Schweitzer Fachinformationen
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Jedes Opfer hat es verdient, dass ihm Gerechtigkeit widerfährt. Und meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen.
Sophie Kaiser
Sophie Kaiser war zusammen mit ihrem Kollegen vom BKA Wiesbaden, Leonhard Michels, unter dem Pavillon hervorgetreten und sah nun zu den Schaulustigen hinauf. Ihr Blick fiel auf einen Jogger, der direkt zu ihr sah. Etwas an seiner Körpersprache verriet Sophie, dass er mehr an dem, was hier unten geschah, interessiert war als die übrigen Schaulustigen, die sich am Rheinufer eingefunden hatten und die Hälse reckten, um möglichst nichts von dem zu verpassen, was am Fundort vor sich ging.
»Ich brauche Fotos von allen Leuten dort oben. Bitte kümmern Sie sich darum«, wies sie einen uniformierten Kollegen an. »Und die vollständigen Personalien, bitte. Einzelfotos von denen, die keinen Ausweis dabeihaben.«
»In Ordnung«, gab der Polizist knapp zurück und setzte sich in Bewegung.
»Dafür brauchen Sie unsere Einwilligung«, hörte Sophie jemanden laut sagen und sah erneut nach oben, ob es der Jogger war, der sich beschwerte. Doch der hatte sich etwas abseits gestellt, das Handy in der Hand, und schien zu telefonieren. Sophie wandte sich Leonhard zu.
»Denkst du, dass unser Mann dafür verantwortlich ist?«, fragte Leonhard.
»Aufgrund der Auffindesituation nicht«, antwortete Sophie. »Er hat bisher keines seiner Opfer zerstückelt. Und die einzige Gemeinsamkeit sind nach jetzigem Kenntnisstand das Geschlecht und der Rest, der von ihren langen blonden Haaren übrig ist.«
Marcus Brandner von der Spurensicherung trat ebenfalls unter dem Pavillon hervor und gesellte sich zu Sophie und Leonhard, gefolgt von seinem Kollegen Stephan Moritz.
»Und?«, fragte Leonhard nur.
»Was die Spuren angeht, solltet ihr nicht zu viel erwarten. Das Wasser wird einen Großteil vernichtet haben, und wir können lediglich auf Anhaftungen unter dem Zement und am Opfer selbst hoffen. Doch ob hier etwas übrig geblieben ist, ist fraglich. Bei dem Zustand der Leiche werden wir das Opfer wohl nur über die Zähne oder einen DNA-Abgleich identifizieren können.«
»Kannst du schon sagen, wie lange sie in etwa im Fluss gelegen hat?«, fragte Sophie, worauf Marcus sogleich den Kopf schüttelte.
»Das ist zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich. Denk an die caspersche Regel: Im Wasser fault eine Leiche bei gleichen Temperaturbedingungen nur halb so schnell wie an der Luft. Da sie aber nur noch Reste ihrer langen Haare hat, wird sie längere Zeit im Wasser gelegen haben, nicht nur Tage, sondern wahrscheinlich Jahre.« Brandner atmete einmal tief durch.
»Also eher nicht Katherine Wolf? Oder Selina Breuer?«, vergewisserte sich Sophie, denn aktuell wurden zwei weitere junge Frauen mit langen blonden Haaren vermisst.
Der Mann von der Spusi zuckte mit den Achseln, brummte: »Eher nicht«, dann wandte er sich an seinen Kollegen. »Komm, machen wir weiter. Je schneller wir bei dieser Hitze und dem Fäulnisgestank der Leiche fertig werden, desto besser.« Damit machte er kehrt und verschwand wieder unter dem Pavillon. Stephan zögerte kurz, dann folgte er Marcus, obwohl ihm anzusehen war, dass er gern noch einen Moment lang pausiert hätte.
»Was überlegst du?«, fragte Leonhard, mit dem sie seit nunmehr einem Vierteljahr fest beim BKA Wiesbaden zusammenarbeitete. Sophie war froh gewesen, dass Leonhard ihr Angebot angenommen hatte, mit ihr zusammen zum BKA zu wechseln und dort in einer neu gegründeten Einheit deutschlandweit tätig zu werden. Nachdem Leonhard und sie gemeinsam den sogenannten Sandmann-Fall hatten aufklären können, war ihr vom Leiter der operativen Fallanalyse des BKA nicht nur der neue Job, sondern darüber hinaus angeboten worden, ihr Team selbst zusammenzustellen. Sophie hatte nicht lange überlegen müssen und sich für Marcus Brandner und Stephan Moritz von der Spurensicherung der Kripo Hannover entschieden. Sie hatte nicht bezweifelt, dass diese ihr zum BKA folgen würden, und sie hatte mit ihrer Einschätzung richtiggelegen. Marcus war in gesellschaftlicher Hinsicht ein recht anstrengender Charakter, zumindest für die Allgemeinheit. Sophie und er jedoch hatten sich von Anfang an gut verstanden, und Sophie war der Ansicht, dass sein Verhalten und seine Art zu denken sehr viel logischer und nachvollziehbarer waren als die der meisten Menschen, mit denen sie zu tun hatte. Marcus Brandner war, was die Spurensicherung anging, eine Koryphäe, weshalb er trotz seiner zahlreichen Marotten von den Kolleginnen und Kollegen akzeptiert wurde. Für Sophie zählte neben seiner akribischen Arbeit vor allem die Tatsache, dass Marcus genau wie ihr selbst Arbeitszeiten vollkommen gleichgültig waren. Für sie war es eine Selbstverständlichkeit, die einzig logische Handlungsoption, sich voll und ganz in seine Arbeit zu knien, wenn ein Verbrechen stattgefunden hatte. Menschen, die mit einem Fall befasst waren und das nicht taten, waren ihr suspekt. Und dass Stephan Moritz nach Marcus' Zusage ebenfalls mitkommen würde, war für Sophie ebenfalls logisch gewesen. Marcus war für Stephan eine Art Mentor und Stephan vermutlich der einzige Mensch, der vierundzwanzig Stunden am Stück mit Marcus umgehen konnte und dazu auch bereit war. Denn dass Marcus mit seiner Art viele vor den Kopf stieß, hatte Sophie selbst oft genug mitbekommen.
