Schweitzer Fachinformationen
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Lars verließ mich an einem späten Sonntagnachmittag im Januar. Er warf ein paar Taschen in seinen Wagen und fuhr in einer Abgaswolke davon, die von Walt Disney hätte gezeichnet sein können.
Ich stand auf der obersten Stufe unseres Hauses im Norden Londons, während er um die Straßenecke verschwand. Ich hatte das Gefühl, auf eine schluchzende siebenunddreißigjährige Brünette hinunterzusehen, nicht, sie tatsächlich zu sein. Das überwältigende Gefühl, nach zehn Jahren einfach wieder allein zu sein.
Aber das war ich natürlich nicht - jetzt hatte ich die Kinder. Ich stürzte ins Haus, spritzte mir an der Küchenspüle etwas kaltes Wasser ins Gesicht und trocknete mich mit einem Geschirrtuch ab, bevor ich die Tür zum Spielzimmer öffnete. Der vierjährige Finn und die sechsjährige Tessa saßen auf dem Sofa, verängstigt von dem Streit und verwirrt von der Tatsache, dass sie sich eine DVD ansehen durften, obwohl ihnen grundsätzlich nur eine Stunde Bildschirmzeit pro Tag erlaubt war, und zwar immer dann, wenn ich vor mich hin jammern und Wein trinken musste.
»Geht es dir gut, Mummy?«, fragte Finn und kam herüber, um mir einen Kuss zu geben. »Jemima kommt am Samstag zu meiner Party. Sie ist meine Freundin und Tallulah auch. Ich werde sie beide heiraten.«
»Man kann nur einen einzigen Menschen heiraten«, spottete seine Schwester. »Stimmt's, Mummy?«
»Na ja .«, meinte ich.
»Außer Heinrich VIII.«, sagte Tessa, die in der Schule gerade diesen feisten, Klöster abfackelnden Tudorkönig behandelte. »Wenn er genug von einer seiner Frauen hatte, hat er ihr den Kopf abgeschlagen. Du könntest Jemima den Kopf abschlagen und dann Tallulah heiraten.«
»Aber Jemima hat so schöne gelbe Haare«, entgegnete Finn und klammerte sich an mich.
»Du hättest ihre Haare immer noch, auch wenn sie tot wäre. Du könntest ihren Kopf in einer Ecke aufbewahren.«
»Das reicht jetzt, Tess.« Das derzeitige Lieblingsspiel meiner Tochter war es, in unserem Garten Puppen zu beerdigen und die Gräber mit Zweigen zuzudecken. Außerdem verbrachte sie viel Zeit damit, auf dem Boden zu liegen und sich tot zu stellen.
»Daddy wird vielleicht nicht rechtzeitig zu deiner Party zurück sein«, sagte ich in einem aufgesetzt fröhlichen Ton. »Er musste wieder für die Arbeit wegfahren.« Die Tatsache, dass Lars die Geburtstagsparty seines Sohns verpassen würde, war der Grund für unseren Riesenkrach an jenem Nachmittag gewesen, als er gesagt hatte, er würde mich und unsere Ehe endgültig verlassen.
»O je«, sagte Finn, der es sehr gewohnt war, dass sein Vater wegen seiner Internet-Firma verreist war.
»Können wir uns noch eine DVD ansehen?«, fragte Tess, die einen winzigen Riss in einer Erwachsenenrüstung auf eine Meile erkennen konnte.
Ich vergrub den Kopf an Finns Hals, damit die beiden mein Gesicht nicht sehen konnten. »Ja«, antwortete ich. Wie würden sie zurechtkommen, wenn wir uns wirklich scheiden ließen? Ich machte mir sowieso schon Sorgen, wie sich unsere ganzen Streitereien der letzten Zeit auf sie auswirkten; Tess war regelrecht makaber geworden, und eine endgültige Trennung von ihrem Vater würde das vermutlich noch verschlimmern.
Am liebsten wäre ich einfach unter meine Bettdecke gekrochen und hätte mich da zusammengerollt, aber der Sonntagabend nahte. Ich musste tun, was jede andere Familie auch tat: Turnbeutel finden, Lunchboxen packen, kläglich dem Montag entgegensehen, während ich dem Samstag noch nachtrauerte.
Ich rief Liv an. »Es war der schlimmste Streit, den wir je hatten«, erklärte ich, »und er sagt, dass er sich scheiden lassen wird.« Sie sagte sofort, sie würde vorbeikommen. Danach machte ich roboterartig Fischstäbchen, badete Tess und Finn, packte ihre Schultaschen, steckte sie ins Bett und las ihnen Der Kater mit Hut vor, wobei ich mir mit meiner fauchenden Kater-Stimme extra viel Mühe gab.
»Ihr seid das«, sagte ich. »Ding eins und Ding zwei«, und sie kicherten. Danach schenkte ich mir ein großes Glas Rotwein ein und wartete auf dem Wohnzimmersofa auf Liv, während ich mich hin und her wiegte und die vergangenen paar Stunden noch einmal an mir vorüberziehen ließ.
»Das war's. Wir lassen uns scheiden«, brüllte Lars. Draußen regnete es. Er stopfte Papiere - Rechnungen, Kontoauszüge - von der Küchenanrichte in eine Tasche. Ich wollte an seinem Hemd ziehen und zerren, um ihn aufzuhalten, aber stattdessen stand ich einfach nur da und weinte.
Der Streit war ausgebrochen, weil Lars behauptet hatte, ich hätte ihm nicht das richtige Datum von Finns Geburtstagsparty gesagt, bis es zu spät war, um seine Russlandreise umzuorganisieren.
