Schweitzer Fachinformationen
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Irgendwas stimmte nicht. Vanessa starrte auf den Plan und führte ihren Finger die Namensliste entlang nach unten.
»Oh, nein«, sagte sie und schluckte mühsam.
Tim schaute auf. Er lehnte entspannt in seinem Stuhl, in der Hand eine Dirty Chai Latte, mit dem Daumen der anderen scrollte er in seinem Smartphone. Überall im Café saßen Männer Anfang, Mitte dreißig in ähnlicher Pose, abgetaucht unter Sonntagszeitungen und Croissantkrümeln, während Ehefrauen Kleinkinder bändigten oder einen Blick in die Deko- & Wohnen-Beilage warfen. Die Spätfrühlingssonne warf ihre Strahlen schräg über die kalkgetünchten Dielen und eine Stimmung behaglicher Zufriedenheit wehte durch den Raum wie eine Pusteblume. Und warum auch nicht? Schließlich war man hier im Belvedere, der besten Brunch-Location von Wandsworth, mitten im Zentrum von einfach allem. Auf der Speisekarte stand Kurkuma Frittata und die Welt war in Ordnung.
Nur, dass sie es eben nicht war.
»Wie konnte ich das bloß übersehen?« Vanessa warf ihrem Verlobten einen Blick zu.
Tim, dem endlich dämmerte, dass seine Aufmerksamkeit gefordert war, reckte den Hals und betrachtete den über den Tisch gebreiteten Sitzplan, dessen Ecken mit einheimischem Honig und recycelten Gläsern festgehalten wurden.
»Der Single-Tisch?«, sagte er. »Was ist das Problem?«
Das Problem, dachte Vanessa, war genau das: Tim hielt es nicht für ein Problem.
»Siehst du das denn nicht?«, sagte Vanessa und tippte mit einem lackierten Fingernagel auf das Papier. »Junge, Mädchen, Junge, Mädchen, Junge, Junge.«
Tim zeigte ihr seine ebenmäßigen Zähne, die kürzlich in Vorbereitung auf den großen Tag von Dr. Patergee aufgehellt worden waren.
»Junge, Junge? Na und? Wir sind modern und aufgeschlossen«, sagte er.
»Nicht komisch, Tim«, sagte Vanessa.
Tim sackte mit einer wegwerfenden Handbewegung in seinen Stuhl zurück. »Dann setz sie um«, sagte er.
Vanessas Hände verkrampften sich unter dem Tisch und sie rieb ihren Verlobungsdiamanten wie eine Zauberlampe.
»Ich kann sie nicht einfach >umsetzen<«, zischte sie. »Du weißt, warum.«
Tim wirkte unbeeindruckt.
»Wegen deinem Freund Ali, darum«, sagte Vanessa und senkte die Stimme. »Wegen seiner . Grabschhände.«
Tim stieß ein leises, verächtliches Lachen aus und Vanessa atmete tief durch. Bei den Blumen und Einladungen war er auch schon so gewesen. Hätte Vanessa ihm nicht gehörig Druck gemacht, würden seine Trauzeugen ihre eigenen Krawatten tragen.
»Warum setzt du nicht Jessica von unserem Tisch zu ihnen«, sagte Tim. »Sie ist doch single, oder?«
Vanessa lachte bellend. »Du machst hoffentlich Witze? Jessica ist eine meiner echten Freundinnen.«
Tim starrte sie verständnislos an.
»Würde ich Jess an den Single-Tisch setzen, könnte ich ihr genauso gut sagen, dass ich ihr nicht zutraue, jemals einen Ehemann zu finden.«
Tim nippte an seiner Chai Latte. »Aber sie könnte doch da jemanden kennenlernen. Ist das nicht der ganze Sinn und Zweck vom Single-Tisch? Zum Beispiel Adam?«
»Adam«, wiederholte sie tonlos.
»Okay, also nicht Adam - jemand anders. Hugo?«
»Ich liebe Hugo, aber ein Heiratskandidat ist er ja wohl kaum, oder? Außerdem ist er mindestens doppelt so groß wie Jessica.«
»Und was ist daran so schlimm? Es ist eine Hochzeit, Vee, nicht irgendein Nazi-Zuchtprogramm.«
Vanessa biss sich auf die Lippen. Männer haben zu Hochzeiten ein anderes Verhältnis als wir. Das hatte ihre Mutter gesagt - nein, das hatte sie ihr am Morgen, als sie ihre Verlobung verkündet hatten, als Warnung mitgegeben. Und er wird sich ändern, Schatz.
Sie schaute wieder aus dem Fenster. Von wegen. Das Belvedere hatte wirklich den besten Blick über den Park, auf den Konvoi all der glücklichen Wochenend-Familien, die mit ihren Nunas und Babyzens vorbeiglitten wie Luxusjachten vor der Isle of Wight.
