Schweitzer Fachinformationen
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Freitag, 5. November
Mein fünfunddreißigster Geburtstag vergeht ohne viel Tamtam. Es ist ein Arbeitstag wie jeder andere, und ich habe Spätdienst. Die Winterluft liegt kühl auf meiner Haut, als die Fähre sich gegen achtzehn Uhr an St. Agnes herankämpft. Die Strömung ist so stark, dass wir Higher Town nicht anlaufen können, und als ich schließlich den alten Kai an der Blanket Bay betrete, schlägt mir der vertraute Geruch von Holzrauch und frisch gepflügter Erde entgegen. Felsbrocken, Seetang und Messermuschelhäufchen sprenkeln den Sand der hufeisenförmigen Bucht. St. Agnes ist die wildeste und geheimnisvollste der Scilly-Inseln und liegt am weitesten vom Festland entfernt. Das Eiland ist nur zwei Meilen lang und eine halbe Meile breit und hat neben zahlreichen versteckten Buchten auch zwei winzige Nachbar-Inselchen: Burnt Island und Gugh. Weder Autos noch Motorräder stören die Ruhe; Golfbuggys, rostige Fahrräder und eine Handvoll Traktoren sind die einzigen Fahrzeuge hier.
Mein Hund Shadow wirkt zufrieden mit seiner neuen Umgebung, ich hingegen könnte ein bisschen mehr Aufregung gebrauchen. In letzter Zeit vermisse ich das hektische Tempo meines alten Jobs als Undercover-Ermittler bei der Londoner Mordkommission, aber mein Hund ist in seinem Element, beschnüffelt jeden Stein und weigert sich, meinen Anweisungen zu folgen. Shadow ist ein zwei Jahre alter tschechoslowakischer Wolfshund mit hellgrauem Fell, eisblauen Augen und dem Kopf voller Unsinn; er taucht erst wieder neben mir auf, als ich landeinwärts laufe. Der Spaziergang ist belebend genug, um mich vergessen zu lassen, dass ich eigentlich keine Lust habe, an meinem Geburtstag das traditionelle Feuerwerk der Insel zu beaufsichtigen.
St. Agnes wirkt wie ausgestorben; die Leute bereiten sich wohl auf die Besucher vor, die in ein paar Stunden aus Anlass der Guy-Fawkes-Nacht hier eintreffen. Ich begegne keiner Menschenseele, als ich bergauf zu dem Weiler im Zentrum der Insel gehe. In Middle Town wohnen die meisten der ungefähr achtzig Inselbewohner; das Dorf ist so malerisch, dass es häufig in den Hochglanzbroschüren der Tourismusbehörde auftaucht, die Cornwall als Reiseziel anpreisen. Der Leuchtturm der Insel steht auf einer kleinen Anhöhe und dominiert die Siedlung noch immer, obwohl er schon lange nicht mehr in Betrieb ist.
Erst als ich zum Cove Vean Beach hinunterlaufe, treffe ich auf eine Gruppe von Leuten, die an dem felsigen Strand ein Freudenfeuer errichten. Ihr Lachen dringt durch die Dunkelheit, während sie Paletten, Holzscheite und Treibholz fast zwei Meter hoch aufschichten. Ein anderer Trupp befestigt Feuerwerkskörper an einem Metallgerüst, und weitere Freiwillige schuften an einem riesigen Grill. Meine Ankunft dämpft die Stimmung merklich. Obwohl ich die meisten Inselbewohner schon mein Leben lang kenne, haben sie sich immer noch nicht an meine neue Rolle als Deputy Commander der Isles of Scilly Police gewöhnt. Ihre Gespräche verstummen, als sie mich bemerken. Für die Inseln sind insgesamt nur sieben Beamte zuständig, dennoch betrachten manche Einwohner uns mit Argwohn und ziehen es vor, Konflikte unter sich zu klären.
Ich bin überrascht zu sehen, dass die neueste Bewohnerin von St. Agnes, Naomi Vine, bei den Partyvorbereitungen hilft. Vine ist eine international renommierte Bildhauerin und erst vor rund einem Jahr hierhergezogen. Heute verrichten ihre Hände jedoch wenig glamouröse Arbeit, denn sie zerkleinern Paletten zu Brennholz. Vines schlanke Gestalt ist in eine Winterjacke gehüllt, ihre kurzen roten Haare sind größtenteils unter einer Wollmütze verborgen, ihr Gesicht zeigt ein lebhaftes Mienenspiel. Als bekannt wurde, dass sie das alte Herrenhaus auf der Insel gekauft hat, sind in der Gemeinde zahlreiche Gerüchte hochgekocht, und das kompromisslose Verhalten der Bildhauerin sorgt seitdem für Kontroversen. Die Leute halten Abstand zu ihr - bis auf eine Insulanerin, der Vines Ruf als Unruhestifterin offenbar nichts ausmacht. Rachel Carlyon ist eine große, plumpe Frau; sie ist auf St. Agnes geboren und zieht es normalerweise vor, im Hintergrund zu bleiben, aber heute Abend plaudert sie entspannt mit ihrer neuen Freundin. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen den beiden Frauen scheint zu sein, dass sie Anfang vierzig sind, aber wenn man in einer winzigen Gemeinde am Rand der Welt lebt, können schon mal merkwürdige Verbindungen entstehen.
