Schweitzer Fachinformationen
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Die Kaffeemaschine gurgelte, der Erzbischof nahm eine Tasse aus dem Schrank, orangefarbene und schwarze Flächen bildeten ein modernistisches »K«; auf der weißen Innenseite stand in Serifenlettern Kolping. Er goss Milch ein, füllte mit frisch gebrühtem Kaffee auf, gab drei Stück Zucker dazu, setzte sich an den Schreibtisch, rührte gründlich um, damit der Zucker sich auflöste, trank einen Schluck. Natürlich wäre es besser gewesen, die Laudes auf nüchternen Magen zu beten, ehe die Welt des Wandels erneut von seinem Körper Besitz ergriff. So hatte es Kardinal Elbmüller gehandhabt und jedem ans Herz gelegt, der von ihm auf dem geistlichen Weg begleitet worden war. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Längst ging es nicht mehr allein darum, dass einer, der über Gebet und Askese Liebe, Weisheit, wenn nicht gar mystische Einsicht in die göttlichen Geheimnisse erlangt hatte, die Verantwortung für seine Gemeinde trug. Im Zentrum standen Kommunikation, Repräsentation, Verwaltung, immer öfter Krisenmanagement und Schadensbegrenzung. Von dem, was das Christentum während der Kindheit und Jugend des Erzbischofs dargestellt hatte, war nahezu nichts übrig. Wenn kein Wunder geschah, würde die Kirche, die über 1300 Jahre das Gesicht dieses Landes, des gesamten Kontinents, der halben Welt geprägt hatte, binnen einer Generation in den Status einer unbedeutenden, von der Mehrheit der Menschen für ihre Überzeugungen verachteten, für ihre Riten verspotteten Sekte zurückfallen. Der Erzbischof war weder naiv noch bigott. Er wusste, dass die Vertreter seines Standes, Bischöfe, Priester und Ordensleute, ein gehöriges Stück Mitverantwortung für den Niedergang trugen. Obwohl das Versagen der Institution auf der Hand lag, taten einige seiner Mitbrüder noch immer so, als wären Starrsinn, Hartherzigkeit und Prinzipienreiterei die richtigen Mittel, um die ewige Wahrheit vor der Verwässerung durch den Zeitgeist zu retten. Aus Rom war nichts zu erwarten: De facto stützte der Heilige Vater die Positionen der Ewiggestrigen, auch wenn er sich im Auftritt gern leutselig gab. Immer öfter schlug dem Erzbischof blanker Hass entgegen. Mittlerweile leitete man ihm die unzähligen E-Mails mit Beschimpfungen und Beleidigungen gar nicht mehr weiter. Gut möglich, dass am Ende wieder Verfolgungen drohten wie unter römischen Kaisern, sowjetischen Kommunisten: Nehmt euch in Acht vor den Menschen! Sie werden euch vor die Gerichte zerren und euch in ihren Synagogen auspeitschen . Kinder werden gegen ihre Eltern vorgehen und sie in den Tod schicken. Alle Welt wird euch hassen, weil ihr euch zu mir bekennt. Natürlich war der Erzbischof sich der Tatsache bewusst, dass auch diese Worte des Herrn, wie alle biblischen Prophezeiungen und Wunderberichte, historisch-kritisch gelesen werden mussten. Kein vernünftig denkender Mensch würde heutzutage noch ernsthaft behaupten, dass Jesus realistische Visionen von der Welt gehabt hatte, wie sie zweitausend Jahre nach ihm sein würde. Die Rede von der Endzeit war bereits in der Antike ein beliebter Topos gewesen, sie diente als Mahnung, um den Jüngern die Dringlichkeit deutlich zu machen, das eigene Leben auch nach Kreuzestod, Auferstehung und Himmelfahrt des Herrn gemäß seiner Botschaft auszurichten. Aus Sicht der modernen Exegese lag das alles klar auf der Hand, und es war die einzige Möglichkeit, Glauben und Wissenschaft zusammen zu denken, ohne sich in unauflösbare Widersprüche zu verstricken. Nichtsdestoweniger hatten in nahezu jeder Epoche der letzten zweitausend Jahre fromme Eiferer geglaubt, dass es genau ihre Gegenwart sei, in der sich die Prophezeiungen erfüllten, ganz gleich, ob die Truppen des Titus den Jerusalemer Tempel in Schutt und Asche gelegt hatten, Rom von den Goten verwüstet worden war, Araber, Mongolen, Türken die Christenheit bedrängten, Erdbeben, Dürre, Fluten, die Pest Unzählige in den Tod rissen.