Bei Leonhard Michels dagegen hatte Sophie auf eine Zusage gehofft, wenngleich nicht wirklich daran geglaubt. Immerhin hatte dieser sich in Lübeck eine Karriere aufgebaut, war dort überaus angesehen und geschätzt. Vor allem aber wohnten Leonhards Eltern und die Familie seiner Schwester dort, und Sophie hatte trotz der Freundschaft, die sich zwischen ihnen nach dem Sandmann-Fall entwickelte, nicht einschätzen können, welchen Stellenwert dies für Leonhard hatte. Umso erfreuter war sie gewesen, als dieser ihr, nur einen Tag nachdem sie sich in Lübeck zum Essen getroffen hatten und sie ihm das Angebot unterbreitet hatte, die Zusage gab. Sophie war der festen Überzeugung, dass sie gemeinsam in der Lage sein würden, gute Arbeit zu leisten. Arbeit, die derzeit darin bestand, eine vor drei Tagen entführte Achtzehnjährige zu finden, bei der zu befürchten stand, dass sie einem Serienvergewaltiger und -mörder in die Hände gefallen sein könnte, der bereits mehrere tote Mädchen auf dem Gewissen hatte.
»Sophie?« Leonhard suchte ihren Blick. Wie so oft hatten ihre Gedanken sich verselbstständigt.
»Entschuldige«, bat sie. »Was hast du gefragt?«
»Ich habe dich gefragt, was du denkst«, antwortete er.
Sophie bedeutete ihm, sich noch ein Stück weiter vom Pavillon zu entfernen. Sie wollte vermeiden, dass die Kollegen und Kolleginnen sie eventuell hören konnten.
Sophie war froh, dass sie Leonhard hatte anvertrauen können, dass bei ihr schon im Kindesalter Autismus, genauer das Asperger-Syndrom, diagnostiziert worden war und sie manches anders wahrnahm als er. Sie hatte es für richtig befunden, es ihm zu sagen, hatte gespürt, dass sie ihm vertrauen konnte, was für Sophie eine neue Erfahrung gewesen war. Sie sprach nicht oft mit anderen über sich, eigentlich nie, und zwar nicht nur, weil sie nicht die geringste Lust hatte, sich und ihre Art zu denken und zu handeln auf irgendeine Weise erklären zu müssen, sondern weil sie das Denken und Handeln der anderen häufig für unlogisch hielt, nicht ihr eigenes. Ihr fiel es nicht schwer, sich nicht von ihren Gefühlen leiten zu lassen und damit so kopflos zu reagieren wie die meisten Menschen, mit denen sie zu tun hatte. Ihr Problem war eher, die ihres Empfindens nach unkontrollierten Emotionen anderer nachvollziehen zu können, doch das ließ sie sich nicht anmerken. Genauso wenig wie sie sich anmerken ließ, was sie dachte. Für sie war das, was in ihrem Kopf vorging, überaus persönlich, und wer darüber Bescheid wissen durfte, entschied nur sie allein. Leonhard respektierte das und hatte ihr in dem Gespräch über ihr Asperger-Syndrom sogar gesagt, dass er es geradezu faszinierend fand, auf welch besondere Art sie die Dinge betrachtete und wahrnahm. Das Vertrauen zwischen ihnen war dadurch noch einmal gewachsen und hatte sie noch enger miteinander verbunden. Sophie spürte, nein, sie wusste, dass sie sich zu einhundert Prozent auf Leonhard verlassen konnte. Und schon so manches Mal hatte sie bemerkt, dass er, wenn sie mit ihrer rein analytischen Art wieder einmal jemanden ungewollt vor den Kopf stieß, eingegriffen und die Wogen geglättet hatte. Ihr tat es gut, mit Leonhard einen Vertrauten an ihrer Seite zu haben, und inzwischen konnte sie es zulassen, mit ihm genau über die Dinge zu sprechen, bei denen sie spürte, an Grenzen zu stoßen - bei sich selbst oder bei anderen. Es war noch immer ein seltsames Gefühl, doch eines, das Sophie mehr als nur zu schätzen wusste.
»Ich habe Schwierigkeiten«, flüsterte sie Leonhard nun zu, als sie sicher war, dass niemand sie hören konnte.
Leonhard sah sie fragend an.
»Ich habe Schwierigkeiten, mir ein klares Bild zu machen«, präzisierte sie und deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung Pavillon. »Dadurch, dass der Körper zerteilt und in diese Form gebracht wurde, fällt es mir schwer, ihn mir als Frau vorzustellen.«
»Weil er jetzt in diese Würfelform gepresst ist, ich verstehe.« Leonhard nickte.
Sophie legte die Stirn in Falten und schüttelte den Kopf.
»Nein. Das ist keine Würfelform«, widersprach sie. »Ein Würfel besteht aus sechs Seitenflächen, acht Ecken und...
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