Schweitzer Fachinformationen
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Montag, 4. Juni
Wachtmeister mbA Paul Grossenbacher von der Kriminalpolizei des Kantons Zürich hat einen Plan. Und es scheint ihm wichtiger denn je, ihn auch genau so umzusetzen. Der Plan lautet: Dienst nach Vorschrift. Und dies beinhaltet sowohl den Dienstablauf wie auch die Präsenzzeit. Was wiederum etwa so viel bedeutet, wie möglichst unauffällig ins Büro zu schleichen und unbemerkt in seinem Kabäuschen zu verschwinden. Wenn's klappt und er unbehelligt sein Ziel erreicht, kann er dort für den Rest des Tages seine Gummistiefel ausziehen, die Beine aufs Pult legen und die zeitaufwendige Observation des Stundenzeigers seiner Armbanduhr fortführen. Zwischendurch gelingt ihm sogar sein alter Trick und er schafft es, tief in den Sessel versunken einen seiner geliebten roten Bleistifte auf der Nase zu balancieren. Was ihm dabei aber fehlt, ist eine Aufgabe, über welche er dabei ausgiebig nachdenken kann. Wobei, wenn er ehrlich ist, kann er auf die Aufgabe gut und gerne verzichten, denn sie fehlt eben nur beim Nachdenken und das muss ja nicht unbedingt sein. Trotzdem beschließt er, in Zukunft, statt den Bleistift auf der Nase zu balancieren, jeden Abend alle Stifte fein säuberlich zu spitzen, bevor er sie zurück in die Schublade legt, wo sie für die Nacht hoffentlich gut aufgehoben sind.
Das andere große Problem, das ihn zurzeit beschäftigt, sind die zwischenmenschlichen Beziehungen am Arbeitsplatz. Es sind vor allem zwei Personen, welchen er aus dem Weg gehen möchte. Erstens, seiner Assistentin Larissa Fehr. Ihr unbarmherziger Aktivismus ist so nervtötend, dass er ihn, davon ist er absolut überzeugt, noch ins Grab bringen wird. Und zweitens, Dienst-Chef Lüthi. Jede Begegnung mit ihm artete, wie die langjährige Erfahrung beweist, mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit in ungewollte Arbeit aus.
Also alles in allem Grund genug, mit gesenktem Kopf und hochgeschlagenem Kragen unbemerkt durch die Hintertür ins Büro oder wieder hinauszuschlüpfen.
Die hohe Konzentration auf seine Observation fordert ihren Tribut. Die angespannte Beobachtung der kaum sichtbaren Bewegung des Minutenzeigers lässt die Augen brennen und macht ihn schläfrig. Er muss für einen Augenblick seine Augen schließen. Es geht nicht anders. Was kann er denn dafür, wenn ihn seine Arbeit so in Anspruch nimmt, dass die Augen tränen und er entsprechend schnell ermüdet. Vielleicht sollte er einen Augenarzt aufsuchen, um sich krankschreiben zu lassen.
Doch ist es auch nicht so, dass sich Grossenbachers Hirnzellen im Urlaub auf Capri befinden. Nein, sie sind hier und beinahe beängstigend aktiv und in diesen harten Zeiten auch entsprechend kreativ. Eine Fata Morgana, das ist die Lösung, denkt sich Grossenbacher und pikst sich mit einem der scharf gespitzten Bleistifte in den Unterarm, nur um zu sehen, ob er schon wieder eingeschlafen ist. Seine Nerven zeigen eine Reaktion, also träumt er nicht. So müsste es machbar sein. Schubert setzt doch seit einiger Zeit diese 3-D-Scanning-Technologie zur forensischen Rekonstruktion von Ereignisabläufen ein. Wie wäre es, wenn er, Grossenbacher, sich dieses Gerät beim FOR ausleihen würde? Er könnte es in seinem Büro aufstellen und so eine Aufnahme von sich bei vollem Arbeitseinsatz aufzeichnen. Er würde sich dann auch Mühe geben und sich voll ins Zeug legen. Ist doch klar. Volle Action! Hätte er erst einmal ein paar Stunden im Kasten, müsste er sich nur noch bei der Materialausgabe drei Beamer ausleihen, die Projektoren im Büro aufstellen, die Aufzeichnungen zu einer Endlosschlaufe zusammenfügen und sich unter dem ablaufenden Hologramm zur Ruhe legen. So einfach ist das. Kurzer intensiver Einsatz mit lang anhaltender, besser gesagt nachhaltiger Wirkung. Kein Mensch käme auf die Idee, dass Grossenbacher nur eine Illusion, eine Täuschung wäre. Genial. Grossenbacher beschließt, sich gleich an die Umsetzung zu machen, sobald er erwacht.
