Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
»Hey, du!«, rief ich einer bekannten sommersprossigen Person zu, die etwas verloren eine staubigen Straße in einem Vorort Kathmandus entlangbummelte. Mit ihren 160 Zentimetern musste Caro zu mir aufschauen und lehnte dann ihren Kopf an meine Brust.
Ich war Caro zwei Jahre davor auf meiner ersten großen Reise durch Europa begegnet, ein paar Tage bevor ich Gina kennenlernte. Wir verbrachten zwei Tage in Montpellier und kletterten zusammen über Felsen, was beinahe böse endete. Mein rechtes Schienbein ziert immer noch eine Narbe, die mich für immer an Caro erinnern wird. Narben sind - nebenbei bemerkt - meine Lieblingssouvenirs. Sie kosten nichts und nehmen nicht viel Platz im Rucksack ein.
Dank Facebook und dem ein oder anderen Kontakt trafen wir am anderen Ende der Welt plötzlich wieder aufeinander.
Ich frage mich, wie das Reisen früher, vor Internet und Handy, aussah. Denn gerade diese Errungenschaften ermöglichen erst alles, was ich tue - vom Finden eines Gastgebers in verschiedenen Städten über die Suche nach dem besten Tramperpunkt, bis zur täglichen Berichterstattung an die Eltern.
Das ist auch ein Grund, warum ich unermüdlich behaupte, dass mein Reiseleben überhaupt nicht schwierig ist. Vielleicht war es einmal so, aber heute kann fast jeder reisen - ein durchschnittlicher IQ und ein bisschen gesunder Menschenverstand genügen.
Caro nahm mich bei der Hand. Wir saßen in einem überfüllten Kleinbus (in den sich manchmal bis zu dreißig Menschen reinquetschten) und fuhren einige Kilometer weiter zu einem Waisenhaus. Dort begann sie einige Wochen zuvor als Freiwillige zu arbeiten und half dem Leiter des Waisenhauses und seiner Schwester dabei, es weiter aufzubauen. Da Caro Lehrerin von Beruf ist, machte sie diese guten Menschen mit einigen nützlichen Tricks ihres Berufs vertraut. Es blieb aber nicht dabei. Als sie sah, dass ein Kühlschrank und ein Elektroherd gebraucht wurden, startete sie einen Spendenaufruf in ganz Frankreich, und nach einigen Tagen kamen genug Gelder zusammen, um die Haushaltsgeräte zu kaufen.
Als der Unterricht vorbei war und ungefähr zehn kleine Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren eintrudelten, konnte der Spaß beginnen. Bei so vielen Kindern würde man mit Chaos rechnen, tatsächlich waren es aber die ruhigsten und bravsten Kinder, die ich je kennengelernt habe. Sechs Mädchen und vier Jungs, mit für ihr noch kurzes Leben traurigen Geschichten. Die meisten von ihnen wurden von ihren Eltern verlassen, weil die sich nicht mehr um sie kümmern konnten. Auf unterschiedlichen Wegen kamen sie ins Waisenhaus, wo sie ein Dach über dem Kopf hatten, zur Schule gehen konnten und mehrere Mahlzeiten am Tag bekamen. Alle plapperten etwas Englisch, die Jüngeren ein bisschen weniger, die Älteren etwas mehr.
Wir halfen ihnen bei den Hausaufgaben, aßen zusammen zu Mittag und beobachteten sie, wie sie auf dem Boden saßen und mit ihren kleinen Händen zugriffen, um Reis in etwas Soße zu tunken. Dann nahm ich meine Gitarre und begann zu spielen. Die Lieder hatten sie zwar noch nie zuvor gehört, das hinderte sie aber keineswegs daran, aufzustehen und uns ihre Tanzschritte vorzuführen, die so manchen Clubgänger in den Schatten gestellt hätten. Als eine Kassette mit einheimischen Hits im Kassettenrekorder landete, wurden auch wir Erwachsene aufs Parkett geholt. Ich bin wirklich kein begnadeter Tänzer, aber es war ein Riesenspaß, den Kasper zu spielen und bei indisch-nepalesischer Volksmusik wie John Travolta das Tanzbein zu schwingen.
Als die Nacht hereinbrach und es kühler wurde, probierten wir die Neuanschaffung des Hauses aus - die elektrische Heizung. Kaum war sie eingeschaltet, saßen alle zehn Kinder in der Nähe der Heizung und starrten sie an, als sähen sie den spannendsten Zeichentrickfilm im Fernsehen.
»Sonst lese ich ihnen immer eine Gutenachtgeschichte vor«, flüsterte mir Caro zu. »Wenn du willst, kannst du heute Abend diese Aufgabe übernehmen.«
Ich nahm das Bilderbuch Der Wolf und die drei kleinen Schweinchen in die Hand, dichtete die Geschichte in Der Wolf und zehn kleine Schweinchen um und brachte die Kinder zum Lachen. Dann schickte ich sie ins Bett. »Gud najt brader, gud najt sister, gud najt sr, gud najt mis«, verabschiedeten sie sich und tapsten im Gänsemarsch in ihre zwei Schlafzimmer.
Am Morgen umarmten uns alle, wir bekamen einen Seidenschal als Geschenk und ein Tikka als Segenszeichen auf die Stirn aufgetupft, das uns Glück auf der bevorstehenden Reise bringen sollte.
