Schweitzer Fachinformationen
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1. Kapitel
Im schottischen Hochland, Silvester
In der Menschenmenge, die sich auf den Burgmauern versammelt hatte, entstand ein Moment der Stille. Die Unterhaltungen verstummten, man senkte die Köpfe und hielt den Atem an. Und dann war es so weit: Ein zartes Glockenspiel erklang, und die Kirchturmuhr im Dorf Munroe schlug zwölf.
Zisch!
Die erste Rakete sauste in den Himmel, gefolgt von Beifall und begeisterten Jubelrufen. Dunkelrote Funken explodierten am schwarzen Himmel, und glitzernde Ranken ergossen sich zu den Klängen von Auld Lang Syne, das aus Lautsprechern tönte, auf die Erde. Das neue Jahr war da.
Überall auf dem Burgwall wurde sich umarmt und geküsst, jeder teilte diesen Augenblick mit einem geliebten Menschen oder mit einem Fremden, der gerade zur Stelle war. Alle tauschten leise Neujahrswünsche und drückten ihre Hoffnung für die Zukunft aus. Alle außer Jim Johnson. Er blickte auf seine Armbanduhr, dann hinauf zum Himmel. Achtzehneinhalb Minuten sollte das Feuerwerk dauern, bis dahin musste sich die Band im Festsaal warmgespielt haben.
»Hey, Jim, tolle Party.«
Er blickte auf und schüttelte die dargebotene Hand. Douglas Strand, eine große Nummer im Öl- und Gasgeschäft und in der schottischen Politik. Die Tatsache, dass Strand hier Silvester feierte und nicht auf einem Balkon mit Blick auf die Princes Street, entlockte Jim ein Lächeln.
»Danke, Doug«, erwiderte er und klopfte Strand auf den Rücken. »Erzählen Sie's weiter.«
Strand deutete mit seinem Glas auf die Ansammlung mächtiger und einflussreicher Personen, die auf den Burgmauern johlten und lachten. »Ich bezweifle, dass das nach heute Abend noch nötig sein wird«, sagte er. »Ich glaube, jeder, der es wissen sollte, ist schon hier.«
Jim schüttelte weitere Hände und ließ sich von angeheiterten Gästen umarmen, während er die Treppe hinunter in die große Halle ging - Munroes ganzer Stolz. Bis vor wenigen Wochen war hier noch der kopfsteingepflasterte Burghof gewesen. Nun hatte sich dieser in die elegante Eingangshalle des Hotels verwandelt, das Kopfsteinpflaster war unter Eichenbohlen und Teppichen verschwunden, der alte Burgwall durch Wandbehänge, Kunst und indirekte Beleuchtung luxuriös gestaltet. Es war ein atemberaubender Empfang, den Europas neues In-Hotel seinen Gästen bereitete - Jim hatte die Wirkung beim Eintreffen in ihren Gesichtern beobachtet. Die Einweihung war in jeder Hinsicht ein voller Erfolg.
Jedenfalls bislang, dachte er, ließ den Kopf kreisen und spürte, wie die Anspannung in seinem Nacken ein wenig nachließ.
»Celine«, sagte er, als er an der Bar eine Frau in einem roten Abendkleid entdeckte. »Wie schön, dass Sie gekommen sind.«
Als die eindrucksvolle Brünette ihn zur Begrüßung auf die Wange küsste, flogen ihnen die Blicke der Gästeschar zu. Celine Wood ging auf die vierzig zu, zählte aber noch immer zu den begehrtesten Models der Welt. Dass er sie zur Eröffnung nach Schottland hatte locken können, war ein echter Coup.
»Frohes neues Jahr. Wollen Sie sich nicht draußen das Feuerwerk ansehen?«
»Ich wollte mir nur etwas zu trinken holen. Hier, nehmen Sie das, Sie können es vermutlich vertragen«, sagte sie und reichte ihm eine Champagnerflöte.
»Prost«, entgegnete er und trank einen kleinen Schluck. »Ich habe achtundvierzig Stunden nicht geschlafen.«
»Sie sehen trotzdem wie immer blendend aus«, gab sie zurück und wischte ihm etwas von ihrem Lippenstift aus dem Mundwinkel. »Sogar noch blendender als Munroe.«
Jim lächelte unsicher und fragte sich, ob Celine Wood ihn gerade anmachte. Sie waren sich schon einmal begegnet und hatten möglicherweise auch miteinander geflirtet, aber Jim war sich bei Leuten aus diesen Kreisen nie sicher, was zur Show gehörte und was mehr bedeutete. Ganz sicher wollte er sich nicht zum Narren machen, indem er es heute Abend herauszufinden versuchte.
»Mr. Johnson, könnte ich Sie kurz sprechen?«
Skeptisch musterte er den heraneilenden Portier.
»Am Eingang herrscht etwas Aufruhr.«
»Aufruhr?« Rasch stellte er sein Glas ab.
Celine ließ ihn nicht aus den Augen.
»Eine Sicherheitsangelegenheit, Sir. Ich glaube, Sie sollten sich persönlich darum kümmern.«
Jim blickte zu Celine, die bedauernd die berühmten sinnlichen Lippen verzog. »Ich muss gehen«, erklärte er und legte ihr flüchtig die Hand auf die Schulter.
»Vielleicht können Sie das später noch gebrauchen«, raunte sie ihm zu, während sie ihm etwas in die Hosentasche schob. »Wenn ja, sagen Sie mir Bescheid.«
Mit einem Nicken knöpfte er die Jacke seines Smokings zu und folgte dem Portier durch die Halle in das Büro des Hoteldirektors, wobei er sich noch einmal kurz nach Celine umblickte. Sie hatte ihren Platz an der Bar bereits verlassen. Auch gut.
