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Sofort nachdem der Vorsitzende die Verhandlung geschlossen hat, kommt bei den Angeklagten im Dresdner Hochsicherheitstrakt ein Hauch von Post-Match-Stimmung auf: Die drei »Sieger« des Tages klatschen sich ab - sie kommen auf freien Fuß: Rabieh Remo, Bashir und Mohamed Remmo. Der »Verlierer« des Tages, Abdul Majed Remmo, wirkt am Boden zerstört, ringt sichtlich um Fassung: Er hatte gehofft, ebenfalls freizukommen - und damit letztlich vom »Deal« zu partizipieren, ohne an ihm beteiligt gewesen zu sein. Trost spendet ihm seine Familie. Sein Zwillingsbruder Mohamed, der Sunnyboy, nimmt ihn in den Arm und redet besänftigend auf ihn ein. Ein Angeklagter küsst ihn auf die Wange. Ein anderer drückt ihn herzlich.
Dann treten auch schon zwei Justizwachtmeister auf Abdul Majed Remmo zu. Es bedarf keiner Worte. Er streckt ihnen seine Arme entgegen. Es klickt viermal - zwei Paar Handschellen werden ihm angelegt. Zwei Wachtmeister bringen ihn hinaus. Auch Wissam und Ahmed Remmo führen Justizwachtmeister hinaus - sie müssen zurück ins Gefängnis, weil sie noch ihre Strafe für den Diebstahl der Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum abzusitzen haben.
An dem Tisch, an dem eben noch Abdul Majed Remmo von seinen Clankomplizen getröstet wurde, stehen seine beiden Verteidiger und blicken konsterniert. Ihnen ist die Bestürzung anzusehen. Ihre Rechnung ist nicht aufgegangen. Verzockt? Sie hatten für ihren Mandanten beantragt, den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen - »wie bei seinem Zwillingsbruder«.
Der macht jetzt Handzeichen zu Bekannten im Zuschauerraum - hinter der Glasscheibe. Einem ruft er etwas zu. Wegen der schallschluckenden Scheibe kann der ihn aber nicht verstehen. Kurz entschlossen steigt Mohamed Remmo auf einen Stuhl vor der Scheibe und ruft von dort aus. Ein Wachtmeister eilt herbei, fordert ihn auf, sofort herunterzusteigen. Aber jetzt scheint Mohamed Remmo sich von einem Wächter der Justiz nichts mehr sagen zu lassen. Erst als der Wachtmeister mit Verstärkung auf ihn zukommt, steigt er herunter - und lächelt freundlich. Er kann sehr charmant sein.
Draußen, vor dem Dresdner Hochsicherheitstrakt, erwarten über anderthalb Dutzend aus Berlin angereiste Männer die Familienmitglieder, die »rückkehrenden Brüder«: junge Männer im Alter der Angeklagten. Alle mit schneidigen Kurzhaarschnitten. Als Ersten in Freiheit zu sehen bekommen sie Mohamed Remmo. Um 11:58 Uhr fährt er in einem schwarzen BMW-Cabrio aus der Einfahrt zum Hochsicherheitstrakt. Er grüßt lächelnd vom Beifahrersitz - mit FFP2-Maske. Am Steuer sitzt seine Verteidigerin Ines Kilian.
Es folgt ein bisschen »Remmodemmi«. Hurrarufe für den »Freigelassenen«. Böse Worte für Nadja Malak, Fernsehjournalistin der MDR-Rechercheredaktion. Sie hatte mehrfach über den Remmo-Clan im MDR-Fernsehen und in der ARD berichtet und wurde vor dem Hochsicherheitstrakt von Remmo & Friends erkannt. »Du Schlampe Nadja«, sagt ein junger Mann zu ihr; ein anderer: »Du fettes Schwein.« Sie erstattet Anzeige bei einem Polizisten - dreißig Beamte und zwei Diensthunde ziehen auf. Als sich einer der Beleidiger - vermummt mit der Kapuze seiner Jacke und FFP2-Maske - aus dem Staub machen will, stoppt ihn ein Polizist mit einem unsanften Griff an der Schulter. »Stehen bleiben, habe ich gesagt.« Der Mann aus der Remmo-Begrüßungsdelegation kann sich nicht ausweisen. Er wird von vier Beamten umstellt - und muss mit auf die Wache. An einer Polizistin fährt ein Clanfahrzeug so dicht vorbei, dass es ihr Holster streift. Ausweiskontrolle. An der nächsten Ecke steigt Mohamed aus dem BMW, um sich begrüßen zu lassen. Männer nehmen ihn in den Arm. Drücken ihn. Einer nach dem anderen. »Mohamed, wie ist es in Freiheit?«, fragt ein Spiegel-TV-Reporter. »Verpiss dich«, sagt einer zu dem Fernsehreporter, »du Arschloch, du Hurensohn.« Einige der Männer schotten den gerade Entlassenen ab - bleiben vor dem Kamerateam stehen, während Mohamed Remmo weggeht.
Aus dem Besuchereingang des Hochsicherheitstrakts eilt »Frontmann« Rabieh Remo im blauen Dodgers-Baseball-Shirt, Bluejeans, leuchtend weiße Turnschuhe. Zum Schutz vor Fotografen hat er sein grünes Nike-Basecap aufgesetzt und eine FFP2-Maske bis knapp unter die Augen hochgezogen.