Ein unangenehmes Kribbeln in seinen Blutbahnen holt ihn aus dem seligen Nirwana. Der akute Koffeinmangel lässt seine Venenwände vibrieren. Zwar nur leicht, und vielleicht geradeso stark, wie sich das letzte Blatt in den Ästen der Kastanie im Kasernenareal gegenüber dem Bürofenster in der Windstille bewegt. Aber immerhin. Da er bereits zwei intensive Stunden in seinem Büro geschlafen hat, braucht er dringend eine Kaffeepause. Der Automat am Ende des Korridors könnte Abhilfe schaffen. Ganz langsam schiebt er die Beine vom Tisch. Eine Handlung, die sich sofort als fataler Fehler herausstellt, denn kaum hat er die Bürotür geöffnet, rennt ihm auch schon Fehr in die Arme. Und wie sie ist, beginnt sie sofort wie ein auslaufender Stausee zu sprudeln. Mit Mühe gelingt es ihm, den Redefluss zu umschiffen, indem er Daumen und Zeigefinger aufeinanderpresst, die Hand zu den zugespitzten Lippen führt und dazu eine leichte Kippbewegung macht. Zusätzlich gibt er einen schlürfenden Ton von sich und spreizt elegant den kleinen Finger ab.
Am Kaffeeautomaten zeigt sich, dass er entweder vom Pech verfolgt oder heute Freitag, der 13. ist. Zum Glück hat er kein Zahlenlotto gespielt. Das Geld hätte er sonst auch zum Fenster hinauswerfen können, es wäre auf das Gleiche herausgekommen. DC Lüthi lehnt sich mit einem Ellenbogen auf den Stehtisch und lächelt ihm erwartungsvoll entgegen. Grossenbachers Laune sinkt augenblicklich zwei Stockwerke tiefer und er weiß nicht, ob er dem DC seine Faust auf das Lächeln drücken oder besser rechtsumkehrt machen soll, um seinen Kaffee in der nahen Helvti-Bar zu trinken. Nach 15 Sekunden Bedenkzeit, in welcher Lüthis Lächeln erstarrt und Fehrs Redefluss versiegt, entscheidet er sich für seinen allerersten Plan. Er drückt den Schlüsselanhänger mit integriertem Identifikationschip auf das Bezahlfeld und zieht einen doppelten Espresso aus dem Automaten.
Mit dem Becher in der Hand dreht er sich mutig seinen Gegnern zu: »Immer noch schön kalt draußen, wenn man bedenkt, dass schon bald Ostern ist«, sagt er leutselig in die Runde und versucht gleichzeitig nett zu lächeln, etwas Small Talk zu machen. Er gibt sich Mühe, dabei nicht wie ein Osterhase auszusehen. Was er nicht beachtet, ist, dass Ostern bereits mehr als einen Monat zurückliegt. Er hat das einfach verschlafen.
»Aha, Paul!« Der DC wirft sich in Positur. »Schön, dich wieder einmal in die Finger zu kriegen«, säuselt Lüthi und zerquetscht den leeren Pappbecher in seiner Hand.