»Bist du traurig, dass wir wegfahren?«, fragte ich meine Begleiterin, als wir im Bus saßen.
»Ja, ich bin traurig, aber nicht weil wir wegfahren«, meinte sie. »Ich habe kein gutes Gefühl bei diesem Waisenhaus.«
»Wie meinst du das?«
»Gestern blätterte ich ein wenig in den Papieren und habe herausgefunden, dass die meisten dieser Kinder keine Waisen sind«, sagte sie. »Sie haben Eltern und kommen alle aus demselben Dorf, aus dem auch die Leiter des Waisenhauses stammen.«
»Was bedeutet das?«
»Möglicherweise wurde das Waisenhaus nur deshalb gegründet, damit einige Menschen auf Kosten dieser Kinder zu Geld kommen. Zusammen mit meinen Freunden aus Frankreich habe ich einen gemeinnützigen Verein gegründet, wir kauften einen Kühlschrank und eine Heizung und sammelten etwas Geld für das Waisenhaus. Ich habe das gestern der Waisenhausleiterin gesagt und sie darauf hingewiesen, dass sie mir die Rechnungen für die Ausgaben vorlegen muss, um das Geld zu bekommen. Dann begann sie Ausreden zu erfinden. Sie machte einen mysteriösen Anruf und sagte, dass man für einige Sachen keine Rechnung bekommen kann, dass dies mit zusätzlichen Kosten verbunden wäre und dergleichen.«
»Oh Gott!«, seufzte ich. »Ich habe ähnliche Geschichten über Leute gehört, die auch ein Waisenhaus gegründet haben, nur um Kinder und vor allem die Großzügigkeit der Menschen im Westen für ihren persönlichen Profit auszunutzen.«
»Ich weiß, ich kenne das auch, und dennoch will ich nach wie vor nicht glauben, dass ich selbst in eine dieser Geschichten hineingeraten bin!«, gestand sie mir. »Auch jetzt versuche ich, nur an diese Kinder zu denken. Obwohl das meiste Geld nie bis zu ihnen durchkommt, frage ich mich, ob es ihnen hier unter diesen Bedingungen nicht besser geht oder ob es doch sinnvoller wäre, sie wären zu Hause geblieben. Vielleicht ist dieses Waisenhaus, egal, ob aus ehrbaren Gründen gegründet oder nicht, ein besseres Zuhause als ihr eigenes Elternhaus.«
Ich dachte nach, wusste aber einfach nicht, was ich sagen und wie ich dazu stehen sollte.
Nach zehn Stunden Fahrt in einem bequemen Bus kamen wir in Lumbini an, den Geburtsort Buddhas, wo er seine ersten neunundzwanzig Lebensjahre verbrachte. Unser Fahrer wollte für uns ein günstiges Hotelzimmer organisieren. Wir lehnten sein Angebot jedoch höflich ab, denn wir vertrauten in unsere Fähigkeit, die billigste Unterkunft selbst finden zu können. Wir ließen uns in der Stadtmitte absetzen und bekamen sogleich einiges zu sehen: Horden von Mönchen in orangeroten Gewändern wanderten in der Dämmerung durch die Straßen des kleinen Ortes. Als wir in der ersten Pension nachfragten, mussten wir feststellen, dass am Tag zuvor das Friedensfest begonnen hatte und nun alle Zimmer belegt waren.
Letztendlich kamen wir bei einer Familie unter, die ihre alte Oma aus ihrem Zimmer im Erdgeschoss ausquartierte und uns ein Angebot von fünfhundert Rupien pro Nacht machte. Fürs Zimmer, nicht für die Oma. Dass die Großmutter wegen dieser Zwangsevakuierung keineswegs traurig war, entging uns nicht. Die zusätzlichen Rupien kamen ihr gerade recht, und so ließ sie sich auf diesen Deal ein. Das Zimmer war voll von Omas Duft und großen Mücken, sodass wir aus unseren Rucksäcken alle Mittel herausholten, die wir gegen diese stechenden Biester einsetzen konnten, ein Moskitonetz über unser Bett ausbreiteten und uns vorm Schlafengehen noch einen langweiligen Film auf Caros Laptop ansahen.
Den Tag darauf erkundeten wir Lumbini. Unablässig begleitet von Horden von Jungen und Mädchen, die uns grüßten, anlächelten und sich mit uns fotografieren lassen wollten. Wir hatten Spaß dabei, ihre Grüße zu erwidern und ihre Wünsche zu erfüllen. Wir besuchten mehrere von Buddhisten aus unterschiedlichsten Ländern erbaute Tempel, wurden aber das Gefühl nicht los, dass es hier in erster Linie um einen Wettbewerb ging, wer Buddha das größte und luxuriöseste Denkmal setzen kann. Unser Weg führte uns auch zu genau jener Stelle, an der dem Glauben nach Buddha zur Welt kam. Doch als wir sahen, dass die Eintrittskarte zweihundert Rupien kostete, blieben wir lieber hinter dem Zaun stehen, setzten uns auf eine Bank, beobachteten die vorbeigehenden Leute und knipsten aus sicherer Distanz ein paar Fotos. Buddha...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.
Dateiformat: ePUBKopierschutz: ohne DRM (Digital Rights Management)
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „glatten” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Ein Kopierschutz bzw. Digital Rights Management wird bei diesem E-Book nicht eingesetzt.