WILDSCHADEN, ERSTATTUNG UND RECHTLICHE GRUNDLAGEN
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"Schaden" durch Wild
Der Begriff "Wildschaden" ist stets aus der Sicht des wirtschaftenden Menschen formuliert und kennzeichnet gewissermaßen die Auswirkungen des Tierverhaltens auf die Umwelt unter dem Gesichtspunkt einer wirtschaftlichen Schädigung. Kein Wild richtet "vorsätzlich" Schäden an. Wildschäden sind zuallererst Ausdruck gestörter Lebensräume und Umweltbeziehungen. Das Wild weist uns durch sein Verhalten auf diese Störungen hin.
Beziehungen Mensch??- Wildtier
Ganz unabhängig von der Wildschadensverhütung und den Regelungen zur Wildschadenserstattung haben sich die Beziehungen zwischen Mensch und Wildtier in den letzten Jahrzehnten wesentlich geändert: Während in der Steinzeit der Anteil des Menschen an der Biomasse der Säugetiere bei etwa einem Prozent lag, beträgt dieser Anteil heute bei weltweiter Betrachtung 36 Prozent. Hinzu kommt gegenwärtig noch die Biomasse der Haustiere mit 58 Prozent, sodass für wildlebende Säugetiere an Land nur zwei Prozent und für Meeressäuger vier Prozent verbleiben (Zimmermann 2023).
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Über die Hälfte der weltweiten Biomasse aller Säugetiere entfällt heute auf unsere Haus- und Nutztiere.
ZWISCHEN HEGE, TIER- UND NATURSCHUTZ
§ 1 des Bundesjagdgesetzes formuliert als Ziel der Hege die Erhaltung eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten artenreichen und gesunden Wildbestandes und die Sicherung der Lebensgrundlagen. Die Hege muss so durchgeführt werden, dass Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere Wildschäden, möglichst vermieden werden.
In Verbindung mit der Staatszielbestimmung zum Tierschutz und Naturschutz in Art. 20 a des Grundgesetzes??- dieser Artikel gilt für alle Wildtiere??- und dem § 21 "Biotopverbund, Biotopvernetzung" des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG), wird die Wildschadensverhütung durchaus anspruchsvoll.
Aus § 21 ABS. 1 BNATSCHG
(1) Der Biotopverbund dient der dauerhaften Sicherung der Populationen wild lebender Tiere und Pflanzen einschließlich ihrer Lebensstätten, Biotope und Lebensgemeinschaften sowie der Bewahrung, Wiederherstellung und Entwicklung funktionsfähiger ökologischer Wechselbeziehungen. [.]
Revolutionsmotor Wildschaden
Der Umgang mit Wildschäden war und ist stets durch den historischen und gesellschaftlichen Kontext geprägt. In der Menschheitsgeschichte diente die Jagd anfangs dem Nahrungserwerb, später auch der Ertüchtigung. In Verbindung mit der Privilegierung des Adels und der Entwicklung zu den Jagdformen des Barocks führte sie dann zu regional sehr hohen Wildbeständen mit dramatischen Wildschäden. Diese Schäden wurden zu einem wesentlichen Motor der 1848er-Revolution. Die Bindung des Jagdrechtes an Grund und Boden ist das einzige Recht, das seit 1848 in Deutschland kontinuierlich besteht.
Nach der Bindung des Jagdrechts an das Eigentum von Grund und Boden im Zuge der Revolution 1848 stellte sich die Frage des Wildschadenersatzes zunächst nicht mehr. Die Bindung des Jagdrechts an Grund und Boden führte nun zu einem Rückgang vieler Wildarten bis hin zu deren Ausrottung. Dies war Anlass zu einer Differenzierung zwischen Jagdrecht und Jagdausübungsrecht und der Einführung von Mindestreviergrößen.
Erste Wildschadensvorschriften
Die jagdpolizeilichen Einschränkungen des Jagdausübungsrechts der einzelnen Grundstückseigentümer führten dann allmählich dazu, dass Wildschadensvorschriften erlassen wurden. So entstand das preußische Wildschadengesetz 1891.
Ausschlaggebend für die Schaffung von Wildschadensersatzvorschriften war die Ungerechtigkeit, die darin bestand, dass der Anteil einzelner Grundstückseigentümer am Jagderlös unter Umständen geringer sein konnte als ihr Anteil an den durch Wildschäden erlittenen Einbußen. Bis dahin war man der Auffassung, dass das Risiko der Wildschäden mit dem Jagdpachterlös abgegolten sei.
