Schweitzer Fachinformationen
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Zur Veranschaulichung einer stressauslösenden Situation wird gerne das Beispiel vom Dschungel und vom Tiger herangezogen: Begegnet uns ein Tiger im Dschungel, bleibt nur noch Kampf oder Flucht. Da diese Art von Bedrohung in unserem Alltag jedoch nur noch selten anzutreffen ist, begnügen wir uns für dieses Buch mit einem weniger filmtauglichen, dafür aber nachvollziehbareren Szenario: Der Chef kommt.
Und da ist er auch schon. Mist. Und wahrscheinlich hat er gesehen, dass ich, statt den Kundennewsletter zu schreiben, auf Ebay nach Sonnenbrillen gestöbert habe. Gleich werde ich mit Erwartungen konfrontiert, denen ich nicht gerecht werden kann, außerdem bin ich bei etwas ertappt worden, das ich nicht hätte tun dürfen. Unangenehm. Um es milde auszudrücken. Was geschieht? Richtig: Ich hab Stress. Das passiert nicht nur in meinem Kopf, und das ist gut so. Die Situation löst in meinem Körper eine Reaktion aus, denn - Achtung - hier kommt die erste von hoffentlich vielen weiteren Erkenntnissen:
Stress ermöglicht Anpassung
Das Konzept Stress beschreibt eine Anpassungsreaktion an eine bestimmte Situation: körperlich, seelisch und zwischenmenschlich. Wir sprechen auch von physisch oder somatisch, psychisch sowie sozial. Werden wir mit etwas konfrontiert, das ein «Weitermachen wie bisher» unmöglich macht, müssen sowohl unser Körper als auch unsere Gefühle, die Emotionen, und unser Geist, die Kognition, darauf reagieren. Gleichzeitig verändert sich unser Verhalten und damit auch unser Umgang mit den Menschen um uns herum.
Sobald also mein Chef um die Ecke kommt und mein Gehirn die Information aufschnappt, dass ich mich in einer Situation befinde, die eine Reaktion erfordert, werden meine Stressachsen aktiviert (Abbildung 1). Eine bekannte Folge ist, dass meine Nebennierenrinde ein bestimmtes Hormon ins Blut ausschüttet: Cortisol. Das ist die nächste wichtige Information:
Stress = Cortisol im Blut
Bevor wir näher darauf eingehen, was dieses wirkmächtige Hormon namens Cortisol alles anstellt und was links und rechts davon noch so alles passiert, sollten wir verstehen, auf welchem Weg es ins Blut gelangt und von dort überall dahin, wo sich bei Stress etwas verändern muss. Und das bringt uns zur bekanntesten der bereits erwähnten Stressachsen: der HHNA.
Diese Stressachse beschreibt die Verbindung und das Wechselspiel von drei verschiedenen, sehr kleinen, aber sehr wichtigen Funktionseinheiten unseres Körpers: dem Hypothalamus, der Hypophyse und der Nebennierenrinde. Aus diesem Grund wird diese Stressachse auch HHNA genannt (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse).[1]
Abbildung 1: Was zentral im Kopf bei Stress passiert, ist mit den Vorgängen, die gleichzeitig im Körper passieren, über drei Wege eng verknüpft: Hormonelle Stressbotenstoffe wie Cortisol oder Adrenocortikotropes Hormon (ACTH) erreichen die Organe über Blutgefäße (BV); neuronale Stressbotenstoffe wie Noradrenalin oder Neuropeptide erreichen die Organe über das Rückenmark (RM) und einzelne Nervenfasern in den Organen, die verschiedenen Funktionseinheiten angehören (autonome Fasern als durchgezogene Linie, sensorisch-peptiderge Fasern als gepunktete Linie); Immunzellen wie die T-Zellen (TZ), die Langerhans-Zellen (LZ) oder die Mastzellen (MZ) können im Blut und im Gewebe mit Stressbotenstoffen in Berührung kommen. So wird ihre Funktion an die aktuelle Situation angepasst. Gemeinsam sind sie für die spürbaren Symptome einer Stressreaktion verantwortlich.
Beginnen wir mit dem Hypothalamus: Der Hypothalamus ist ein Teil des Gehirns und hat seinen klangvollen Namen aus einem ganz einfachen Grund. Gerade mal so groß wie eine Perle, sitzt er an sehr zentraler Stelle im Gehirn, nämlich unter (hypo-) dem Thalamus. Trotz seiner unscheinbaren Größe ist er in seiner Bedeutung kaum zu überschätzen, denn er verbindet das Nerven- mit dem Hormonsystem. Wir können ihn uns als eine Art Schaltzentrale vorstellen, die zwischen Teilen des Gehirns und bestimmten Funktionen des Körpers vermittelt.
