Schweitzer Fachinformationen
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Ein Mann wird wegen Mordes an seiner reichen Tante zu lebenslanger Haft verurteilt - doch die Ermittlungsunterlagen offenbaren haarsträubende Widersprüche. Der Tod einer lebensfrohen Frau wird als Selbstmord deklariert, obwohl belastende Indizien auf den gewalttätigen Ex-Freund hinweisen. Den Mord an zwei jungen Mädchen legt die Schweizer Polizei vorschnell zu den Akten, weil die nötigen Beweise fehlen.
Axel Petermann zeigt anhand seiner neuesten Fälle, warum gängige Ermittlungsmethoden häufig versagen. Als Außenstehender kann er unabhängig ermitteln und trägt mit der "operativen Fallanalyse", dem Profiling, maßgeblich dazu bei, die komplexen Verbrechen aufzuklären. Fesselnd und detailreich schildert er hier jeden einzelnen seiner Arbeitsschritte - wir sind bei der Wahrheitsfindung hautnah dabei.
Prolog - Der andere Blick auf die Wahrheit
Das leuchtend rot lackierte Treppengeländer wirkt vor den weiß gestrichenen Flurwänden wie ein Stoppschild. Doch es hat seine Wirkung offenbar verfehlt. In einer Ecke des Raumes sitzt ein Mann auf dem Boden. Sein Oberkörper ist nach rechts geneigt, der Kopf lehnt unnatürlich abgeknickt an der Wand, die Augen sind geschlossen. Er trägt ein graues T-Shirt, Jeans und schwarze Socken; keine Schuhe. Ich bin einen Moment irritiert, ehe ich neben dem Körper des Mannes eine Abplatzung im Mauerwerk bemerke, die von blutigen Spritzern umsäumt ist. Der Mann ist offensichtlich tot. Das blutdurchtränkte Hemd ist in Höhe seines Herzens sternförmig aufgerissen und lässt einen Einschuss in der Haut erkennen. Die rechte Hand ist zur Faust geballt. Sie ruht unterhalb der Verletzung auf dem Boden.
Um den Körper des Toten setzt sich das Signalrot des Treppengeländers auf den hellen Natursteinfliesen fort. Es müssen gut anderthalb Liter Blut sein, die eine riesige Blutlache gebildet haben. Eine schwarz brünierte Pistole der österreichischen Marke Glock, Kaliber 10 mm, liegt vor dem linken Knie der Leiche. Eine Kultwaffe, die auch in Serien wie Miami Vice und anderen Krimiformaten das Publikum faszinierte und längst ihren Einzug bei der Armee und dem FBI gehalten hat. An der Oberfläche der Selbstladepistole haften runde Antragungen, möglicherweise Blut. Das Szenario spricht für einen Suizid.
Jahre später sitzt mir der Bruder des Toten gegenüber. Er ist extra aus der Schweiz angereist, denn er vertraut der offiziellen Suizid-Version der Ermittler nicht. Für ihn war es Mord, doch noch fehlen ihm die Beweise. Ich soll ihm bei der Suche nach den Schuldigen helfen. Ein schwieriges Unterfangen, denn die Ermittlungen sind bereits abgeschlossen, der Leichnam wurde ohne Obduktion kremiert, Antragungen von Schmauchspuren an den Händen des Toten wurden nicht untersucht, sämtliche Beweismittel vernichtet - schließlich wurden sie in diesem vermeintlich eindeutigen Fall nicht mehr benötigt.
Neben einigen Fotos vom Tatort hat der Bruder des Toten auch Aufnahmen von der aufgebahrten Leiche mitgebracht. Der Körper ruht in einem mit Seide ausgekleideten Sarg. Das gestärkte weiße Totenhemd und die weiße Fliege betonen den dunklen Teint des Verstorbenen. Deutlich haben sich späte Male des Todes im Gesicht und am Hals ausgebildet. Die sind ungewöhnlich, erinnern mich an die Eindrücke von Fingernägeln und könnten auf einen Angriff gegen den Hals zu Lebzeiten hinweisen.