Und jetzt gehörten auch sie dazu - Tim und Vee, die neuen Nachbarn. Das Reihenhaus auf der Rackman Avenue gehörte endlich ihnen, die nackten, verspachtelten Wände ein Patchwork aus erlesenem Saftgrün, Calamin und Französisch-Grau. Vanessa hatte im Moment, als die Maklerin die Tür aufschloss, gewusst, dass es perfekt war. Die Originalfliesen im Flur, die naturbelassenen Wandleisten im Wohnzimmer und das niedlichste Kinderzimmer gleich am oberen Treppenabsatz. Denn ein Kinderzimmer wäre ja wohl der nächste Schritt, oder? Erst die Trauung, dann die Hochzeitsreise, dann die winzigen, süß geformten Füßchen von Grace oder Beatrice oder Katie. Vielleicht sogar Clara, aber Imogen scheiß-Peters hatte ja ihren bescheuerten Shih-Tzu-Kläffer unbedingt »Clara« nennen müssen.
Sie schaute zu Tim hinüber, der wieder über sein iPhone gebeugt war, sein konzentriertes Gesicht ähnlich verkrumpelt wie sein Crew-Shirt. Hatte er Namen vorgeschlagen? Sich jenseits seines Jaworts überhaupt irgendwelche Gedanken gemacht? Einen schmerzlichen Augenblick lang grübelte Vanessa, was ihr zukünftiger Ehemann eigentlich von ihrem gemeinsamen Leben erwartete - und ihr fiel nichts ein.
»Tim?«
»Was?«, sagte er, ohne aufzuschauen. Sie ließ das Wort im Raum schweben. Längeres Schweigen irritierte Tim.
»Was?«, wiederholte er, und seine blauen Augen hefteten sich auf sie.
»Alles in Ordnung?«, fragte Vanessa. »Du bist so still gewesen.«
Ein Achselzucken, dann wanderte sein Blick wieder nach unten. »Ich lese nur die Cricket-Ergebnisse.«
»Nein, ich meinte in den letzten Wochen. Seit alldem hier.« Sie deutete auf den Plan mit der Sitzordnung. Sag es. Sag es.
»Du willst aber schon noch heiraten?« Sie hatte es leicht dahinsagen wollen, aber es schoss hastig, leicht schrill aus ihr hervor und sie spürte, wie sich glühende rote Hitzeflecken auf ihren Wangen bildeten, wie bei einem Kind, das Verkleiden spielt.
»Was? Natürlich will ich.« Er schaute sie jetzt an, aber Vanessa sah, wie seine Augen zurück zum Sitzplan huschten, und dann fiel mit einem fast hörbaren »Klonk« der Groschen.
»Die Hochzeit? Die Hochzeit ist das Problem«, sagte sie leise, und das Zittern in ihrer Stimme war unüberhörbar.
Tim lächelte. »Sei nicht albern.« Und da war er wieder: dieser starre, leere Blick.
Der Blick, den sie schon öfter bei ihm gesehen hatte. Tim Jameson, der Werbemann, der gewiefte Wort- und Gefühleverdreher, aber der schlechteste Lügner aller Zeiten.
»Sag's einfach.«
Tim seufzte und legte behutsam sein Handy weg. »Hör mal, Vee, wir sind doch nicht das Problem .«
Er verstummte und schaute auf den Tisch, starrte die blöde kleine Eieruhr an, die sie einem dazustellten, damit man seinen Orange Pekoe nicht zu lange ziehen ließ. Vanessa kam sich vor wie eins von diesen Sandkörnern, die irgendwo auf halbem Weg feststecken. Nichts Halbes und nichts Ganzes. Wie sah ihre Zukunft aus? Vielleicht sollte sie eine Münze werfen.
»Diese ganze Hochzeitsplanung«, sagte Tim. »Es ist einfach .«
Tim ergriff ihre Hand und das Platin ihres Verlobungsrings grub sich in ihren Fingerknöchel.
»Ich möchte mit dir verheiratet sein, Vee. Ich könnte nur gut auf all das Brimborium verzichten.«
»Brimborium?«, sagte sie mit kieksender Stimme. »Unsere Hochzeit ist jetzt ein >Brimborium?<«
»Ja!«, er lächelte, aber Vanessas Gesicht fühlte sich steif und zerbrechlich an. Wie Glaswollhaar.
»Weißt du, wie meine ideale Hochzeit aussehen würde?«, sagte er. »Nur du und ich an einem Strand. Keine Gedecke, keine Manschettenknöpfe, nur wir beide, wie wir einander unsere Liebe schwören, oder was immer man da macht - und damit gut, dann führen wir unser gemeinsames Leben. Klingt das nicht herrlich?«
Vanessa nickte, weil sie wusste, dass es eigentlich die korrekte Antwort war.
Aber es klang nicht herrlich. Es klang furchtbar. Weil Vanessa die Hochzeit toll fand. Sie fand die Gedecke und die abgestimmten Krawatten toll, das Vorspielen der Organisten und das Kosten der Canapés. Und sie fand ihre Zeit als Verlobte toll,...
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