Der Erzbischof entsperrte sein Smartphone, wissend, dass es ebenso falsch war, seinen Geist noch vor den Laudes vom Weltgeschehen vergiften zu lassen wie die Morgennüchternheit durch süßen Milchkaffee zu verderben. KRIEG IN DER UKRAINE: USA SPRECHEN VON 100 000 TOTEN UND VERLETZTEN IN DER RUSSISCHEN ARMEE. AUFRÜSTUNG DER TRUPPE: UNION FORDERT ZUSÄTZLICHE MILLIARDEN FÜR DIE BUNDESWEHR. KATARS WM-BOTSCHAFTER RECHTFERTIGT HOMOPHOBE ÄUSSERUNGEN: »UNSERE KULTUR UND RELIGION ÄNDERN SICH NICHT FÜR DIE WELTMEISTERSCHAFT.« ABHOLZUNG AM AMAZONAS: »WIR HATTEN EINEN PLAN, NUN IST DIE SITUATION UNVERGLEICHLICH SCHLIMMER.«
Die Nachrichtenlage war verheerend - sie war immer verheerend gewesen. Morden und Metzeln bestimmten den Lauf der Geschichte. Seit der Ursünde Adams - was immer man sich, jenseits von Apfel und Schlange, darunter vorzustellen hatte - bedurften Mensch und Welt der Erlösung. Die ganze Schöpfung musste von Grund auf neu gemacht werden. Glaubte man der Heiligen Schrift, würde dieser Transformation der totale Untergang vorausgehen. Natürlich war nicht auszuschließen, dass der Krieg in der Ukraine sich zu einer Katastrophe auswuchs, die alle biblischen Schilderungen der Apokalypse in den Schatten stellte. Gleichwohl war der Erzbischof nicht sicher, ob er wirklich noch darauf hoffte, dass danach die tausendjährige Herrschaft der Heiligen begann. Er sollte beten, jetzt gleich und überhaupt viel mehr, aus einem Glauben heraus, der Berge versetzen konnte, obwohl oder gerade weil es lächerlich war sich einzubilden, der Allmächtige Gott würde sich in seinem ewigen Ratschluss von den Wünschen und Worten dieses oder jenes Frommen umstimmen lassen - lächerlich und größenwahnsinnig. Ein solches Eingreifen wäre im Übrigen völlig unvereinbar mit der Selbstbeschränkung Gottes, die dieser sich auferlegt hatte, um den Menschen die Freiheit zu schenken, auch wenn sie von ihnen hauptsächlich dazu missbraucht wurde, sich gegenseitig Verderben zu bringen und die ihnen anvertraute Schöpfung zu verwüsten.
