Schweitzer Fachinformationen
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Nachdem der Tschernobyl-Seppi endlich verschwunden ist, klingelt das Telefon, und die Frau Doktor ruft an, um mir mitzuteilen, dass sie jetzt doch noch einen weiteren Außentermin habe und heute nicht mehr im Büro erscheine. Mit anderen Worten: Sie geht zum Friseur, zur Massage und dann zur Kosmetikerin oder in irgendeinen der Wellness-Tempel von München. Mir ist das recht, dann komme ich auch früher los. Kaum lege ich auf, klopft es an der Tür, und sie wird ohne jegliches höfliche Abwarten aufgerissen.
Herein kommt Melchior Hoblmayr, der Chef vom Sepp Leutner. Sieh an, sieh an. Statt seines üblichen Trachtenjacketts in Seniorenbeige trägt er heute einen schwarzen Anzug, dazu ein weißes Hemd, eine dunkle Krawatte und glänzend polierte Schuhe. Letztere sehen dermaßen neu und schmal geschnitten aus, dass er sich damit eine Blase laufen wird, garantiert. Er hat ja eher Stampfer als Füße, und da sind italienische Schuhe von der Passform her problematisch.
Verlegen wie ein Schulburschi blickt er mich an. »Ja, Frau Blochner, gut, dass ich Sie noch erwische.«
»Dollinger«, sage ich. »Seit zwei Monaten heiße ich wie mein Mann. Ich hab doch geheiratet.«
Er kann oder will es sich einfach nicht merken. So geht es vielen. Mein Mädchenname Blochner ist halt doch recht bekannt hier in Münchner Kriminalerkreisen. Leute wie der Hoblmayr haben meinen Vater und seine Methoden noch gut in Erinnerung. Viele der von ihm gelösten Fälle aus den Siebziger- und Achtzigerjahren werden bis heute in der Ausbildung exemplarisch vorgestellt, damit die Jugend etwas Gescheites lernt. Selbst der Sepp Leutner hat mich sofort gefragt, ob ich mit dem »großen Blochner« verwandt bin.
»Ja, ja, ist schon recht, Frau Dollinger. Amerikaner ist Ihr Mann, nicht wahr?«, schleimt Hoblmayr.
Ich nicke.
»Dollinger klingt ja sogar noch bayrischer als Blochner.«
»Man spricht es eigentlich Dollintschär aus in den USA«, kläre ich ihn auf. »Mein Mann hat vermutlich Vorfahren aus Bayern. Väterlicherseits. Er ist aber in Texas geboren und aufgewachsen.«
»Dann ist sein Vater bestimmt ein Ölbaron?«, fragt Hoblmayr, grinst aber sicherheitshalber und zwinkert mit beiden Augen, damit ich auch ja merke, dass er das nicht ernst meint.
»Was anderes«, sagt er schließlich, weil wenig Reaktion meinerseits kommt, da ich ähnliche Bemerkungen schon oft genug gehört habe. »War der Leutner hier?«
Ich nicke. »Gerade vorhin.«
»Und was wollte er?«
»Die Frau Doktor sprechen. Aber sie ist nicht da.«
Das mit der Akte verschweige ich, nicht dem Seppi zuliebe, sondern weil sonst womöglich neue Fragen aufgeworfen werden, die zu weiteren Fragen führen könnten. Hoblmayr wirkt aber ohnehin erleichtert, als er meine Antwort hört.
