Schweitzer Fachinformationen
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Die Vorhänge ließen nicht viel Licht ins Schlafzimmer. Als ich meine Augenlider endlich auseinandergezogen hatte, wusste ich nicht wirklich, wie spät es war. Oder ob der nächste Tag überhaupt schon angebrochen war. Ich zog den verstaubten Vorhang zur Seite und unterdrückte den durch den aufgewirbelten Staub ausgelösten Hustenreiz. Das mit dem Vorhang hätte ich mir sparen können, denn um etwas aus dem Fenster sehen zu können, hätte ich am Vorabend die Fensterläden öffnen und die Scheiben putzen müssen. Ich torkelte aus dem Schlafzimmer, stets dem Schein der Handytaschenlampe folgend, durch die anderen Zimmer bis zur Küche, wo ich, begleitet vom bereits bekannten Knarzen des Holzfußbodens, die Milch aus dem zum Glück funktionierenden Kühlschrank holte. Ich platzierte sie auf dem Tisch, fein säuberlich, wie sich das gehörte.
Ich öffnete die Haustür und war nicht wesentlich schlauer als zuvor, was den Stand der Sonne anging. Es war dunkel. Eher grau als schwarz. Aber, und das kam jetzt wirklich überraschend, ich war nicht alleine in dieser grauen Dunkelheit. Denn vor der Tür, im Hof des Bahnhofsheiserls, hockte ein brauner Hund. Die Toreinfahrt war nach wie vor geschlossen. Der Hund sah mich mit seinen schwarzen Murmelaugen erwartungsfroh an. Wo war der denn hergekommen?
»Hallo«, sagte ich. Ich ging ein paar Schritte zu der hochgewachsenen Hecke, die den Hof von der Straße nach St. Margarethen abschirmte, und ließ dem Bier vom Abend zuvor freien Lauf. Der Hund stellte sich neben mich und tat es mir gleich. Das reichte, um unsere Freundschaft zu besiegeln. Und um mir zu zeigen, dass es sich gar nicht um einen Hund handelte. Sondern um eine Hündin.
Kurz darauf hatten wir das Tor des Bahnhofsheiserls verschlossen und befanden uns direkt an der B 52. Wir marschierten, als ob wir uns schon seit Jahren kennen würden, an der Friedhofsmauer vorbei, und schon hier zeigte sich, dass man nicht in einer nüchternen Großstadt gelandet war, sondern in einem pittoresken Städtchen. Denn die Mauer war nicht einfach nur hoch und in die Jahre gekommen, so wie die meisten Friedhofsmauern in den meisten Städten dieser Welt. Nein, es handelte sich um eine niedrige Mauer, die aus einzelnen Steinelementen bestand, die einen anständigen Blick auf den Friedhof freigaben. Ein Blick, der meine Gefährtin und mich jedoch nicht weiter kümmerte, denn unsere Aufmerksamkeit richtete sich auf die überdimensionale Werbetafel, mit der die Freistadt Rust sich als Drehort des »Weinkaisers« outete. Das war jenes Schild, auf das meine Chauffeurin am Abend zuvor gedeutet hatte. Wir hielten bedächtig inne. »Willkommen in der Freistadt Rust, der Stadt des >Weinkaisers<«, war dort zu lesen. Stadt der Störche, Stadt des Weines, Stadt am See - all diese Zuschreibungen hätte ich und jeder zweitklassige Marketinglehrling der Stadt mit gutem Gewissen verpasst. Auf die Stadt des »Weinkaisers« wäre ich wohl nicht gekommen.