Aber es hätte genauso gut um irgendetwas anderes gehen können - unsere Auseinandersetzungen waren in den letzten Monaten immer schlimmer geworden, obwohl wir zur Eheberatung gingen. Sie drehten sich immer um dasselbe: dass Lars so viel Zeit außer Haus mit seiner Arbeit und immer weniger Zeit mit uns, seiner Familie, verbrachte.
Ich wusste, dass ich ihm gesagt hatte, dass die Party am Samstagnachmittag von Finns Geburtstag stattfinden würde. Und warum war es überhaupt mein Job, ihn an so etwas zu erinnern?
»Ich dachte, sie sei am Sonntag, und ich hatte geplant, Samstagabend zu seinem Geburtstag zurück zu sein. Es war offensichtlich ein Missverständnis, aber jetzt ist es zu spät«, meinte Lars. »Ich muss nach Russland.«
»Aber der Tiermann kommt, und wir haben schon alle Einladungen verschickt.«
»Wer ist denn der Tiermann?«
»Was glaubst du denn, wer er ist? Er ist ein Mann mit Tieren. Meerschweinchen, was weiß ich. Er ist der Entertainer.« Ich setzte mich an den Küchentisch und stützte den Kopf in die Hände. Dann holte ich tief Luft. »Sagst du es Finn?«
»Ich werde ihm sagen, dass die Reise seit Wochen gebucht ist, und er wird es zumindest verstehen. Was mehr ist, als man von dir behaupten kann.«
»Es ist der fünfte Geburtstag deines Sohns, Lars. Gib ausnahmsweise einmal deiner Familie den Vorrang. Komm zu seiner Geburtstagsparty.«
»Ich werde da sein, sobald ich vom Flughafen zurückkomme. Ich werde ihn immer noch an seinem Geburtstag sehen.«
»Bis dahin wird die Party vorbei sein.«
»Ami, er wird noch andere Geburtstage haben, mit größeren und besseren Partys. Bei denen werde ich dann sein.«
»Das Problem ist, du weißt verdammt gut, dass du das nicht sein wirst. Du solltest aufhören, so zu tun, als ob du dich je ändern würdest, denn wir wissen beide, dass das Blödsinn ist.«
Meine Ehe hatte mich in jemanden verwandelt, der Galle spuckte wie fauliges Wasser aus einem Wasserspeier. Ihn so sehr zu lieben, hatte mich zu einem hasserfüllten Menschen gemacht.
»Das reicht jetzt«, brüllte er. »Ich habe die Schnauze voll. Du schwafelst in einer Tour davon, wie schlimm dein Leben ist - dann lass es uns einfach vergessen, okay? Wir lassen uns scheiden, dann musst du mir nicht immer sagen, wie schrecklich ich zu dieser Familie bin.«
Wir hatten beide schon früher in der Hitze des Augenblicks das »S«-Wort verwendet, aber es erschien mir immer noch unmöglich, dass es wirklich passieren könnte.
»Wie können wir denn eine Familie sein, wenn du praktisch nie da bist?«, flüsterte ich. »Selbst wenn du da bist, bist du mit deinen Gedanken irgendwo anders.«
»Ich arbeite an einer Zukunft für dich und die Kinder. Aber das reicht dir nicht, oder?«
»Ich möchte, dass wir gleichberechtigt sind. Ich habe auch ein Unternehmen zu führen.« Montag hatte ich einen Termin mit dem Finanzchef meiner winzigen Werbeagentur, die ich im Jahr zuvor gegründet hatte, und ich wusste, er würde mir sagen, dass meine Bilanz eindeutig im roten Bereich gelandet war.
»Lars, liebst du mich noch?«, fragte ich, aber er antwortete nicht, sondern stürmte einfach zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hoch und warf seine Kleider in den Koffer. Ich dachte, ich könnte mit den meisten Dingen umgehen, aber ich wusste nicht, ob ich es ertragen könnte, wenn er mich nicht mehr liebte.
Er wandte sich von der offenen Schranktür um und sagte ganz leise: »Es geht nicht darum, ob wir uns noch lieben - das reicht nicht.« Das war irgendwie noch schlimmer als das Brüllen.
»Bitte geh nicht«, sagte ich, während ich ihm zur Schlafzimmertür folgte. Ich hasste mich für die Würdelosigkeit, mit der ich ihn anflehte zu bleiben.
»Ich halte das nicht mehr aus - wir streiten uns nur noch.«
»Wir könnten versuchen .« Ich konnte diese halbe Ehe nicht länger weiterführen, aber könnte ich es ertragen, ihn endgültig gehen zu sehen?
»Wir haben doch schon alles versucht.« Seine Stimme war so eisig wie der Wintertag draußen. »Es ist Zeit, dass wir aufhören, es noch länger zu versuchen. Ich gehe, Ami, und diesmal gehe ich endgültig.«
Er sagte es entschlossen, so wie immer, wenn er eine Entscheidung getroffen hatte.
Er trug die Taschen hinaus und warf sie in den Kofferraum seines Wagens. Ein leichter, halb gefrorener Regen rieselte auf seine weißblonden Haare und klebte sie ihm ins Gesicht. Dann öffnete er die Wagentür, sprang hinein und fuhr davon.
Er war gegangen, und diesmal sah es so aus, als ob es kein Zurück mehr gab.
Während ich auf dem Sofa saß und auf Liv wartete, schossen mir Bilder durch den Kopf, so wie sie es angeblich tun, wenn man auf dem Sterbebett liegt. Wie Lars und ich...
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