Deinen Hund verstehen
I
mpulskontrolle beginnt schon viel früher, als wir das meist interpretieren. Wir unterliegen dabei dem Irrtum, erst eingreifen zu können und zu müssen, wenn der Hund beispielsweise schon in die Leine gesprungen ist, bellt oder eine andere Art aggressiven Verhaltens zeigt. Dabei ist es in diesen Momenten schon zu spät: Der Hund hat bereits reagiert und es gibt keine Möglichkeit mehr, diese Reaktion rückgängig zu machen. Impulskontrolle bedeutet eigentlich, dass der Hund gar nicht erst dazu kommt, dieses Verhalten zu zeigen. Der Trick dabei ist, ihm zu zeigen, wie er bereits vorher einen anderen Ausweg als den impulsiven wählen kann. Es geht darum, ihm zu demonstrieren, dass er überhaupt eine Wahl hat und seine Strategien ändern kann.
Ein Beispiel: Vielleicht gehört Ihr Hund zu den Hunden, die in einer Begegnung mit einem anderen Hund vollkommen ausklinken und nicht mehr kontrollier- und auch nicht mehr ansprechbar sind. Er bellt, er springt in die Leine, er tobt und fiept. Eine gelungene Impulskontrolle wäre es hier, ihm beizubringen, dass dieses Verhalten nicht nötig, ja, auch nicht erwünscht ist, und dass er stattdessen den Drang, zu dem anderen Hund zu sprinten, unterdrücken soll. Er soll lernen, entspannt zu bleiben und am besten den anderen Hund ignorieren. Er soll begreifen, dass es keinen Grund gibt, nervös, ängstlich oder gar aggressiv zu werden.
Mit jedem Mal, bei dem er das ungewünschte, unkontrollierte Verhalten zeigt, verstärkt er dieses. Mit jedem Mal, das er in die Leine springt, gewöhnt er sich dieses Verhalten mehr an und hält es irgendwann für vollkommen normal. Wir müssen also verhindern, dass er dieses Verhalten zeigt, lange bevor er die Zeit hat, es auszuführen. Je früher wir eingreifen, desto besser: Sobald wir merken, dass der Hund in eine Erregungssituation kommt, die ihn zu einem solch impulsiven Verhalten verführt, sollten wir reagieren. Wie machen wir das?
Für diese Situationen ist es unerlässlich zu lernen, unsere Hunde zu verstehen. Wir müssen unseren Hund kennenlernen. Wir müssen beobachten und einschätzen lernen, in welchen Situationen er nervös oder ungehalten wird und mit welchen Situationen er besser umgehen kann. So können wir in den richtigen Momenten unterstützend eingreifen und auch in den richtigen Momenten Vertrauen walten lassen und unseren Hund mehr oder weniger sich selbst überlassen. Die richtige Mischung aus Unterstützung und Hilfestellung auf der einen Seite und Vertrauen und Glauben an die Fähigkeiten des Hundes auf der anderen Seite wird unserem Hund helfen, selbstbewusster zu werden, sich sicher zu fühlen und ihm am Ende auch die Möglichkeit geben, viele Schwierigkeiten souverän zu lösen.
Selbst den eigenen Hund zu verstehen, ist nicht immer ganz einfach. Die Sprachbarriere zwischen uns und unseren Vierbeinern ist häufig doch größer, als wir denken. Unser Hund kann uns nicht einfach erzählen, wann er sich unsicher fühlt oder Angst hat. Wir müssen es beobachten. Und dafür ist es unabdingbar, die Zeichen zu erkennen, die unser Hund uns sendet.
Zum einen gehört dazu, dass wir grundlegend die Körpersprache eines Hundes verstehen sollten. Auch wenn jeder Hund individuell ist und seine Eigenheiten besitzt, gibt es doch einige körpersprachliche Signale, die als Reflexe nicht steuerbar und beinahe bei jedem Hund gleich sind. Diese zu deuten, bringt uns einen großen Schritt näher heran an das Verständnis unserem Hund gegenüber. Auch allgemeine Merkmale können uns helfen: So zeigen Hunde bestimmter Rassen häufig ähnliche Verhaltensweisen, Welpen präsentieren sich anders als ältere Hunde und auch das Geschlecht spielt eine Rolle.
Einen Schritt weiter gehen wir schon, wenn wir uns mit unserer Beziehung zu unserem Hund beschäftigen. Immer wieder sind es nämlich wir Menschen selbst, die unsere Hunde zu verschiedenen Verhaltensweisen verleiten. Sind wir nervös oder ängstlich, spiegelt unser Hund das wider und wird entsprechend sein Verhalten ändern und an das unsere anpassen. Und noch tiefer gehend hat auch die Bindung insgesamt einen großen Einfluss auf unseren Hund: Fühlt er sich sicher bei uns? Wie unabhängig ist er von uns?
All diese Punkte spielen eine große Rolle, wenn wir uns um die Impulskontrolle unseres Hundes bemühen wollen. Sie entscheiden über Erfolg und Misserfolg. In diesem Kapitel werden wir deshalb detailliert die genannten Gegebenheiten betrachten und herausfinden, wie wir sie einsetzen können, um unserem Hund mehr Sicherheit und Selbstbewusstsein zu geben. Mehr Sicherheit bedeutet nämlich gleichzeitig auch mehr Vertrauen - mehr Vertrauen in Sie und mehr Vertrauen in sich selbst. Und das wiederum führt beinahe automatisch zu einer besseren Impulskontrolle.
Konformität und Individualität - Was ist gleich? Was ist anders?