»Ja, so begegnet man sich. Was für ein Zufall. Schön, nicht?« Grossenbacher macht auf kollegial und sehr nett. »Jetzt stell dir mal vor, Christian, wir hätten damals diesen Automaten nicht aufgestellt. Wir wären uns nie begegnet.«
Lüthi drückt zittrig einen Nicorette-Kaugummi aus dem Blister, steckt sich das Dragée in den Mund und beginnt, wild darauf herumzukauen, geradeso, als müsste er die aufsteigende Wut zermahlen, um sie hinunterschlucken zu können. »Paul«, hebt er jetzt nach dem ersten Nikotinschub an, »du warst heute nicht bei der Teamsitzung. Ich hoffe, du hast dafür eine gute Entschuldigung.«
»Teamsitzung? Entschuldigung? Ist denn heute Montag? Nun, ich hatte eine wichtige Observation.«
»Observation? Davon weiß ich aber nichts.« Lüthi blickt ihn fragend an und meint ziemlich scharf: »Wer hat die angeordnet und wer oder was wird wann und wo observiert?«
»Das braucht dich nicht zu belasten, denn der Verdacht hat sich verflüchtigt. Ich konnte nur zusehen, wie die Zeit verging.«
»Na, gut. Das soll vorkommen.« Das Nikotin scheint seine Wirkung zu zeigen und Lüthis wildes Kauen hat sich auf ein Normalmaß beruhigt. »Kommst du nach dem Kaffee in meinem Büro vorbei, dann können wir darüber sprechen und ich kann dir die Details zu deinem neuen Auftrag erläutern.« Für einmal ist DC Lüthi schneller als der Wachtmeister, denn noch bevor dieser eine Ausrede vorbringen kann, ist Lüthi - wohl aus Erfahrung klug - den Korridor hinunter und um die nächste Ecke verschwunden.
Ohne anzuklopfen, trottet Grossenbacher ins Büro des Dienst-Chefs. »Und, was willst du? Was soll ich tun? Du weißt, dass ich vorher noch einen ganzen Strauß an Rapporten zu schreiben habe.«
»Paul, ich achte selbstverständlich stets darauf, dass sich unsere Mitarbeiter nicht überanstrengen. Darum muss ich einiges an Arbeit von deinen Kollegen abziehen, da alle außer einem in einem Meer von Arbeit ertrinken.« Lüthi zeigt ein unschuldiges Lächeln. »Es ist entschieden, also brauchst du dir gar nicht die Mühe zu machen, irgendwelche fragwürdigen Aufträge zu erfinden, an denen du dir den Hintern wund sitzt.« Er lächelt schon wieder, was Grossenbachers Alarmglocken Sturm läuten lässt.
»Haben wir uns verstanden?«
»Eh .«
»Wie gesagt, lass es einfach, es hat keinen Sinn. Die Sache ist beschlossen.« Lüthi schiebt eine dicke Aktenmappe über den Tisch. Und damit Grossenbacher auch ja keinen Grund findet, die Unterlagen zu übersehen oder nicht zu lesen, was draufsteht, hat er sie bereits in Grossenbachers Richtung gedreht. Zu allem Überfluss klatscht er auch noch mit der flachen Hand auf den Aktendeckel. »Ungeklärte Brandanschläge«, steht auf dem vergilbten Etikett.
Grossenbacher liest und reibt sich die Augen, bis sie brennen. Dann liest er den Titel noch einmal. Man kann nie wissen. Und als er Luft holt und zu einer heftigen Widerrede ansetzen will, hebt Lüthi schnell die Hand und meint: »Wie gesagt, es hat keinen Sinn. Ich schlage vor, du nimmst jetzt das Dossier mit, schaust dir die Akten an, und dann sehen wir weiter. Nein, ich meine, dann können wir über die Fakten reden. Mach mir einen Vorschlag, wie du vorgehen willst....
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