»Was ist los?«, fragte er mit Blick auf das flackernde Schwarz-Weiß-Bild des Überwachungsmonitors.
»Ein Problem am Eingangstor«, erklärte der Sicherheitschef. »Dieser Herr ist überaus gereizt, wenn mir die Bemerkung erlaubt ist. Er behauptet, sein Name wäre Lord Brodie, und er will reinkommen.«
»Du liebe Güte«, murmelte Jim und betrachtete den Bildschirm mit mulmigem Gefühl.
»Kennen Sie ihn?«, erkundigte sich der Portier.
»Ja.«
»Sollen wir ihn reinlassen?«
»Nicht in diesem Zustand.«
»Was sollen wir also tun?«
Jim hatte die letzten achtundvierzig Stunden mit Leuten verbracht, die Entscheidungen von ihm erwarteten. Der neue Geschäftsführer, die PR-Firma, der Marketingleiter, die Kommunikationsabteilung und der CEO von Omari Hotels, seine Angestellten - jeder wollte ein kleines Stück von ihm. Und nachdem er seit seiner Ankunft in Schottland vor zwei Tagen kaum zum Schlafen gekommen war, hatte er das Gefühl, gleich durchzudrehen.
»Rufen Sie ihm ein Taxi, dann gehen Sie zum Tor und sorgen dafür, dass ihn der Wagen bringt, wohin er will«, sagte er und fügte hinzu: »Nur nicht hier hoch.«
Er warf einen Blick auf seine Uhr, durchquerte den Festsaal und überprüfte das Buffet. Es war aufgefüllt worden - Ente, Wildbret und Forelle glänzten im Kerzenschein. Gut.
Eigentlich sollte er nach dem Dudelsackspieler sehen, der auf der Burgmauer spielen würde, sobald die Gäste diese verlassen hatten, aber nein, das konnte ein paar Minuten warten.
Er nahm eine offene Champagnerflasche, ging einen schmalen Gang entlang bis zu dem schmiedeeisernen Tor, das in den von der Burgmauer umgebenen Garten führte. Er stieß es auf, trat hinaus und stellte dankbar fest, dass er allein war.
»Frohes neues Jahr, Jim«, murmelte er vor sich hin, ließ sich auf einer kalten Steinbank nieder und prostete mit der Flasche dem Feuerwerk zu, bevor er einen Schluck trank. Die meisten Leute, die er kannte, hätten es vermieden, an Silvester zu arbeiten, doch Jim tat es gern. Natürlich war die Burg Munroe der Star des Abends, aber auch er hatte Aufmerksamkeit bekommen, bewundernde Blicke, anerkennendes Rückenklopfen.
Schließlich hatte er diesen Ort erst vor achtzehn Monaten entdeckt. Auf dem Weg zu einer Moorhuhnjagd war er falsch abgebogen und auf den baufälligen Gebäudekomplex gestoßen, der einem älteren Herrn gehörte. Als Hotelinvestor mit mehr als fünfzehn Jahren Erfahrung hatte er Munroes Potenzial sofort erkannt - die bildschöne Lage, gleich bei einem in eine Heidelandschaft eingebetteten See. Daraufhin hatte er keine Zeit verloren, mit Brodie Kontakt aufzunehmen, um zu fragen, ob er es ihm verkaufen würde. Zunächst hatte der alte Mann abgelehnt, doch schließlich konnte Jim ihn von seinem Vorhaben überzeugen. Und jetzt, nur ein Jahr später, war es so weit: Das attraktivste neue Resort in ganz Europa war fertig, die Krönung unter den Hotels des Unternehmens.
Während er aus der halbleeren Flasche Champagner trank, überkam ihn auf einmal ein schlechtes Gewissen, dass er Richard Brodie nicht auf die Party gelassen hatte. Er beschloss, ihn morgen anzurufen und ihn einzuladen, auf seine Kosten einen Abend in Munroe zu verbringen. Da er das Gefühl nicht loswurde, sich nicht ganz korrekt verhalten zu haben, würde er ihm sogar eine Runde Golf spendieren.
Er schob eine Hand in die Hosentasche, um nachzusehen, was Celine Wood dort vor wenigen Minuten deponiert hatte. Irgendwie erwartete er, ihre Telefonnummer zu finden, ein bisschen hoffte er es sogar - wenn er es sich recht überlegte, war die Art, wie sie ihre Lippenstiftspuren aus seinem Mundwinkel entfernt hatte, schon sehr aufreizend gewesen. Als er die Hand wieder hervorzog und öffnete, sah er auf seinem Handteller jedoch ein Päckchen Kokain.
Einen Moment reizte es ihn, doch dann schnaubte er leise und besann sich eines Besseren. Teure Drogen waren nicht die Antwort.
»Habe ich es mir doch gedacht, dass Sie das waren, der sich da von der Meute abgesetzt hat«, sagte eine tiefe Stimme mit einem starken Akzent.
»Simon.« Als Jim seinen Boss entdeckte, stand er auf und schob das Päckchen flugs zurück in die Hosentasche. »Tut mir leid, ich wollte nur einen Augenblick Luft schnappen.«
»Setzen Sie sich wieder«, erwiderte Simon Desai und wedelte ungeduldig mit der Hand.
Der Vorsitzende des von Mumbai aus weltweit agierenden Konzerns, zu dem die Omari Hotels gehörten, öffnete den Knopf seiner Smoking-Jacke und ließ sich neben Jim auf der Bank nieder. Jim konnte sich ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen. Hier saß er und plauderte am Silvesterabend mit einem der reichsten Männer der Welt. Zugegeben, er war nur...
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