Auf der anderen Seite der Menschenmenge steht, in Ausgehuniform mit glänzenden Schulterklappen, Sergeant Eddie Nickell. Seit er im letzten Monat befördert wurde, lässt mein Deputy keine Gelegenheit aus, in vollem Ornat zu erscheinen. Er ist erst fünfundzwanzig Jahre alt, macht in seinem Privatleben aber schnellere Fortschritte als ich. Der Sergeant hat mit seiner Verlobten Michelle eine zwei Monate alte Tochter und scheint mit der gemeinsamen Mietwohnung in Lower Town zufrieden zu sein. Der Wind hat einige blonde Locken unter seiner Kappe hervorgezupft, sein Chorknabengesicht ist blass von der Kälte. Eddie ist absolut in der Lage, diese eher familiäre Veranstaltung mit harmlosem Publikum allein zu beaufsichtigen, ich muss nur überprüfen, ob die Sicherheitsvorschriften eingehalten werden. Wir gehen ein Stückchen weiter den Strand hoch, damit wir uns über das allgemeine Stimmengewirr hinweg verständigen können.
»Sie stellen mich ganz schön in den Schatten, Eddie.« Neben seiner makellosen Uniform wirken meine gefütterte Jacke, meine Jeans und die Wanderstiefel armselig.
Er grinst. »Man muss doch zeigen, was man hat, Boss. Es hat mich zwei Jahre gekostet, mir diese Abzeichen zu verdienen.«
»Ist alles startklar für heute Abend?«
»Ja, sieht gut aus. Wir haben zwölf Ordner und zwei ausgebildete Sanitäter von der Johanniterunfallhilfe.« Sein Ton ist so ernst, als würde er königlichen Besuch erwarten.
»Super, ich gehe runter und bedanke mich bei ihnen.«
Als ich über den Kiesstrand stapfe, taucht meine Patentante, Maggie Nancarrow, neben mir auf. Sie hat noch nie eine Party ausgelassen und ist heute früh von Bryher herübergekommen, wo sie wohnt. Neben einer so zierlichen Frau komme ich mir vor wie ein Riese; ihr kleines Gesicht wird von einer grauen Lockenmähne eingerahmt, und sie schaut durch ihre Nickelbrille zu mir hoch.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, schöner Mann.« Sie hüpft hoch, um mich auf die Wange zu küssen. »Ich hab auch ein Geschenk für dich.«
»Nicht nötig. Du bekochst mich doch andauernd.«
Sie drückt mir ein kleines Päckchen in die Hand. »Die hat meinem Dad gehört. Warum probierst du nicht mal, ob sie dir passt?«
In der Schachtel liegt eine alte Rolex, die - abgesehen von kleinen Kratzern auf dem schönen Stahlgehäuse - noch völlig intakt ist. Sie schmiegt sich um mein Handgelenk, als wäre sie für mich gemacht.
»Das ist zu viel, Maggie.«
»Zu Hause setzt sie nur Staub an. Lies mir die Gravur vor.«
Ich drehe die Uhr um: »Das Rad der Zeit hält niemand auf.«
»Vergiss das nicht, Ben, sonst gehst du am Ende noch leer aus.« Maggie versüßt ihre kryptische Botschaft mit einem Grinsen, bevor sie davoneilt und sich mit ihrer Turboenergie einen Weg durch die Menge bahnt.
Ich schließe zu Steve Tregarron, dem Organisator der Party, auf, als am Strand gerade Lichterketten an Pfosten aufgehängt werden. Tregarron betreibt seit Jahrzehnten den Turk's Head Pub, sieht aber eher aus wie ein Roadie nach einem Leben voller harter Tourneen. Dutzende Flecken und Kratzer verleihen seiner Lederjacke Charakter, die grauen Haare trägt er zum Pferdeschwanz zusammengebunden, und tiefe Falten liegen wie Klammern um seinen Mund. Der Gastwirt ist höflich, aber kurz angebunden, und marschiert bald weiter, um seiner Frau Ella dabei zu helfen, Bierkisten neben der Sicherheitsabsperrung aufzustapeln.
Ich schaue dabei zu, wie die Inselbewohner die Feuerwerkskörper einer letzten Prüfung unterziehen, als ich plötzlich ein bekanntes Gesicht sehe: Liam Poldean schleppt Holz für das Freudenfeuer über den Strand. Der Bauunternehmer ist ungefähr in meinem Alter, hat zerzauste braune Haare und eine freundliche, kompetente Ausstrahlung. Ich habe ihn letztes Frühjahr kennengelernt, als er nach Bryher kam, um mein kaputtes Dach zu reparieren. Er lässt einen Armvoll Holzscheite auf einen Stapel fallen und lächelt, als ich näher komme.
»Ich dachte, Sie wären für das Feuerwerk zuständig, Liam.«
»Keine Chance, DI Kitto«, sagt Poldean und benutzt meinen Titel nur, um sich über mich lustig zu machen. »Die Dinger können Leute verstümmeln, wenn sie nicht richtig bedient werden. Davon lass ich lieber die Finger.« Seine Miene wird ernst, als er den Blick über die Menge schweifen lässt. »Haben Sie hier irgendwo meine Kinder gesehen?«
»Maggie kümmert sich um sie.«
»Das klingt gut. Schießpulver und kleine Jungs sind nämlich keine gute Kombination.«
»Es geht ihnen gut; die Sicherheitsabsperrung ist schon fertig. Diesmal wird das Feuerwerk noch imposanter als letztes Jahr, wie ich höre.«
»Toi, toi, toi«, erwidert er mit einem entspannten Schulterzucken. »Solche Feuerwerksraketen sind unberechenbar, aber Steve hat ein Vermögen dafür hingelegt, darum müssten sie eigentlich in Ordnung sein.«
Die Menge wächst zusehends, da Fähren ständig Partygäste von benachbarten Inseln herüberbringen. Manche stehen in Gruppen zusammen vor dem Pub, andere, die den Beginn des Feuerwerks kaum erwarten können, streben bereits dem Strand zu. Das Freudenfeuer brennt schon, und die orangefarbenen...
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