Wir brauchten keine zehn Minuten, bis wir - vorbei an Einfamilienhäusern, Versicherungsmaklern und Gasthäusern sowie einem Park - an einer Kreuzung ankamen, die so was wie den verkehrsplanerischen Mittelpunkt der Freistadt Rust zu bilden schien. Von hier aus führten die Wege zwar nicht nach Rom, dafür jedoch in alle vier Himmelsrichtungen: nach St. Margarethen, ins Zentrum von Rust, nach Mörbisch sowie nach Oggau und weiter in Richtung Neusiedl, jene Bezirkshauptstadt am Nordufer, der der See seinen Namen zu verdanken hat. An der Kreuzung stand unter anderem ein niedliches Ensemble aus zwei Gebäuden. Neben einem kleinen Knusperhäuschen eine offenbar zu einem Gasthaus umfunktionierte ehemalige Feuerwehrstation, in deren Garage vielleicht gerade mal eine alte Puch 175 Platz hatte. Mit ein bisschen gutem Willen ging sich vielleicht auch noch ein Beiwagen aus. Über der aus einer Glasfront bestehenden Vorderseite verriet ein Schild, dass es sich um ein Lokal namens Spritzenhaus handelte. Das war dann wohl jenes Etablissement, das die Taxiprucknerin erwähnt hatte. Das an den Schriftzug angrenzende beleuchtete Logo einer Großbrauerei aus den Niederlanden machte mir Hoffnung, dass ich in der Stadt des »Weinkaisers« auch ein gepflegtes Bier finden würde. Wenngleich die Sorten des Biermultis für mich eher nicht in diese Kategorie fielen. Das niedliche Türmchen auf dem Dach des Spritzenhauses überragte zwar gerade noch so jene angrenzende Kastanie, deren Blätter den Boden des Gastgartens bedeckten. Einen wirklichen Rundumblick, um eine Feuersbrunst zu entdecken, hatte man von dort oben aber wahrscheinlich nicht mehr.
Das Ziel unseres Fußmarsches, der auf Google Maps eingezeichnete Supermarkt, lag direkt hinter dem Spritzenhaus. Doch wir hatten Pech. Denn Supermarkt und Mitarbeiter waren an diesem Samstag, wie ein handgeschriebener Zettel an der Eingangstür verriet, ausnahmsweise bereits zu Mittag in das verdiente Wochenende gestartet.
Meine Gefährtin und ich machten uns also auf den Weg zurück zum Bahnhofsheiserl. Als wir gerade das dezente Willkommensschild der »Weinkaiser«-Stadt Rust erreicht hatten, hielt neben uns eine zu einem Taxi umgebaute Familienkutsche.
»Soll ich Sie mitnehmen?«, fragte die Taxiprucknerin.
»Gerne, wir müssen ein bisserl was einkaufen«, antwortete ich. »Und der Laden im Zentrum hat schon zu.«
Sie nickte wissend, als ob das eh klar wäre, dass der Supermarkt in Downtown Rust an diesem Samstagmittag früher schließt.
»Gehört der zu Ihnen?«, fragte sie und deutete auf die Hündin.
»Ist eine Sie«, machte ich die Taxlerin auf die korrekte Geschlechtsform aufmerksam. Ordnung muss sein.
»Sie kann leider nicht mitfahren«, erklärte sie. »Meine Tochter hat eine Hundeallergie, und deshalb kann ich keine Haustiere im Taxi transportieren.«
Ich blickte in die schwarzen Murmelaugen und wieder retour zum Taxi. Es war kalt. Murmelaugen. Und ich war faul. Murmelaugen. »Da kann man nichts machen«, erklärte ich.
Die Taxiprucknerin winkte, hupte zur Verabschiedung und verschwand in Richtung St. Margarethen. Die Hündin und ich sahen ihr hinterher und setzten unseren Fußmarsch fort.