Und so sage ich dem Bruder meine Unterstützung zu und verspreche, mich bei ihm zu melden, sobald ich nähere Informationen zur Todesursache habe. Ich werde meine Eindrücke mit einem Rechtsmediziner besprechen.
Situationen wie diese habe ich seit meiner Pensionierung immer wieder erlebt, und jedes Mal bringen sie mich zurück zu jenem Moment vor sieben Jahren, als ich meine »Amtsstube« räumte.
Ich stehe vor den gerahmten Titelseiten der Jugend, einer Wochenzeitung für Kunst und Leben des auslaufenden 19. Jahrhunderts. Die Illustrationen begleiten mich schon seit vielen Jahren. Symbolisieren sie für mich doch nicht nur eine Kunstrichtung, sondern auch meine Ansprüche an Aufbruch, Freiheit der Gedanken, Gleichberechtigung und den Bruch mit tradierten Anschauungen und Zwängen - und die gab es nicht nur in der wilhelminischen Kaiserzeit. Wie oft habe ich diese lähmenden Hemmschuhe auch bei der kriminalistischen Arbeit gespürt, die Kreativität und Innovation häufig sehr erschwerten.
Während ich die Kunstblätter in Kartons verstaue, das Licht meiner Kommissarslampe ausknipse, einen letzten Blick durchs Zimmer schweifen lasse, bevor ich diesen Ort für immer verlasse, weiß ich, dass ich mich auch weiterhin um ungeklärte Todesfälle kümmern werde.
Obwohl ich häufig belastenden Momenten ausgesetzt bin - tragischen Beziehungstaten, Grausamkeiten, menschlichen Abgründen, tödlichen Unfällen oder Suiziden - liebe ich meinen Beruf als Fallanalytiker oder auf Neudeutsch Profiler. Ich kann mir keinen kreativeren Beruf vorstellen. Die Aufgabenstellung ist einfach, aber zugleich eine unglaubliche Herausforderung: Es geht darum, einzelne Umstände und kleinste Hinweise, die wie die Teile eines Puzzles zunächst keinen Zusammenhang ergeben, zu einem Gesamtbild zu verbinden. Doch es ist nicht nur dies, was mich an meiner Arbeit fasziniert, sondern darüber hinaus auch die Vielfalt der unterschiedlichen Aufgaben und die Gelegenheit, in mannigfaltige Lebensformen und Kulturen einzutauchen, die mir sonst verborgen geblieben wären. Das Spannende an meinem Beruf sind aber auch die Begegnungen mit so vielen unterschiedlichen Menschen, gleichgültig, ob arm oder reich, alt oder jung, unbekannt oder prominent, etabliert oder am Rande der Gesellschaft.
Natürlich kann ich auch die Faszination des Bösen nicht leugnen und die Spannung bei der Frage nach dem Whodunit - also nach dem Täter - und schließlich dem Rätsel des Warum.
Doch ich habe noch einen weiteren Antrieb bei meiner Arbeit: Ich möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben für die Privilegien, die ich jahrzehntelang genossen habe; für die soziale Absicherung im aktiven Dienst und im Alter, die stetige Chance, mich - trotz all der genannten Erschwernisse - in meiner Arbeit zu verwirklichen, all die Kreativität bei der kriminalistischen Arbeit entwickeln zu dürfen, nur meinem Gewissen und den Gesetzen zu folgen bei der Aufklärung von Unrecht und Ungerechtigkeit, auf der Suche nach Recht und Gerechtigkeit.
Allerdings konnte ich beim Abschied von meinem Ermittlerbüro nicht ahnen, wie häufig mich auch danach noch Hilferufe von verzweifelten Menschen erreichen würden; sei es von Opfern und Hinterbliebenen oder auch von verurteilten Tätern. Mehrmals in der Woche erhalte ich Anrufe oder Briefe von Betroffenen. Und auch bei Lesungen wenden sich immer wieder Zuhörer mit den verschiedensten Sorgen an mich.
