Schweitzer Fachinformationen
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Schwarzweiß. Alles, was wichtig ist, ist schwarzweiß. Es ist auf unangenehm riechendes Zeitungspapier gedruckt und wird vor Sonnenaufgang in unseren Briefkasten gestopft, oder es flimmert hinter einer leicht gewölbten Scheibe in einem großen Holzkasten. Ein schwarzweißer Mann mit Brille, einer kräftigen Stimme und ernsthaftem Gesichtsausdruck sitzt dort in Anzug und Krawatte vor einer grauen Fläche mit fettem Schriftzug, der in eine Weltkarte übergeht. Er liest klare, manchmal auch umständliche Sätze von einem akkurat zurechtgestoßenen Stapel Papier ab, wobei er sich Mühe gibt, so selten wie möglich auf seine Blätter zu schauen. Dazwischen erscheinen kurze Filme, in denen der Bundeskanzler oder Menschen aus anderen Weltgegenden gezeigt werden - zum Beispiel aus Amerika, Afrika oder Vietnam. Wer nach Amerika, Afrika oder Vietnam reisen will, muss ein Flugzeug nehmen, so weit sind diese Länder von uns entfernt, weshalb es meistens Präsidenten, Generäle oder Könige sind, die man dort sieht. Häufig liegen sie miteinander im Krieg, dann steigen Rauchwolken über Städten und Landschaften auf, Menschen mit vor Angst verzerrten Gesichtern rennen weg, die Kinder haben keine Kleider am Leib, stattdessen tragen sie verbrannte Lumpen oder sind von einer Schicht schwarzer Fliegen bedeckt und sogar zu schwach zum Weinen. Der schlimmste Krieg ist zur Zeit in Vietnam, davor war er in Biafra. Meine Mutter sagt jedes Mal, wenn darüber berichtet wird, dass sie gar nicht hinschauen kann, und oft bittet sie meinen Vater umzuschalten. Ihre Stimme klingt dann bedrückt, als müsste sie weinen. Das hängt damit zusammen, dass sie selbst, als bei uns Krieg war, ausgebombt wurde - in Essen - und auch gehungert hat.
Wenn die Präsidenten, Könige und Generäle nicht miteinander im Krieg sind, besuchen sie sich gern gegenseitig. Sie weihen neue Wolkenkratzer ein oder moderne Fabriken, taufen Ozeanriesen oder zeigen sich gegenseitig ihre Paläste. Dabei führen sie lange Gespräche darüber, wem dieses oder jenes Gebiet gehört oder wie sie gemeinsam Feinde erschrecken können, um zu verhindern, dass ein neuer Krieg ausbricht. Nachdem der Gastpräsident, -general oder -könig, meist in Begleitung seiner Frau, die hinter ihm aus der Luke tritt, gemessenen Schrittes die breite Treppe aus dem Flugzeug hinuntergestiegen ist, schüttelt er dem Gastgeber, der neben dem Rollfeld mit einer großen Zahl seiner Minister, Untergebenen und Fotografen wartet, ausgiebig die Hand. Anschließend gehen sie gemeinsam durch ein Spalier von Soldaten, die in schmucken Uniformen, wie mit dem Lineal gezogen, dastehen, ihre Gewehre auf Kommando vorstrecken, in die Luft stoßen oder auf den Boden stampfen. Manche der Präsidenten, Generäle und Könige haben eine schwarze Hautfarbe, hauptsächlich in Afrika. Auch in Amerika gibt es viele Schwarze, dort sind sie aber meist Sportler. Sie laufen in großen Stadien um die Wette, spielen Korbball oder tragen Boxkämpfe aus. Der berühmteste von ihnen heißt Cassius Clay. Mein Vater hat mich einmal nachts aus dem Bett geholt und auf den Schoß genommen, damit ich Cassius Clay nicht verpasse, denn er ist der beste von allen Boxern. Ich glaube schon, dass Schwarze gut boxen können, sie haben größere Muskeln als wir, obwohl auch mein Vater einen sehr dicken Bizeps hat, den er mich manchmal fühlen lässt, damit ich weiß, wie stark er ist, und dass ich keine Angst haben muss, weder vor Einbrechern noch vor den Leuten von der Baader-Meinhof-Bande und auch nicht vor dem Krieg.
Ich bin erst ein Mal echten Schwarzen begegnet. Das war in Calcar, wo mein Vater und ich Werkzeug kaufen wollten - er einen Fuchsschwanz, ich eine Laubsäge -, da kamen uns zwei schwarze Soldaten auf der Straße entgegen. Sie sprachen in einer Sprache, die wir nicht verstanden, und spazierten durch die Stadt, als wäre es das Normalste der Welt. »Kick ou dat aan: Da he chey twey ganze Schwatte«, sagte mein Vater, und wir staunten beide. Allerdings waren sie von der Farbe her viel weniger schwarz, als die Fernsehbilder einem vorgaukeln wollen. Sie hatten sich die Haare auf dem Kopf abrasiert, und ihre Haut glänzte wie weiche Bronze.