Der Wildschadenersatz in gemeinschaftlichen Jagdbezirken stellt jedoch eine Verlustkollektivierung dar, die der allein nach Grundstücksgröße berechnete Anteil am Pachterlös nicht ausgleichen kann (Konrad 2012). Heute wird der Wildschadenersatz in der Regel in den Pachtverträgen auf die Jagdausübungsberechtigten übertragen.
Nur Wildbestände senken??- keine Lösung
Der Blick in die Geschichte und auf die aktuelle Situation macht deutlich, dass ein ausschließliches Setzen auf das Absenken von Wildbeständen nicht zielführend sein kann. Arten, die seit Langem gefährdet sind, zeigen dies sehr anschaulich. So gilt das Rebhuhn seit Jahrzehnten gemäß den Kriterien der Roten Liste als gefährdet. Und doch wurden in Nordrhein-Westfalen bis zum Beginn der 1990er Jahre sogar noch Anträge auf Schonzeitaufhebung für Rebhühner mit der Begründung "Wildschäden im Gemüseanbau" gestellt. Angesichts der Gefährdung der Art konnte diesen Anträgen aber nicht entsprochen werden. Eine ähnliche Problematik gibt es auch bei Wildarten, die noch zahlreicher vorkommen und deshalb ungefährdet scheinen.
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Die Ursachen von Wildschäden sind zu komplex, um allein mit Wildbestandsreduktion darauf zu reagieren.
Genetische Isolierung, Biodiversität und Artenschutz
Die Richtlinien der aktuellen Rote Liste der IUCN (2022) berücksichtigen als Gefährdungsursache ausdrücklich auch die genetische Isolierung. Aktuelle Studien (Reiner 2022) belegen dramatische Isolierungswirkungen für das Rotwild, sodass die Reduktion von Wildbeständen als einziges Instrument auch angesichts der aktuellen Entwicklung der Lebensräume zur Wildschadensverhütung der Verantwortung für Biodiversität und Artenschutz nicht gerecht wird. Wildschadensverhütung erfordert die Kooperation aller Beteiligten, insbesondere von Land- und Forstwirtschaft und Jagd. Die Wildschadenerstattung muss auf einen fairen Ausgleich setzen.
WILDSCHADENSERSATZ
Schonzeitaufhebung und erweiterte Ersatzpflicht
Unabhängig davon, dass gemäß Bundesjagdgesetz nur Schäden durch Schalenwild, Fasan und Wildkaninchen erstattungspflichtig sind, können Schäden durch Arten, die nicht erstattungspflichtig sind, zu Forderungen nach Schonzeitaufhebungen führen. Zudem kann in Jagdpachtverträgen eine Erstattungspflicht auch für weitere Arten festgeschrieben werden.
Verursacher und Schadensermittlung
Eine sichere Ansprache der Verursacher und eine sachgerechte Ermittlung von Wildschäden sind Grundlage für einen fairen Ausgleich der Interessen und zur Wildschadensverhütung. Beteiligt sind stets die Geschädigten, d.?h. die Grundeigentümer bzw. Bewirtschafter der Flächen, sowie die Ersatzpflichtigen, d.?h. die Jagenden, da die Jagdgenossenschaften ihre grundsätzliche Ersatzpflicht an die Pächter weitergeben. Angesichts einer Fülle von Darstellungen zu den rechtlichen Grundlagen und zum formalen Verfahren liegt der Schwerpunkt dieses Buchs auf der Ansprache der Schäden und einer Vermittlung der Grundlagen zur Schadensermittlung.
Jagdstreckenentwicklung
Mit der Zu- oder Abnahme von Wildtieren verschiebt sich auch deren Anteil am Schadensgeschehen. Ein Indikator für die Entwicklung von Wildbeständen ist die Entwicklung der Jagdstrecken. Definitionsgemäß umfasst die Strecke das erlegte Wild und das Fallwild, d.?h. die durch Krankheiten und Unfälle eingegangen Tiere. Beispiele für die unterschiedliche Entwicklung der Wildbestände sind der Rückgang von Fasan, Rebhuhn und Feldhase einerseits, die zu den Verlierern der Kulturlandschaft und deren intensiver Nutzung zählen, und die Zunahme von Wildgänsen, Nutria und Waschbär als Profiteuren der Kulturlandschaft andererseits.
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Entwicklung der Fasanenstrecken in Deutschland (Quelle: Deutscher Jagdverband [DJV])
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Entwicklung der Rebhuhnstrecken in Deutschland (Quelle: DJV)
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Entwicklung der Feldhasenstrecken in Deutschland (Quelle: DJV)
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Entwicklung der Wildgänsestrecken in Deutschland (Quelle: DJV)
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Entwicklung der Nutriastrecken in Deutschland (Quelle: DJV)
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Entwicklung der Dachsstrecken in Deutschland (Quelle: DJV)
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