Buch 1
Am Anfang
Alles war sehr beengt in einem Hochhaus mit 18 Stockwerken, einem der wenigen und ungeliebten draußen vor der Stadt. Das Gebäude wie ein Klotz aus Beton, aber dafür hoch, mit vielen weißen Fenstern und ohne Balkone.
Die ockergelbe Schlichtheit der Fassade, leuchtend im Licht der frühen Morgensonne, dem neuen Zeitgeist folgend, die satten, lindgrünen Rasenflächen zur Ruhe und Entspannung überall mit kleinen, zierlichen Bäumen arrangiert, die farblich dazu passende Pracht der japanischen Kirchblüte, die glücklichen, fröhlichen Menschen, spielende Kinder mit Hund, wie auf dem Prospekt, das uns hierherführte.
Der Aufzug funktionierte selten. Hier wohnten viele Menschen, die sich nicht kannten und nie kennenlernen würden.
Der Zufall der Not war der Wegweiser zu diesem Ort der Sehnsucht, hier in einer Kleinstadt am Rande des Bergischen Landes, wohin mein Arbeitgeber mich versetzt hatte. Es war nicht weit weg von dem Dorf der Tugend, in dem ich meine Kindheit und Jugend verbracht hatte, aber doch weit genug.
Die Welt um uns herum veränderte sich sehr schnell in diesem zweiten Jahrzehnt nach dem Krieg. Aufschwung, Studentenproteste, Kalter Krieg, Deutschland gespalten, Autos für den Familienausflug. Es ging wieder nach oben. Vieles war so wie vorher, warum ändern, wenn das "Gute" lag so nah. Man lebte doch noch und so schlecht war es ja nun auch nicht.
Die alten Zeiten und ihre Protagonisten lebten unter uns wie ein Gespenst der unglückseligen, nein furchtbaren, grausamen und menschenverachtenden Relikte der Vergangenheit. All das hatte in die schlimmste, von Menschen verursachte, Katastrophe geführt, die die Welt je erlebt hatte.
Widerstand und Anpassung wuchsen nebeneinander auf. Eine neue und bessere Welt werde kommen, tönte es von überall her. Die meisten von uns wollten das selbst herausfinden. Die alten Regeln mit ihren gesellschaftlichen Grundsätzen waren ob ihrer beispiellosen Verfehlung weder diskutabel noch anwendbar. Schlicht und einfach kontraproduktiv zu dringend erforderlicher Veränderung. Wer etwas ändern will, findet einen Weg, wer nichts ändern will, findet Ausreden.
Die Weisheiten und das Gedankengut dieser Zeit waren am Ende um ein millionenfaches weniger wert als ein einziges Sandkorn in der Tiefe der unendlichen Weiten der Ozeane dieser Welt.
Die Erklärung für das Desaster überzeugte die ewig Gestrigen nie.
Der Narr, der die Geschichte verschlief,
war an jeder Straßenecke zu Hause.
Die Schwiegereltern lebten in Bayern, fast 500 Kilometer von dieser, unserer ersten Wohnung entfernt. Damals, im Sommer 1970, kurz nach unserer Hochzeit, hatten wir bei ihnen eine Bleibe gefunden. Ihre Tochter mit unserer Tochter konnten bei Ihnen wohnen, bis ich etwas für uns gefunden hatte.
Wir waren dankbar und froh, dass sie, Walter und Charlotte, so hießen die beiden, für uns da waren in dieser Zeit der Not.
Immerwährender Dank für alles, was sie uns durch ihre selbstlose Art lehrten, was sie uns gegeben hatten. Sie besaßen nicht viel in ihrem Leben, außer sich selbst, nie.
Alles hatte sich verändert, kein Stein war mehr auf dem anderen. Von meinen Eltern verstoßen, nicht dem, wie sie glaubten, ewig gültigen Prinzip des deutschen Familienbildes entsprechend. Nein, wie kann man nur eine geschiedene Frau mit Kind heiraten. Die hat sich unseren Sohn nur geangelt. Kann es nicht mehr hören.
Man nannte das Hinausschmeißen, mit so wenig wie möglich in der alten abgetragenen Tasche.
War auch der einzige Weg, die Macht der Autorität mit Prägung des guten und allmächtigen Deutschtums zu demonstrieren, ach, einfach, für sich zu reklamieren. Der durch diese Lebenseinstellung berauschende Erfolg der Geschichte war erst unlängst in...