»Gut, gut, das ist gut.«
»Soll ich der Frau Doktor von Papenburg etwas ausrichten?«
»Nein, nein. Ich sehe sie ja später. Wir gehen in die Oper. Sie hat mir Karten geschenkt.«
»Wie nett von ihr.«
»Aus gesundheitlichen Gründen. Der Hausarzt findet meinen Blutdruck zu hoch. Ich soll einen anderen Blutdrucksenker probieren und viel Klassik hören. Da hat die Liane vorgeschlagen, wir könnten doch zusammen in die Oper gehen. Madame Butterfly. Ich weiß gar nicht, worum es da geht.«
»Madama Butterfly spielt in Japan, und am Ende kommt es zu einem Harakiri. Aber gesungen wird natürlich auch.«
»Ein Harakiri?«
»Ja, weil die Liebe sie so unglücklich macht, die Madame Butterfly, die wird schließlich sitzen gelassen. Das ist weder in Japan noch hier bei uns Grund zur Freude für eine Frau.« Ich mache mit der Handkante eine kurze Schnittbewegung am Bauch, woraufhin mir einfällt, dass sich Madame Butterfly die Kehle aufschlitzt. Aber das wird der Hoblmayr in der Oper schon noch merken.
Er nickt verständnisvoll.
»Ich will Sie aber nicht spoilern, Herr Hoblmayr.«
»Macht nichts, macht nichts. Es ist immer gut, vorbereitet zu sein auf alle Eventualitäten. Ich mache mir ein bissl Sorgen, weil ich bin so viel Klassik nicht gewöhnt.«
Hoblmayr ist ein ziemlicher Kulturbanause. Das weiß jeder, nur die Frau Doktor scheint es nicht zu merken - oder zu verdrängen. Sie geht auf die fünfzig zu, und da haben Frauen bekanntermaßen eine größere Chance, bei einem Autounfall zu sterben, als in diesem Leben noch einen passenden Mann zu finden. Sie muss allerdings schon sehr verzweifelt sein, um den Hoblmayr als Kandidaten ernsthaft in Betracht zu ziehen.
»Und dann diese Arien, das ist auch nicht leicht. Gegen hohe Frauenstimmen bin ich nämlich allergisch«, fügt er hinzu. »Das erinnert mich immer an meine Ex-Frau. Die kann schreien, laut und schrill, die Ohren fallen einem ab. Aber die Bayerische Staatsoper, da kann man ja nicht Nein sagen. Allerdings drei Stunden, heilige Maria und Josef.« Er schnauft laut auf, und es wirkt fast, als habe er Angst vor seiner eigenen Courage.
»Drei Stunden vergehen wie nichts in Begleitung einer schönen Frau«, sage ich.
Als Sekretärin in der Welt der Kriminaler brauchst du einfach viel Einfühlungsvermögen und ein Grundverständnis für die Seele des Mannes. Jemand wie der Hoblmayr fühlt sich besser, wenn du ihn psychologisch aufbaust, und wenn du Glück hast, geht er auch schneller wieder. Frisch machen sollte er sich nämlich lieber noch einmal. Seine Stirn glänzt, und seine Gesichtsfarbe ist trotz des Blutdrucksenkers röter, als es gesund ausschaut. Außerdem verströmt er einen Geruch, als ob unter seinen Achseln ein Radi im Gärungsprozess feststeckt. Ich bin mir nicht sicher, ob die Frau Doktor so viel natürliche Pheromone zu schätzen weiß.
Der arme Hoblmayr buhlt ja schon seit Jahren um sie. Wie die meisten Männer ist er recht einfach gestrickt in Sachen Liebe. Jeder weiß, dass der Hoblmayr Frauen mit ordentlich Holz vor der Hüttn mag. Das kann er gar nicht verbergen. Und die Frau Doktor, die könnte mit ihrem Holz in einem Kamin, also jedenfalls dem vom Hoblmayr, hohe Flammen züngeln lassen, ach was, zur Explosion könnte die ihn sofort bringen, wenn sie wollte. Aber bisher hat sie ihn, soweit ich weiß, nicht an ihr Holz rangelassen, vermutlich weil der Hoblmayr doch oft so ungehobelt rüberkommt. Wenn er heute in der Oper dampfelt und dann womöglich auch noch einschläft neben ihr, sehe ich seine Chancen erst recht schwinden. Ich halte aber meinen Mund. Männer sind ja oft so empfindlich und nehmen alles gleich immer persönlich.