Nach zweieinhalb Jahren wieder auf freiem Fuß: Rabieh Remo verlässt den Dresdner Hochsicherheitstrakt
Weil die Polizei die Fahrbahn vor dem Hochsicherheitstrakt gesperrt hat, erwartet ihn sein »Abholkommando« um die Ecke in der Stauffenbergallee: in einem schwarzen VW Golf R - hinten vier mega-große Auspuffrohre, vorne 320 PS unter der Haube - und einem schwarzen Audi mit getönten Scheiben. Beide mit Berliner Kennzeichen. Dorthin flitzt Rabieh Remo im Sauseschritt, springt auf den Beifahrersitz des Golf und schlägt die Tür zu. Der Golf braust zügig los, der Audi hinterher.
Das sind die Schlussszenen aus dem Grüne-Gewölbe-Prozess - Dienstagmittag, 16. Mai 2023: Dreieinhalb Jahre nach dem größten Kunstdiebstahl der deutschen Nachkriegsgeschichte verkündete die 2. Strafkammer des Landgerichts Dresden ihr Urteil. Fünf Verurteilungen zu mehrjährigen Haftstrafen. Ein Freispruch. Die Strafkammer setzte die halbe Crew des Einbruchskommandos auf freien Fuß. Vorerst.
Es ging um einen spektakulären Blitzeinbruch in weniger als fünf Minuten - mit akribischen Vorbereitungen über anderthalb Jahre, wie sich in dem Verfahren herausgestellt hat: Aus dem berühmten Schatzkammermuseum im Dresdner Residenzschloss hatte ein sechsköpfiges Einbruchskommando in den frühen Morgenstunden des 25. November 2019 einundzwanzig wertvolle Schmuckstücke gestohlen. Besetzt mit 4316 Diamanten. Pretiosen der sächsischen Könige und Kurfürsten. Schaden laut Anklageschrift: 113 Millionen Euro.
Zu Prozessbeginn, fünfzehn Monate zuvor, hatte der Pressesprecher des Landgerichts Thomas Ziegler (54) erklärt, das Verfahren könne nicht im Landgericht am Sachsenplatz stattfinden - ein Sandstein-Justizpalast an der Elbe -, weil es um »Organisierte Kriminalität« gehe. Deshalb der Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts Dresden. Ein schmuckloser Betonflachbau am nördlichen Stadtrand. Errichtet für Terroristenprozesse und andere Staatsschutzsachen.
Vor dem Hochsicherheitstrakt ist der Lärm am Morgen der Urteilsverkündung, dem 47. Verhandlungstag, ohrenbetäubend.
Hammerweg: Der Dresdner Hochsicherheitstrakt
Oben, einige Hundert Meter hoch, rührt sich ein Polizeihubschrauber nicht von der Stelle. Sein Knattern geht durch Mark und Bein. Man versteht das eigene Wort kaum mehr - der Lärm des Triebwerks und der rotierenden Propellerblätter: Die Maschine »sichert« aus der Luft das Gebäude und den Transport der Häftlinge. Höchste Sicherheitsstufe. Die Bilder ihrer Kamera werden direkt zum Polizeieinsatzführer übertragen.
Unten, auf den Zufahrtsstraßen zum Hochsicherheitstrakt, wird das halbe Dutzend Angeklagter aus sächsischen Gefängnissen gebracht. Jeder kommt in einem eigenen Konvoi: jeweils vier Kleinbusse mit Blaulicht und Tatütata. Im ersten Wagen Polizisten, in der Mitte ein Bus der Justiz mit mehreren Wachtmeistern. Am Ende SEK-Polizisten mit »Sturmhauben«, Helmen und Maschinenpistolen. Bevor die Konvois in den Hammerweg einbiegen, sperren Polizisten die Straße für den Verkehr. Alle Angeklagten sind Angehörige der Berliner kurdisch-libanesischstämmigen Großfamilie Remmo. Drei Brüder, drei Cousins. Alle zwischen dreiundzwanzig und neunundzwanzig. Alle in Berlin geboren - zwischen 1993 und 1999.
Drinnen, im Zuschauerraum, herrscht freudige Erwartung auf den hinteren Plätzen: Aus Berlin sind über ein Dutzend Remmo-Familienmitglieder und -Freunde angereist. Sie erwarten, dass in den nächsten Stunden mindestens die Hälfte der Angeklagten auf freien Fuß kommt. So wie in dem »Deal« zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft, Angeklagten und Verteidigern vor vier Monaten ausgehandelt: dass die Strafkammer mit der Verkündung des Urteils ihre Haftbefehle aufhebt.
Getrennt vom Sitzungssaal ist der Zuhörerraum durch 2,20 Meter hohe Glasscheiben. Kurz nach zehn öffnet sich im Sitzungssaal langsam eine schwere Eisentür. Hinein schaut ein Beamter im blauen Kampfanzug der SGO-Sondereinheit, der »Sicherungsgruppe der Justizwachtmeister für die ordentliche Gerichtsbarkeit«. Sein Blick schweift durch den Gerichtssaal. Er dreht sich um und nickt nach hinten. Das Zeichen für seine Kollegen, die sechs Angeklagten aus den Einzelzellen im Haftkeller vorzuführen - seit zwei Jahren sitzen sie in Untersuchungshaft. Vor ihren Tischen haben sich über ein Dutzend Fotografen und Kameramänner aufgebaut.
Als Erster wird Wissam Remmo (26) von zwei SGO-Männern...
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