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Es war im Frühjahr 1913, als ein Beamter im Hauptpostamt Wien feststellte, dass ein postlagernder Brief, adressiert an Herrn Nikon Nizetas, nicht abgeholt worden war. Die Lagerfrist war abgelaufen, und so tat der Postbeamte das, was in solchen Fällen üblich war: Er schickte den Brief zurück an das Aufgabepostamt in Eydtkuhnen in Ostpreußen. Dort wusste man nicht, wie umzugehen sei mit der Postsendung, da der Briefumschlag keine Absenderadresse enthielt. Die Postbeamten öffneten ihn in der Hoffnung, Hinweise auf den Absender zu finden, und waren erstaunt, als 6000 österreichische Kronen und eine Adressenliste zum Vorschein kamen. Den Postbeamten kam die Sache suspekt vor, denn wer schickt schon eine so große Geldsumme in einem postlagernden Brief? Sie übergaben ihn deshalb dem deutschen Militärnachrichtendienst, wo Major Walter Nicolai den Inhalt inspizierte und sofort einen Spionagefall witterte. Nicht nur der hohe Geldbetrag deutete auf einen Agentenlohn hin, auch die vorgefundene Adressenliste war verdächtig, denn sie enthielt Namen zweier bekannter Spione. Schließlich galt auch der Aufgabeort Eydtkuhnen, der nahe der russischen Grenze lag, beim deutschen Nachrichtendienst als Spionagenest. Nicolai informierte seine Kollegen vom Wiener Evidenzbüro, dem österreichischen Nachrichtendienst, wo sich Maximilian Ronge der Sache annahm. "Mit begreiflichem Feuereifer stürzten wir uns auf diesen zweifellos großen Fall", erinnerte sich Ronge später. Er sprach mit den Berliner Kollegen ab, dass der Brief erneut nach Wien gesandt werden sollte in der Hoffnung, dass er doch noch von Herrn Nizetas abgeholt werden würde. Sollte der Mann im Postamt auftauchen, wollte man ihn festsetzen. Wie mit dem beschädigten Brief umgegangen wurde, damit er keinen Verdacht erregte, ist, wie vieles in diesem Spionagefall, nicht abschließend geklärt. Die einen sagen, er wurde wieder so hergerichtet, dass das Öffnen nicht zu erkennen war. Andere meinen, ein neuer Brief mit demselben Inhalt sei geschrieben worden. Wie dem auch sei, Ronge jedenfalls informierte die Wiener Staatspolizei, die sofort eine "Sonderkommission" einsetzte. Man mietete ein Zimmer in dem Haus auf der dem Postamt gegenüberliegenden Straßenseite, in dem sich mehrere Polizisten einnisteten. Eine Klingelleitung wurde ins Postamt verlegt, wo man einen Schalter installierte, über den die Polizisten alarmiert werden sollten, sobald der Briefabholer auftauchte.
Zwar ließ der ominöse Herr Nizetas auf sich warten, dafür gingen in der Zwischenzeit zwei weitere postlagernde Briefe an diesen Herrn ein, die ebenfalls hohe Geldbeträge enthielten.
Die diensthabende Beamtin am Poste-Restante-Schalter harrte gespannt der Dinge, die da kommen sollten. "Wir wussten natürlich nichts von den Zusammenhängen, aber ahnten damals wohl, daß es sich um keine geringe Sache handeln konnte", erinnerte sie sich 1953 in einem Interview.
Dann, am 24. Mai 1913, war es so weit: Gegen fünf Uhr am Nachmittag erschien ein stattlicher Herr in Zivil, grauer Anzug, dunkler Hut. Er fragte nach der Post für Herrn Nikon Nizetas. Mit angehaltenem Atem drückte die Postbeamtin den Klingelkopf. Im Gebäude gegenüber schrillte die Alarmglocke und die Polizisten setzten sich in Bewegung. Während sie noch über die Straße eilten, setzte sich Herr Nitezas in ein Taxi und fuhr davon.
Über das, was dann geschah, gibt es wieder verschiedene Versionen. In einer konnten die Polizisten die Verfolgung nicht aufnehmen, weil ihnen kein Auto zur Verfügung stand. Die an der Verfolgung beteiligten Beamten berichteten dagegen später, sie wären dem Verdächtigen sehr wohl mit einem Auto gefolgt. Das Taxi des Herrn Nizetas habe gestoppt, einige Zeit gewartet und sei dann weitergefahren. Der Fahrer des Verfolgerfahrzeugs habe aber zunächst den Motor erneut ankurbeln müssen, sodass der Verdächtige inzwischen entwischt sei.
Doch die Polizisten hatten Glück, zufällig stießen sie auf das Taxi, das der Verdächtige genommen hatte. Vom Chauffeur erfuhren sie, der Fahrgast habe sich ins Hotel Klomser fahren lassen. Die Polizisten zögerten nicht und ließen sich von dem Taxi zu besagtem Hotel fahren. Während der Fahrt fanden sie im Wagen das Futteral eines Taschenmessers, das offenbar von Herrn Nizetas dort vergessen worden war.
