Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Gerade als ich mich wunderte, warum sich in meinen Augenhöhlen Holzaugäpfel befanden, auf denen mit großer Inbrunst eine Möwe herumhackte, wachte ich auf und realisierte, dass das Geräusch nicht von meinen Augenhöhlen stammte, sondern von der Kabinentür. Da hämmerte jemand mit seinen Fäusten dagegen. Akustisch war das wesentlich unangenehmer als das Picken der Möwe, inhaltlich hätte ich mit dem Geschehen in meinem Traum jedoch keine Sekunde tauschen wollen. Durch das Bullauge strömte warmes Licht ins Innere der Kabine, was im Hochsommer jedoch nichts über den aktuellen Zeigerstand auf der Uhr aussagte. Es konnte erst fünf Uhr sein, genauso gut aber auch schon zehn. Bella rieb sich mit ihren Pfoten im selben Moment die Augen. Wie niedlich das aussah. Ich hoffte, ihr war der Möwentraum erspart geblieben. Da war ich aber eigentlich ganz guter Dinge, denn ich konnte mich nicht erinnern, dass sie Teil meines seltsamen Traumes gewesen war.
»Herr Lauda, bitte öffnen Sie rasch die Tür!«, hörte ich eine männliche Stimme, die sich ob der zwischenzeitlich gesteigerten Panik in die Stimme eines Kastraten verwandelt hatte. Ich tippte auf Offizier Gernot Piller, den Soprano mit der hohen Stimmlage, der mir tags zuvor die Kabine gezeigt hatte. Ich quälte mich aus meinem Polster-Kissen-Lager, betrachtete mich einmal kurz zur Sicherheit im Spiegel, aus dem mich ein ungepflegter Halbaffe anstarrte, und öffnete die Tür.
»Ja bitte?«
Gernot Piller stand mit weit geöffneten Augen vor mir, verströmte sein intensives Aftershave und sah ziemlich abgekämpft aus. Der oberste Knopf seines Hemdes war offen, sein halbherzig geknüpfter Krawattenknoten konnte diesen modischen Fauxpas nur mühsam überdecken. Aber Krawattenknoten waren wahrscheinlich nicht die bevorzugte Knotenart, die einem die Ausbilder auf der Seefahrerschule beibrachten. Da standen wahrscheinlich eher Stopperstek, Palstek oder Kreuzknoten auf dem Lehrplan. War das Seefahrerlexikon, das ich in meiner Kabine gefunden hatte und das mir gestern Abend als Einschlaflektüre wertvolle Dienste geleistet hatte, doch noch zu etwas gut.
»Sie müssen sofort mitkommen!«, schrie er mir ins Gesicht, obwohl unsere Köpfe lediglich einen halben Meter voneinander entfernt waren. Ich spürte eine steife Brise und vernahm als olfaktorisches Topping zu seinem Aftershave einen mentholigen Geruch. Da hatte sich wohl jemand ein Fisherman's Friend eingeworfen.
»Wollen Sie wirklich, dass ich jetzt sofort mitkomme?«, fragte ich und öffnete meine Kabinentür gerade so weit, dass er mein elegantes Morgenoutfit, bestehend aus einer Boxershorts sowie meinem ausgeleierten schwarz-grauen Leiberl, in all seiner Pracht erkennen konnte. Auf dem Shirt stand eine fette »89«, obendrüber »Sommer«, darunter »Kettcar«.
»Na ja«, sagte er, »vielleicht haben wir auch noch eine Minute, damit Sie sich anziehen können.« Ich dankte und schloss die Tür. »Aber bitte beeilen Sie sich, es ist wirklich dringend!«, hörte ich ihn sich sogleich wieder korrigieren.
»Nicht so laut!«, rief ich zurück. Nicht dass sich Bella erschreckte.