Im Bahnhofsheiserl legte ich einen Zwischenstopp ein, um mir einen zusätzlichen Pullover zu holen. Ich hatte gerade wieder die noch auf dem Tisch stehende Milch in den Kühlschrank verfrachtet und die Tür zum Wohnhaus geschlossen, als ich - im Hof stehend - ein Geräusch vernahm, dessen Herkunft ich irgendwo zwischen Buntspecht mit verformtem Schnabel und einer ungestimmten Pausenglocke verortete. Die Hündin bellte für den Fall, dass ich das Geräusch nicht mitbekommen hatte, was, unter uns gesagt, ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre. Aber das musste meine neue Freundin ja nicht wissen, weshalb ich mich artig bei ihr bedankte. Ich öffnete das Einfahrtstor und blickte in das Gesicht eines schlanken und hochgewachsenen Mannes mit Segelohren, der mir einen Ausweis vom Landeskriminalamt unter die Nase hielt. Er versuchte, seriös dreinzuschauen, allein, gelingen wollte es ihm nicht so recht. Sein staatsmännisches Gehabe wirkte in seinem etwas zu engen Slimfit-Anzug reichlich aufgesetzt. Einer der beiden uniformierten Kollegen, die hinter ihm Aufstellung genommen hatten, hatte dafür einen ziemlich eindringlichen Blick drauf. Er sah mich an wie eine Bulldogge, die mit ihren kleinen Stummelbeinchen jeden Moment zum Sprung auf ein schönes Stückerl Wurst ansetzen würde. Der andere Polizist sah wesentlich entspannter aus. Ob das nur an seinem breiten Körperumfang und dem gemütlichen Gesichtsausdruck lag, konnte ich nicht abschätzen. Das Auto der drei Gestalten stand in der Einfahrt, direkt unter dem Apfelbaum.
»Es ist niemand da«, sagte ich.
Die drei unerwarteten Besucher tauschten einige Blicke aus. Damit hatte ich sie offensichtlich auf dem falschen Fuß erwischt.
»Dann würden wir uns gerne mit >niemand< unterhalten.«
Hmm, schade. Da hatte ich mir einen größeren Effekt meines blöden Spruchs erhofft.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«, gab ich mich ein bisschen kooperativer.
Die Hündin wiederholte die Frage in bellender Hundesprache, nur zur Sicherheit, man wusste ja nie, mit wem man es zu tun hatte. Bella wäre ein passender Name für sie, dachte ich in diesem Moment. Das hätte dem irgendwo weiter hinten in der Wiese verbuddelten Kery sicherlich gut gefallen.
»Halten Sie den Kampfhund zurück!«, bekam es der Segelohrmann mit der Angst zu tun. Der Kerl erinnerte mich an Martin Schoiswohl, dem ich meinen unrühmlichen Abgang vom Wiener LKA vor acht Jahren zu verdanken hatte. Kein Wunder, dass mir der Kerl hier so unsympathisch war. Hinter den dreien bog ein Kleinlastwagen von der Hauptstraße in die Baumgartengasse ein. »Der Moser Wein ist Dein!«, stand auf der Abdeckplane des Wagens. Als der Fahrer das Geschehen am Eingangstor des Bahnhofsheiserls realisierte, hielt er an. »Heast, Poidl du Beidl, sehn ma uns eh übermorgen Abend im Spritzenhaus?« Eines war sofort klar. Der Kerl im Auto musste sich keine Sorgen um seine Aussprache des Meidlinger Ls machen. Der dickere der beiden uniformierten Polizisten drehte sich um, winkte und rief: »Sowieso!«
»Das ist kein Kampfhund«, erklärte ich, als sich die gesamte Aufmerksamkeit wieder auf Bella und mich konzentriert hatte. Um kurz darauf meine Frage zu wiederholen, wie ich denn nun behilflich sein könnte.
»Können Sie sich ausweisen?«, fragte der Zivilkieberer.
Konnte ich. Ich entschuldigte mich für einen Moment, um meinen Ausweis aus dem Wohnhaus zu holen. Meine Kampfhündin nahm ich zur Sicherheit mit. Nicht, dass einer der Polizisten auf blöde Gedanken kommen würde.
»Nikolaus Lauda aus Wien...
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