5
Allgemeine Faktoren: Rasse, Geschlecht, Alter Sieht man sich heute all die verschiedenen Hunde an, könnten sie unterschiedlicher fast nicht sein. Jahrtausende der Hundezucht haben so viele verschiedene Rassen, Größen, Eigenheiten hervorgebracht, dass diese schon praktisch nicht mehr zählbar sind. Und entsprechend unterschiedlich sind auch die Charaktere der Hunde, die wir heute kennen. Wie beim Menschen (und wahrscheinlich allen anderen Lebewesen) hängt die Persönlichkeit eines Hundes zwar auch entscheidend davon ab, wie er aufwächst, welche Beziehungen er im Laufe seines Lebens knüpft, welche Erfahrungen er in welchem Kontext macht und wie er diese verarbeitet. Ein Teil seines Charakters ist aber ebenso schon durch bestimmte äußere Gegebenheiten vorherbestimmt. Eine große Rolle spielt dabei die Rasse, der der Hund angehört.
Es ist unmöglich, hier alle Rassen und ihre Eigenheiten aufzuzählen - dazu gibt es einfach zu viele. Im besten Fall haben Sie sich bereits vor dem Hundekauf damit auseinandergesetzt, welche Eigenschaften Ihr Hund mitbringt und sich gefragt, ob Sie die damit einhergehenden Bedürfnisse überhaupt befriedigen können. Wissen Sie eigentlich gar nicht so genau, welche Eigenschaften der Rasse Ihres Hundes zugesprochen werden, gehen Sie einfach einmal ins Internet und suchen Sie bei Google. Es gibt viele Seiten, die Ihnen genau diese Frage beantworten werden.
Ich möchte deshalb nur grob auf einige Beispiele eingehen, die im Zusammenhang mit Erziehung und Impulskontrolle wichtig werden können. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass alle Hunderassen erziehbar sind und auch alle Hunderassen lernen können, sich zu kontrollieren. Allerdings ist es wahr, dass einige Rassen sich etwas leichter erziehen lassen als andere.
Warum sind beispielsweise Labradore eine so beliebte Hunderasse? Sie stehen im Ruf, sehr gutmütig zu sein, freundlich, verfressen - und leicht erziehbar. Labradore sind Hunde, die gefallen wollen. Sie wollen, dass ihr Mensch sie lobt, dass ihr Mensch sie bewundert und großartig findet. Sie möchten Ärger vermeiden und keine Auseinandersetzungen haben. Entsprechend ist es leichter, sie zu bestimmten Verhaltensweisen zu bringen - zumal sie eben für einen Leckerbissen beinahe alles tun würden.
Ein Husky hingegen gilt im Allgemeinen als sehr schwierig erziehbar. Auch sie sind gutmütig, freundlich und gute Familienhunde, ihnen fehlt aber der Charakterzug, gefallen zu wollen. Sie sind stur und (durch ihre noch nahe Verwandtschaft zum Wolf) eher unabhängig von ihrem Menschen. Sie sind oft selbstbewusst genug, zu glauben, auch allein zurechtzukommen. Das zeigen sie auch in der Erziehung: Sie fordern ihre Menschen heraus, indem sie immer wieder austesten, inwiefern sie sich durchsetzen können. Ebenfalls in die Pfoten spielt ihnen hierbei ihre hohe Intelligenz. Außerdem neigen sie dazu, einfach wegzulaufen, wenn ihnen etwas nicht gefällt.
Auch Jagdhunde wie die verschiedenen Terrier sind eher schwierig erziehbar, ebenso wie Chihuahuas. Diese Hunde wurden gezüchtet, um - wie der Name schon sagt - mit auf die Jagd zu gehen. Dort müssen sie auch eigenständig unterwegs sein und allein Entscheidungen treffen. Gelegentlich sogar unter Einsatz ihres Lebens: Dackel kriechen in dunkle, kleine Löcher und wissen nicht, ob sie darin einen Hasen aufscheuchen oder womöglich einen Fuchs mit seinen Jungen, der nicht allzu erfreut über die Störung sein wird. Diese Hunderassen besitzen mutige Herzen, was es aber dem Menschen schwieriger macht, sie zu erziehen.
Oder der beliebte Schäferhund: Diese Rasse ist sehr treu und anhänglich, klug und beschützend. Kein Wunder, dass sie gerade als Hof- und Hütehunde so beliebt sind - auch weil sie durch diese Eigenschaften sehr gehorsam sind. Sie lernen gerne, können sich gut konzentrieren und sind sehr neugierig. Allerdings muss man auch hier aufpassen, welche Art von Schäferhund gut zu einem selbst passt: Beispielsweise sind Deutsche Schäferhunde tendenziell noch bessere Familienhunde, möchte man eher einen Hund für den Hundesport oder gar als Polizeihund, sollte man sich eher für die belgische Variante entscheiden: Sie sind sportlicher und noch etwas zäher, haben dafür aber eine niedrigere Aggressionsschwelle.
Beschreibungen der Hunderassen könnten so noch seitenweise weitergehen. Wie gesagt, suchen Sie am besten selbst einmal im Internet, welche Charaktereigenschaften der Rasse Ihres Hundes zugeschrieben werden, und vergleichen Sie das mit Ihrem Hund. Was trifft zu, was nicht? Haben Sie diese Büchse der Pandora einmal geöffnet, wird es Ihnen auch in Zukunft viel leichter fallen, Ihren Hund einzuschätzen. Und außerdem ist es ziemlich interessant, oder?
Ein weiterer, nicht ganz unerheblicher Faktor für typische Verhaltensweisen Ihres Hundes ist das Alter. Gut, dass ein Welpe sich noch anders...