»Okay«, rief er erneut, nicht wirklich leiser als kurz zuvor. »Ich warte im Gesellschaftszimmer auf Sie.«
Wo auch immer, dachte ich mir, klaubte meine Siebensachen zusammen, um fünf Minuten später wie aus einem zu kurz gekochten Ei gepellt im Flur zu stehen. Die anderen Gäste schienen einen guten Schlaf zu haben, denn niemand steckte seinen neugierigen Kopf aus der Tür. Nicht einmal Elmar Tinhof, der Autor, der doch sicher für jede spannende Begebenheit auf diesem Schiff dankbar gewesen wäre.
»Du bleibst hier und bewachst die Kabine«, sagte ich zu Bella und ging über die schmale vergoldete Wendeltreppe ins Foyer des Zwischendecks. Durch die gläserne Tür entdeckte ich Gernot Piller und den Kapitän im Salon, heftig miteinander diskutierend. Auch wenn das nicht das Gesellschaftszimmer war, war ich hier wohl richtig. Den umherfliegenden Armen und den angespannten Gesichtern war deutlich anzumerken, dass irgendwas vorgefallen war. Hoffentlich ging es der alten Prucknerin gut.
»Da sind Sie ja endlich!«, rief mir der Kapitän entgegen, nachdem ich eingetreten war. Auch Nicolaysen wirkte wesentlich unruhiger als noch gestern Abend, obwohl uns der See eine spiegelglatte Oberfläche schenkte. »Wir haben einen Code Charlie«, sagte der Kapitän. Und wurde verständlicher, als er bemerkte, dass ich keine Ahnung hatte, wovon er sprach. »Wir vermissen einen Passagier.«
Na toll. Das klang wie in einem mittelmäßigen Thriller aus der Feder von Elmar Tinhof. Aber gut, jetzt musste ich meinen Mann stehen, also bemühte ich mich um einen möglichst professionellen Blick, sicheres Auftreten und eine feste Stimme.
»Um wen geht es?«, fragte ich.
Die beiden sahen einander an. Keiner schien sich zu trauen, mir die Nachricht zu überbringen. Ich sah mich in Gedanken schon vor der Prucknerin stehen, die uns bald am Landungssteg in Mörbisch abholen würde, um uns zu unserem Tagesprogramm zu kutschieren. Das würde wohl flachfallen, wenn wir ihre Mamschki auf den paar hundert Metern zwischen Rust und Mörbisch verloren hätten. Aber wo war Jennie? Wenn es tatsächlich um Eleonora Pruckner gegangen wäre, hätte sie wohl auch hier sein müssen.
»Johann Gludovatz«, spuckte Kapitän Nicolaysen schließlich einen Namen aus. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Eh nur der Weinkaiser.
»Wie kommen Sie denn darauf, dass er nicht mehr an Bord ist?« Ich blickte mich im Restaurant um. Hier war schon mal niemand zu sehen.
»Er hatte sich einen Weckservice für acht Uhr bestellt«, erzählte Piller. »Er hat aber nicht auf diesen reagiert. Als er um halb neun noch immer nicht aufgestanden war, haben wir Nachschau gehalten. Immerhin steht für zehn Uhr ein Interview mit Journalisten auf dem Programm, in dem Gludovatz von seinen ersten Eindrücken auf der Reise erzählen sollte.«
Die Wanduhr im Restaurant zeigte zehn vor zehn an. Da hatten Bella und ich aber lange geschlafen.
»Und warum haben Sie mich nicht eher geweckt?«, herrschte ich Piller an. Angriff war die beste Verteidigung, um schon mal vorsorglich alle mögliche Schuld von sich zu weisen.
»Aber .«, setzte Piller an.
»Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für Diskussionen, meine Herren«, wurde er von Kapitän Nicolaysen unterbrochen. Ein Mann der Tat, sehr gut. »Was schlagen Sie vor, Herr Lauda?«
»Sie sagen den Pressetermin ab«, sagte ich zum Kapitän, »und Sie«, fuhr ich gegenüber Piller fort, »suchen mit mir noch mal alle Räumlichkeiten an Bord ab.«
Piller folgte mir durch den Salon hinunter zum Unterdeck. Mit Vehemenz hämmerte er der Reihe nach gegen alle Türen. Joseph Andrássy, der verarmte Weltkriegsveteran, öffnete uns schlaftrunken die Tür und ließ uns ohne Gegenwehr seine Kabine inspizieren. Er fragte nicht einmal, wen oder was wir suchten, sondern ließ uns einfach gewähren. Leider ohne Erfolg. Ein Klopfen an der nächsten Tür konnte Piller sich sparen, da es sich dabei um meine Kabine handelte. Direkt angrenzend logierte mit Elmar Tinhof der zukünftige Starautor. Doch er öffnete nicht.
»Was sollen wir tun?«, fragte Piller.
»Aufsperren natürlich, was sonst?«, entgegnete ich. »Wir suchen einen Passagier, quasi Gefahr in Verzug.«
Piller tat, wie ihm befohlen, und zückte einen Schlüssel. Tinhof verfügte über eine ebenso kleine Kabine wie ich, in der alles an seinem Platz zu sein schien. Einen sehr pedantischen Autor hatten wir da an Bord, alles schön ordentlich und rechtwinkelig ausgerichtet. Polster, Zahnbürstl, Notizblock auf dem kleinen Schreibtisch, alles in Reih und Glied - nur leider kein Johann Gludovatz. Und, nebenbei bemerkt, auch kein Elmar Tinhof.
»Was ist mit dieser Tür?«, fragte ich Piller, der sich bereits umgedreht hatte und den Raum am Ende des Ganges offenbar aussparen wollte.
»Das sind die Mannschaftsräumlichkeiten«, antwortete er. »Da habe ich aber schon nachgeschaut.«
»Ich aber noch nicht«, erklärte ich.
Piller zögerte ein Eizerl zu lang, bis er meiner Anforderung dann doch noch nachkam.
In der ohnehin schon überschaubaren Kabine war ein Stockbett untergebracht worden. Statt des Wandverbaus auf der anderen Seite stand ein weiteres Stockbett, und anstelle eines Bullauges und eines kleinen Schreibtisches gab es drei Spinde, wie man sie aus der Umkleide eines Fitnesscenters kannte. Privatsphäre gleich null. Ich verließ diese Kabine, in der von Johann Gludovatz keine Spur war, mit dem zufriedenen Gefühl, dass Bella und ich es mit unserer Unterkunft wesentlich besser erwischt hatten. Die nebenan befindliche Kapitänskajüte war von Piller anstandslos geöffnet worden. Nicolaysen verfügte zwar über ein bisschen mehr Platz als die Crewmitglieder, das Übernachten in seiner Kabine hätte ein zahlender Passagier aber wohl entrüstet verweigert. Zusätzlich zum Bett war hier aber immerhin ein kleiner Schreibtisch inkludiert.
»Wo sind denn alle hin?«, fragte ich meinen Begleiter, der wirklich gar nichts von der Grandezza eines Sascha Hehn an sich hatte, nachdem wir auch in der Kabine von Elisabeth und Birgit Borbely niemanden angetroffen hatten.
»Frühstück«, erklärte Piller kurz und knapp.
»Der Kapitän hat gestern erwähnt, dass die MS Maximilian von Land aus mit Essen und anderen Dingen versorgt wird. Könnte es sein, dass Gludovatz heute Morgen mit einem solchen Transport von Bord gegangen ist?«
»Nein, ausgeschlossen«, erklärte Piller. »Ich habe die Übernahme der Ware persönlich vorgenommen, da wäre mir Passagier Gludovatz aufgefallen.«
Die verbliebenen zwei Kabinen des Unterdecks dienten...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: ohne DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „glatten” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Ein Kopierschutz bzw. Digital Rights Management wird bei diesem E-Book nicht eingesetzt.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.