Der Erzbischof trank einen weiteren Schluck seiner süßen Plörre. Vielleicht wäre es besser gewesen, er wäre damals, vor vierzig Jahren, statt ins Priesterseminar ins Kloster gegangen und Mönch geworden, hätte sich einem einfachen Leben aus Beten und Arbeiten verschrieben. Vielleicht war die Karriere, die er als Weltpriester gemacht hatte, vom Regens zum Generalvikar, danach die Ernennung zum päpstlichen Ehrenprälaten, ehe er vor sieben Jahren Erzbischof der deutschen Hauptstadt geworden war, in Wahrheit eine Versuchung gewesen. Wenn er sein Gewissen gründlich erforschte, streng mit sich ins Gericht ging, hatte er seinen Ehrgeiz zur Hingabe an den Dienst des Herrn verklärt, seine Eitelkeit als Sendungsbewusstsein verbrämt. Der Gehorsam dem Heiligen Vater gegenüber zwang ihn, Entscheidungen mitzutragen, die er für falsch hielt, Loyalität ließ ihn schweigen, wo er das Wort ergreifen müsste.
Der Erzbischof erhob sich, stellte die leere Tasse in die Spüle, ging die wenigen Schritte hinüber zu seiner Privatkapelle, setzte sich in den mächtigen samtgepolsterten, mit reichem Schnitzwerk versehenen Eichensessel und schlug das Brevier auf: »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
O Gott, komm mir zu Hilfe!
Herr, eile, mir zu helfen.«
Das iPhone zeigt: Donnerstag, 10. November, 6:28. Draußen herrscht Dunkelheit. Ich will rauchen. Es ist streng verboten. Bei Verstößen gegen das Verbot wird eine Sonderreinigungsgebühr von zweihundert Euro fällig. Darauf weist eine Klappkarte auf dem Tisch hin. Im Krieg rauchen immer alle. Wenn ich mich hinauslehne, den Rauch mit der Windrichtung blase, wird nichts ins Zimmer wehen. Für November ist es viel zu warm, ich kann das Fenster offen lassen, in ein Wasserglas aschen, die Kippe hineinwerfen, durchs Klo spülen. Die kühle Luft des Morgens - der Rauch dringt tief, fast schmerzhaft in die Lungen, überdeckt den pelzigen Nachtgeschmack. Das Bild einer Klassenfahrt nach Utrecht mit vierzehn. Der Moment des Schwindels, glasklare Schwachheit, flirrend, beinahe ohnmächtig. Vom weit geöffneten Fenster zurück ins Bett taumeln. Forttreiben, einige Augenblicke lang Gleichgültigkeit gegenüber allem, was der Tag bringt. Tief atmen, während das Blut in den Adern kribbelt, ein Schrecken aufsteigt, den Magen umklammert, den Puls rasen lässt. Ich entsperre das Telefon, aktualisiere die Homepage der Hauptstadtzeitung, scrolle die Schlagzeilen hinunter:
US-PRÄSIDENT NACH DEN MIDTERMS - WIRD BIDEN ZUR »LAME DUCK« ODER IST ER BEREIT FÜR DEN NEUSTART?
GEPLANTE EINMALZAHLUNG FÜR GASKUNDEN: MIETERBUND SIEHT MIETER BENACHTEILIGT.
H+ SEINE HÄNDE WAREN ÜBERALL! MEHRERE FRAUEN WERFEN DEM BEKANNTEN BERLINER GALERISTEN KONRAD RASPE MACHTMISSBRAUCH UND BELÄSTIGUNG VOR!
Er ist einer der ganz Großen des Kunstbetriebs, vertritt zahlreiche Künstler*innen von internationalem Rang und kann Newcomer mit einer einzigen Ausstellung zu Weltstars machen. Museen und öffentliche Sammlungen, Prominente aus Politik, Kultur und Gesellschaft zählen zu seinen Kunden.
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Ich sollte das wissen, ich will es nicht wissen. Ein Anfall von Panik. Ich werde jetzt kein Zeitungsabo abschließen, nicht einmal zur Probe. Vielleicht kaufe ich später ein Exemplar am Kiosk. Vielleicht auch nicht. Eva-Kristin hat meine letzte Nachricht noch immer nicht gelesen. Wahrscheinlich habe ich mir ihr Interesse nur eingebildet: männliche Allmachtsfantasien. Sie tut mir leid. In jeder Hinsicht. Wie wird es...
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