Als Hoblmayr schließlich mein Büro verlässt und seinen kulturellen und romantischen Hochgenüssen entgegengeht, schalte ich den Computer aus und wandere rüber in das Zimmer von der Frau Doktor, um ihr die Akte hinzulegen, die der Tschernobyl-Seppi sich geschnappt hatte.
Auf ihrem Schreibtisch steht ein golden gerahmtes Familienfoto. Doktor Liane von Papenburg mit ihrer jüngeren Schwester und ihren Eltern. Ein Paradiesvogel inmitten von grauen Mäusen, so könnte man die Fotografie auch betiteln. Die Schwester hat kurzes braunes Haar und eine schwarze Brille, die Haare der Eltern sind schlohweiß, und auf den Nasen tragen sie randlose Brillen. Dazwischen thront Frau Doktor mit ihren orangerot gefärbten Haaren, die sie sich auftoupiert wie einen Helm aus Zuckerwatte. Ihre Brille ist genauso altrosa wie unsere Aktendeckel. Sie trägt leidenschaftlich gerne bunte Muster, grün und rot und blau, wie dem Kasperl seine Frau. Die tintenblaue Bluse auf dem Foto ist deshalb fast schon dezent für ihre Verhältnisse. Sie füllt sie dermaßen gut aus, dass man meinen könnte, die vier Goldknöpfe vorne springen gleich ab.
Die Frau Doktor und ich verstehen uns sehr gut. Wir siezen uns bewusst, weil wir beide schon schlechte Erfahrungen damit gemacht haben, uns zu schnell mit Kollegen zu duzen. Ich sage nur: Sepp Leutner. Da habe ich mich zum Du verleiten lassen, weil es unter den jüngeren Kriminalern halt üblich ist. Und jetzt steht er viel zu oft mit seinem »Du, Daisy, kannst du mir einen Gefallen tun?« bei mir im Büro herum.
Die Frau Doktor und ich kommen natürlich auch gern einmal privat ins Gespräch. Da sieht man dann, dass jeder in seinem Leben ein Päckchen zu tragen hat. Mit meiner Familie ist es schon nicht leicht. Mein Vater, der große Blochner, ist ein sturer Schädel und war mit seiner Arbeit verheiratet. Meine Mutter ist verschwunden, da war ich noch ein Kind. Aus diesem Grund bin ich später bei meiner Tante und meinem Onkel zusammen mit deren Kindern aufgewachsen. Leicht war das nicht.
Meine Cousine Immy und ich haben uns als Kinder geschworen, sobald wie möglich aus Dachselkofen wegzuziehen, weil es so langweilig dort war. Sie ist nach dem Abitur sofort nach München gezogen. Mein Cousin Traugott ist Finanzbeamter und wohnt in Regensburg. Die alten Blochners dagegen sitzen nach der Pensionierung alle wieder in Dachselkofen und gehen sich gegenseitig auf die Nerven.
Frau Doktor hat es allerdings noch viel schlimmer mit ihrer Familie getroffen. Bei ihr gibt es die Familientradition, Jura studieren zu müssen. Einen Doktortitel zu erwerben war praktisch das Minimum. Dabei wäre sie viel lieber Künstlerin geworden. Opernsängerin, Schauspielerin am Theater oder Malerin. Immerhin lebt sie das Künstlerische in ihrer Freizeit aus. Sie gehört einer Laienspielgruppe an und singt. Und sie malt auch. Wenn ich mir ihre Bilder, die im Büro hängen, anschaue, bin ich mir nicht sicher, ob sie von ihrer Kunst jemals hätte leben können. Erstens haben es Frauen im Kunstbetrieb nicht leicht, und zweitens malt sie halt gerne einfarbige Aquarelllandschaften mit ein paar Strichmännchen. Meine vierjährige Nichte würde das genauso...
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