So unterschiedlich diese Anfragen auch sein mögen, eines eint diese Menschen: Sie finden ihre Interessen nicht gebührend berücksichtigt, mögen der offiziellen Beweisführung nicht folgen. Viele können sich nicht mit dem Gedanken abfinden, dass ein vermeintliches Verbrechen ungesühnt bleibt und der oder die Täter - oftmals unerkannt - in Freiheit leben. Andere wiederum sind selbst Verurteilte, die darauf hoffen, rehabilitiert zu werden.
Dabei zeigt sich: Nicht nur das Leben der direkt Betroffenen wird zerstört, sondern auch das Leben von völlig unschuldigen Partnern, Eltern, Kindern und anderen Angehörigen - sei es von Opfern als auch Tätern - und eben auch das Leben von zu Unrecht Beschuldigten.
Häufig handelt es sich bei den Hilfesuchenden um Menschen, die sich bei ihrem Bemühen um Anerkennung finanziell bereits völlig verausgabt haben und die nicht mehr in der Lage sind, die Kosten für weitere Anwälte, Experten oder Gutachter zu tragen. Von diesen Leidgeprüften nehme ich immer wieder Pro bono, also unentgeltlich, Mandate an, um sie bei der Suche nach der Wahrheit zu unterstützen. Meine einzige Bedingung: Ich möchte im Anschluss über die Fälle berichten dürfen, sollte ich auf Hinweise gestoßen sein, dass Ermittlungen einseitig geführt oder möglicherweise falsche Urteile gefällt wurden.
Man mag es kaum glauben, doch ob jemand in Deutschland Gerechtigkeit widerfährt, ist auch zu einer Frage des Geldes geworden. Die Redewendung vom »fairen Prozess« ist für manche Opfer und Täter leider nur noch eine Worthülse. Die Stundensätze eines renommierten Anwalts von mehreren Hundert Euro können sich viele von ihnen niemals leisten. Ebenso wenig einen forensischen Sachverständigen, der vorliegende Beweise aufwendig untersucht und kritisch bewertet. Und so bleibt ihnen nur die bange Frage, ob sich der vom Gericht bestellte Pflichtverteidiger wirklich in dem Maße für sie einsetzen wird, wie es ihnen gebührt, und ob ihre Würde als Opfer oder Hinterbliebene im Prozess und in der Öffentlichkeit wirklich gewahrt bleibt.
Im Lichte dieser gesellschaftlichen Entwicklung begann ich nach meiner Pensionierung nach und nach, mich in viele rätselhafte Fälle einzuarbeiten: Tötungsdelikte, vermeintliche Unfälle oder Suizide. Und je intensiver ich die Akten las, je häufiger ich Tatorte aufsuchte, Gutachter im In- und Ausland kontaktierte, desto mehr offenbarte sich mir eine Vielfalt behördlichen Versagens und ein wiederkehrendes Muster von Mängeln bei der Spurenbewertung. Fehlende oder unterdrückte Beweise, mangelnde fachliche Kompetenz oder die Profilierungssucht einzelner Ermittler, die nur um die Bestätigung der eigenen Überzeugungen kämpften und wenig Energie darauf verwandten, ihre Anschuldigungen kritisch zu hinterfragen.
Ein weiterer Schwachpunkt zeigte sich aber auch in falschen Stellungnahmen von wild spekulierenden Spezialisten und Gutachtern, denen es offensichtlich an unparteiischem, unabhängigem oder fachlich kompetentem Verhalten mangelte. Ein Manko, das fatale Folgen nach sich ziehen kann. Denn werden inkorrekte Gutachten nicht rechtzeitig widerlegt, so kann das zu Fehlurteilen führen.
In besonders öffentlichkeitswirksamen Fällen kam es mir zudem manchmal so vor, als seien Verdächtige von Justiz und Strafverfolgung mit einem Malus belegt; als hätten Ermittler, Staatsanwälte und Richter in ihrem Drang, der Öffentlichkeit den »Skalp« eines Prominentenmörders zu präsentieren, die Grundsätze eines fairen Verfahrens aus dem Blick verloren.
Ich weiß, es sind gravierende Anschuldigungen, die ich hier...
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