Im Hotel angekommen, erfuhren sie vom Portier, dass kürzlich mehrere Gäste im Hotel abgestiegen waren. Wer von ihnen war aber nun Herr Nizetas? Um das herauszufinden, deponierten die Polizisten das Futteral gut sichtbar am Eingang des Hotels. Sie hofften, dass der Verdächtige es dort sehen und an sich nehmen würde. Gut getarnt legten sie sich im Foyer auf die Lauer. Es dauerte nicht lange, so berichteten die Beamten später, bis ein Mann erschien, am Hoteleingang kurz stehen blieb und das Futteral ergriff. Dabei soll er sehr erschrocken gewesen sein. Offenbar hatte er erkannt, dass man ihm eine Falle gestellt hatte. Kaum war er aus dem Hotel getreten, holte er mehrere Zettel aus der Hosentasche und zerriss sie. Die Polizisten fragten inzwischen den Hotelportier, wer der Mann sei. Oberst Alfred Redl, Generalstabschef des VIII. Armeekorps in Prag, zuvor stellvertretender Chef des Evidenzbüros, erfuhren sie.
Bei der Staatspolizei und beim Nachrichtendienst schrillten die Alarmglocken. Die nächsten Stunden verliefen hektisch. Die Zettel, die Redl vor dem Hotel Klomser zerrissen hatte, und die von einem der Polizisten, die im Hotel postiert waren, geistesgegenwärtig aufgesammelt worden waren, wurden in Windeseile zur Dienststelle gebracht und ausgewertet. Ronge las sie und erschrak: Sie enthielten Adressen von Spionen "fremder Mächte". Der Chef des Evidenzbüros, August Urbánski von Ostrymiecz, der darin noch keinen Beweis für einen Verrat Redls erkennen konnte, ließ sich vom Hauptpostostamt einen Zettel bringen, den der Abholer der Briefe dort ausgefüllt hatte, um anhand der Handschrift zu prüfen, ob er von Redl stammte. Zu seinem großen Schrecken erkannte er eindeutig die Handschrift des Obersts.
Während Redl noch unbehelligt mit seinem Freund Viktor Pollak im Restaurant Riedhof ein Abendessen einnahm, bei dem er düstere Andeutungen machte, er habe "sich gegen Moral und Standesehre vergangen", wurde im Evidenzbüro in aller Eile eine vierköpfige Verhaftungskommission zusammengestellt. Gegen 0:30 Uhr betraten die vier Offiziere das Zimmer Redls im Hotel Klomser, der inzwischen von seinem Abendessen zurückgekehrt war. "Ich weiß schon, weshalb die Herren kommen. Ich bin das Opfer einer unseligen Leidenschaft: Ich weiß, dass ich mein Leben verwirkt habe und bitte um eine Waffe, um mein Dasein beschließen zu können", werden seine letzten Worte von den Biografen zitiert.
Die vier Offiziere gaben ihm eine Pistole, verließen das Zimmer und warteten die Nacht über vor dem Hotel. Am nächsten Morgen gegen fünf Uhr forderten sie den Hotelportier auf, nach Redl zu schauen. Der fand den Oberst tot in seinem Zimmer auf.
Wer aber war nun Alfred Redl? Wie wurde er zum Spion? Warum wurde er zum Verräter?
Redl, der 1864 in Lemberg geboren worden war, erhielt nach Abschluss der Kadettenschule seine erste Verwendung im Eisenbahnbüro der kaiserlich-königlichen österreichischen Armee. Diese Dienststelle hatte unter anderem den Auftrag, die Bahnstrecken möglicher Kriegsgegner auszukundschaften. Lange währte seine Tätigkeit dort nicht, denn sein Weg durch die Einheiten der k.u.k Armee führte weiter nach Budapest und Lemberg. 1899 nahm sein Schicksal eine Wendung, die für sein weiteres Leben entscheidend sein sollte: Der Chef des Generalstabes, Friedrich von Beck-Rzikowsky, entsandte ihn zu einem Sprachkurs nach Kasan in Russland. Die dort erlangten Sprachkenntnisse ließen ihn geeignet erscheinen, ab 1900 seinen Dienst in der "russischen Gruppe" des Wiener Evidenzbüros zu versehen.
Das Evidenzbüro, das man 1850 eingerichtet hatte, war der militärische Nachrichtendienst der österreichischen Monarchie und bildete eine Stabsstelle im Kriegsministerium. Die Dienststelle sammelte Informationen aus verschiedenen Quellen, die für die Armee von Bedeutung waren. Täglich wurden die aktuellen Nachrichten dem Generalstabschef und einmal in der Woche Kaiser Franz Joseph vorgelegt. Sehr erfolgreich arbeitete die recht kleine Einheit aber wohl nicht. Sie litt unter Personal- und Geldmangel, was zum Teil daran lag, dass sie einen Großteil ihres Budgets aus dem Außenministerium bezog, wo man eher auf die Nachrichtenbeschaffung im eigenen Kompetenzbereich setzte.
Umso erfolgreicher arbeitete Redl, der schnell Karriere machte. Schon nach wenigen Monaten erhielt er eine Verwendung im sogenannten "Kundschaftsbüro", das für die nachrichtendienstliche Überwachung aller auswärtigen Staaten zuständig war. 1907 übernahm er die Leitung dieser Dienstelle und wurde kurz darauf stellvertretender Leiter des gesamten Evidenzbüros. Nach seiner Beförderung zum Oberst im Mai 1912 ernannte man ihn am 18. Oktober desselben Jahres zum Generalstabschef des VIII. Armeekorps in Prag.
Redl arbeitete im Evidenzbüro so erfolgreich, dass ihm 1909, als er bereits russischer Spion war, der Orden der Eisernen Krone III. Klasse verliehen wurde. Sein Vorgesetzter schrieb in einer dienstlichen Beurteilung: "Redls große Personal- und Menschenkenntnis sowie die Kenntnis aller Dienstverhältnisse im Generalstabe, seine vornehme Denkungsart, sein Taktgefühl und Geschick...
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