Entlang der HHNA verwendet unser Körper für die Steuerung dieser Funktionen Hormone, das sind Botenstoffe, die über das Blut transportiert werden. Außerdem steuert der Hypothalamus die Funktion bestimmter Nerven, die das Gehirn direkt mit den Organen des Körpers verbindet. Den bekanntesten Teil des Nervensystems, der durch den Hypothalamus gesteuert wird, kennen wir als vegetatives Nervensystem.
Der Hypothalamus regelt so entscheidende Funktionen wie die Körpertemperatur, den Blutzuckerspiegel oder den Blutdruck. Aber auch komplizierte wie das Sexualverhalten, Schlaf oder die Immunantwort. Und eben deshalb gehört das alles auch zu unserer Stressreaktion, die alle diese Funktionen und noch einiges mehr unter einen Hut bringen muss.
Nun ist es so, dass wir unser vegetatives Nervensystem und vor allem die Ausschüttung von Hormonen nicht bewusst oder willentlich beeinflussen können, jedenfalls nicht direkt. Klar, wir können Yoga machen oder einen Hund streicheln, um unseren Blutdruck zu senken. Und das funktioniert auch, aber nicht immer. Wir können aber nicht sagen: So, und jetzt gehst du runter, du Blutdruck. Und genau so läuft es mit der Stressreaktion: Egal, wie sehr wir uns das möglicherweise wünschen, wir können nicht willentlich entscheiden, ob unser Hypothalamus eine Stressreaktion in Gang setzt oder nicht. Wir können außerdem nicht entscheiden, was sie alles bewirkt, wenn sie erstmal in Gang gesetzt ist. Das läuft dann nach einem Muster ab, das uns gewissermaßen in den Körper gewebt ist.
Zurück zu unserem Beispiel: Der Chef kommt also um die Ecke, ich denke «Fuck» oder «Mist» oder auch «Wie erklär ich ihm das jetzt?», und mein Hypothalamus springt an. Er ist es, der aus meinem Schreck eine Stressreaktion macht. Entlang der HHNA tut er das, indem er einen Botenstoff an die nächste Station schickt, die Hypophyse. Dieser Botenstoff nennt sich Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH).
Wie der Name bereits vermuten lässt, sind Releasing-Hormone wie das CRH keine Botenstoffe, die direkte Effekte an Körperzellen bewirken, oder zumindest hat man das lange gedacht. Stattdessen regen sie die Freisetzung weiterer Hormone an. Eine Kettenreaktion also. Das mag uns umständlich erscheinen, aber wenn man einmal überlegt, dass wir Menschen ja nicht als komplexe Lebewesen gestartet sind, sondern irgendwann einmal aus einer einzigen Zelle bestanden, dann kann man sich leicht vorstellen, warum das einen gewissen Sinn macht.
In einer einzelnen Zelle hat ein Botenstoff keine langen und komplizierten Wege zurückzulegen. Aber in einem Körper aus vielen Milliarden Zellen muss sich die Biologie etwas einfallen lassen, um die einzelnen Teile so miteinander zu verbinden, dass die Information auch an ihrem Ziel und nur an ihrem Ziel ankommt. Damit auf dem langen Weg vom Gehirn in den Körper die Nachricht CRH nicht an den falschen Adressaten ausgeliefert wird, ist die HHNA so gebaut, dass die Nachricht erstmal nur an die Hypophyse weitergeleitet werden kann. Immerhin handelt es sich um einen wichtigen Prozess, der Gehirn und Körper miteinander verbindet und der deshalb so gut wie möglich gegen Störungen abgesichert sein sollte.
In der Hypophyse angekommen, veranlasst das CRH diese dann dazu, ein bestimmtes Hormon freizusetzen. Die Hypophyse ist nämlich eine Drüse, also ein Organ, das Hormone bilden und ins Blut abgeben kann. Übersetzt hat sie den etwas undankbaren Namen Hirnanhangsdrüse und ist noch kleiner als der Hypothalamus, nämlich nur etwa erbsengroß. Wie durch eine Nabelschnur ist sie direkt mit der Schaltzentrale verbunden, und dieser besonderen Anatomie ist es zu verdanken, dass das CRH aus dem Hypothalamus nur die Hypophyse und nicht gleich den ganzen Körper erreicht, wo es noch andere Reaktionen in Gang setzen würde.
Die Hypophyse kann eine ganze Reihe von Hormonen bilden, darunter ein wichtiges Wachstumshormon, eins, das die Funktion der Schilddrüse steuert, sowie eins, das bei Schwangeren dafür ...
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