Neben den Präsidenten, Generälen und Königen werden auch häufig Ölscheichs gezeigt, wenn sie aus Flugzeugen steigen, Hände schütteln und Soldatenreihen abschreiten. Sie herrschen im Nahen Osten. Diese Gegend wird zwar »nah« genannt, ist in Wirklichkeit aber doch auch so weit entfernt, dass man ein Flugzeug nehmen muss, wenn man ihre Länder besuchen will. Die Ölscheichs tragen lange weiße Kaftane und auf dem Kopf karierte Tücher, die mit einer Kordel befestigt sind. »Ölscheich« ist bei den Rosenmontagszügen eine beliebte Verkleidung. Es scheint, dass sie viele Probleme haben, die sich direkt auf uns auswirken, weil unsere Autos mit Benzin oder Diesel fahren, die aus Öl gemacht werden. Wir haben außerdem eine Ölheizung im Keller. Das Öl der Scheichs wird in riesigen Schiffen über verschiedene Meere zu uns gebracht. Wenn die Ölscheichs unzufrieden sind, stoppen sie die Lieferungen oder nehmen Wucherpreise, so dass wir es uns nicht mehr leisten können. Mein Vater studiert immer die Anzeigen in der Zeitung, wann das Öl am billigsten ist, um den besten Zeitpunkt für den Kauf abzupassen. Ein- oder zweimal im Jahr kommt dann der Tankwagen und pumpt eine große Menge davon in unseren Heizungskeller.
Ganz gleich, wohin die wichtigen Leute reisen, nachdem sie das Flugzeug verlassen, Hände geschüttelt und Soldaten begutachtet haben, steigen sie immer in prächtige Limousinen und fahren in Begleitung blinkender Polizei- oder Militärfahrzeuge davon. Manchmal winken ihnen Leute am Straßenrand zu oder schwenken Fähnchen. Die größte und beste Limousine, die es auf der Welt gibt, ist der 600er Mercedes, weshalb sie nahezu allen Staatsführern zur Verfügung steht. Natürlich hat auch der Bundeskanzler einen 600er. Er heißt Willy Brandt und meine Mutter nennt ihn »Whisky-Willy«, weil er so viel trinkt, dass er eigentlich kein guter Bundeskanzler sein kann. Auch sonst gefällt er meinen Eltern nicht, denn er hat sich scheiden lassen und danach eine andere Frau geheiratet, was an sich schon von fragwürdigem Charakter zeugt, doch damit nicht genug: Obwohl er bereits einmal die Frau gewechselt hat, soll er zusätzlich noch »Freundinnen« haben. Meinen Eltern wäre es deshalb lieber, wenn Rainer Barzel Bundeskanzler würde, aber so einfach, wie sie es gern hätten, lässt sich ein Bundeskanzler nicht auswechseln.
Ganz gleich, wer in den 600er Mercedes steigt - mein Vater ist jedes Mal stolz, wenn er eine solche Limousine sieht, nicht nur, weil sie in Deutschland gebaut wird, sondern weil auch wir einen Mercedes fahren, einen 200er D. Das »D« steht für »Diesel«. Mein Vater sagt, dass ihm kein anderes Auto in die Garage kommt als ein Mercedes.
Das, was in den Nachrichten gezeigt wird, ist eigentlich nichts für uns Kinder, deshalb werden wir abends schon um sieben ins Bett gebracht. Wenn ich aber nicht einschlafen kann, weil sehr viel passiert auf der Welt, worüber ich mir Gedanken mache, schleiche ich die Treppe wieder hinunter, verstecke mich hinter der halb geöffneten Tür zwischen Küche und Esszimmer und schaue durch den Spalt, um in Erfahrung zu bringen, was meine Eltern vor uns verheimlichen. Es kann nämlich sein, dass auch bei uns bald wieder ein Krieg ausbricht, da die Russen unser Land erobern wollen, oder dass die Terroristen von der Baader-Meinhof-Bande auf dem Weg in unsere Gegend sind, um uns zu ermorden.
Sonntags, nach dem Internationalen Frühschoppen mit Journalisten aus verschiedenen Ländern und Werner Höfer als Gastgeber, läuft über Mittag die Tagesschau mit dem Wochenspiegel, so dass ich doch ungefähr Bescheid weiß, was gerade vor sich geht. Wenn meine Großeltern zu Besuch sind, schauen mein Vater und mein Großvater den Frühschoppen gemeinsam an. Obwohl sie einander nicht besonders gut leiden können, prosten sie sich mit Bier und Cognac zu, während meine Mutter und meine Großmutter ein Glas Wein trinken. Sobald das Essen auf dem Tisch steht, sagt meine Mutter, dass mein Vater den Apparat ausschalten soll, aber mein Großvater und er wollen nichts verpassen, weshalb der Fernseher meistens weiterläuft. Ich bleibe lieber still, denn wenn ich meinen Vater und meinen Großvater unterstützen würde, wüsste meine Mutter, dass ich genau hinschaue, und würde sich wieder Sorgen machen, dass ich schlecht träume.
Manchmal verwackelt das Bild mitten in der Übertragung oder es reißt ganz ab und man sieht nur Schnee: ein Flimmern aus winzigen schwarzen und weißen Punkten, das einen regelrecht wütend macht, wenn man länger hinschaut. Selbst meine Mutter, die sonst immer behauptet, dass es sie sowieso nicht interessiert, was im Fernsehen kommt, schimpft dann: »Ich sag doch, dass etwas nicht stimmt mit dem Apparat: Du musst den Schmitz anrufen.«
Der Schmitz ist unser Radio- und Fernsehhändler. Bevor mein Vater zum Telefonhörer greift, öffnet er erst einmal das kleine Schubfach mit den nummerierten Rädchen rechts unten neben dem Bildschirm. Es kann sein, dass das Bild sich fängt, wenn er das entsprechende Rädchen ganz vorsichtig in die richtige Position dreht - das ist Millimeterarbeit. Oft verschwindet es aber auch ganz. Mein Vater versucht dann herauszufinden, ob es eine allgemeine Übertragungsstörung ist oder an unserem Apparat liegt, indem er auf die beiden anderen Programme und den Holländer umschaltet. Der Holländer ist sowieso immer verschneit, weil er von jenseits der Grenze, aus der Stadt Hilversum gesendet wird, aber man kann trotzdem erkennen, was gerade läuft. Mein Vater versteht sogar, was sie dort sagen. Die Wettervorhersage beim...
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