Schweitzer Fachinformationen
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Elena kniff die Augen zusammen. Allzu sehr blendete die vom Meer reflektierte Sonne sie. Es war warm an diesem Mainachmittag und das Licht hier in Amalfi so viel weicher als daheim an der englischen Küste. Vor dem Himmel bogen sich Bougainvilleen-Zweige unter ihren leuchtenden Blüten, ein Feuer aus Lila und Magenta, auch wenn sie keinen Duft verströmten. Sie hingen über antiken Mauern, wunderschönen alten Steinhäusern und beschatteten die Stufen, die zur sanft plätschernden See hinunterführten. Auf dem zweitausend Jahre alten Mosaikfliesenboden spielten Kinder mit Murmeln. Über all dem schwebten Möwen im Wind und hielten Ausschau nach Leckerbissen.
Elena beobachtete eine Frau in einem roten Kleid, die weiter unten auf dem Plateau des steilen Hügels nach ihrem eigenen Rhythmus vor sich hin tanzte. Vielleicht war sie aus der Zeit gefallen, hier, in dieser herrlichen Stadt am Rande des Mittelmeers, die schon die Caesaren fort von den Reichtümern und Intrigen Roms gelockt hatte.
»Glauben Sie, dass sie echt ist?«, fragte hinter ihr ein Mann mit einem sanften Lachen in der Stimme. »Oder könnte sie womöglich nur das Gespinst einer überhitzten Fantasie sein?«
Elena drehte sich um. Er war deutlich größer als sie. In seinem dichten kastanienbraunen Haar schimmerte das Sonnenlicht. Sein Gesicht lag im Schatten, doch immerhin konnte sie die markanten Konturen erahnen.
»Oh, sie ist durchaus echt«, erwiderte Elena mit einem breiten Lächeln. »Warum? Wäre eine Vision besser?«
»Höchstens für kurze Zeit. Am Ende setzt sich immer die Realität durch. Sonst würden die Leute einen für verrückt halten.«
»Oje«, seufzte Elena, die nur mit Mühe eine ernste Miene wahrte. »Und ich dachte schon, in einem roten Kleid zu tanzen sei der Inbegriff von Vernunft.«
Der Mann zuckte mit den Schultern. »Selbst eine alte Frau mit einer Tüte Zwiebeln wäre interessanter als die meisten Teilnehmer dieser Wirtschaftskonferenz, die ich hier verfolgen muss.«
Jetzt platzte das Lachen aus Elena heraus. »Ich werde Margot erzählen, was Sie gesagt haben!«
»Margot? Ist das ihr Name?«
»Wenn eine Frau in einem roten Kleid ganz allein einfach drauflostanzt, kann das nur meine Schwester Margot sein.« Sie sagte das voller Bewunderung, und einen Moment lang wünschte sie sich, selbst die Gestalt dort unten zu sein.
Der Mann blinzelte sie unsicher an, als wüsste er nicht so recht, ob er ihr glauben sollte.
Elena bemerkte seine Verwirrung und brach erneut in Lachen aus. »Doch, wirklich.«
Margot war ihre ältere Schwester, die aus einer bloßen Laune heraus zu dieser öden Konferenz mitgekommen war. Ihr war langweilig gewesen, und weil sie irgendwann ohnehin nach Amalfi hatte reisen wollen, hatte sie angeboten, Elena zu der Konferenz zu begleiten, wo diese Aufnahmen von den Teilnehmern machte. »Ist doch lustiger, wenn wir gemeinsam hinfahren«, hatte Margot gemeint. Und in dem leicht geringschätzigen Ton, den sie immer anschlug, wenn von der Arbeit ihrer Schwester die Rede war, hatte sie hinzugefügt: »Schließlich kannst du nicht die ganze Zeit knipsen!«
In Margots Augen stellte Elenas Beruf ein Hobby dar, das ein bescheidenes Einkommen einbrachte. Doch sie erkannte an, dass das Fotografieren im Fall ihrer Schwester eine Leidenschaft war, von der sie selbst nichts verstand.
Elena hatte Margots Vorschlag nichts entgegenzusetzen gehabt. Ihre Schwester kannte sie einfach zu gut und durchschaute sie meistens schnell, besonders wenn Elena sich unbehaglich fühlte und ihr irgendwelche Notlügen auftischte. Vielleicht lag das am Altersunterschied.
Natürlich war Margot auch über Aiden Strother im Bilde, obschon nicht in allen Einzelheiten. Die kannte außer Elena niemand, auch wenn der eine oder andere zweifelsohne etwas ahnte. Gleich nach dem Studium hatte Elena eine höhere Stellung im Außenministerium angenommen, was sie nicht nur ihren hervorragenden Leistungen verdankte, sondern auch dem Einfluss ihres Vaters, der viele Jahre lang als britischer Botschafter in den bedeutendsten Städten Europas gedient hatte, insbesondere in Berlin, Paris und Madrid.
In Aiden hatte Elena sich verliebt, als sie für ihn gearbeitet hatte. Kein Wunder: Er war charmant, gut aussehend, humorvoll und intelligent. Hochintelligent sogar. Tatsächlich hatte er sie alle zum Narren gehalten - sogar Elena! Doch sie war zu bezaubert von ihm gewesen, um auf die Zeichen zu achten, die ihr erst jetzt, im Nachhinein, ins Auge stachen. Er hatte sie alle nach Strich und Faden betrogen, und sie war auch noch so naiv gewesen, ihm dabei zu helfen - wenn auch unwissentlich. Im Rückblick schämte sie sich für ihre eigene Dummheit in Grund und Boden. Das einzig Gute an dem Ganzen war, dass niemand sie als Komplizin betrachtete, sondern nur als unerfahrenes und unglaublich naives junges Ding.
