ein grosser Schatten hat die Stille aus dem Gleichgewicht gebracht. Es ist nicht er, der spielt, es spielt durch ihn hindurch. Er kann sich nicht raushalten, davonstehlen - der Seiltänzer, aus der Balance geraten . Sätze seines alten Klavierlehrers. Der Wind, den man gegen die Wellen bläst, schlägt einem als Flut entgegen. -
»Spielt vor zwei Menschen anders als vor vieren, und vor zehn anders als vor hundert«, Professor Gerber, die Gabel mit dem Fleischstück in der Hand. »Ein Pianist, der keine konstante Leistung zu bringen vermag, kann kein brauchbarer Pianist sein.« Die Augen starr auf den schweigsamen Fünfundsechzigjährigen gegenüber gerichtet: Die Präzision eines Künstlers müsse heutzutage einer Digitalanzeige gleichen. »Nicht, einmal Äpfel, dann Birnen.« Der Happen samt Gabelspitze, zum Mund. »Dieser Demmler lässt sich vom geringsten Hauch umblasen.« Als wäre der geschminkte Kerl mit dem absichtlich verschmutzten Sakko nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Gummi, oder schlimmer noch Papier! Falls man wolle, dass er schlecht spiele, brauche man nur eine unwillkommene Person im Raum platzieren - er lachte, während er das Zerkaute hinunterschluckte. - »Aber manchmal« - Professor Zynefsky, als würde er plötzlich erwachen, stiess die Gabel in die Richtung des Institutsvorstandes -, manchmal spiele Demmler gerade dann eben »so ganz besonders ausserordentlich hervorragend«.
Granatsplitter an der Kopfhaut. Er schlägt den Kragen hoch. Die Ärmel weiss, kreidebeschmiert. Passanten starren auf seinen Rücken - Buchstaben aus durchsichtigem Tixo: »Alle..es.. Scheis..se..«, jubelt ein Zehnjähriger und läuft zu seiner Mutter zurück. Psst, wispert die im grauen Mantel, zerrt an der schmalen Hand. - UHU blinkt es gelb überm Haussims an der Ecke. - Hinein in die Fussgeherzone!
Zieht er den Bug vor seinem Brustbein hoch, gilt es den Anprall der Wellen zu ertragen. Wesen aus verschiedenen Epochen, ineinander verkeilt: Neandertaler, vermurkst mit Marsmenschen, mühsam verbrämte Tiermenschen neben solchen voll aufgeblähter Sachlichkeit. Schleppen dort einige grölend ihre Keulen, piepsen hier andere unentwegt SOS, Weltraum!, stossen hie und dort aneinander, Geknatter, Funken sprühen. - Hat er sich angewöhnt schnell zu gehen, weiss er, dass er in einer Stadt lebt, in der man gelegentlich mit Rempeleien auf ihn reagiert. - »Jetzt überlegen Sie einmal«, Helga Winkler neben dem Klavier, drischt flüchtig den Akkord. »Warum einmal so, und dann wieder so?«
»Bravo!« - der Institutsvorstand war aufgesprungen, »Bravo!« Das grosse gelbe Kuvert in der Hand, schritt er feierlich auf ihn zu. »Wir erwarten von Ihnen einiges, Demmler. Ich bringe Ihnen die Unterlagen für Turin. Hier die Fahrkarten, die Billets Ihrer Begleiter, Stadtpläne, Adresse des Hotels. Ich wollte es mir nicht nehmen lassen, Sie persönlich zu verabschieden und Ihnen alles Gute für den Concorso zu wünschen, bei dem wir grosse Hoffnungen hegen .«
Weshalb diese Freundlichkeiten. Hat er Angst, ich könnte den Preis gewinnen und nachher über ihn herziehen? Fürchtet Gerber, ich könnte der Presse stecken, dass er vor einem Jahr Kopenhagen verhindert hat, und ein Jahr davor Bremen und Athen . Würde der Achtundvierzigjährige nicht als einer dastehen, der einem jungen Kollegen den Weg zur Karriere verstellen wollte, die ihm selbst nicht beschieden war. Ja, in den Augen der Stadt gilt Gerber als weltberühmt, bloss weiss die Welt nichts davon. Sein Spiel, das sich vorwiegend auf die brave Ausführung technischer Schwierigkeiten beschränke, habe für London keine Bedeutung. Wie gern hätte Erich nur ein einziges Mal einen solchen Satz in den hiesigen Zeitungen gelesen - das Gegenteil war der Fall: Alexander Gerber, breit angekündigt, die Säle voll . - Hörte denn keiner in dieser Stadt (und leider auch in einigen anderen), was da vorne vor sich ging? Vierzehnjährig wetzte er in der sechsten Reihe auf seinem Stuhl hin und her: Zum Verzweifeln. Wieder einmal einen Trapezakt mit einer biederen Stadtwanderung verwechselt!
Der Institutsvorstand über den Handrücken seiner Kollegin gebeugt, Alles Gute für die Reise! Die Mundwinkel nach oben, die Wangen zu einem Lächeln geballt, die Augen leer. Hatte sie denn nicht bemerkt, dass er alle Triolen, alle Triller falsch apostrophierte? Die Jury in Turin werde solches nicht verzeihen. Das Institut werde in Misskredit geraten, ihr Institut, für dessen Ruf er, Alexander Gerber, verantwortlich sei. Er wünschte, es könnte sich eine Gelegenheit ergeben, seine...
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