Gleichwohl hatte man sie vor die Tür gesetzt, so peinlich und beschämend das auch für Charles, ihren Vater, gewesen war. Er hatte immer geglaubt, dass von seinen beiden Töchtern sie diejenige wäre, die in seine Fußstapfen treten und im Auswärtigen Amt so hoch hinaufgelangen konnte, wie das einer Frau nur möglich war. Elenas kurze Vernarrtheit in Aiden stand nach wie vor zwischen ihr und ihrem Vater. Sie hatte sich grober Dummheit schuldig gemacht und das auch nie geleugnet. Noch immer tat es ihr weh, wenn dieses Thema erwähnt wurde. Mit Liebeskummer hatte das allerdings nichts zu tun, auch nicht mit dem Ende einer Illusion, sondern einzig und allein damit, dass sie dumm gewesen war und alle enttäuscht hatte, insbesondere sich selbst.
Seine ältere Tochter Margot hatte Charles nie wirklich verstanden, sie jedoch seit jeher geliebt und bewundert. Und er hatte von Anfang an gespürt, welch verzehrende Trauer ihr Leben erstickt hatte, als ihr Mann, mit dem sie nur eine Woche lang verheiratet gewesen war, in den letzten Kriegswochen fiel.
Allein auf dem Plateau am Hügel, hatte Margot mittlerweile aufgehört zu tanzen und sich darangemacht, langsam die Stufen zu erklimmen. Während sie sich Elena und dem jungen Mann näherte, verschwand sie hin und wieder hinter einer gewundenen Mauer oder einer der in verschwenderischen Farben blühenden Lauben.
»Sagen Sie mir bloß nicht, dass sie von Beruf Ökonomin ist.« Der Mann, nach wie vor mit einem Lachen in der Stimme, wurde leiser, als spürte er, dass Elena in diesem Moment nicht ganz bei der Sache war.
Selbst fünfzehn Jahre nach dem Krieg litt jeder immer noch unter seinem eigenen Kummer - sei es der Verlust eines Menschen oder vielleicht einer Hoffnung, eines Gefühls von Unschuld - und unter Angst. Schwermut lag in der Luft, in der Musik, im Humor, ja sogar in dem herrlichen, jetzt aber verblassenden Licht.
»Ganz bestimmt nicht.« Elena wahrte einen heiteren Ton, auch wenn es sie einige Mühe kostete. »Und bitte fragen Sie mich nicht, ob ich eine bin.«
»Ich würde nicht mal im Traum daran denken.« Der Mann reichte ihr die Hand. »Ian Newton. Wirtschaftsjournalist. Manchmal.«
Sie ergriff seine Hand, die sich kräftig und warm anfühlte und die ihre fest drückte. »Elena Standish. Fotografin. Manchmal.«
»Sehr erfreut.« Er ließ ihre Hand los.
»Und die Frau dort unten ist meine Schwester, Margot Driscoll«, erklärte Elena.
»Nicht Standish .? Ist sie mit ihrem Mann hier?«
»Margot ist Witwe. Ihr Mann Paul ist im Krieg gefallen.«
Ian Newton nickte. Natürlich . Mit einer Situation wie dieser wurde man immer wieder konfrontiert, sogar jetzt noch, fünfzehn Jahre nach Kriegsende. Sein Blick wanderte hinüber zu Margot, die in einer von überzähligen Frauen bevölkerten Welt dazu verdammt war, allein zu tanzen.
»Möchten Sie und Mrs Driscoll heute Abend mit mir speisen?«
Elena antwortete für sie beide. »Gern. Vielen Dank. Wir sind im Santa Catalina abgestiegen.«
»Ich weiß.«
»Sie wiss.?«
»Sicher. Ich bin Ihnen hierhergefolgt.«
Elena war sich nicht sicher, ob sie ihm glauben sollte, aber die Vorstellung gefiel ihr. »Um acht? Im Speisesaal?«
»Ich werde auf Sie warten«, antwortete Ian, dann wandte er sich ab und entfernte sich, den Rücken durchgestreckt, mit lässigen Schritten hügelaufwärts.
Im nächsten Moment tauchte Margot neben Elena auf. Äußerlich hätten die zwei Schwestern nicht unterschiedlicher sein können. Margot hatte dunkle Augen und schwarzes, wie Seide glänzendes Haar. Sie war schlank und wirkte immer elegant, egal, was sie trug. Elena war von gleicher Größe und besaß eine gewisse Anmut, die jedoch diejenige von Margot nicht erreichte. Ihre Augen waren von einem ganz gewöhnlichen Blau, ihr Haar hellbraun, fast blond. Im Vergleich zu ihrer aufsehenerregenden Schwester machte sie einen beinahe farblosen Eindruck.
»Träumst du wieder mit offenen Augen?«, fragte Margot mit kaum verhüllter Gereiztheit. Sie vergaß nur selten, dass sie mehrere Jahre älter war. »Wenn du eine seriöse Fotografin sein willst, wirst du ein paar ordentliche Aufnahmen schießen müssen, und da wirst du mit bloßem Herumstehen nicht weit kommen.«
»Ach, ich weiß nicht«, erwiderte Elena geduldig. Sie war es gewohnt, von Margot gescholten zu werden, wusste aber auch, dass ihre Schwester das aus Liebe und Besorgnis tat. »Ich habe schon zwei Bilder von einer Frau im Kasten, die dort unten getanzt hat, ganz allein und in einem knallroten Kleid. Leicht verrückt, aber eine hübsche Studie.«
In Margots Augen blitzte Zorn auf. »Gib sie mir.«
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